Der große Vogel

Der Truthahn sprengt so manche Backrohr-Dimension und entspricht nicht nur wegen seiner Herkunft dem amerikanischen Klischee, wo alles größer und fanatischer sein muss.

Text von Andrea Karrer / Illu von Kerstin Luttenfeldner

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts bürgerte sich der „Indian“ in Europa als Star in den Himmel der Geflügelprominenz ein. „Das schönste Geschenk der Neuen an die Alte Welt“ nannten ihn verfressene Enthusiasten. Der Truthahn, auch „Schusterpockerl“ oder „kalkuttische Henn’“ genannt, bewirkte nicht nur am Hühnerhof, sondern auch in den Küchen eine kleine Revolution. Bisher hatten inszenierte Schaugerichte mit Pfauen, Adlern, Kranichen, Schwänen und Reihern lange Tradition. Das heroische Geflügel hatte allerdings ­einen Nachteil, und zwar schmeckte es zumeist scheußlich. Schwäne waren zäh, Reiher tranig, das Fleisch des Adlers war grobfaserig – und nun kam der große Auftritt für den Truthahn. Er war pompös und wunderbar schmackhaft zugleich. Die Feinschmecker waren hingerissen, der „Indian“ verscheuchte das bisherige Schaugeflügel. Er wurde zum Prestigegericht reicher Leute. Heinrich IV. adelte einen Bankier, weil ihm dieser sein Truthahn-Nachtmahl überlassen hatte. So viel Opfermut und Königstreue mussten belohnt werden. Und der sächsische Kurfürst ließ einen Truthahn in ­einer Sänfte von Berlin nach Dresden eskortieren.

Lange Zeit erinnerte noch die bei uns gebräuchliche Bezeichnung „Indian“ an seine Herkunft, eine Kurzform für „Indianischer Hahn“. Heute schätzt man Truthahnfleisch – als Ragout, Geschnetzeltes oder Schnitzel – vor allem wegen seines geringen Fettanteils das ganze Jahr über. Als Festtagsbraten hat der Truthahn seinen großen Auftritt hingegen zu Weihnachten. Da ist er – mit pikanter Fülle versehen – durchaus eine schlanke Alternative zum traditionellen Ganslbraten. Wurden früher riesige Truthähne mit einem Gewicht von bis zu 15 oder 20 Kilogramm verkauft, die kaum ins Backrohr passten und geschmacklich doch einiges zu wünschen übrig ließen, wurden in den letzten Jahren hauptsächlich junge Tiere mit drei bis sechs Kilogramm angeboten.

Ein ernst gemeinter Tipp: Vor dem Einkauf das Backrohr vermessen! Ideal zum Braten im Ganzen sind Truthähne mit einem Gewicht von etwa 3,5 kg, sie haben besonders zartes Fleisch und lassen vier bis sechs Esser satt werden. Entsprechend lange dauert die Zubereitung. Zuerst sollte man den Truthahn ein bis zwei Stunden vor der Zubereitung aus
dem Kühlschrank nehmen, damit er ­Zimmertemperatur annehmen kann. „Den küchenfertigen Truthahn waschen, das Fleisch auf Federkiele prüfen und bei Fund entfernen. Anschließend innen und außen mit Salz und Pfeffer würzen“, erklärt Richard Rauch, Eigentümer und Küchenchef des Restaurants Geschwister Rauch. „Je nach Gusto kann man eine Füllung zubereiten (zum Beispiel aus Äpfeln, Zwiebeln und Rosinen) und in die Bauchhöhle füllen. Danach werden die Keulen zusammengebunden. Den Truthahn auf einem Rost braten, den man am besten in eine Auffangform stellen kann.“

Die ikonische US-amerikanische TV-Köchin und „Amerikas beste Hausfrau“ Martha Stewart schwört unter anderem auf ein in Butter und Wein getränktes Tuch. Das Tuch aus der Flüssigkeit nehmen und leicht ausdrücken, sodass es sehr feucht bleibt. Dieses gleichmäßig über die Brust und etwa zur Hälfte über die Seiten des Truthahns legen. Anschließend das Tuch sowie die frei liegenden Teile des Truthahns mit der Butter-Wein-Mischung erneut bestreichen und weiterbraten. Die Garzeit wird nach Gewicht des Truthahns berechnet. Je nach Rezept wird pro Kilogramm eine Garzeit von 45 Minuten kalkuliert. Dies bedeutet, dass beispielsweise ein Truthahn mit einem Gewicht von drei Kilogramm circa zwei Stunden und 15 Minuten bei 180 Grad im Ofen garen würde. „Braten Sie den Truthahn, bis das Fleischthermometer 80 Grad anzeigt, es muss in der dicksten Stelle des Fleisches stecken. Oder wenn beim Einstechen in den Oberschenkel klarer Saft austritt“, erklärt Richard Rauch. Um eine schöne Kruste zu bekommen, muss in der letzten halben Stunde die Temperatur des Ofens erhöht werden. Außerdem kann der Truthahn mit Honig, Butter oder Öl bestrichen werden. Hier ist allerdings Obacht geboten, da er schnell zu dunkel werden kann. Vor dem Tranchieren sollte der gegarte Truthahn noch mindestens 30 Minuten ruhen. Bei der Niedergarmethode wird der Truthahn in einem Zeitraum von mindestens neun Stunden bei einer Temperatur von etwa 85 bis 100 Grad bei Umluft langsam durchgegart. Je niedriger die Temperatur dabei ist, desto langsamer gart der Truthahn und umso saftiger bleibt das Fleisch. Wichtig dabei ist, dass auch bei dieser Methode der Truthahn ­immer wieder mit dem austretenden Bratensaft übergossen wird. Und als Beilage? „Da passen zum Beispiel Kohlsprossen mit karamellisierter Zwiebel, Dörrobst, Rotkraut, Erdäpfel, Kürbis oder Erdäpfelpüree.“ —

Gefüllter Truthahn
Rezept von Richard Rauch

Zutaten für 6–8 Personen
1 junger Truthahn (3–3,5 kg),
küchenfertig
Salz, Butter
100 g Lardo, in dünne Scheiben
geschnitten
Geflügelfond
Für die Semmelfülle:
250 g Semmelwürfel
40 g Butter
30 g Schalotten, geschält und
fein geschnitten
Petersilie, gehackt
3 Eier (getrennt in Dotter und Eiklar)
etwa ¹⁄16 l Milch
Salz, Muskatnuss
getrocknete Zwetschken od. Preiselbeeren
Für das Cassoulet:
200 g Maroni, gekocht
200 g Kohlsprossen, blanchiert
100 g Dörrzwetschken
150 g Schalotten
Rosmarin, Petersilie
Butter

Zubereitung
Für die Fülle die Milch mit den Eidottern verrühren und über die Semmelwürfel gießen. Die Schalotten in Butter ganz leicht anschwitzen, ohne Farbe nehmen zu lassen, und über die Semmelwürfel gießen.
Petersilie und geschnittene Dörrzwetschken dazugeben und gut verrühren; mindestens 15 Minuten stehen lassen. Das Eiklar mit etwas Salz zu einem cremigen Schnee aufschlagen und unter die Semmelmasse heben, mit Salz und geriebener Muskatnuss abschmecken. (Zusätzlich kann man die Fülle mit Schwarzen Trüffeln oder gebratenen Pilzen verfeinern.)

Den bratfertigen Truthahn mit Salz ein­reiben und den Bauchraum mit der Semmelmasse füllen. Die Öffnung mit einer Rouladennadel verschließen. Die unteren Flügelteile abschneiden und in eine Bratpfanne legen. Etwas Fond zugießen, den Truthahn darauflegen und im Rohr bei 160 °C etwa 3 Stunden braten. Hinweis: Den Truthahn zuerst auf dem Bauch, dann auf dem Rücken braten. Regelmäßig mit dem entstehenden Saft übergießen. Nach der halben Bratzeit den dünn geschnittenen Lardo auf den Haxerln verteilen. Den fertig gebratenen Truthahn an einem warmen Ort etwa 30 Minuten rasten lassen. Das Fett aus der Bratpfanne abgießen, den Bratrückstand mit etwas Suppe oder Geflügelfond aufgießen. Einkochen lassen, mit eiskalter Butter verrühren und den Saft nochmals abseihen. Den Truthahn tranchieren und mit dem Saft umgießen.

Für das winterliche Cassoulet Butter in einer Pfanne aufschäumen und die geschälten ganzen Schalotten darin anschwitzen. Die halbierten Kohlsprossen mit den Maroni und den Dörrzwetschken zugeben und mitbraten. Zum Schluss noch Petersilie und Rosmarin untermengen.

Den Truthahn mit Semmelfülle und dem Cassoulet anrichten, etwas Saft zugießen.

Adresse
Restaurant Geschwister Rauch
Trautmannsdorf/Bad Gleichenberg
geschwister-rauch.at