Die Franzosen haben die Eier

Die Kombination aus Eiern und Mayonnaise ist vermeintlich einfach und einfach kompliziert. In Frankreich ist Oeuf mayonnaise Kult.

Text von Alexander rabl
Eier mit Mayonnaise, Eier mit Salat, Eier mit Gelee und Schinken, Eier mit einer Creme aus Dotter und Mayonnaise – in der Pariser Gastronomie ist diese preiswerte Vorspeise nicht wegzudenken und das Oeuf mayo ist sogar Thema eigens veranstal­teter Wettbewerbe.
Eier mit Mayonnaise, Eier mit Salat, Eier mit Gelee und Schinken, Eier mit einer Creme aus Dotter und Mayonnaise – in der Pariser Gastronomie ist diese preiswerte Vorspeise nicht wegzudenken und das Oeuf mayo ist sogar Thema eigens veranstal­teter Wettbewerbe.

Sogar Joël Robuchon hat einmal festgehalten: Oeuf mayonnaise geht nur mit selbstgemachter Mayonnaise, nicht mit gekaufter. Im deutschsprachigen und englischsprachigen Raum sind Eier nur selten Thema der Küchenchefs. Hier isst man Ei meistens weich – oder neuerdings überall als Eggs Benedict – zum Frühstück oder rund um Ostern in hart gekochtem Zustand. Hie und da verirrt sich eine Omelette oder Eierspeis’ ins Kaffeehaus. Doch im Wirtshaus oder im Restaurant sind Eiergerichte selten Gast. Anders in Frankreich, wo Eiergerichte zum Standard der klassischen Küche gehören. Das berühmteste Ei ist gleichzeitig das vermeintlich am einfachsten zuzubereitende, das Mayonnaise-Ei, eleganter gesagt: Oeuf mayonnaise, kurz: Oeuf mayo. Es handelt sich um ein preiswertes Gericht aus der Küche der Bistros und der Brasserien, dem die Liebe der Köche dort gilt. Im wunderschönen Moulin à Vent im fünften Arrondissement, das mittags wie abends gefüllt ist wie die Metro zur Rushhour, gibt es unter den Vorspeisen des 22-Euro-Dejeuners Carpaccio vom Tête de veau oder Oeuf mayonnaise. Großzügig platziert die Eierhälften, überzogen mit Mayonnaise, darüber Streifen von Rotkraut, grob gehackte Petersilie und grüner Sellerie. Der Arzt hat nichts dagegen. Nachher gibt es Bœuf bourguignon. Die Küche des Moulin à Vent im fünften Arrondissement gewann dann auch 2023 bei der Weltmeisterschaft der Oeuf mayonnaise den Grand Prix. Essen als Kulturgut, das können die Franzosen. L’Association pour la Sauvegarde de l’Œuf Mayonnaise (ASOM), erfunden vom Restaurantkritiker Claude Lebey, organisiert jährlich die Weltmeisterschaft der Mayonnaise-Eier. Monsieur Lebey verschied 2017, zu hoffen ist, dass es nicht die Liebe zu den Mayonnaise-Eiern war, die ihm geschadet hat.

Die Liste der Gewinner der Championship ist eine Liste empfehlenswerter klassischer Brasserien und ­Bistros, verteilt in ganz Frankreich, wobei man anmerken muss, dass das Oeuf mayo eher eine Sache des kühleren Nordens des Landes und der Städte ist. Man isst dieses unwiderstehliche Comfort Food am besten in Paris, aber es gibt auch lohnende Adressen in der Bretagne oder in Bordeaux. Die Teilnahme an der Jury bei der Weltmeisterschaft der Mayo-Eier kann man sich als schwierig vorstellen. Nicht nur der Auftritt der Oeufs mayo, das Arrangement mit Salaten oder anderen Beilagen, sondern auch die Güte der Mayonnaise und schließlich die Eier selbst müssen gekostet werden. Es sollten pro Teller mindestens drei Eierhälften sein und die Mayonnaise sollte großzügig den größten Teil der Eier bedecken. Dazu Salat oder Rohkost von angemessener Frische und Knackigkeit. Von der Mayonnaise sollte so viel bleiben, dass man den Rest mit einem Stück Weißbrot auftunken kann. Bewertet werden bei der Weltmeisterschaft der Oeufs mayo generelles Erscheinungsbild und Aufmachung, Geschmack, Größe und Garpunkt des harten Eis, Qualität und Textur der Mayonnaise sowie die Beilagen. Dafür vergibt die Jury maximal 20 Punkte, und wer dann hundert Punkte hat, hat den Titel in der Tasche. Der Juror, die Jurorin, die sich durch all diese Mayonnaise-Eier durchkostet, benötigt eine kräftige Galle und Leber. Oder die private Telefonnummer eines Arztes. Natürlich haben sich die Anforderungen an das vermeintlich einfache Ei mit Mayonnaise gesteigert. Der aktuelle Gewinner des Mayo-Ei-Wettbewerbs kommt aus Bordeaux, es handelt sich um das kontemporäre Bistro Atelier des Faures. Hier serviert die Küche das Mayo-Ei mit einem Geflügelfond. Eier und Geflügel? Zumindest bleibt alles irgendwie familiär.

Sich durch die Pariser Ei-Mayo-Hors­d’œu­v­res zu kosten, ist eine reiz­volle, wenngleich keine leicht zu bewältigende Aufgabe, die eine gewisse Persistance erfordert. Es gibt Varianten, sodass die Sache nicht langweilig wird. In der Pariser Grand Brasserie, dem ehemaligen Petit Bofinger, gibt es zum Oeuf mayonnaise eine Remoulade aus Sellerie, die entfernt an Waldorfsalat erinnert. Diese spezielle Aufmachung erinnert auch ein wenig an ein verwandtes Rezept, nämlich das des Oeuf mimosa, bei dem es sich um gefüllte Eierhälften handelt. Meistens werden diese mit einem Ei-Mayonnaise-Gemisch gefüllt, für das der gekochte Eidotter vom Eiweiß getrennt, mit Mayonnaise vermischt, in die Eierhälften gefüllt und verschiedenartig dekoriert wird. Das Ei mimosa ist eine Erweiterung des Oeuf mayonnaise, es ist auch als Russisches Ei bekannt, also vermutlich keine reine französische Erfindung. Aber was ist beim Kochen schon irgendjemandes Erfindung? Beim Oeuf mimosa spielt Schnittlauch eine Rolle oder auch einmal Kaviar, je nach Konzept des Lokals. Oeuf mimosa isst man im Train Bleu, dem wegen seines Settings berühmten Bahnhofsrestaurant im Gare de Lyon. Michel Rostang, Küchenzampano mit bemerkenswerter familiärer Tradition, zeichnet für das kulinarische Angebot verantwortlich. Wie viele geschäftstüchtige Chefs hat auch er seine kleine, feine Assemblage von Restaurants verschiedener Konzepte und Preisklassen. Im Train Bleu wurden einst in der farbenprächtigen Wandmalerei die Eindrücke vorweggenommen, welche die Gäste erwarteten, wenn sie mit dem Zug im gelobten Land der Pariser, dem sonnigen Südfrankreich, angekommen sein würden. Leider wird das bemerkenswert schöne Ambiente des Train Bleu durch ein sich an und zwischen den Tischen drängendes Gemisch aus Touristen auf grobe Weise attackiert. Sie kommen mit Koffern und Hund, sie sitzen da, und sie wissen nicht, was sie bestellen sollen, um dann nichts außer Wasser und Brot zu ordern. Die Mitarbeiter im Service beweisen eine Engelsgeduld, sind vorbildlich langmütig wie die Pfleger auf einer Intensivstation, und sie schenken gut ein. Die Oeuf mimosa sind von leicht unterkühlter Noblesse, einmal zwei Eierhälften mit Mayo-Dotter-Mischung, dann ein wachsweich gekochtes Ei, darauf neutral schmeckender Kaviar von Petrossian. Das Ganze mit viel schickem Grün auf einer Unterlage aus Crème fraîche, nicht übel, wenn auch nicht so herrlich opulent wie in einfachen Pariser Restaurants. Das am Tisch zubereitete Beef Tatar ist hervorragend und von großem Schauwert. Im Bouillon Pigalle bezahlt man für eine ähnliche Version weniger als ein Fünfzehntel, ohne Kaviar, gerade 2,50 Euro. Hier allerdings sind Eigelb und Mayonnaise wieder getrennt, der Dotter muss perfekt gegart sein, sodass er nicht wie ein Tennisball aus seiner Eiweißhälfte fällt, sondern sich cremig mit der Mayonnaise vermischt. Interessant: Diese Variante des Oeuf mayonnaise schlägt in Paris in der Beliebtheit ­viele Gerichte wie Kebab, Sandwich oder Burger um Längen. Das gab ein Pariser Lieferservice bekannt. Nochmal Oeuf mimosa, diesmal ohne Kaviar und richtig schön üppig, die ideale Unterlage für eine ausschweifende Weinbestellung. Das gibt es im Vagenende, einer Brasserie im geschäftigen Saint Germain. Frischen Romanasalat und etwas geriebenen Eidotter gibt es dazu. Danach, weil das Fett-Säure-Verhältnis so gut abgestimmt ist, bleibt immer noch Platz für schlachtschiffgroße Hechtnockerl mit Nantua-Sauce. Ein Fest. Das wusste schon Ernest Hemingway, der aber eher in der Closerie de Lilas Gast war. Für den Fall, dass die Mayo-Beigabe einmal nicht nach dem Geschmack des Essers ist, hat die Pariser Küche ebenfalls eine Ei-Variante parat, das Œuf en gelée. Die Location: Brasserie Lipp, ebenfalls in Saint Germain. Das Lokal wie immer brechend voll von Stammgästen und ihr Essen fotografierenden Foodies, der Champagner sprudelt im Glas. Das Œuf en gelée wird von frugal angerichtetem Vogerlsalat begleitet. Dieses Gericht ist selbst ein Klassiker, Inspiration für die Mayonnaiseschüsserl, die man auch bei uns im Supermarktregal findet. Angeblich geht die Idee auf den kulinarischen Erfinder und Küchenchef Marie-Antoine Carême zurück. Œuf en gelée wird mit Schinken serviert, der in Scheiben geschnitten und mit dem vorher pochierten Ei in die gelierte Flüssigkeit eingebettet wird. Etwas Estragon, eine halbierte Tomate, ein herrliches Essen. Man schneidet durch das Gelée und genießt das Ganze wie eine Pastete. Dazu einen gut gekühlten Beaujolais von einem der neuen Beaujolais-Winzer, die gerade in Paris angesagt sind. Die Gläser, in welche der Wein eingeschenkt wird, sind nicht viel größer als halbe Eier. —

Adressen
Brasserie Vagenende
vagenende.com
Brasserie Lipp
brasserielipp.fr
Train Bleu
le-train-bleu.com
Moulin à Vent
au-moulinavent.com
Bouillon Pigallé
bouillonlesite.com/bouillon-pigalle
Grand Brasserie
grandebrasserie.fr
Atelier de Faures
atelierdesfaures.fr