Vom Gewächshaus auf den Teller

Text von Alexander Rabl
(c) KochCampus/Anna Stöcher

Wie schön dieses Gemüse ist! Die Radicchio-Salatblätter sind teilweise nicht viel größer als ein Daumennagel. Sie sind kreisförmig angerichtet, in der Mitte eine lauwarme Fenchelschnitte mit leicht karamellisierter Kruste, darauf ein Gelee aus dem Saft des Radicchio. Unter der Fenchelschnitte befindet sich ein Klecks Senf mit Korinthen, die Korinthen nochmal eingelegt und gemeinsam mit getrockneter rosa Grapefruit unter die Salatblätter gemischt. Alles aufgegossen mit einem Saft aus Pimpernelle und Fenchel. Ein unglaublich dichter und erfrischender Teller, der die Noten Bitter und Süß auf unterschiedliche Arten ausspielt. Heinz Reitbauer sagte einmal, er würde einem Erdapfel die gleiche Sorgfalt und Wertschätzung widmen wie Kaviar. In diesem Fall gilt das auch für den Salat. „Sie sehen aus wie kleine Rosenblüten, wenn sie geliefert werden“, schwärmt Maî­t­re Viktoria Bauböck von den kleinen Radicchios, die das Steirereck von einem Gärtner in Südtirol nach Wien schaffen lässt. Ihr Mann Michael steht seit einiger Zeit neben Heinz Reitbauer gleichberechtigt der Küche vor. Von ihm stammt die faszinierende Idee, das Thema Wintergemüse, speziell die klimatische Situation in einem Garten, wo im Winter Salate und anderes im Freien wachsen, geschmacklich und optisch erlebbar zu machen.

Bei einem Koch.Campus, dem regelmäßig stattfindenden quasi-akademischen Treffen von Top-Chefs und -Produzenten, der das Thema Wintergemüse behandelte, schoss das Steirereck trotz extrem starker Konkurrenz mit seiner Idee den Vogel ab. Salate und Gemüseblätter wurden mit Gewürzen, Tees und Zitrus mariniert, dann schockgefrostet und auf Trockeneis präsentiert, mit den Fingern von Blatt bis Stiel zu verspeisen. Faszinierend. Häuptelsalat wurde mit einem Tee aus Fenchel, Melisse, Wiesenkräutern und Gartenkresse mariniert. Der „Schnee“ auf dem winterlich auftretenden Salat war gestäubtes Zitronenmelissensorbet. Winterportulak war vor dem Frieren in einen Saft aus Quittenfond – aus Sternanis, Schale und Zimt – und Quitten­essig getunkt worden. Mangold wurde mit Verjus und weißem Balsamico besprüht und dann mit Weinstein-Kristallen vom Muskateller-Fass vom Weingut Tement angerichtet, die wie Eiskristalle aussahen. Kohlrabiblätter wurden mit eingekochter Molke besprüht, dazu Molkebruch mit Basilikumöl und Maldon-Salzflocken. Es war nicht einfach ein Experiment, es war nicht einfach ein optischer Gag. Es war fantastisches Essen. Zu hoffen ist, dass die Idee im kommenden Winter den Weg ins Restaurant findet.

Wintergemüse, darunter verstand man noch vor Jahren vor allem das Rübengemüse beziehungsweise die Teile, die unter der Erde wachsen. Daraus bereiteten findige Köche allerlei Delikates zu, Alain Passard machte damals in seiner Arpège in Paris den Anfang mit der in Salz gegarten Roten Rübe. Doch den Rüben, egal welcher Farbe, haftete oft etwas Süße an, und das machte ihren Genuss beschwerlich. Man möchte auch im Winter Frische und vor allem gerne bittere Töne. Da fährt das Team um Reitbauer und Bauböck gleich den nächsten Gang auf. Artischocken von feinster Qualität mit Winter-Physalis, Melisse, Bergamotte (sicher eine der liebsten Zitrusfrüchte der Steirereck-Crew) und Melonengurke. Die schmeckt übrigens wirklich nach Melone und kann getrost gemeinsam mit Prosciutto angedacht werden. Bleiben wir aber beim Gemüse.
Ein wirklicher Wurf ist das Gericht aus Black Pearl, keine neue Kaviarsorte, sondern eine Variante des Austernpilzes. Zum gegrillten Pilz gab es einen Saft auf Basis von Blutorange, der sich mit den Rauchtönen einmalig gut verträgt, sowie Puntarelle und butterzart gekochte Kerbelwurzel, die leicht geröstet wurde. Kaviar gibt es dann im Steirereck übrigens auch, in einer Kombination mit Linsen, Banane und Speck, mittlerweile schon ein Steirereck-Evergreen wie der mit Bienenwachs vor dem Gast zubereitete Saibling. Etwas, das man immer essen kann und sollte. Nebstbei auch bemerkenswert: Ausgelöster Schweinsschlepp mit Mangold, Perilla (Shiso) und Johannisbeeren, ein Kosmos aus Knusper, Fett, Süße und konterkarierender Säure. Und die Williamsbirne mit Anis, Elsbeeren und Schokolade. Lassen Sie die kleinen Kärtchen, die im Steirereck zu jedem Gang serviert werden, mitgehen und studieren Sie daheim die Details der unterschiedlichen Zutaten. Man lernt dabei über die Akribie, mit der man im Stadtpark an die Arbeit geht, allgemein übers Essen und damit über das Leben.

Küche ★★★★★
atmosphäre ★★★★★
Weine ★★★★★

Steirereck
Am Heumarkt 2A, 1030 Wien
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steirereck.at