Kleiner Fisch, große Wirkung

Sie sind das Umami für alle Fälle, ganz gleich, ob als schneller salz- betonter Imbiss oder als wirkungsvolle Zutat in vielerlei Rezepten.

Text von Andrea Karrer / Illustration von Kerstin Luttenfelder

Anchovis sind im landumschlossenen Wien so etwas wie der „Stockfisch der Wiener Küche“, da sie sich leicht transportieren und lagern lassen. Sie sind nicht nur Geschmacksverstärker verschiedener Saucen, sondern werden gerne als kleine Appetithäppchen vor dem Essen genommen oder ganz einfach auf einem Butterbrot verspeist.

Frische Sardellen sind ein unvergleichlicher kulinarischer Genuss. Nur sehr wenige Lebensmittel haben einen so wunderbar natürlichen Salzgehalt und sind aufgrund der Größe des einzelnen Bissens des Fisches so lohnend zu essen. Aber sie sind ein verderbliches Produkt, daher schaffen sie es selten auf Märkte. „Doch die Probleme, die frische Sardellen leider haben, sind ihre Größe und ihr leicht bitterer bis metallischer Geschmack“, weiß Marwan Saba. Marwan Saba betreibt die Firma pyscis conserves, die sich zum Ziel gesetzt hat, nach Jahrgängen und ausschließlich in limitierter Auflage feinste Gourmet-Konserven zu produzieren. „Deshalb sollten frische Sardellen vor der Zubereitung einige Stunden in Wasser oder Milch eingelegt ­werden. Das mindert den strengen Geschmack“, empfiehlt der Experte. „Boquerón“ heißt die Sardelle in Andalusien, wenn sie gebraten, im Teigmantel frittiert oder filetiert in Essig sauer eingelegt wird. Kleine Fische können im Ganzen zubereitet werden, da ihre Gräten sehr weich und fein sind. Wird der gesunde Fettfisch aber als Filet schichtweise – fast wie Sauerkraut – eingesalzen und in Glas oder Dose verpackt, handelt es sich um „anchoas“, im Deutschen heißen sie „Anchovis“. Bei Topquali­täten handelt es sich um nicht sterilisierte Halb­konserven, weshalb sie stets gekühlt aufbewahrt werden müssen.

Berühmte Gerichte sind mithilfe der Anchovis entstanden: der Caesar Salad etwa oder der berühmte Salade niçoise. Auch auf der Bruschetta oder in der bekannten Pasta alla puttanesca, als Pizzabelag, in der Salsa verde oder auf der Coca haben die Anchovis Karriere gemacht, als Garnitur auf einem hart gekochten Ei, in Sardellensauce, im längst vergessenen Wiener Sardellenkren, um nur ein paar Beispiele aufzuzählen. In vielen Speisen sorgt erst die unsichtbare Präsenz von geschmolzenen Sardellen für den beglückenden Geschmack, wie etwa im Wiener Kalbsbeuschel, in den Rindsrouladen, bei den Königsberger Klöpsen, um wieder nur einige zu nennen.

„Die Sardelle ist der vielseitigste und unverzichtbarste unter den heringsartigen Fischen. Sie ist sowohl eigenständige Zutat als auch notwendiges Würzmittel unzähliger Gerichte“, erklärt Harald Irka. Der junge Koch wird gerne als Mozart der Küche ­bezeichnet. Kaum jemandem gelingt es dermaßen wagemutig, Aromen zu kombinieren, wie diesem Mann (siehe auch sein Rezept am Ende der Geschichte), der in der Saziani Stub’n 2012 seinen ersten Küchenchefposten antrat und seinen Erfolgsweg in Sankt Andrä im Sausal im ehemaligen Pfarrhof mit Partnerin Lisa Gasser an seiner Seite eindrucksvoll fortsetzt. Seine Kochkünste machten den Pfarrhof zu einem der begehrtesten Restaurants des Landes – und zur Keimzelle der ultramodernen österreichischen Regionalküche. „Im besten Fall merkt man die Anwesenheit einer Sardelle nicht. Man fragt sich bloß, was hier eigentlich so sagenhaft gut schmeckt.“

Die besten Konserven, heißt es, kommen aus Santona am Kanta­brischen Meer. Doch auch Katalonien ist berühmt für seine Sardellen. Aber wie kommen die Sardellen ins Glas? Zuerst werden den Fischen die Köpfe abgeschnitten und die Innereien entfernt, bevor sie in großen Fässern mit Salz und ­Essig eingelegt werden. Über Nacht müssen die Boquerónes dann ziehen und morgens werden sie in Gläser gefüllt. Dabei ist die genaue Mischung von Salz und Essig natürlich ganz wichtig. Durch den Essig verlieren die Fischfilets übrigens auch ihre braune Farbe und werden hell, fast weißlich und schmecken mild.

Ganz anders ist das bei den Anchovis: Mit einer einzigen Bewegung werden den Sardellen die Köpfe abgedreht und sie werden ausgenommen, der restliche Fisch bleibt noch ganz, aber ist jetzt innen hohl. Die zukünftigen Anchovis werden in Lake eingelegt, um sie erstmal austrocknen zu lassen. Danach werden die Sardellen in Fässern mit grobem Salz geschichtet, wobei auf jede Fischschicht eine Schicht Salz kommt, bis die Fässer bis zum Rand voll sind. Anschließend werden die Fässer mit einem ­Deckel in Form einer runden Holzscheibe abgedeckt und mit Steinen beschwert, um Druck darauf auszuüben.

Die Sardellen sind nach etwa sechs Monaten genussreif. Bei Topqualität kann das bis zu zwei Jahre dauern. Die besten Sardellen weisen ein festes und dickes Fleisch auf und lassen sich leicht entgräten. Abschließend werden die Sardellen noch vom Salz befreit und ordentlich gereinigt, bevor sie anschließend von Hand in Gläser geschichtet, diese mit Öl aufgefüllt, verschlossen und versiegelt werden. „Wenn das Salz den Geschmack vom Fisch überdeckt, handelt es sich um kein hochwertiges Produkt. Das Salz macht den Fisch länger haltbar und soll den Geschmack nicht verändern“, weiß Marwan Saba. „Bevor man – zumal eingesalzene – Sardellen verwendet, sollte man stets prüfen, wie salzig sie tatsächlich schmecken, und sie nötigenfalls eine halbe Stunde wässern und das Wasser dabei ab und zu erneuern“, rät Harald Irka. „Wie die Sardelle ins Essen kommt, ist unterschiedlich. Mitunter werden ganze Filets oder feine Streifen einfach aufgelegt; die verbreitetste Methode ist, sie fein zu ­hacken oder mit einer Gabel zu zerdrücken und mitzugaren. Brät man so vorbereitete Sardellen an, lösen sie sich fast zu Mus auf, mürbe, wie sie sind“, fährt der Spitzenkoch fort.

Die früheste Form des Salzens von Sardellen stammt aus der spätrömischen und mittelalterlichen Zeit. Vor allem Sardellen, aber auch Fischabschnitte und Fischinnereien wurden mit viel Salz in der Mittelmeersonne mehrere Monate fermentiert. Ab und zu wurde die ganze Masse umgerührt. Anschließend wurde die so entstandene Flüssigkeit, das sogenannte „Garum“ oder auch „Liquamen“, abgezapft und als Würzsauce verwendet. Je nach Vorliebe wurde sie auch mit Wein oder Gewürzen abgeschmeckt. Das römische Garum gab es in vielen Variationen und war mit der heute in Asien gebräuchlichen Fischsauce nahezu identisch. In der thailändischen Küche wird diese Sauce (Núoc Mam) anstelle von Salz zu ­jedem Gericht verwendet.Liquamen befriedigte bereits vor zweitausend Jahren nichts anderes als die Sehnsucht des Menschen nach glutamatähnlicher Substanz. —

Infos & Adressen

Marwan Saba
Gourmetfisch aus der Dose in limitierter Auflage aus Spanien:
pyscis.com

Am Pfarrhof
8444 Sankt Andrä im Sausal
ampfarrhof.com

Zucchini mit Sardellenbutter
Rezept von Harald Irka, Am Pfarrhof

Zutaten für 4 Portionen
Zucchiniblüten
8 Zucchini (jeweils ca. 2 cm Durchmesser)
Staubzucker
Salz

Gelbwurzkaviar
20 g Gelbwurz
140 g Wasser
20 g Tapiokaperlen
60 g Verjus

Sardellenbutter
40 g Butter
1–2 in Salz eingelegte Sardellen, gut gewaschen und trocken getupft (ersatzweise 10 g Sardellenpaste)
2 g Kristallzucker
5 g Verjus
Salz, Cayennepfeffer

Ananastatar
80 g Ananas, geschält
15 g weißer Sesam
5 g Kristallzucker

Anrichten
80 g geräuchertes Joghurt
Ananassalbei
Kapuzinerkresseblüten
Ananascurry (Spiceworld)
Olivenöl (Veronelli No. 1)

Zubereitung
Zucchiniblüten: Zucchini waschen und mithilfe der Aufschnittmaschine in 80 Scheiben mit jeweils 2 mm Dicke aufschneiden. Überlappend auf der Arbeitsfläche auflegen und anschließend eng zusammenrollen. In der Mitte halbieren und in Metallringe einsetzen. Mit etwas Staubzucker sowie Salz würzen.

Gelbwurzkaviar: In einem Topf Wasser mit Gelbwurz aufkochen. Hinweis: Es sollte mindestens die siebenfache Menge der Tapiokaperlen an Wasser sein. Die Perlen in das sprudelnde Wasser geben und bei mittlerer Hitze etwa 25 Minuten kochen, dabei immer wieder umrühren und bei Bedarf Wasser nachgießen. Von der Hitze nehmen und zugedeckt weitere 15–20 Minuten ziehen lassen; anschließend die Tapiokaperlen durch ein Sieb abseihen, mit warmem Wasser abspülen und gut abtropfen lassen.
Abkühlen lassen.

Tapiokaperlen in ein passendes Gefäß geben, mit Verjus bedeckt mindestens 15 Minuten ziehen lassen. Kalt stellen.
Sardellenbutter: Alle Zutaten mithilfe eines elektrischen Zerkleinerers zu einer Emulsion verarbeiten.

Ananastatar: Ananas in sehr kleine Würfel schneiden. In einer Pfanne den Zucker hell karamellisieren, Sesam und Ananaswürfel darin leicht braten, bis die Flüssigkeit vollständig verdampft ist.

Die Zucchiniblüten in einer beschichteten Pfanne mit etwas Sardellenbutter anbraten.

Anrichten: Geräuchertes Joghurt, Ananastatar sowie Gelbwurzkaviar auf einem Teller anrichten. Das Joghurt mit einer Prise Ana­nascurry ­bestreuen, eine Zucchini­blüte neben Joghurt und Ananastatar setzen, mit ­Olivenöl beträufeln und mit ­Ananassalbei sowie ­Kapuzinerkresseblüten ­garnieren.