Die beglückende ­Leichtigkeit von Perfektion

Michel Tusk zelebriert in seinem Quince in San Francisco ­nachhaltige Küche auf allerhöchstem Niveau. Und fast nebenbei gibt es auch noch grandiose Pasta, wie man sie selbst in Italien kaum findet.

Text von Christian Grünwald

Wer mit Michael Tusk am Ferry Plaza Farmers Market in San Francisco einkaufen geht, bekommt eine Ahnung von der Popularität, die der Küchenchef in der kulinarischen Community an der US-Westküste ­besitzt. Jeder der kleinen Landwirte kennt ihn, man hält ein kleines Schwätzchen, tauscht Infos aus. Michael Tusk ist hier nicht nur in seiner Rolle als Küchenchef und Patron des berühmten Drei-Sterne-Restaurants Quince unterwegs, er ist mit einem eigenen Projekt sozusagen auch Farmer-Kollege. Viele Produkte aus der eigenen Produktion finden am Jackson Square im Zentrum von San Francisco ihre Bestimmung. Es ist eine stille Wohngegend, belebt von zwei Lokalen, dem Fine-Dining-Restaurant Quince sowie dem sich nebenan befindlichen Cotogna – was im Italienischen, so ein Zufall, „Quitte“ bedeutet. Die beiden Lokale in einem Häuserblock aus dem Jahr 1906 sind auf sehr persönliche Weise von Michael und Lindsay Tusk gestaltet und konzeptioniert. Nichts ist hier von der Stange, viele Ecken im Raum sind Rundungen. Jedes Einrichtungsstück hat seine Geschichte, die Räume atmen Komfort, Eleganz, verständige Bildung und Erfahrenheit, aber vor allem Lebensfreude, positive Energie und jede Menge Genuss. Das ist viel und ein großes Versprechen. Es wird eingelöst. Man meint, ein privates Haus zu betreten. Die legere wie elegante Atmosphäre ist in der Einrichtung von Art déco inspiriert. Bemerkenswert auch der großzügige Abstand zwischen den einzelnen Tischen im Quince. Eine Rarität in unserer rundum so maximierten Welt.

Quince, das ist französische und italienische Kochkunst mit kalifornischer Fusionslust. Die Küche speist sich mit den Produkten der vielen kleinen Farmen aus der Umgebung, die Nachhaltigkeit und Biodynamik zu einem persönlichen Anliegen gemacht haben. Keine Kleinigkeit in einem Land, in dem manche Supermärkte zum Teil kaum gesunde frische Produkte im Sortiment haben. Michael Tusk stammt eigentlich von der Ostküste und geriet eher zufällig zum Kochen. Er studierte Kunstgeschichte, verlor sich aber in den Praxisjahren nach dem Studium am Culinary Institute of America leidenschaftlich ans mediterrane Fach. Michael Tusk nennt Alice Waters und Paul Bertolli als seine einflussreichsten Mentoren. Die Italienreisen in dieser Zeit sind noch heute in der Quince-Küche schmeckbar. Beide Lokale sind ungemein erfolgreich beim lokalen Publikum. Bei aller Leichtigkeit in der Küche herrscht akkurater Perfektionismus. Betörend tolle Saucen dort wie da. Garung und Geschmack am absolut perfekten Punkt. Raffinesse ohne Täuschen und Tarnen. Und bei manchen Kleinigkeiten kommen dann die großen „Wow“-Momente, etwa beim Santa Barbara Spot Prawn, einer im Aroma verführerisch süßen Garnelenart, die mit einem Pilz-Seafood-Dashi und rohen Steinpilzen die perfekte Alliance eingeht.

Im Quince sind es fünf Mal mehr Arbeitsgänge, ehe z. B. ein Amuse-Bouche-Appetizer tatsächlich aus der Küche darf. Jedes Detail am Teller zeugt von unzähligen aufwendigen Arbeitsschritten. Die Pinzette scheint den Quince-Köchen fest an die Hand angewachsen zu sein. Ohne diese ist ein Anrichten der essbaren Pretiosen unmöglich. Dass Michael Tusk Speisenbilder und Küchenszenen auf einer analogen Hasselblad fotografiert, passt ins Bild dieses so liebenswerten und feinsinnigen Hauses. Wie sehr man sich hier mit Genuss und Design auseinandersetzt, beweist das Detail, dass das Wasserglas hier von Lobmeyr in Wien, der wohl traditionsreichsten Glasmanufaktur der Welt, stammt. Die mundgeblasenen Gläser sind bekannt-berüchtigt für ­ihre Filigranität. „Wir haben zwei Mitarbeiter, die auf das Spülen der Lobmeyr-Gläser spezialisiert sind.“ Unnötig zu sagen, wie hochwertig die verwendeten Zutaten sind, die allesamt aus der Region stammen. Vieles kommt mittlerweile vom eigenen Landgut Fresh Run Farm in der Nähe von Bolinas, wo Tusk gemeinsam mit Peter Martinelli über 40 Sorten von Obst, Gemüse und Blumen produziert. Die Fresh Run Farm ist einer der ältesten biozertifizierten Landwirtschaftsbetriebe an der Westküste und ein Pionier bei der Schaffung einer nachhaltigen, lokalen Landwirtschaft in Kalifornien. Bohnen, Spinat, Erdbeeren, viele Kräuter, aber auch Mais und Erdäpfel wachsen hier. Manches ist traditionell, für vieles Neue kommt das Saatgut aus aller Welt.

Das Menü bei Quince ist ein Resultat der Saison. Mitunter sind Tusk und sein Team täglich vor Ort am Feld, um die Zutaten selbst zu pflanzen oder zu pflücken. Es ist die Art von symbiotischer Beziehung, die Respekt und Wert in jede Phase des Prozesses bringt. Nose to Tail ist ohnehin eine Selbstverständlichkeit hier. Das erfordert handwerkliche Fähigkeiten und die Bereitschaft, stets Neues auszuprobieren: „Das Wichtigste ist wahrscheinlich, dass man sich nicht mit dem Besten zufrieden gibt. Man muss einerseits immer wieder auf der Suche nach den besten Rohstoffen sein. Andererseits muss man am wirklich Guten festhalten. Bei meinem Taubenzüchter kaufe ich seit fast zwei Jahrzehnten jede Woche ein. Es macht die Arbeit leichter, wenn man ein Produkt hat, auf das man sich jede Woche freut.“ 40 Prozent des Gemüses für die Tusk-Restaurants kommen mittlerweile von der eigenen Farm. Ein Weg, der keine Einbahnstraße ist. Für den Kompost werden die Abfälle im Restaurant gesammelt. Terroirverbunden ist auch das Weinprogramm mit sehr individuellem Touch. Da ist alles, was die europäische Weinwelt ausmacht und wirklich groß macht. Da ist aber auch vor allem so viel aus Kalifornien, Legenden ebenso wie die neuen filigranen Weine, die das Image der Weinregion geradeso nachhaltig verändern.

Quince ist das elegante Flaggschiff, ohne jemals peinlich protzig zu sein. Cotogna ist der Italiener ums Eck, eine zusammenfassende Hommage an die herzhafte italienische Küche, wie sie jeder liebt: Pizza, Pasta, Fisch, Rindfleisch. Alles in einer ungemein hohen Qualität. Zu loben gilt es das Bluefin Tuna Crudo mit allerfeinstem Olivenöl, Schalotten, Minze, Parmesan und den kleinstmöglichen Kapern dieser Welt. Lange in Erinnerung bleibt auch die Focaccia di Recco, ein Teller mit Stracciatella unter einem hauchdünnen und knusprig gebackenen Focaccia-Teig. Das ultimative Pastagericht heißt „Agnolotti del plin 2003“, wurde in ebendiesem Jahr im Quince kreiert und ist seither ein Highlight in der Küche von Michael Tusk. Es sind Kaninchen-Agnolotti mit Sugo d’Arrosto, einer Sauce mit der Kraft von gebratenem Fleisch. Der dicke Sugo ist voller Aroma, und jeder kleine Kaninchen-Agnolotto strotzt nur so vor Geschmack.
Enrico Crippa, Küchenchef des berühmten Piazza Duomo im piemontesischen Alba, und sein Restaurantleiter Davide Franco, die im Sommer bei der Familie Tusk zu Gast waren, bestätigen die hohe Einschätzung der italienischen Küche: „Hier machen sie eine Pasta, wie man sie auch in Italien nur selten in dieser Perfektion findet.“ – Ein ehrliches Kompliment, das Mi­chael Tusk wohl mehr als jede Guide-Bewertung freut.

quincerestaurant.com
cotognasf.com

Sternekoch Tusk in seinem Farm-to-Table-­Restaurant Quince.
Die legere wie elegante Atmosphäre im Quince ist in der Einrichtung von Art déco inspiriert.
Tusks Signature Dish ­Agnolotti del plin 2003 ist eine ­Liebes­erklärung an die ­ita­lienische Küche.
Michael & Lindsay Tusk