Menschenliebe geht durch den Magen

Katharina Stemberger, Widerspruchsgeist mit vielen Berufungen. Schauspielerin. Geschichtenerzählerin. Zivilgesellschafterin. Pasta-Expertin, mittelmeerverliebt. Der größte Genuss: ganz nah zu sein an dem, was dort ist.“

Foto von Michael Reidinger
Text von Ro Raftl

Magst ein Eis? Es ist heiß … Katharina Stemberger, „Ich bin die Kathi“, dankt, lacht, verneint: „Von Eis bin ich ziemlich geheilt.“ Über­dosis. 16-jährig hat sie „im rosa-weiß-gestreiften Kleid mit rosa-weiß-gestreifter Schleife im Haar“ in einem italienischen Eissalon bedient. Wollte dringend nach Florenz: „Nach dem Film Zimmer mit Aussicht war ich fest davon überzeugt, dass dort die große Liebe auf mich wartet.“ Also vorher Ferienjob. „Das Eis war großartig, Himbeere am großartigsten. Die Rezepte waren Familiengeheimnis, der Chef hat sein Eis hinter versperrten Türen gerührt. Gelernt hab ich viel im Umgang mit den Gästen. Auch, wie es sich anfühlt, beim Bodenwischen auf allen Vieren rumzurutschen. Immerhin hat er unglaubliche 9.000 Schilling für einen Monat bezahlt. Florenz ist sich locker ausgegangen. Die große ­Liebe ist natürlich nicht erschienen, also hab ich mir ­einen großen dramatischen Strohhut gekauft.“

Katharina Stemberger, romantisch und rational, fantasievoll und lösungsorientiert, menschenliebend und humorbegabt. Damals. Studierte sie Cello am Wiener Konservatorium, hätte für eine Solokarriere „alles gegeben“, aber … „Orchestermusikerin“, wusste sie, „ist nix für mich.“ Wechselte ins Schauspielfach – und gab ihren vielfältigen Interessen und Begabungen Zucker. Als Darstellerin in Theater-, Film- und Fernsehproduktionen, als Professorin an der Wiener Musik- und Kunst-Uni, als Produzentin, als Zivilgesellschafterin. 2020 hat sie die Initiative Courage gegründet. Geschichtenerzählerin nennt sie sich selbst.

Bunt und rund ist ihr Leben. Grad. Gräbt Stemberger kühl, sachlich und oft in nassforschem Tonfall – „no nonsense“ mag sie – als Chefkommissarin „Jo“ Haizinger bei SOKO Linz in sämtlichen Untiefen menschlicher Verhaltensweisen inklusive Mord. Ja Linz. Fesch herausgeputzt das Zen­trum zwischen Brucknerhaus und Lentos an der Donau. Katharina hat ihre gschmackigsten Futterstationen markiert. Also. Gleich zum Lieblingsbäcker, bei dem sie als Basis für den Tag knusprige Mohnflesserln und Salzstangerln holt.

Mittagessen möchte sie im Antebia in der Magazingasse. Ein Stammlokal, und man weiß bald, warum. Besitzer Ali Sulakdag, als kurdischer Flüchtling vor dreißig Jahren in Linz gelandet, postet zu Recht stolz auf Facebook, dass „seine Stadt“ Antep in Südostanatolien von der UNESCO als Creative City in der Kategorie Gastronomie ausgezeichnet worden ist. Dieses Wissen hat er mitgebracht. Samt altem gehämmerten Silbergeschirr, in dem er kurdischen Kaffee serviert. Chefin Gülay indes knetet den Teig fürs Fladenbrot in einem Tempo, dass einem Hören und Sehen vergeht, schlägt darauf ein, wirbelt ihn durch die Luft, lässt ihn zugedeckt ruhen, um ihn endlich, teils mit Sesam bestreut, in den Backofen zu schieben.

Lieber nicht zu lang die ­Speisekarte studieren! Sonst will man bis am Abend nicht aufhören zu essen: Fisch, Fleisch, Pide, knackigen Salat. Wir erliegen dem Duft der Vorspeisenplatten: Cacık, Sarma, Feta, Antep Ezme, Hummus, Sigara Böreği, alles da. Und wie gut!

Zu ostanatolischem Weißwein erzählt die Vorstandsvorsitzende des Wiener Integrationshauses von Fahim aus Afghanistan, der 2017 seine Lehre im Antebia begann. In Ali, der den mühsamen Weg der Integration in Österreich gegangen ist, nicht nur Arbeitgeber, auch Ersatzvater und Beschützer fand. Nach einem negativen Asylbescheid wurden die Anwaltskosten für Fahim bei einer Benefizveranstaltung im Antebia aufgestellt. Zwei Jahre zitterten auch die Gäste mit, ob Fahim bleiben darf: 2021 hat er seine Lehrabschlussprüfung gemacht.

Es gibt keine Zufälle. Gleich neben dem Lokal plätschert der Linzer Menschenrechtsbrunnen.

Noch bisschen Kaffee mit Lokum und eine Torte „Antebia“ mit Schokoglasur. Schokolade zählt zu Kathis Leidenschaften, wie ihr „fataler Hang zu Mannerschnitten – das einzige Produkt, für das ich aus ganzem Herzen Werbung machen würde“. Sonst trinkt sie Tee: „Ich liebe die Engländer – wenn auch nicht wegen ihrer Küche.“ Am Weißwein nippt sie der Uhrzeit ­halber, ihr Genussprogramm sieht anders aus: Schwere Rotweine sind’s, aus der Rebsorte Primitivo, da kostet sie sich durch, wo immer sie einen ergattert, den sie noch nicht kennt …

Die große Liebe wartete in Wien, bis sie 29 war, hieß Fabian Eder, war damals Kameramann und ein Künstlerkind wie sie: seine Mutter Burgschauspielerin Bibiana Zeller, Kult als Kottans Ehefrau, sein Vater Regisseur Otto Anton Eder. Fabian, ein großer Fahrtensegler, also Atlantik hin und retour, hatte eine Theorie: „Bevor man jemanden heiratet, sollte man mit ihm segeln gehen.“ Und so geschah’s. „Wir haben unsere Hochzeitsreise mit dem Segelboot gemacht und große Zeiten als Familie dort verbracht. Atlantik ist mir viel zu wild, das halt i net aus“, sagt Kathi, „aber Mittelmeer!“

Die Liebe währt seit 25 Jahren. Tochter Anna ist 21, die gemeinsam gegründete Film-Manufaktur Backyard 15 Jahre alt und längst durch gesellschaftspolitisch relevante Dokumenta­tionen renommiert. Entstehen Wege im Gehen, entstanden bei Eder Filme „im Segeln“. Griechenland blüht, 2011, zur Zeit der Staatsschuldenkrise ein Hit in Hellas, wurde dank Kathis Bemühen im Europäischen Parlament präsentiert. Lampedusa – keine Insel, 2014, spiegelte die gescheiterte Flüchtlingspolitik der EU. Wie ein Credo des Paares, dem Dichter John Donne aus dem 17. Jahrhundert entlehnt: „Niemand ist eine Insel.“

Miteinander zu segeln, strahlt aufs Kulinarische aus: „Wenns d’ kleine Buchten ansteuerst, wo es nur eine Wirtschaft gibt, servieren s’ dir dann, was sich im Umfeld findet: einen Fisch, wilden Spargel, Schafkäs, Paradeiser und Zwiebel, die im Garten wachsen. Gibt keinen besseren Geschmack. Der größte Genuss ist, ganz nah zu sein an dem, was dort ist.“

Zusatz: „Mit allzu viel Chichi beim Essen konnte ich nie was anfangen. Erkenne noch gerne die Grundzutaten.“

Ach, die Sehnsucht nach Italien! „Wenn bissl Zeit ist, fahren wir ins Friaul, suchen den nächsten Conad und haben das Gefühl, 20 zu sein und das erste Mal im Ausland einkaufen zu gehen. Klar gibt’s jetzt alles überall – doch ich hab die größte Freude, in Dutzenden Nudelsorten zu stöbern, Condiglioni, diese großen Muschelnudeln, die man füllen kann, zu finden, Balsamico und ein Pesto, das es in dieser Art bei uns vielleicht doch nicht gibt.“ ­Kathi lacht über sich selbst: „In Delikatessenläden kaufen wir Unmengen der unterschiedlichsten Olivenöle und Berge von Parmesan in unterschiedlichsten Reifegraden – und kommen in den unendlichen Stress, das alles auch zu verbrauchen.“

Fabian ist laut Ehefrau „ein fabelhafter Koch, berühmt für den Weihnachtstruthahn nach einem Geheimrezept seines Vaters. Und. Ein schneller Koch. Fragt: Hast an Hunger?, wenn ich urgestresst nach Haus komm. Sag ich: ,Ja, aber keine Zeit.‘ Sagt er: ,Wurscht. Geht sich aus.‘ Und stellt mir ruckzuck eine Komposition aus Sommergemüsen auf den Tisch.“ Kurzes Schnurren: „Hat schon was, wenn ein Mann kochen kann.“

Sie tut’s „wahnsinnig gerne, doch langsam. Gemeinsam am Herd zu ­stehen, geht gar nicht. Kochen ist für mich ein sinnlich entspannender Vorgang. Nur Kochbuchlesen noch entspannender. Wenn das Hirn so voll ist, dass nicht mal mehr ein Film Platz hat, findet man mich still in einem Eck beim Kochbuchschmökern. Stell mir vor, wie man dies und das wohl macht und wie es schmecken würde – das lockert sofort.“ Die frühen Jamie Olivers mag sie, alles von Antonio Carluccio, sizilianische Kochbücher – und natürlich den Silberlöffel. Dazu der trockene Kommentar: „In Italien bekommst das Buch zur Hochzeit geschenkt und es ist eine solche Schwarte, dass es 50 Jahre glückliche Ehe garantiert. Falls nicht, kannst deinen Partner damit erschlagen.“

Pasta, Pasta, Pasta, viel Gemüse, wenig Fleisch. Hat sie gekocht, als sie mit 19 bei den Eltern auszog: „Endlich alles, was ich wirklich mochte.“ Ein wenig verzwickt, ihr Zugang zum Essen als Kind.

Großmutters Küche liebte sie: das Wiener-Schnitzel-Sonntagsritual. „Mitzi, die Mutter meiner Mutter, wurde 103, denn alle Frauen in un­serer Familie werden Schildkröten. Als ich vier, fünf, sechs war, hat auch meine Urgroßmutter noch gelebt. Ich war die Jüngste der Familie und hab mich schwer ausgezeichnet gefühlt, dass ich mitmachen durfte. Seh die Bilder wie gestern: die schwarze Pfanne mit zwei Griffen und leicht ­erhöhtem Rand. Wie das Schmalz gebrutzelt hat, wenn die beiden die panierten Schnitzel in das Fett gelegt und mit großer Ernsthaftigkeit beo­bachtet haben. Damit’s auch gscheit wird! Dazu gab’s Petersilerdäpfel und einen leicht süßlichen Gurken­salat. Und das war ein richtiges Sonntagsessen – wie bei uns nie.“

Geschmacklich geborgen fühlte sich Kathi auch im Kindergarten: Spaghetti Bolognese, Spinat mit Erdäpfeln, Knackwurst. „Alles, was die Tante Gusti gekocht hat, war wunderbar!“ Viel später. Hat sie noch Tochter Anna zu Tante Gusti und ­deren Mittagstisch geschickt.

„Bei uns war alles sehr gesund – nur hab ich als Kind einen völlig ­anderen Gusto gehabt. Süßigkeiten? Never ever!“ Hm. „Die Eltern waren Hippies“, so Katharina, „und in den Siebzigerjahren wurde wahnsinnig viel experimentiert.“ Nun: Mutter Christa hatte sehr jung drei Töchter mit dem begnadeten Tropenmediziner Heinrich Stemberger, studierte jedoch parallel Psychologie, Gesang und Schauspiel, um bald mit ihrer Jugendliebe, Komponist Kurt Schwertsik, ­„forever“ zusammen zu sein. „Kochen hat Mutti nie wirklich interessiert. Ihr Hit waren Holunderblüten in Palatschinkenteig gebacken. Brrr. Und der Schwertsik hat vorzugsweise indisch gekocht. Jedenfalls mit sehr viel Kreuzkümmel. Allein den Geruch hab ich gehasst. Damit kannst mich heut noch ­jagen …

Wir verpflanzen uns in den Botanischen Garten. Weiternaschen und weiterreden. Etwas, das KS zu Hause so liebt, bei endlosen Frühstücken, bei denen alles da ist: Eierspeis, Mozzarella mit Tomaten, Lachs, Gemüsequiche, das beste Brot und ­Kuchen – „natürlich aus Meisterbäcker Edi Fruths ­Patisserie, er war ein hoch geschätzter Freund, der leider im Frühjahr gestorben ist. Und Marillenmarmelade! Wenn ich Zeit hab, macht es mich zutiefst glücklich einzukochen, den Sommer in den Winter zu holen. Mit vergleichenden Studien zwischen Wachau und Burgenland. Wachau hat gewonnen! Zuletzt war’s ein Turm von 21 Gläsern.“

Zu Haus. Ist das Hinterhof-Idyll, wo Eder und Stemberger ihre Filmfirma angesiedelt haben. Umgebaut und zugebaut, den Hof bepflanzt, den Traum des Selbersäens und -erntens in Hochbeeten realisiert. Doch: Mit den Kräutern wurde es nix, ­wegen der zwei Katzen, die so gerne in den Beeten scharren. Mit Paradeisern ging’s gut, doch die ­romantische Vorstellung von Pflücksalat musste scheitern: „Immer, wenn’s zu wachsen und zu blühen beginnt, bist anderswo“, klagt die Vielarbeiterin, „was ich so schad find, in meiner Idealvorstellung, etwas Eigenes zu pflanzen.“ Andererseits: „Dieser Rückzug aus der Welt in den letzten Jahren mit Kochen, Backen, Garteln, das beunruhigt mich auch ein bissl. Okay, kommt von einer großen Überforderung, der Welt und ihren schwierigen Themen zu begegnen – doch wir sind in diese Zeit geboren, und ich find, dass man sich ihr stellen muss. Sich auch für was einsetzen. Eine Gesellschaft macht nur Schritte vorwärts, wenn sie sicherstellt, dass die Schwächsten nicht zurückbleiben.“

Hier spricht die Aktivistin. Lockt mit der Frage: „Kennst den Orden des Teelöffels?“ Und erklärt: „Schriftsteller Amos Oz hat 2007 ein Friedens­projekt in Schweden gegründet, das sagt: Wenn du ein brennendes Haus siehst, hast du drei Möglich-keiten. 1.) Du rennst ganz weit weg, bringst dich in Sicherheit und überlässt die Leute ihrem ­Schicksal. 2.) Du schreibst einen empörten Brief an den Chefredakteur einer großen Zeitung und beklagst die Sicherheitsvorkehrungen in diesem Haus. Zu diesem Zwecke kann man auch eine ­Demonstration organisieren. 3.) Du nimmst einen Kübel Wasser und schüttest ihn aufs Feuer. Und wenn du keinen Kübel hast, nimmst du ein Glas, und wenn du kein Glas hast, nimmst du einen Teelöffel. Jeder hat einen Teelöffel!“ Erweitert: „­Diesen Gedanken find ich deshalb so schön, weil er jenseits politischer Kategorien wie Rechts oder Links steht und für alle gilt, Mutige und Ängstliche, Menschen mit mehr und mit weniger Kraft, Geld, Ausbildung … denn jeder hat­ ­einen Teelöffel.“

Wär nicht Kathi, hätte sie nicht in Schweden angefragt, ob sie eine Ordens-Dependance in Österreich in­stallieren darf. Sie durfte. In Litschau, bei dem Festival hin & weg, das sie vor fünf Jahren mit Regisseur Zeno Stanek und Ernst Molden gegründet hat. Froh: „Es fahrt wie die Feuerwehr, jedes Jahr im August. Zur Idee des Teelöffels mach ich eine kleine Morgenbetrachtung.“

Ja. Doch Küchenlesungen stehen ebenso auf dem Programm: Da öffnen Litschauer ihre Häuser und Wohnzimmer. Es wird gelesen, geredet, gespeist. „Gastfreundschaft! Etwas Sinnstiftendes … Drum find ich’s auch so schön, für andere zu kochen. Im Sommer natürlich Melone mit Feta und Minze, Zitronenpasta, Saltimbocca – aber mit Huhn, auch ­Lasagne und Fenchel-Orangen-Salat, Nachspeise kauf ich beim Fruth. Wenn ich sehr viel Zeit hab, back ich einen Apfelstrudel (ohne Rosinen). Das Wichtigste ist mir aber immer und überall, mit wem ich esse. Und. Wenn Anna anruft und fragt: Mama, wie macht man das? Dann freu ich mich riesig.“—

Mohnflesserln und Salzstangerln als solide Basis für den Arbeitstag der SOKO Linz-Chefkommissarin Jo Haizinger
Duftender Vorspeisenmix in Stembergers kurdischem Stammlokal Antebia
„Dieser Rückzug aus der Welt in den letzten Jahren mit Kochen,Backen, Garteln, das beunruhigt mich auch ein bissl.“