Zu eng paniert
Ganz Italien ist im Bröselfieber. Mailands ikonischstes Gericht, die Cotoletta alla milanese, erobert soziale und klassische Medien gleichermaßen wie bodenständige Trattorien und kreative Restaurants. Ein Lokalaugenschein in der anderen Hauptstadt der Panade.
Ein flach geklopftes und paniertes Riesenschnitzel ist nicht unbedingt das, was man in einem gehobenen Spitzenrestaurant erwartet. Und dennoch zählt ein solches zu den Hausspezialitäten des vom Guide Michelin dreifach besternten Da Vittorio nahe Mailand. Wobei der Ordnung halber gesagt sein soll, dass das Gericht hier als Orecchia di elefante (Elefantenohr) auf der Karte steht – und es sich genau genommen nicht um ein Schnitzel, sondern vielmehr um eine Cotoletta alla milanese handelt. Diese ist bekanntlich eine Art Verwandte des Wiener Schnitzels, von dem sie sich, zumindest auf den ersten Blick, nur geringfügig unterscheidet. Zu den feinen Unterschieden zählt, dass die Cotoletta, wie ihr Name sagt, aus einem Kotelett besteht und folglich nicht wie das Schnitzel aus der Schale, sondern aus dem Karree geschnitten wird. Außerdem wird sie ohne Mehl, also nur mit Ei und Bröseln, und mit dem Knochen daran paniert. Und geklopft sollte sie auch nicht werden. Es sei denn, sie präsentiert sich als besagte Orecchia di elefante.
So viel zum Regelwerk. Die wesentlichsten Unterschiede liegen allerdings woanders. Da wäre zum einen die komplette Unkenntnis der Mailänder, was sowohl den Begriff als auch das Konzept des Soufflierens betrifft. Jene Zubereitungstechnik also, bei der die Panier das Schnitzel lediglich umhüllt, sich in lockeren und eleganten Wellen vom Fleischstück abhebt und ihm dieserart ein geradezu wolkiges Erscheinungsbild verleiht. Während das Soufflieren in Wien als ultimatives Qualitätsmerkmal gilt, hat man in Mailand noch nie davon gehört und wird die Panier dort auf recht ungehobelte Art einfach angedrückt. Ein weiterer zentraler Unterschied ist der Umgang mit Neuinterpretationen des Gerichts. Während man das Schnitzel in seiner Wiener Heimat fast ausschließlich auf klassische Art serviert, nämlich mit einer Zitronenscheibe und Erdäpfelsalat beziehungsweise Erdäpfeln (außer Acht gelassen sei hier die vor allem in Westösterreich und selbst bei einigen Erwachsenen beliebte Kinderversion mit Reis und Marmelade), gilt die Cotoletta schon seit Langem als beliebte Spielwiese für die Kreativsten unter Italiens ansonsten so traditionsverbundenen Köchen.
So präsentierte der 2017 verstorbene Starkoch Gualtiero Marchesi einst eine Version, bei der das Fleisch nicht als großes Ganzes, sondern in einzeln
panierten Würfeln auf den Teller kam. Sein Kollege Carlo Cracco wiederum serviert eine dünne rohe Scheibe Kalb neben einer knusprigen Schicht Panier und nennt sie Milanese sbagliata (falsche beziehungsweise verfehlte), während Giancarlo Perbellini nur die Hälfte des Koteletts paniert und sie auf der verbleibenden, roh belassenen Hälfte anrichtet. Doch auch zahlreiche weniger gefeierte Köche erlauben sich so manche, für Wiener Besucher gänzlich ungewohnte, Freiheit mit dem Gericht. So hat sich etwa in letzter Zeit in einigen Restaurants die Praxis durchgesetzt, dem Gast die Wahl zu lassen, ob er seine Cotoletta niedrig oder hoch wünscht. Entscheidet man sich für Letztgenannte, erhält man in der Regel ein bis zu vier Zentimeter dickes Stück Fleisch mit rosa und (in den besten Fällen) saftigem Kern. Andere wiederum mischen Parmesan, Bohnenmehl, Grissini und sogar Cornflakes in die Panade. Und wieder andere begießen es mit Salbeibutter, belegen es mit marinierten Kirschtomaten und/oder Rucola oder streuen Fleur de Sel darüber. Lediglich auf die Idee, es zu soufflieren oder gar mit Marmelade zu servieren, würde in Mailand wohl niemand kommen.
Die besten Adressen:

Mailand paniert
Da Vittorio. Flach geklopftes Riesenschnitzel (Elefantenohr) vom Dreisterner. Auf Vorbestellung und um 180 € für zwei Personen. davittorio.com
Antica Trattoria della Pesa. Altehrwürdige, gutbürgerliche Trattoria mit dunklem Holz, weißen Tischtüchern und klassischer, dünn geklopfter Cotoletta. anticatrattoriadellapesa.com
Osteria Brunello. Modernes Lokal mit stadtweit gepriesener Cotoletta, die hier circa zwei Zentimeter hoch, mit rosa Kern und in einer mit Cornflakes angereicherten und tatsächlich erstaunlich knusprigen Panier sowie mit Paprika-Mayo serviert wird. osteriabrunello.it
Il Ristorante Niko Romito Bulgari Hotel. Hohes, vor dem Panieren sous-vide gegartes Kotelett mit rosa Kern, das auch in den weltweiten Ablegern der Luxus-Hotelkette etwa in Paris oder Tokio Furore macht. bulgarihotels.com
Ratanà. In einem der angesagtesten Lokale Mailands muss die Cotoletta zwei Tage im Voraus bestellt werden, besteht aus Fleisch vom edlen, piemontesischen Kalb, platziert sich irgendwo zwischen hoch und niedrig und wird mit Salbeibutter übergossen. ratana.it
Sadler. Elegantes und gehobenes Restaurant mit je nach Wunsch hoher oder niedriger Version, die in beiden Fällen mit Bratkartoffeln und gratiniertem Fenchel serviert wird. ristorantesadler.it