Der Gast hat NICHT immer recht

Eine Umfrage bei Gastronomen in verschiedenen Ländern lässt am gewohnten Dienstleistungs- credo „Der Gast ist König“ zweifeln. Daneben rückt die gleiche Umfrage auch so manch anderes Branchendetail in ein neues Licht.

Foto von mauritius images/Collection Christophel/CIPRA/Compagnia Cinematografica Mondiale
Le gentleman d’Epsom 1962

Der König sitzt nicht mehr auf dem Thron. ­Zumindest gemäß einer Umfrage, die letztes Jahr vom Branchendienst Fine Dining Lovers in Zusammenarbeit mit verschiedenen Vereinigungen wie etwa Relais & Châteaux, The World’s 50 Best Restaurants oder dem Basque Culinary Center von Lexis Research durchgeführt wurde. Les Grandes Tables du Monde, die gewichtigste internationale Vereinigung von Spitzengastronomen, war ebenfalls mit an Bord und veröffentlichte die Ergebnisse letzten Herbst auf ihrem in Salzburg durchgeführten Jahreskongress. Befragt wurden insgesamt 10.162 Personen in Großbritannien, den USA, Italien, Frankreich und Spanien. 1.494 der Befragten arbeiten in der Gas­tronomie, 8.688 Befragte sind als Konsumenten einzuordnen.

Es ist ein Wirtshaus, kein Gasthaus
Das Umfrageergebnis spricht für das Selbstbewusstsein der Küchenchefs und Gastronomen, zeugt von einem neuen Selbstverständnis der Branche. „Nicht recht haben“ bezieht sich nicht auf das Erfüllen aller möglichen Wünsche für das Gelingen eines angenehmen Restaurantbesuchs. Es geht vielmehr um die unzähligen Sonderwünsche und Rechthabereien im Alltag, etwa um permanente Änderungswünsche in einem vorgegebenen Menü oder auch wie etwas zubereitet werden soll. Auch die oft geführten Diskussionen um die Ausrichtung von Weinkarten mit mehr oder weniger Natural Wine, mehr oder weniger Veggie im Menü oder Regularien wie Zutrittsverbote von Hunden oder gar Kindern (mal dafür, mal dagegen) sind auf der Liste der regelmäßig wiederkehrenden Reibereien zu finden. Die moderne Spitzengastronomie sieht sich angebotsmäßig zunehmend wie ein Opernhaus mit vorab fixiertem Spielplan. Wenn Gäste versuchen, ein fleischorientiertes Menü mit Extrawünschen in eine ­vegane Speisenfolge zu verwandeln, können schon mal alle Beteiligten verzweifeln. Demzufolge ist es ­vielleicht besser, wenn man als Verdi-Fan am Wagner-Abend lieber woanders hingeht – oder ­gleich daheim bleibt.
Interessant auch die Ergebnisunterschiede in den einzelnen Kulturräumen. Während in Frankreich 93 Prozent aller Gastronomen meinen, dass sie im Zweifelsfall immer recht haben, sind es in Spanien mit 79 Prozent doch einige weniger. Offenbar ist auch Gästen das Problem mit den Sonderwünschen bewusst. Zumindest in der Umfragegruppe verneinten erstaunlicherweise auch auf der Gästeseite 87 Prozent aller Befragten die Richtigkeit des „Der Kunde ist König“-Grundsatzes.

Der Service macht es wieder gut
Es ist nicht nur das Essen, das die Menschen ins Restaurant bringt. Selbst durchschnittliche Speisenqualität wird akzeptiert, wenn die Atmosphäre und vor allem die Servicequalität stimmen. Tatsächlich sagen 83 Prozent der befragten Gäste, dass sie ein Restaurant allein wegen des Service wieder besuchen würden. Und fast ein Viertel sagt, dass sie in ein Restaurant zurückkehren würden, in dem ihnen zwar das Essen nicht geschmeckt hat, ihnen aber der Service gut gefallen hat.

Reden wir Klartext
Eine nennenswerte Beziehung können Gäste und Serviceleute natürlich nur aufbauen, wenn sie dieselbe Sprache sprechen. Besonders in der Spitzengastronomie ist das ein wichtiges Kriterium. Durchschnittliche 76 Prozent wünschen sich da einen Service in der jeweiligen Landessprache. Während das in den englischsprachigen Zonen Großbritannien und den USA mit 68 und 71 Prozent eher noch als mittelwichtig angesehen wird, wünschen sich 85 Prozent der Italiener „native speaker“, in Spa­nien sind es 80 Prozent. Ziemlich ­sicher würde es bei dieser Frage auch im deutschsprachigen Raum ein Ergebnis in den 80ern geben.

Gute Arbeitsbedingungen sind Pflicht
Es ist natürlich schade, dass die Umfrage den deutschsprachigen Raum ignoriert hat. Einige Ergebnisse kann man aber in jedem Fall fast deckungsgleich übernehmen. Etwa, wenn es um Motive und Arbeitsumstände der beschäftigten Mitarbeiter in der Gastronomie geht. Das soziale Bewusstsein scheint in dieser Hinsicht zunehmend ausgeprägter zu werden. Immer weniger Menschen wollen sich von einer Crew bedienen lassen, die spürbar und zu Recht mit den Arbeitsumständen hadert. 62 Prozent der Gäste wünschen sich gute Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter und möglichst auch eine damit verbundene Transparenz. Grundsätzlich sind die Motive für ein Engagement in der Gastronomie durchaus idealistisch, sie reichen von „ich kann gut mit Menschen“ über „es gibt mir ein gutes Gefühl“ bis zu „ich kann mich beruflich weiterentwickeln“.
Work-Life-Balance ist in der Gastronomie ein Schlüsselbegriff. Das Problem der Arbeit an Wochenenden und am Abend, also zu Zeiten, in denen Freunde aus anderen Branchen für gewöhnlich Freizeit haben, gehört da genauso dazu wie überlange Anwesenheitspflichten durch Teildienste zu Mittag und am Abend.

Bitte recht freundlich
Nochmals zu den Erwartungen der Gäste. Sie wollen einen aufmerksamen, sachkundigen und freundlichen Service, ganz gleich, welche Art von Restaurant sie besuchen. In den ausgewiesenen Spitzenrestaurants erwarten sich 60 Prozent der Gäste besonders viel Präsenz und Auskunftskompetenz in den Details. Förmlichkeit ist den Gästen nicht wichtig, Freundlichkeit bleibt aber in jedem Fall ein wichtiger Aspekt in allen Arten von Restaurants. —

Alle Umfrageergebnisse aus The Front of House Survey von Fine Dining Lovers, powered
by Lexis Research