Wild at Heart

Wer glaubt, maischevergorene Weißweine seien nichts als ein schnelllebiger, oranger Firlefanz, wird vom Weinviertler Winzer Leo Uibel eines Besseren belehrt.

Foto von Christina Fieber
Text von Regina Hügli

Leo Uibel entspricht optisch dem, was man sich so landläufig unter einem Hipster vorstellt. Er trägt eine runde Brille, den typischen, wenn auch inzwischen manierlich gestutzten Bart und tritt nie ohne Kapperl auf. Auf seinem T-Shirt prangen gerne Aufschriften, die seine moralische Gesinnung oder Zugehörigkeit lässig kundtun – „Rage the Maschine“ , oder „Junge Wilde“ –, ein Bekenntnis zur Handarbeit im Weingarten, eine Winzer-Gesinnungsgruppe und andere Botschaften. So wie er aussieht, könnte er auch aus Berlin oder Sidney kommen – tatsächlich ist er aus Ziersdorf, einem kleinen Dorf im tiefsten Weinviertel. Aber der Winzer hat nichts Aufgesetztes oder durchschaubar Extravagantes, wie man es von einem Hipster erwarten könnte. Er ist offen und gesprächig, ein Energiebündel mit präzisen Vorstellungen, fest am Boden und doch voller Visionen. Trotz mittleren Alters hat er sich sein wildes Herz erhalten, das sich mit Vorliebe in ebenso wilden Weinen offenbart: Biodynamisch – Natural und mitunter Orange. Kein flapsiges Zeug, sondern ernsthafter Stoff. Keine Ziegenstall-Sensorik oder gar Essig-Odeur. Maischevergorene Weißweine, die nichts verstellen, nichts kaschieren, eher vorhandene Eigenheiten unterstreichen.

Niemals wollte er wie sein Vater Winzer werden, als er jung war. Die Weine, wie sie damals gemacht wurden, schmeckten ihm nicht – er habe die Idee dahinter nicht verstanden. So ließ er Ziersdorf hinter sich, zog in die Welt und blieb dann einige Zeit in Wien hängen – bei einem Bürojob. Heim kam er nur, wenn der Vater Hilfe im Weingut benötigte. Erst als die Weinszene bunter, vielfältiger, eben wilder wurde, als die ersten ­Natural Wines auch in Österreich eintrudelten, witterte er Morgenluft. 2007 gründete er gemeinsam mit seiner Frau Michaela den eigenen ­Betrieb in einem alten Hof, den sie ­renovierten. Die Weingärten seines Vaters werden kurz darauf nur mehr biologisch bewirtschaftet, seit 2018 biodynamisch – im Keller verzichtet man strikt auf Basteleien. Lediglich 7,5 Hektar Rebland besitzt Uibel, mehr will er nicht. 

Vielleicht ist Leo Uibel angetreten, um zu zeigen, wie vielfältig das Weinviertel ist, wie kleinteilig, mit den unterschiedlichsten klimatischen und geologischen Bedingungen, die die Weine prägen. Ganz sicher aber ist
er davon getrieben, die unzähligen Facetten von Grünem Veltliner aus seinen Lagen herauszukitzeln.

Bild oben: Biodynamische Bewirtschaftung bedeutet für Leo Uibel, auch die Monokultur Weinbau aufzubrechen. Neben den ­Rebstöcken wachsen etwa auch Pfirsichbäume.

Dass er auf einigen seiner Weine deren Herkunft nicht angeben darf, weil sie nicht einer festgesetzten Norm entsprechen, schmerze ihn dennoch. So tragen sie Fantasienamen wie „Super G“, „Sucette“, „Moebius“ oder „Una“. „Man sollte eine Art Natural-Appellation installieren“, regt er an. 

Seine Weingärten liegen im Schmidatal – hier herrscht kontinentales Klima und der Fluss kühlt das Klima zusätzlich, bildet eine Art Kältesee. Weinbau sei hier überhaupt erst ab 260 Metern möglich. Im Winter ist es in der Ebene saukalt und nebelig, im Frühling droht Frost. Auf den Hügelkuppen hingegen sind die Voraussetzungen ideal – dazu kommt ein Boden mit nur dünner Lehmauf­lage – darunter weißer Schotter und viel Kalk, Muschelkalk, um genau zu sein. Seine Veltliner erzählen davon – jeder auf seine Weise. Am deutlichsten vielleicht von der Ried Hundsberg, wo die Rebstöcke vor fast 65 Jahren vom Großvater gepflanzt worden sind. Gerodet wird nichts – nur verjüngt, das alte Wurzelwerk bleibt. „Eine Heidenarbeit“, sagt er – der Wein dankt es mit Vielschichtigkeit. Zwei bis drei Tage liegt er auf der Maische, vergärt spontan und bleibt ganze zwei Jahre im großen Holz auf der Vollhefe. Das gibt ihm Substanz, aber auch Cremigkeit, dezenten Charme. 

„Ich bin ein Barock-Trinker“, gesteht er, dürrer Purismus ist nicht sein Ding. Die wildere Abteilung wird dann auf der Maische vergoren, meist im ­Granitfass, auch in Amphoren. Keine Rabauken, eher ungezähmt, rau und eigenständig.  – „Sie brauchen Zeit“, sagt Uibel, zu früh getrunken hätten sie es schwer in einem Land mit Jungwein-Fixierung – „erst nach fünf, sechs Jahren ­zeigen sie ihr ganzes Können.“ 

Es fehle immer noch an Toleranz, vermutlich auch an Erfahrung mit Offroad-Weinen. Auch wenn nun mit dem Generationenwechsel mehr und mehr Scheuklappen abgelegt würden. Vorsichtshalber verpasst er seinen wilden Weinen ein anderes Outfit. Als Warnung oder Hinweis, je nach dem – farbenfroh und ein wenig rotzig, mit Comic-­Sujets und Pop-Art-Motiven. Uibel beherrscht die Methode der Maischegärung. Er scheint ein untrügliches Gespür dafür zu besitzen, wie lange der Kontakt mit den Schalen dauern darf, ohne dass es den Wein sensorisch beeinträchtigt. Orange, abseits der reinen Spaß-Abteilung – perfekt balanciert. Begonnen habe er mit Maischegärung, um mehr Frische in die Weißen zu bringen – aufgrund der Klimaerwärmung kommt ihnen zunehmend Säure abhanden, vor allem dem Grünen Veltliner. Die feinen Gerbstoffe aus den Schalen sind ein natürlicher Ersatz für Säure. 

Die Trockenheit sei ein große Thema der Zukunft, glaubt Uibel. Man müsse an vielen Hebeln ansetzen. Statt Grünem Veltliner pflanzt er inzwischen hitzeresistente Sorten wie Riesling, Chardonnay und sogar Sauvignon blanc. 

„Sauvignon blanc – das, was ich nie machen wollte“, sagt er und grinst. Sein „Pure fumé“ wie aus dem Ärmel geschüttelt, aus einem Guss – als würde er nichts anderes keltern. Maischevergoren und ohne Zusätze, unfiltriert abgefüllt. Rauchig, dunkel und saftig. Keine grellen Paprikanoten, kein abstoßender Mief nach Katzenpisse. 

Wichtiger als die Rebsorte sei aber die Arbeit im Weingarten, um der zunehmenden Trockenheit beizukommen: Biodynamische Bewirtschaftung sorge für gleichmäßiges Wachstum, dauerhafte Bodenbegrünung, Kompost und natürliche Präparate für lebendige Böden und robuste Reben. Er schneidet seit Jahren kein Laub mehr, dadurch bremse sich das Wachstum ein, die Rebstöcke brauchen weniger Wasser. Die Begrünung zwischen den Rebzeilen darf ausblühen – lange Halme halten den Morgentau. Man scheint um jeden Tropfen Wasser zu kämpfen. Gemäht wird kaum. 

Nur wenn der Sohn gerade im Urlaub ist, nutzt der Vater die Gelegenheit und rückt flugs mit dem Mulcher aus, um sein Ideal vom Golfrasen zu verwirklichen. „Ich hab vergessen, die Maschine einzusperren“, erzählt Leo Uibel, „als ich zurückkam, war alles kurz und klein gemäht in den Weingärten.“ Die teure Einsaat niedergestutzt, aber der Vater zufrieden. 

Neben dem Grünen Veltliner hat es dem Winzer der Frührote Veltliner angetan. Eine anspruchsvolle
Rebsorte, dünnhäutig und hochsen­sibel. Auch was den Boden betrifft, ist sie überaus heikel. „Veltliner und Zweigelt kann man auf jedem Rüben­acker anbauen“ sagt Uibel, Roter ­Veltliner ist hingegen eine Diva.“ Die kargen, kalkigen Schotterböden im Schmidatal scheint sie zu mögen. „Una“ zeigt sich voller Spannung, zart und doch entschlossen – ein Wein, den man auf der Stelle austrinken will. Auch Una ist orange, durchlitt keine Kellertorturen, blieb lang auf der Hefe und zeigt sich bei aller Seriosität dennoch unbeschwert. 

Gut möglich, dass es Uibels Weine für Fortgeschrittene sind, wie der Winzer befindet. Und doch sind sie in keiner Weise beschwerlich, brauchen keine Erklärung, funktionieren einfach. —

Adresse 
Weinhof Uibel
Hollabrunnerstraße 35, 3710 Ziersdorf
uibel.at

Ein Meister maischevergorener Weißweine. Auch Gewächse aus der Amphore zeigen bei Leo Uibel (u. mit Hund Gustav) die verschiedenen Facetten seiner Weinviertler Lagen.