Herzig
Gute Aussichten
Als sich Sören Herzig vor fünf Jahren für den Aufbau seines Restaurants im ehemaligen Gebäude des Dorotheums im 15. Bezirk entschied, musste er sich sicher hie und da die Frage gefallen lassen: „Hier, in dieser Lage?“ Dann kamen noch die Pandemie und der Lockdown, der in Wien besonders heftig zelebriert wurde. Fünf Jahre später, ein Besuch an einem Wochentag: Herzigs Restaurant ist bis auf den letzten Tisch ausgebucht, die Stimmung ist perfekt. Wenn der Sommer da ist, und deshalb schreiben wir das hier, warten Sören Herzig und seine Frau Saskia mit einer richtigen Attraktion auf: Dann zieht das Restaurant samt Lohberger-Küche aufs Dach, wo sich im sechsten Stock ein Prachtpanorama bietet, mit Blick auf Stadt und Wienerwald, und vor allem auf das in herrschaftliches Licht getauchte Schloss Schönbrunn. Wenn das Wetter passt, wird am Rooftop das gesamte Programm durchgezogen, da müssen sich die diversen Innenstadt-Terrassenbars warm anziehen.
Ein Touristenprogramm? Zumindest verweigert Herzig seinen Gästen Tafelspitz und Schnitzel. Er sieht, darauf angesprochen, sein Lokal eher als international, es sollte auch in Barcelona gute Figur machen. Oder in Hamburg. Sören Herzig legt ein Menü ohne lokalen Bezug vor, dafür hat er eine Menge an guten Ideen. Gleich zu Beginn begeistert seine Variante vom zurzeit oft diskutierten Gericht der Carbonara. Sören serviert die Spaghetti dottergelb, komplett ohne Mehl mit einer mundwässrig nach Speck duftenden Sauce und einem erwachsenen Löffel Kaviar von exzellenter Qualität. Die Qualität der roten Garnele, die mit grünem Spargel, Limette und Haselnuss kombiniert wird, könnte bei der Kalibrierung der Mengen an Zitrusfrucht etwas hervorgehoben werden. Überhaupt kocht Herzig gerne auf der eher süßen Seite. Und traut sich herzhaft und pointiert zu würzen. Die mit Mortadella gefüllte Morchel kommt mit einem Schweinejus, schwarzem Senf, Estragon-Beurre-blanc und einem – fantastischen – Nockerl aus Polenta. Saskia Herzigs Lieblingsteller, wie sie sagt, ist der Seehecht, der mit Kombu mariniert wurde, dazu gibt es eine wiederum sehr gute Sauce auf der Basis der kalabresischen Wurst Nduja.
Delikate Fusion zweier Esskulturen, zwischen denen ein Ozean liegt. Ganz kontinentaleuropäisch dann die Brust von der Etouffé-Taube mit roten Rüben, zarter Brotkruste und (etwas visuell beeindruckendem, niedrig dosiertem) Brombeeressig. Sehr gut dann die beiden Desserts, darunter ein Sauerkirschen-Malz-Ding mit dem Namen „Dr. Pepper“, inspiriert Herzigs Liebe zu süßen Getränken. Auch Spitzenköche trinken in ihrer Freizeit nicht nur Champagner, manchmal darf es einfach Kirsch-Cola sein.
Alexander Rabl
Küche ★★★★
Atmosphäre ★★★★
Weine ★★★
Herzig
Schanzstraße 14, 1150 Wien
T 0664/115 03 00
restaurant-herzig.at