Französisch-italienische Freundschaft

Alain Ducasse und Neapel – das klingt ungewöhnlich, wenn nicht sogar irgendwie unpassend. Jedenfalls hat der französische Starkoch in der Stadt am Vesuv kürzlich ein Restaurant eröffnet.

Text von Georges Desrues

Man könnte das im vergangenen Juli in Neapel eröffnete Restaurant ohne Weiteres als Wagnis bezeichnen. Nämlich vor allem, wenn Alain Ducasse wie angekündigt vorhat, hier tatsächlich und auch langfristig französische Küche anzubieten. Denn schließlich gibt es ja einen Grund dafür, dass Italien so ziemlich das einzige Land in Europa, der westlichen Welt und überhaupt unter den Industrienationen ist, in dem französische Restaurants so gut wie inexistent sind. Dabei finden sich gerade in der neapolitanischen Küche zuhauf französische Einflüsse, wurde doch das Königreich Neapel einst von den aus Frankreich stammenden Geschlechtern der Anjou und später der Bourbonen regiert. Letztgenannte kamen im 18. Jahrhundert und brachten ihre Köche mit, die man hier alsbald Monzù nannte, was sich vom französischen „Monsieur“ ableitet. Aus dieser Zeit stammen auch inzwischen typisch neapolitanische Gerichte wie Ragù (Ragout), Gattò (gâteau) oder Crocchè (Croquetten). Doch das ist alles lange her. Und so sucht man französische Res­taurants in Italien heute vergeblich.

Folglich ist es auch kein Wunder, dass die Ankündigung, ein solches in der heimlichen Hauptstadt des italienischen Südens zu eröffnen, im gesamten Land für Aufsehen und Stirnrunzeln sorgte. Doch der Großunternehmer unter den Küchenchefs, Herr über 32 Restaurants weltweit, zeigt sich auch diplomatisch. Zum einen mit kalmierend-schmeichelnden Statements wie:

„Italienisch werden wir mit Sicherheit nicht kochen, denn das können die ­Italiener viel besser.“ Oder: „Selbstverständlich werden wir vorwiegend lokale Zutaten verwenden, weil die zu den besten der Welt zählen.“

Und zum anderen, indem er einen Küchenchef einsetzt, der selbst Italiener ist. Zwar kein Neapolitaner, aber immerhin Toskaner. „Ziel ist, mit einem Angebot zu überraschen, das es hier bislang nicht gibt“, sagt Alessan­dro Lucassino, der bereits mit 22 nach Frankreich ging und bei Ducasse anheuerte. Zwölf Jahre später, nach diversen Stationen im Unternehmen, darunter auch im italienischen Restaurant La Cucina in Paris, vertraut ihm der Meister nun also die Küche des Il Ristorante Alain Ducasse Napoli an. Untergebracht ist es im neunten Stock des Fünf-Sterne-Hotels Romeo, das direkt an der Uferstraße und gleich gegenüber vom Hafen liegt. Das Hotel stammt aus dem Jahr 2008 und wurde von seinem Besitzer, dem Anwalt und Kunstsammler Alfredo Romeo, mit modernen Kunstwerken geradezu vollgestopft. Das gilt auch für das Restaurant in der 9. Etage, wo man sich zwischen viel Glas und Schwarz bei schummriger Beleuchtung und blauem Licht wie in einer Disco-Bar der 1980er-Jahre fühlt. Der Ausblick ist freilich imposant, auf Hafenanlagen, Kräne, Kreuz- und Frachtschiffe und den majestätischen Vesuv.

Spätestens beim ersten Gang zeigt sich, dass Lucassino weit mehr als nur die ausführende Hand seines Chefs und hier, in seiner Heimat, auch besonders motiviert ist. Das zarte Fleisch der Blaukrabbe kombiniert er mit Fruchtpulpe der ligurischen Bitterorange Chinotto und weißen Bohnen, das Filet vom Sankt-Petersfisch aus dem Golf von Neapel mit Meeresfenchel und Seespargel sowie mit einem intensiven und dennoch eleganten Fond aus Felsenfischen, der dem charmant-festen, aber verhalten aromatischen Fisch den nötigen Kick verpasst. Die viel intensivere und in ihrem Inneren noch delikat glasige Felsen-Rotbarbe indessen hält einer provenzalischen Tapenade aus Oliven, Sardellen und Kapern aromatisch durchaus stand. Vergleichsweise etwas weniger mediterran gerät ein Ducasse-Klassiker, der beide kulinarischen Welten eint, nämlich der Raviolo mit Foie gras, den Lucassino in einer wundervoll-kräftigen Hühner-Consommé serviert, von der man gerne mehr hätte. Die perfekt auf den Punkt gebratenen, mit Kirsch-Jus sowie weißen und grünen Rübenblättern servierte Taubenbrust ist indessen eher dem Land westlich der Alpen zuzuordnen, wenngleich das ­Geflügel von der gefeierten Toskaner Züchterin Laura Peri stammt. Nicht wirklich ernst gemeint ist offenbar die Frage, ob man zum Brot lieber Olivenöl oder Butter hätte. Zum einen, weil sowieso beides serviert wird, und zum anderen, weil die Butter überraschenderweise mit Olivenöl aufgeschlagen wurde. „Sozusagen französisch-italienische Freundschaft“, sagt Küchenchef Lucassino mit einem Augenzwinkern. Und umschreibt damit humorvoll ein in der Tat außergewöhnliches Konzept, das hier bemerkenswert stimmig gerät und im neuen Hotel Romeo, das noch vor Ende des Jahres in Rom eröffnen wird, wiederholt werden soll.

Il Ristorante Alain Ducasse Napoli
Via Cristoforo Colombo, 45
I-80133 Neapel
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