Ganz viel Liebe
Jan Hartwig fliegen die Herzen zu. Weil er das Kochen liebt, man das als Gast deutlich schmeckt und in seinem Restaurant in München entsprechend großartig isst.
Wo gibt es das schon noch im deutschsprachigen Raum: ein Drei-Sterne-Lokal, das zur Mittagszeit knallt wie ein Löffel Kaviar beim Draufbeißen? Zum Beispiel in der Münchner Maxvorstadt, in einem äußerlich unscheinbaren, innen japanisch-holzdominierten Raum mit Gute-Laune-Britpop-Soundtrack. In der offenen Küche des Jan bittet ein Schild darum, „nicht vor 20.30 Uhr auf den Tischen zu tanzen“, über der Tür prangt ein „Labor der Liebe“-Schriftzug. Da ist das aus Nürnberg angereiste Negroni-Geburtstagspaar, dort die berüchtigte Münchner Schickeria. Grund für die vielen asiatischen Touristen ist möglicherweise das kürzlich veröffentlichte OAD-Ranking, welches das Restaurant auf Platz drei bugsierte, nicht deutschland-, sondern europaweit. Jan Hartwig hat geschafft, wovon wohl die meisten Köche träumen: fünf Hauben, drei Michelin-Sterne, erst für das Atelier im Bayerischen Hof, dann aus dem Stand für sein eigenes Restaurant. Dazu ein offenbar funktionierendes Sozial- und Familienleben, („viele Bekannte, wenig Freunde“), seine Partnerin Theresa Geisel arbeitet mit im Betrieb, und vor einem halben Jahr wurde die gemeinsame Tochter geboren.
Klassisch-französisch ist Hartwigs Stil, dabei spürbar japanisch geprägt, und auch für Ausflüge ins Regionale – der Käsegang kommt in Form einer Kartoffelkas-Speck- und Kürbiskernöl-Jause – ist sich der bekennende Biergarten- und Brezel-Fan nicht zu schade. Fulminant ist der Auftakt des dreizehngängigen Lunchmenüs, in Form perfekter Tarteletten, etwa die Umami-Creme mit kandierter Kombu-Alge, geräuchertem Ahornsirup und Pekannüssen, das knusprige Auberginenröllchen mit Kaviar, Holler und Minzobers oder die Buchweizen-Crustade mit Buttermilch, Lachsbauch, Miso-Mayonnaise und Forellenkaviar. Obacht: Wenn Jan Hartwig Fisch anfasst, wird er zu Gold, in Form der seiner Tochter Louise gewidmeten Kreation mit eigens produziertem N25-Kaviar mit rohem Seeigel, Schnittlauchöl und Kalbsschwanzessenz ebenso wie beim Ora-King-Lachsfilet mit pochierter Gillardeau-Auster und Yuzu-Marmelade. „Fisch ist ein sehr sensibles Lebensmittel, das totale Präzision verlangt“, so der Sternekoch. „Schon neunzig Sekunden Garzeit können zu viel sein.“ Dabei müssen es nicht immer Steinbutt und Kaviar sein, viele Fische stammen aus dem nahe gelegenen Schliersee. Einer seiner Favoriten: Saibling.
Geboren wurde Jan Hartwig 1982 in einem niedersächsischen Dorf als Wirtshaussohn. Im Rahmen seiner Wehrpflicht kochte er einige Monate lang in einer Bundeswehrkaserne, für Soldaten, aber auch deren Familien, quasi ein Restaurant mit Tarnfarbenvibe. Weil bei ihm die Hollandaise zum Schnitzel nicht aus der Tüte kam und das Supermarkteis mit einer hausgebackenen Hippe gepimpt wurde, flogen ihm die Herzen zu. „Ich glaube, jeder schmeckt, wenn sich jemand Mühe gegeben hat.“ Er beobachte das ja auch an sich selbst. „Wenn ich irgendwo eingeladen bin, freue ich mich über Nudeln mit Tomatensauce oder Spinat mit Spiegelei, Hauptsache, es wurde mit Liebe gekocht.“ Ach, die Liebe … dazu später mehr. Von der Kaserne ging es direkt in die Spitzengastronomie, unter anderem zu Christian Jürgens, dem Saarländer Klaus Erfort und Sven Elverfeld, in dessen Aqua Hartwig ab 2009 Souschef war. Fünf Jahre später dann der Wechsel in die bayerische Hauptstadt. Manche aktuell servierten Gerichte erinnern noch an die Atelier-Ära, etwa der mit XO-Sauce getunte Schweinebauch à la chinoise, früher mit geräucherter Hollandaise, jetzt mit Pilzen und Roscoff-Zwiebel-Creme, denn: Stehen bleiben ist nicht.
Erst mal tastete sich der Niedersachse mit einem Pop-up-Konzept in der Porzellanmanufaktur Nymphenburg an die Selbstständigkeit heran, das sich zum jetzigen Restaurant verhalte wie „Gokart zur Formel 1 oder ein Bolzplatz zur Allianz Arena“ (in Deutschland wird Kulinarisches gerne mit Sport verglichen). Im Herbst 2022 dann das eigene Restaurant, ohne Sponsor, ohne Teilhaber: „Ich habe einen fetten Kredit aufgenommen und mich bis auf die Unterhose verschuldet.“ Das Risiko scheint sich gelohnt zu haben. Die lokale wie überregionale Kritik singt Lobeshymnen, abends ist man teilweise wochenlang ausreserviert, auch aufgrund zusätzlich bestellbarer Signature Dishes wie dem glacierten Kalbsbries, soufflierter Wachtelbrust oder Pâté en croûte vom Schwäbisch-Hällischen Landschwein. „So ein Menü ist eine bis ins kleinste Detail durchdachte Aufführung, ohne Netz und doppelten Boden“, so der 41-Jährige.
Auch dank dem Jan mausert sich München gerade zur inoffiziellen deutschen Foodie-Hauptstadt, weil die Menschen spendabler sind als in Berlin und mit Alois, Komu, Esszimmer und Tohru in der Schreiberei eine Vielzahl hochkarätiger Betriebe lockt. Einen Lunch bietet, mit Ausnahme des Tantris, neben Hartwig keiner an. Warum ist schnell erklärt: „Ganz ehrlich, ich brauche das Geld. Abgesehen davon gehe ich selbst gerne ausgiebig mittagessen. Heute sind wir mittags zum Beispiel voller als abends.“ Im Gegenzug haben seine zwanzig Mitarbeitenden eine Viertagewoche und am Wochenende frei. Seine eigene Freizeit kann der Chef für einen Ausflug über die bundesdeutsche Grenze nutzen, er ist nämlich bekennender Österreichfan. „Bei meinem Großvater im oberösterreichischen Windischgarsten habe ich als Kind viele Ferien verbracht. Heute liebe ich vor allem Wien. Die Albertina, die Kaffeehäuser und Restaurants wie Amador, Steirereck und Reznicek.“
Was will der im Kocholymp Angekommene jetzt noch erreichen? „Internationale Relevanz.“ Aktuell belegt er Platz 84 bei den World’s 50 Best Restaurants, da geht natürlich noch mehr. Gerade hat der Wahlmünchner ein opulentes Kochbuch veröffentlicht, das genauso heißt wie der über seiner Restaurantküche angebrachte Schriftzug. Was es mit diesem „Labor der Liebe“ auf sich hat? Die Idee entstand an einem weinseligen Abend in Gesellschaft des Kuckucksuhr-Künstlers Stefan Strumbel. „Der meinte: ,Du brauchst einen Hashtag‘. ‚Du spinnst‘, habe ich geantwortet, woraufhin Stefan entgegnete: ‚Ist doch alles Liebe‘.“ Und so war das dann.
Restaurant Jan
Luisenstraße 27, 80333 München
jan-hartwig.com
Stehen bleiben ist nicht: Jan Hartwig steuert mit seinem „Labor der Liebe“ den internationalen Kocholymp an.
Z.B. mit Bretonischen Sardinen (o.) oder Schweinebauch à la Chinoise(u.)