
Ohne Ablaufdatum
Maria Happel, Vollblutfrau. Als Kind hat sie die ganze Welt in einem Dorf gekostet: Harmonien, Dissonanzen, Sinnlichkeit & Sauerkraut. Die bunte Bühne. Im Frisiersalon der Eltern, am Weinberg, in der Küche, an der Kirchenorgel. Herz, Hirn, Humor, Stimme und Strahlkraft, immer willensstark am Kochen. Ein Sonntagsschmaus.
Text von Ro Raftl · Fotos von Christof Wagner · Make-up & Styling von Danijela Ibricic
Warmes Holz, warmes Licht, Wirtshaus-Witterung. Gut gelüftet. Der alte kalte Zigarettenrauch hat sich hinter die Täfelung verzogen. So riecht’s nach frisch gezapftem Bier, frisch gebrühtem Espresso, frisch gerührter Ochsenmark-Eierspeis auf Schwarzbrot – und bissl parfümiert nach Spray und Schminkzeug. Ja, Maria Happel sitzt schon unter den Wicklern und Pinseln der Maskenbildnerin, die mit wunderbar auf- und zuklappbaren Kosmetikkoffern Hollywood simuliert. An einem graunieseligen Jännermittwoch im Hinterzimmer vom Gasthaus Stern in Simmering. Wo Christian Werner seit 2008 die klassischen inneren Werte der Wiener Küche pflegt, das heißt: Leber, Bries und Nierndeln in allen Variationen. Doch auch die Gans, das Hirschragout, den Zwiebelrostbraten und das Wiener Schnitzel. Passt. Jedenfalls zu Maria Happel, der verösterreicherten Deutschen, Kammerschauspielerin des Burgtheaters, dort ein Publikumsliebling, Kainz-Medaillen- und Nestroy-Preisträgerin, Lehrerin am Reinhardt-Seminar, Regisseurin, Autorin der – ihren zwei Töchtern gewidmeten – vorläufigen Autobiographie Das Schnitzel ist umbesetzt und nicht zuletzt als Gerichtsmedizinerin Dr. Beck ein mimischer Quantensprung in der TV-Serie Soko Donau. Sie mag dieses Wirtshaus. Eine Zufallsliebe, gestiftet von Seitenblicke Gourmet, das sie dort mit dem Koch an den Herd gestellt hat.
Happel, ein Naturereignis. Sie füllt den Raum und passt sich ihm an. Als Vierzehnjährige hat sie im Spessart im Gasthaus Traube bedient. Jetzt: fließt volles, tiefes Lachen in genießerisches Kosten, ungehemmtes Fotoposing in ernsthafte Gedanken, Zuhören in lebendiges Erzählen. Geradeheraus. Freundlich. Präsent. Konzentriert. „In der Maske spür’ ich Zuhause“, sagt sie nach Stillemomenten unter Haargestriegel. „Geborgenheit.“ Und nicht bloß, weil sie ein Theatertier ist, in allen Farben gebadet, von allen Gerüchen imprägniert, das Rückgrat durch Triumphe wie durchs Scheitern gestärkt. Die Nase des Dorfkinds erinnert sich. An das Duftgemisch des elterlichen Friseursalons in der damals 800 Köpfe zählenden Ortschaft Rück: „Shampoos, Haarsprays, Festiger, Wasserstoffperoxid, Dauerwellflüssigkeit, Zigarettenrauch im Damensalon, schärfer noch der Zigarrenrauch im Herrenabteil.“
Die – spät und überraschend erschienene – Jüngste von fünf Kindern durfte mit sieben die Lockenwickler zureichen, ihr komödiantisches Talent an der Haarbürste als Mikroersatz austoben, nebenbei mit offenen Ohren aus spielerischem Tratsch und echten Dramen alles erfahren, was man fürs Leben braucht. „Dieses Dorf, aus dem ich komme, ist der Mikrokosmos für jede Rolle dieser Welt“, hat sie in einem Interview gesagt. An den Frisiersalon grenzte die Küche. Sobald die Türe aufschwang, mischten sich die Gerüche: „Samstags gab’s immer Kasseler Rippchen mit Kartoffelpüree und Sauerkraut. Fein geselchte fleischige Schweinsrippchen vom Metzger. Dort stand auch das Fass mit dem Sauerkraut, das zuhause mit etwas Sekt, Wacholderbeeren und Lorbeerblättern weich gekocht wurde. Der Pfarrer hat sich immer noch Maggi draufgetan. Na ja, saßen schon zwölf bis 15 Personen bei Tisch. Besucher und Angestellte haben mitgegessen. Gekocht hat Großmutter Maria.“
Happel lacht. Großmutter Maria, die eine Geigerin war und mit ihren fünf Schwestern als erstes „Damenorchester“ im Spessart und im Odenwald auftrat, hat vieles bewegt, allein ihr Diktat: Musikinstrumente für alle Enkel! Also. Lernte die fünfjährige Maria Klavier, begleitete mit neun ihre erste Messe auf der Orgel, alle Lieder in C-Dur, da sie die schwarzen Tasten noch nicht erreichte. Später hat sie Orgel studiert, „das beste Training für Multitasking“. Wollte Kirchenmusikerin werden. Weihrauch und Lilienduft fehlen halt heut in ihrer Dreieinigkeit der Gerüche: Frisiersalon, Küche und Kirche.
Dass gemeinsam essen mit Liebe einhergeht, zelebriert sie, die sich als „Gluckenmutter“ deklariert, jedoch mit Inbrunst. Kocht. Lieber, als ins Restaurant zu gehen. Wirsingnudeln vom Blech waren immer ein Hit. Schnell und einfach (siehe Rezept nächste Seite).
Größer wird das Gschistel bei jenem Gericht, von dem sie in den Phasen träumt, in denen das Ehepaar Happel & Nocker den Speiseplan umstellt, „wir ausprobieren, was uns wieder in Form bringt, Dinkel statt Weizen, weniger Kohlehydrate, mehr Gemüse und Fisch“. Dann. Gelüstet sie’s innig nach Schweinebraten mit Kartoffelknödeln und Rotkohl (ja ja, Rotkraut). Sie macht ihn im Römertopf – und mit Wurzelgemüse (wie in der böhmischen Küche Wild oder Rindsbraten). „Damit der Braten richtig knusprig wird, nimmt man die letzten 20 Minuten den Deckel ab und bestreicht den Braten mit Bier. In die passierte Sauce kann man bissl Sahne (ja ja, Obers) geben. Die Kartoffelknödel in jeder Variation – roh, halbgar, gekocht, mit Croûtons in der Mitte.“ Sehnsüchtig: „Ist halt auch so ein Rezept von zuhause.“ War das Rücker Sonntagsessen. Mit Weinbegleitung natürlich.
Denn. Der Spessart ist ja nicht nur für seine Räuber bekannt, auch für den Frankenwein, den Müller-Thurgau und den Blaufränkischen. Nix gegen Grünen Veltliner und G’mischten Satz – köstlich! –, doch Maria mag’s gern g’schmackig. Zum Hirschbraten im Gasthaus Stern trinkt sie allerdings Wasser. Übungshalber. Demnächst steht eine Mayr-Kur in Kärnten an. Wieder ein Start des vermaledeiten Jojo-Spiels. Klar kennt sie sämtliche guten Ratschläge, doch arbeitet viel zu viel, um sie lange durchzuziehen. Wobei: Arbeiten? MH erzählt von dem Piloten, der nach der Pensionierung in Österreich nach Italien ging, weil dort die Altersgrenze höher war, dann nach Afrika, wo er noch länger fliegen durfte: „Ich hab in meinem ganzen Leben nicht gearbeitet.“ Das hält sie für ein gutes Resümee.
Anfang Mai wird sie in Recklinghausen und danach an der Burg Friedrich Dürrenmatts Welterfolg Der Besuch der alten Dame spielen, sehr jung für die Rolle, doch „sehr reizvoll, da wir so die Liebesgeschichte und nicht den Rachefeldzug in den Vordergrund stellen können“. Tja, als Mädel war sie dünn wie ihre Augensterne, die 20-jährige Paula und die 15-jährige Annemarie„Doch nie die klassische Schönheit, die Hübsche, immer ein Typ“, zieht die Mutter trocken Bilanz. „Musste mir alles anders holen.“
Sie hat den Dialekt ausgemerzt – Tisch statt Disch, täglich gegurgelt für das perfekte Rachen-R, Tanzen und Singen gelernt, trainiert, studiert, mehr hineingebissen als andere Kolleginnen an der Schauspielschule Hamburg. Stolpersteine, Haxelsteller und Kränkungen gab es genug. „Aber wenn man etwas wirklich will …“ In Bremen, Köln und Hannover konnte sie’s beweisen.
Claus Peymann hat sie für Wien „entdeckt“, 1991 ans Burgtheater geholt, 2000 folgte sie ihm ans Berliner Ensemble, um zwei Jahre später wieder nach Wien zurückzukehren, beschützt von dem Scherz, dass eine Stadt, in der ein Stadion nach ihr heißt, „a g’mahte Wiesen“ sein muss. Geprägt, sagt sie, wobei sie das „ä“ betont und burgtheatralisch langzieht, habe sie aber die Rolle der Édith Piaf: „Im Langstreckenlauf trag ich sie seit meinem 22. Lebensjahr im Handgepäck. Sie hat mich verändert, geformt.“ Denn. „Wollte immer so werden, so geradlinig und erfolgreich. Und. Wollte nie so werden – mit dem Preis, der dafür zu zahlen war in ihrem Leben. Zu begreifen, dass ich mein eigenes Leben habe, mein eigenes Schicksal, dass ich die Rolle spielen darf, aber nur eine Verwalterin dieses Schicksals bin, zwei Stunden am Abend, das war eine Erkenntnis.“ Vertieft: „Wahrscheinlich muss die Neigung zum Abgründigen da sein , sonst kann man’s nicht zeigen. Dass die Angst davor immer größer war, hat mich gerettet. Dass ich es auf der Bühne zeigen durfte, war vielleicht ein Ersatz. Ich musste es nicht selber tun, gab jemand vor mir, der es getan hatte – und es war nicht gut ausgegangen. War wie eine Warnung. Jede Vorstellung.“
Aber ja, sie hat allerhand ausprobiert, „doch es war jedes Mal ungünstig für mich“. Verliebungen und Verlobungen inklusive, bis sie 1993 ausgerechnet am Wiener Burgtheater bei Brechts Kaukasischem Kreidekreis auf den schweigsamen Berliner Dirk Nocker traf. Knall & Fall. Mit allen nötigen Umwegen bis zur Unerschütterlichkeit der Liebe. Zur Feier des fünfundzwanzigsten Jahrestags träumt das Paar von Urlaub in Alaska. „Kalt hält frisch“, grinst die Silberbraut. Ihre Schwiegermutter, die in den Fünfzigerjahren als Marilyn Monroe Österreichs galt, unter dem Künstlernamen Edith Elmay mit Horst Buchholz und Hans Moser filmte, brachte eine wienerische Note in die Küche: „Die gebratene Gans etwa, mit dem Gänseklein in gemüsigem Reis anderntags. Ein Vollprofi. Dirks Vater durfte als prominenter Opernsänger täglich auf drei verschiedene Gerichte im Kühlschrank zählen.“ Der Sohn hat sich auf Kokosmilch und Chili spezialisiert, zum Fünfzigsten einen Reiskocher gewünscht. Er bekam ihn – „nicht von mir, sondern von Adam Oest“, wozu der Burgkollege noch etliche ausgefallene Reissorten hinzufügte. Wenn der Ehemann kocht, verrichtet Bert Brechts blutvolle Mutter Courage die niedrigen Dienste.
Im Spessart war eine Landwirtschaft hinter dem Haus für das Frische zuständig. Bohnen an Stangen hochgewunden, Salat, Kraut, Kohl, Kartoffeln, Kräuter, pickende Hühner, ein rosaborstiges Schwein. Kindheitsidyll, auch mit dunklen Einsprengseln. Doch die lassen wir hier weg, lesen sie in Happels lebendig (selbst-)formuliertem Schnitzel-Buch. Getitelt als Hommage an Claus Peymann und dessen groß angelegte Wiener-Schnitzel (vom Kalb selbstverständlich)-Testserie zur Aufführung des Thomas-Bernhard-Dramoletts Auf der Sulzwiese. Happel gab eine Art Conférencière zwischen drei Dramoletten.
In Wien holt sie das Frische vom „wunderbaren Rochusmarkt. Herrlich, die Samstagseinkäufe! Und der Abschluss mit einem Glas Prosecco bei meinem kleinen Lieblingsitaliener, dem Pappa e Ciccia, mit dem herrlichen Parmesan und dem göttlichen Olivenöl, das Marco Tomassetti aus der Toskana holt. Ach, und die Fischgerichte! Mit einem minimalen Umbau schafft er’s, dass zwanzig Personen sitzen können. Urgemütlich!“ Klingt, als würde sie dort liebend gern den Teller ausschlecken.
Maria Happels „bunte Welt“. Die Rolle des Agamemnon in Aischylos Orestie. Die eingewanderte, umso mehr „Hammelfresser“ hassende Putzfrau Marusja in der Stücke-Collage Ein Europäisches Abendmahl. Musikalische Herzensprojekte im MuTh mit den Wiener Sängerknaben „bei denen’s Wurscht ist, wo wer herkommt, welche Hautfarbe er hat. Nur wichtig ist, miteinander einen Klang zu bilden – den guten Ton.“ Und immer wieder. Spatz und Engel am Burgtheater, das Stück mit Gesang über die beste Freundschaft der Piaf mit Marlene Dietrich. Gegenpole trotz reichlich Schampusgeprickel: „Bei der Dietrich läuft alles über eine Künstlichkeit, über die unendliche Disziplin, mit der sie sich die Weltkarriere erarbeitet hat.“ Tja, um im Alter ihr welkendes Fleisch vor der Öffentlichkeit wegzusperren. Gegen „diesen Ansatz“ protestiert die Vollblutfrau mit fünf aktuellen Rollen an der Burg, zugleich die gefragteste Einspringerin – da sich MH jede Rolle über Nacht einverleiben kann, in einer raren Mischung aus fotografischem und musikalischem Gedächtnis: „Schon in der Schulzeit hat mich zuhause nie wer lernen gesehen. Der Unterricht hat mir genügt. Ich höre Sprache wie Musik. Weiß aber auch, wo was auf welcher Seite steht.“ Man glaubt es, wenn sie sagt: „Ich halte das Altwerden aus. Ich habe kein Ablaufdatum.“ Lacht. Selbstgewissheit, Skepsis, Mut, Bescheidenheit stecken in einem Lachen: „Schaumermal, ob die Rechnung aufgeht.“
Anleitungen zu Balance, Mindsight, Mitsichsein aus dem Regal Lebenshilfe? „Brauch ich nicht“, sagt sie. „Bin ja schon extrem bei mir. Über die Bande trainiere ich’s mit jeder neuen Rolle. Da kann ich schreien, weinen, lachen, alles. Da ist schon viel gereinigt. Bissl streng: „Ich mach das Theater, wo es hingehört, auf der Bühne.“ Na, sie meditiert auch nicht. „Ich spiele Klavier. Einmal pro Woche mit einer befreundeten Geigerin. Zwei Stunden Schubert oder Dvorˇák. Dann sind wir erhaben.“
Maria Happel hat so vieles, das Herz, Hirn, Körper in Bewegung hält. Stolz, Freude, Sorge über die Töchter, den Befehl an das Ich, „loszulassen“, wenn Paula in die erste eigene Wohnung nach Ottakring zieht, sich rauszuhalten, wenn das Kind, „das ich für künstlerisch talentiert halte, dem ich aber auch etliches ersparen will“, Kultur- und Sozialanthropologie studieren möcht. „Begreifen, dass Kinder eine eigene Riesenpersönlichkeit haben …“
Also. Das Bewusstsein schärfen für den Plastikmüll allenthalben, Annemaries großes Anliegen. Sie will Ärztin werden, steigt politisch streitlustig für den Umweltschutz auf die Barrikaden.
„Das Einzige, was man Kindern wirklich mitgeben kann, ist Bildung, ein Musikinstrument und eine Sportart, am besten in einer Mannschaft. Im Kleinen lernen, wie es im Großen in der Gesellschaft funktionieren kann“, meint Mama Maria. Pocht auf den Tisch: „Über alles durften die Kids diskutieren, nur über ihre Klavierstunden nie.“ Fest wie ein Felsen: „Bis die Geläufigkeit da ist, die das Technische und das Sinnliche kombiniert. Beim Klavierspielen, beim Tanzen, beim Kochen …“
Wirsingnudeln vom Blech
(Für Urösterreicher: Wirsing = Kohl)
Zutaten:
1 kl. Kopf Wirsing (ca. 500 g)
2 l Fleischsuppe
500 g Bandnudeln
2 EL Öl fürs Blech
100 g weiche Butter
100 g Semmelbrösel
200 g gekochter Schinken, in Streifen
150 g Crème fraîche
2 EL Zitronensaft
Salz, Pfeffer
1 EL Paprikapulver, edelsüß
Zubereitung: Den Wirsing vierteln, Strunk und äußere Blätter entfernen, den Rest in ca. 1 cm breite Streifen schneiden, waschen und abtropfen. Fleischsuppe aufkochen, Nudeln ca. 5 Minuten darin garen. Wirsing dazugeben und weitere 5 bis 10 Minuten köcheln lassen, bis die Nudeln gar sind.
Backrohr auf 225 °C vorheizen. Backblech einfetten. Die Butter cremig rühren, salzen, pfeffern und mit Paprika würzen. Semmelbrösel einstreuen und mit der Butter verkneten. Nudeln und Wirsing abschütten, dabei die Suppe auffangen. Ca. ½ l davon zurück in den Topf geben. Die Wirsing-Nudeln mit den Schinkenstreifen mischen und auf dem Blech verteilen. Salzen, pfeffern und mit den Bröseln bestreuen. Ca. 15 Minuten im Rohr backen. Inzwischen die Suppe im Topf kräftig aufkochen und auf die Hälfte reduzieren lassen. Crème fraîche einrühren, salzen, pfeffern und mit Zitronensaft abschmecken. Als Sauce zu den Wirsingnudeln reichen oder während des Backens ab und zu über die Nudeln träufeln.