Scharfes Stück

Grün, bizarr und selten. Wasabi wächst neuerdings in Österreich und wird damit auch für die Spitzengastronomie interessant.

Foto von Michael Reidinger
Text von Claudia Schemerl-Streben

Die ersten Bestellbons im Restaurant Izakaya in Schärding sind an die Wand gepinnt. Im Akkord werden Austern aufgebrochen, mit eingelegter Gurke und Teriyakisauce versetzt und mit Buttermilch-Schnee bedeckt, der mit einer Zutat versehen ist, die dem Gericht einen feinen Schärfekick verleiht: frischem Wasabi – einer zartgrünen Knolle, gerade einmal zehn Zentimeter groß, die über eine Haifischhautreibe gezogen zu einer feinen Paste mutiert.

Für Spitzenkoch Lukas Kienbauer, der auch das Restaurant Lukas betreibt und den Szenejapaner Izakaya vor einem Jahr eröffnet hat, kommt seit Tag eins nur die Verwendung des Originals infrage. „Zwischen frischem Wasabi und der Fertig­paste liegen Welten. In der Pseudoware aus der Tube ist ein verschwindend geringer Prozentsatz Wasabi enthalten. Der Rest besteht aus Farbstoffen und Kren, besitzt eine extreme Schärfe und brennt unangenehm in der Nase. Echter Wasabi ist subtil scharf, hat fruchtige Noten und ist viel feiner im Geschmack.“

Nicht weniger als ein halbes Kilogramm – das entspricht pro Abend zwei bis drei Knollen – verbraucht Kienbauer pro Woche von der Delikatesse, die um bis zu 600 Euro pro Kilogramm gehandelt wird. Wie in klassischen Sushibars in Japan verteilen die Köche in der offenen Küche des Izakaya bei der Zubereitung von Nigiris eine kleine Wasabi­menge zwischen den gesäuerten, handgeformten Reisbällchen und dem rohen Fisch. Zu Sashimi platzieren sie die frisch geriebene Paste ­separat am Teller. Ursprünglich wurde Wasabi, der reich an Senfölen ist und als antibakterielles Heilmittel gilt, zu rohem Fisch serviert, um möglichen Vergiftungen entgegenzuwirken. Heute ist er von Sushi-Liebhabern als Gewürz nicht mehr wegzudenken und gehört genauso zu rohem Fisch wie der hauchdünn geschnittene eingelegte Ingwer und die Sojasauce – im Izakaya wird sie obligatorisch inhouse fermentiert.

Phytoniq-Gründer Martin ­Parapatis beim ­Kontrollgang.

Für „Spicy Tuna Roll“ entstehen aus selbst ­angerührter Wasabi-Mayonnaise, Thunfischtatar, Avocado und crispy Puffreis formschön gefertigte Rollen, die akkurat auf Tellern angerichtet beim Gast landen. Komplexer wird es, wenn Kienbauer nicht nur das Rhizom (Knolle) der Wasabi-Pflanze verarbeitet, sondern auch mit den Stielen und Blättern hantiert, die nur zarte Schärfeanteile in sich tragen. Aus den herzförmigen Blättern etwa stellt der Oberösterreicher ein Öl her, für das er die Pflanzenteile leicht in neutralem Pflanzenöl erwärmt, sodass aus dem Blattwerk mit hohem Chlorophyllanteil eine giftgrüne Mischkulanz entsteht, die er mit weißer Sojasauce, Mirin und Reisessig zu einer würzigen Marinade verrührt. „Die Blätter haben nicht die Schärfe des Rhizoms und erinnern mich im Geschmack an Brunnenkresse.“ Die knackigen Stiele des japanischen Gewächses zerkleinert der Spitzenkoch wie Schnittlauchhalme in kleine Stücke und mischt sie roh in die Marinade. Angegossen wird damit heimische Lachsforelle, die Kienbauer zunächst einfriert und rundherum abflämmt, wodurch der Fisch Röstaromen annimmt, aber im Inneren noch roh bleibt. Im Anschluss lässt er das Stück auftauen, schneidet es in Sashimi-Scheiben und setzt punktuell frisch geriebenen Wasabi darauf. Dazu gibt es Yuzu-Sauerrahmeis, das der 30-Jährige in Wasabipulver wälzt.

Finalisiert wird seine abgewandelte Sushiversion mit knusprigen Reischips. Bewährt hat sich für ihn auch die Kombination von Wasabiöl, frischen Wasabiblättern und konfiertem Eigelb, das er in seinem Restaurant Lukas mit gebratenen Morcheln, Erdäpfelschaum und Chips zum Gast schickt. Bezugsquellen für frischen Wasabi hat Kienbauer gleich zwei: Er kann sich von einem Händler aus Bayern beliefern lassen, der japanische Produkte importiert und den Spitzenkoch auch mit dem exotischen Gewächs versorgt, das in Europa und Japan angebaut wird. Bestellen kann er aber auch direkt bei einem Wasabifarmer im burgenländischen Oberwart. „Die Rhizome aus Österreich schmecken sehr frisch und fruchtig – besonders ­interessant ist für uns, dass wir auch mit den Blätttern und Stielen arbeiten können, an die wir vorher noch nie herangekommen sind.“

Knapp 230 Kilometer Luftlinie vom oberösterreichischen Restaurant ist die Farm entfernt, in der derzeit rund 40.000 Wasabi-Pflanzen wachsen. Gegründet wurde sie von Martin Parapatis, der ursprünglich Bauingenieurwesen studierte und einen Bachelor in Astronomie draufgesetzt hat. Acht Jahre lang als Ziviltechniker im Bereich Niedrigenergiehäuser, Photovoltaik und erneuerbare Energie tätig, orientierte er sich 2018 um und startete gemeinsam mit der Lebensmitteltechnologin Eszter Simon ein Projekt, das anfangs noch belächelt wurde. Immerhin gilt Wasabi als schwer kultivierbar – das begehrte Rhizom kann erst nach zwei Jahren geerntet werden. Wild wächst Wasabi in Japan an Bachläufen; er mag es nicht zu kalt und nicht zu warm; pralle Sonne verträgt er nicht. Im Burgenland wächst er in einem ausgeklügelten System unter künstlich hergestellten Bedingungen. Mehr als 100 zu Hallen zusammengestoppelte Spezialcontainer, die sonst in Krankenhäusern eingesetzt werden und eine besonders gute Dämmung aufweisen, eine Photovoltaikanlage, LED-Beleuchtung und natürliche Kühlungsmöglichkeiten, gepaart mit modernster Bewässerungstechnik, ermöglichen eine CO2-neutrale und damit besonders umweltschonende Produktion.

Erste Versuche wurden in einem Keller in Oberwart gestartet: „Wir haben Laborbedingungen ­geschaffen und in kleinen Testräumen mit rund 50 Pflanzen experimentiert.“ Viel Recherche, Zeit und etliche Fehlversuche waren erforderlich, um eine in Europa einzigartige Farm zu verwirklichen, in der das anspruchsvolle Gewächs kultiviert werden kann (selbst Japan erntet nicht genug Wasabi für den Eigenbedarf und ist auf Importe angewiesen): „Man muss erst draufkommen, dass man die ­natürlichen Bedingungen der Pflanze nicht eins zu eins indoor umsetzen kann. Verschattung hat der Pflanze nicht gutgetan, direktes Licht war drinnen der bessere Weg; der Versuch, einen Bachlauf mit einem Nährstoffgehalt wie in der freien Natur nachzubilden, ist ebenfalls gescheitert – die Pflanze ist uns schlicht verhungert.“ Auch die von Parapatis bevorzugte und von der NASA für den Weltraum erforschte Aeroponik-Methode, bei der die Wurzeln der Wasabipflanze in der Luft hängend in Intervallen mit einer Wasser-Nährstoff-Lösung besprüht werden, führten nicht zu optimalen Ergebnissen – aufgegeben hat der Farmer trotzdem nicht und weitere Testreihen mit dieser Methode gestartet, weil sie besonders ressourcenschonend ist.

Bewährt hat sich für Parapatis die Aquaponik-Methode, mit der die Pflanzen am besten gedeihen: Die Wasabi-Winzlinge, die in Päckchen zu je hundert Stück in einem Nährmedium ihre Reise aus Japan ins Burgenland antreten, entwickeln sich in den Containerhallen zunächst dicht gedrängt in mit Wasser gefüllten Wannen, das ständig ausgetauscht wird. Zwei bis drei Monate verbringen sie dort, bevor sie die „Babystation“ verlassen und in größere Metallbehälter umgesetzt werden, die platzsparend in Regalen mit drei Etagen untergebracht sind. Wasser wird über Schläuche nach oben gepumpt und fließt kaskadenartig von einer Ebene zur nächsten hinunter; zusätzlich wird für die ­nötige Sauerstoffeinspeisung gesorgt. Haben die Rhizome ein Gewicht von vierzig Gramm und eine Länge von zwölf bis fünfzehn Zentimetern erreicht, sind sie nach burgenländischem Standard erntereif – in Japan werden sie sogar bis zu vierzig Zentimeter lang. Bis zur genussreifen Endgröße der Rhizome, die mit einer langen Wartezeit von bis zu zwei Jahren verbunden ist, werden die Blätter der Pflanze alle vier bis sechs Wochen zurechtgestutzt – auch hier mussten die Neofarmer erst Wissen aufbauen. „Es hat eine Weile gedauert, bis wir verstanden haben, wie viele Blätter man wie oft schneiden darf, um das Wachstum der Pflanze nicht zu hemmen.“

In der Gastronomie ist nicht nur das Rhizom heiß begehrt – auch die Stiele und Blätter werden ver­arbeitet.

Dankbare Abnehmer der kulinarisch wertvollen, frisch geernteten Blätter und Stiele des Kreuzblütlergewächses haben Parapatis und Simon bei den Spitzenköchen des Landes gefunden, die durch den Anbau in Österreich erstmals Zugang zu den grünen Teilen der Pflanze haben. Zu den Kunden der Neofarmer gehören das japanische High-End-Restaurant Shiki in Wien, die Brüder Obauer in Werfen und Uwe Machreich vom Triad in Krumbach. Mit einem eigenen Gemüsegarten neben der Restaurantküche versuchte dieser sich sogar selbst im Anbau von Wasabi. Das Experiment scheiterte allerdings: „Zehn Pflänzchen habe ich in die Erde gesetzt und einige Blätter haben sich schon entwickelt, die ich verwenden konnte. Aber Wasabi-Rhizome brauchen ihre Zeit, und im Sommer war es der Pflanze dann einfach zu heiß und zu trocken.“ Als Antwort auf den österreichischen Apfelkren hat sich der niederösterreichische Spitzenkoch ein Gericht ausgedacht, bei dem er die japanische Pflanze ins Zentrum rückt: „Wir gehen auch mit Blättern, Stängeln und Rhizomen zum Tisch, um zu zeigen, wie Wasabi unverarbeitet aussieht. Es ist spannend, wie die Gäste reagieren, weil das Rhizom zum Beispiel außen grün ist, aber innen weißlich.“ Klassisch wie Kren wird die Wasabi-Knolle von Machreich über ein Gericht aus Gold­rübe, Ziegenkäsemousse im Wasabiblatt und Birnenkompott gerieben. „Den Unterschied merkt man sofort. Kren hat eine brachiale, erdige Schärfe – Wasabi hingegen eine feine, fruchtige“, schwärmt der Koch, der die Verarbeitungsmöglichkeiten der japanischen Spezialität noch weiter ausloten möchte.

Auch für Spitzenkoch Heinz Reitbauer lag der Gedanke nahe, Wasabi statt Kren einzusetzen. Allerdings überließ er dem Gast die Entscheidung, mit welchem Produkt sein Zitat auf Wiener Backfleisch finalisiert werden soll. Wie vermutet, entschied sich die neugierige Mehrheit für die japanische Seltenheit. Wie man es von ihm gewohnt ist, driftet Reitbauer mit seinem Gericht aber nicht in die asiatische Küche ab, sondern bleibt der österreichischen DNA konsequent treu. „Wir bleiben dezent in der Verwendung und haben nur ein heimisches Produkt im Rezept ersetzt.“ Die Wasabiblätter verarbeitet der Steirereck-Küchenchef zu farbintensivem grünen Öl, die zart-knackigen Stiele werden fein geschnitten und in eine Vinaigrette für Käferbohnensalat eingerührt, der an Rindfleischsalat erinnern soll. Aus dem Rhizom wiederum entsteht eine sämige Emul­sion, die frisch über gesottene und gebackene Short-Rib-Stücke gerieben wird – und das vor dem Gast mit einer japanischen Haifischhautreibe (Samegawa Oroshi): ein Holzbrett, das mit einer mit etlichen Zähnchen übersäten Haifischhaut überzogen ist. „Sie macht Sinn, weil sie viel feiner ist, die Fasern schön aufreibt und sich so der Geschmack vom Wasabi gut löst.“

Alle paar Wochen werden die Blätter der Wasabipflanze kontrolliert und
gestutzt.

Traditionelle Haifischhautreiben findet man auch im Gourmetrestaurant von Karl und Rudi Obauer im salzburgischen Werfen. Das Werkzeug gehört schon seit Jahren zum Küchenequipment dazu. Wasabi kennen die Brüder seit drei Jahrzehnten: „Wir haben nichts lieber als Freunde oder Gäste, die ins Ausland fliegen und uns Gewürze von ihren Reisen mitbringen – immerhin ist das die Visitenkarte des jeweiligen Landes.“ Auch bei eigenen Kochtouren nach Sapporo und Tokio haben die beiden Köche Wasabi kennengelernt und scheuen nicht davor zurück, die exotische Zutat in ihre Küche zu inte­grieren. Etwa für ein Gericht, für das Rudi Obauer Karfiol gart und mit Austern-Wasabi-Creme adelt. Kombiniert wird das Kohlgemüse mit eingelegten Stängeln und Blättern vom Wasabi, die der Spitzenkoch über Nacht in einer aromatischen Essenz aus Sojasauce, Mirin, Reisessig und Wermut tränkt. Alternativ zieht er Karfiol spontan auch durch Tempurateig, frittiert ihn heraus und serviert das Gemüse mit einer Honigsauce, in die ein Spritzer Apfelessig und Wasabi eingerührt sind – „das mag garantiert jeder“. Wie seine Kollegen weiß auch er zu schätzen, dass das exotische Gewächs keine Weltreise auf sich nehmen muss, sondern unmittelbar nach der Ernte von der burgenländischen Wasabifarm geliefert werden kann.

Dort arbeiten die Mitarbeiter unter Hochdruck daran, ihren Wasabi in die fünf Sorten Mazuma, Akaoni, Shogun, Mikado und Orochi zu unterteilen, die unterschiedliche Schärfegrade und ein differenziertes Geschmacksbild aufweisen. „Es gibt grüne und violette Wasabisorten, die von teilweise mehlig bis ganz süß alle Abstufungen haben“, verspricht Parapatis. In der Zukunft kann die heimische Kochelite also auch sortenspezifische Bestellungen abgeben.

Auf einer traditionellen Haifischhautreibe (Samegawa Oroshi) gerieben, wird aus dem Wasabi-Rhizom eine homogene Paste.

Lukas Kienbauer, Lukas, Schärding:
Lachsforelle & Wasabi

Heinz Reitbauer, Steirereck, Wien:
Backfleisch mit Wiener Garnitur, Käferbohnen & Wasabi

Karl und Rudi Obauer, Obauer, Werfen:
Karfiol, Austern-Wasabi-Creme, eingelegte Wasabiblätter und -stängel

Uwe Machreich, Triad, Krumbach:
Wasabi, Ziegenkäsemousse, Birne & Goldrübehttps://alacarte.at/kochen/wasabi-ziegenkaesemousse-birne-goldruebe/

Phytoniq
DI Rudolf Schober-Straße 4, 7400 Oberwart
Onlineshop: www.phytoniq.com
Abholzeiten vor Ort: Mo.–Fr. 8–12 Uhr

Restaurant Lukas
Unterer Stadtplatz 7, 4780 Schärding
T 0664/341 32 85
www.lukas-restaurant.at

Restaurant Izakaya
Unterer Stadtplatz 7, 4780 Schärding
T 0664/410 72 49
www.lukas-izakaya.at

Restaurant Obauer
Markt 46, 5450 Werfen
T 06468/521 20
www.obauer.com

Restaurant Steirereck
Am Heumarkt 2A, 1030 Wien
T 01/713 31 68
www.steirereck.at

Restaurant Triad
Ödhöfen 25/Bad Schönau, 2853 Krumbach
T 02646/83 17
www.triad-machreich.at