Einkehrschwünge am Arlberg
So mögen wir die Berge. Auf sonnigen Terrassen wartet Champagner statt Skiwasser. Abends geht es dann mit dem Niveau am Teller ganz hoch hinauf.
Der Arlberg hat sich über ein Jahrhundert – mit kleinen Unterbrechungen – zu einem der gastronomisch meistversprechenden Wintersportgebiete der Welt entwickelt, das im Spätwinter an zahllosen Terrassen und Skihütten seine Vorzüge ausspielt. Nach einem kleinen Tief-Luft-Holen während und nach der Pandemie und einigen Personalwechseln präsentiert sich die Gastronomie zwischen Lech, Sankt Anton und Stuben aktuell in ihrer Höchstform. Gerade hat eine junge Garde an oft im Ausland erprobten Küchenchefs das Zepter und in manchen Fällen die Pinzette übernommen. Dank ihres guten Rufs stellen sich auch immer mehr Esser ein, denen die Präparierung der Skipisten nicht so wichtig ist wie das, was auf den Speisekarten steht. So unterschiedlich die Ortschaften Lech, Sankt Anton und Stuben in ihrer Konzeption und Geschichte sind, haben sie eines gemeinsam: Man kann hier auf höchstem Niveau satt werden.
Lech und Zürs: der mal mehr, mal weniger dezente Luxus
Die Hoteliers in Lech waren die ersten in Österreich, die verstanden, dass man teure Wintergäste nicht nur mit feinster Bettwäsche, sondern auch mit aufregender Küche und großer Weinauswahl zum Kommen und zum Bleiben anregt. Der Rest von Österreich lag noch im kulinarischen Winterschlaf, da haben sie in Lech und Zürs schon Essen vom Feinsten serviert und Bordeaux aus großen Gebinden ausgeschenkt. Sankt Anton und Stuben zogen später nach. In Zürs ist es gerade ruhig geworden, es scheint, als würden sich die Tophäuser mehr auf die Hausgäste konzentrieren. In Lech sind es die Namen Moosbrugger, Schneider, Pfefferkorn und Lucian, die die gastgeberischen Innovationen vorangetrieben haben. Einer der besonders aufgeweckten Hoteliers in Lech fand die Lage seines Hotels, abseits des Ortszentrums, immer als Anlass, sich doppelt so viel anzustrengen. Es ist Josef Walch von der Roten Wand in Zug, den sie alle Joschi nennen. Er hat das schöne Haus vom Geheimtipp für Fondue-Abende erst zum Familienhotel und dann zu einer Bleibe für abwechslungsfreudige und anspruchsvolle Esser umgebaut, ohne dabei seine Stammgäste zu verprellen. Fondue gibt es immer noch. Das Hotel wurde während der Pandemie neu aufgesetzt, und ein paar sehr schöne Räume wurden eingerichtet, darunter eine kleine Bibliothek, in die man sich zurückziehen kann, um einfach die Cocktailkarte zu lesen. Neben dem Hotel wird im Sommer und Frühherbst Gemüse angebaut. Walch hatte vor etwa zehn Jahren die Idee zum Chef’s Table im winzigen, neben der Roten Wand gelegenen ehemaligen Zuger Schulhaus, das er vor ein paar Jahren gepachtet und wunderschön eingerichtet hat. Seitdem steht Zug auf der Landkarte international reisender Feinschmecker. Küchenchef Julian Stieger führt durchs Programm, das etwa mit Tartelette mit Tatar von der alten Kuh und Forellenkaviar, einer kleinen Produktpräsentation und einem Glas Champagner beginnt, bevor es zum Unterricht in den ersten Stock geht. Dort serviert die Chef’s Table-Crew geschmorten Kapaun, mit Hefe gebacken, wobei die Hefe geröstet und danach getrocknet wurde, dazu schwarz fermentierter Knoblauch und ein Gratin aus Topinambur und Bergkäse. Zum Kapaun-Schmorfond kommen noch Shiitakepilze, dazu Petersilienpüree. Zum Dessert dann Mispel-Salat mit eingelegten Äpfeln, Öl, das aus Mispelkernen gepresst wurde, einer Mousse aus geröstetem Apfel-Holz, dazu geröstete weiße Schokolade, Zitronenmelisse und ein Apfel-Salz-Karamell. Eine Küche wie eine Bach-Fuge, wie viel Denkarbeit und Handwerk in diesen Gerichten steckt! Nach dem Unterricht in Produktwissen, Aromen und Kochtechnik zücken die Schulhaus-Gäste die Bestnote. Das war dem ständig mit dem Gasfuß unterwegs seienden Hotelier (das mit dem Gasfuß ist eine Anspielung auf seine Vergangenheit als erfolgreicher Formel-1-Caterer) aber nicht genug.
Walchs jüngste kulinarische Verrücktheit hört auf den Namen Friends & Fools, eingerichtet in den ehemaligen Kellerräumen der Roten Wand. Es handelt sich um eine Mischung aus Experimentierlabor, Eventlocation und Restaurant, die im Stil eines Pop-ups themenartig an ein oder zwei Tagen pro Woche Gäste empfängt. So umfangreich und vielfältig ist das Programm vom Friends & Fools, dass Walch ihm vor Kurzem ein eigenes Buch widmete. Leiter des Labs und Küchenverantwortlicher ist Jamie Unshelm. Der junge Mann hat die Carte blanche für Experimente, Research and Development. Würste selber machen, Brot backen, Gemüse und anderes fermentieren, das ist sein Job. Neu ist, dass sich die Food-Lab-Gäste nicht nur in grundsätzlichen, alten Techniken der Lebensmittelverarbeitung informieren lassen, sie können auch gleich vor Ort essen, was da hergestellt wird. Und erleben, wie aus altem Brot Getränke oder Miso hergestellt werden oder aus Gemüseresten Kimchi. Zu Hause versucht man dann das Rezept von mit Butter aufgeschlagenem fermentiertem Paprika oder einer Sauce auf Basis von Sauerteigbrot-Miso. Ein Friends & Fools-Event fand zum Beispiel im in Nachbarschaft zur Roten Wand gelegenen Stall der Familie Hofmann statt; einem prächtigen, luftigen Stall, wo die Kühe, die im Sommer auf den Wiesen der Umgebung weiden, im Winter ihr Quartier aufschlagen, denen die Familie Hofmann hochqualitative Milch verdankt. Die Gäste aßen auf Heu. Die Familie Hofmann zählt zu den wenigen Landwirten am Arlberg, die nicht anonym an eine Molkerei im Tal liefern, sondern die Veredelung ihrer Milch selbst in die Hand genommen haben. Eine in Lech selten zu erlebende, aber deshalb nicht weniger kluge Entscheidung. Neben den zwanzig Milchkühen leben auch Jungrinder, Alpschweine, Hühner und Shetlandponys auf dem Vorzeige-Bergbauernhof. Die Bergkräuter und das besondere Gras sowie das daraus gewonnene Heu wirken sich direkt auf die Qualität der Milch aus. Die kleine, neben dem Stall untergebrachte Sennerei liefert dem Hofladen schönes, fettes Joghurt, Topfen und Butter. Und natürlich Käse, köstlichen Käse.
Die Qualität der Süßwasserfische, etwa der im Ganzen gebratenen Forelle in den Kronenstuben des Hotel Krone, ist auffallend. Der Lech-Novize fragt sich: Woher kommen diese guten Fische? Andreas Mittermayr hat aus der Fischzucht sein Lebenswerk gemacht. Im Zuger Teich, gleich neben dem gemütlich dahinströmenden Fluss, kann man Saiblingen und Forellen beim Wachsen zusehen, wenn man sich ein paar Jahre Zeit nimmt. Es ist die Güte des eiskalten, klaren und keimfreien Gebirgswassers, welche die Qualität dieser Fische prägt. Ein Süßwasserfisch, würde er sich’s aussuchen können, würde gerne hier groß werden. Was die Spitzen-gastronomie des Orts nicht nimmt, wird ab Frühlingsbeginn vor Ort den Gästen angeboten, geräuchert oder als Tatar, gebraten oder blau.
Der Faktor Zeit war sicher ausschlaggebend für die Entwicklung des Gastgewerbes in Lech und Zürs. Zeit ist auch beim Brotteig ein Thema, wie der Bäckermeister Martin Walch weiß. In der Backstube Lech, die von der Familie Martin Walchs seit Generationen betrieben wird, wird nicht nur Brot gebacken, ihr verdanken die Gäste der Lecher Hotellerie auch ihre Frühstückssemmeln, die von einer Qualität sind, wie man sie in Österreich selten findet. Eine Geschichte erzählt, dass in vergangenen Zeiten der Lecher Tourismus die Zahl der Gäste in der Saison nach der Zahl der ausgelieferten Frühstückssemmeln berechnete. In der vor Kurzem neu aufgestellten Bäckerei, die energieautark wirtschaftet und in einem Haus untergebracht ist, in dem sich auch die Personalwohnungen der Mitarbeiter befinden, bäckt Walch Brot nach alten Rezepten: Sauerteig, Sole, Wasser, etwas Hefe, eine Gewürzmischung, sonst nichts. Für Lech-Urlauber, die sich mit ihrer Familie in einem Appartement einquartieren, gibt’s aus der Backstube auch Pizza – für die Jugend, während die Eltern sich im Restaurant Hummertempura oder Wagyu-Burger geben. Oder schicken die Eltern die Jungen zum Sushi und genehmigen sich selbst die Take-away-Pizza?
Einige der besten Sommeliers verrichten ihren Dienst am Arlberg. Hermann Lankmaier vom Burghotel in Oberlech ist legendär, er dirigiert seine Mannschaft aus jungen Sommeliers wie ein Ballett, das auch bei größtem Gästeansturm Fassung behält. Im Almhof Schneider geht es dezenter zu. Hier wacht Josef Neulinger über einen der besten Weinkeller am Arlberg. Der dezent auftretende Sommelier wird einem Gast nie den teuersten Wein auf der Karte empfehlen, es sei denn, dieser verlangte das dezidiert. Understatement in einem der schönsten Hotels des Orts. Jahrzehntelang und auch jetzt gilt: Die besten Leute im Service arbeiten in der Wintersaison in Lech, Zürs und Sankt Anton – manche tun das auch im Sommer, wenn ihre Arbeitgeber einen Ganzjahresbetrieb führen. Man verdient hier gutes Geld, wenngleich die Work-Life-Balance oft zu wünschen übrig lässt. Die Trinkgelder sind nicht mehr so hoch wie vor ein paar Jahrzehnten, aber immer noch wohltuend. Dafür sind die Unterkünfte für Köche und Servicemitarbeiter oft besser als das, was andere Wintersportorte ihren Gästen anbieten. In den Weihnachtsferien, in der „Wien-Woche“ oder wenn die Briten oder Skandinavier Ferien haben, sind nicht nur in Zürs oder Lech weder Bett noch Tisch frei. Deutsche Gäste zählen übrigens nicht zu den wichtigsten Zielgruppen auf der Vorarlberger Seite des Arlbergs. Sie schauen zu sehr aufs Geld, heißt es.
Klösterle: das Verschwiegene
Tobias Schöpf hat lange Zeit bei Thorsten Probost verbracht, als der noch im Burg Vital in Lech in den Griggeler Stuba kochte. Dort lernte er Tanja kennen, die sich um den Weinservice kümmerte. Sie haben geheiratet und führen zu zweit das Wirtshaus Traube im touristisch eher ruhigen Klösterle. Das Lokal ist minimalistisch, es gibt nur eine Handvoll Speisen, vieles kommt von den befreundeten Landwirten ums Eck, das Wild von Tobias’ Onkel. Tanja Schöpf hat hier nicht den Weinvorrat eines Fünfsternehotels, aber ihre Getränkeauswahl zählt trotzdem zu den spannendsten am Arlberg, auch und gerade weil sie sich des immer wichtiger werdenden Segments der alkoholfreien Getränke annimmt. Die Küche serviert als gemüseaffinen Einstieg Pastinake, Apfel, Fichtenwipfel und Senfsaat in einem schönen Arrangement. Später im Menü kombiniert Tobias Schöpf Stör mit der erdigen Süße des Sellerie und der bitteren Note des Radicchio, ein schönes Winteressen, abgerundet mit Wacholder und Dirndl. In der Nachbarschaft der Traube finden sich keine Fünfsterneherbergen, dafür gibt es Landwirtschaft, zum Beispiel den kleinen Betrieb der Familie Jochum. Hier leben Wachteln, Schafe und Hühner, eine klassische gemischte Landwirtschaft. Im kleinen Hofladen kann man hausgemachte Teigwaren und Wachteleier kaufen.
Stuben: mit der Ruhe
Austern wirken am Pistenrand des Arlbergs fast schon selbstverständlich. Gebackene Austern hatten sie hier hingegen bislang nicht. Der junge Küchenchef Joshua Leise, ein Münchner, der, bevor er im Mural den ersten Stern verdiente, bei Jan Hartwig und bei Johannes King im Söl’Ring Hof auf Sylt gearbeitet hatte, nahm aus Sylt das Rezept mit. Leise serviert die gebackenen Austern auf Speckkraut mit luftig geschäumter Beurre blanc. Das Gericht steht auf der Wirtshauskarte des Hotel Mondschein. Ein weiteres Highlight sind die Maultaschen und das Croustillant vom Kalbskopf, das von Kalbsbratwürstel und Erdäpfelsalat begleitet wird. Im geschichtsträchtigen Ambiente des Hotel Mondschein hat der junge Küchenchef vergangenen Herbst angedockt, hier hat er einen Chef’s Table etabliert, der an vier Abenden die Woche gedeckt wird. Rote Rüben werden entsaftet und mit Kren und einem anständigen Löffel Kaviar kombiniert. Aus dem Fleisch eines Störs formt Joshua Leise kleine Fischnockerl und serviert sie mit einer Sauce auf Basis von Paprika, bestreut das Gericht mit Zitronenthyiam, und fertig ist eine vollkommen neue Interpretation des Lyoner Klassikers Hechtnockerl mit Sauce Nantua. Das Bresse Gauloise kommt aus der Südoststeiermark, die Keule wird knusprig gebraten und begleitet von Grünkohl, Rettich und Kartoffeln. Natürlich ist hier die Weinauswahl vom Besten.
Sankt Anton: Tirols westlichstes Ski-Dorf
Die Pisten sind wunderschön, aber die Soundkulisse des Après-Ski auf der Tiroler Seite des Arlbergs muss man mögen. Es gibt jedoch auch Möglichkeiten des Rückzugs. Man findet sie im ersten Stock des am Pistenrand gelegenen Arl One, einem Hotspot der Getränke und der guten Laune in der Wintersonne. Im Arlicious schlägt an ein paar Abenden die Woche der in Tirol nicht unbekannte Gustav Jantscher seine Zelte auf, und wo Jantscher kocht, kann man entspannt mit Topqualität auf dem Teller rechnen. Angenehm entfernt vom Trubel in Sankt Anton, aber mit einem privaten Limo-Service stets ortsverbunden, wohnt und speist man im Tannenhof. Hier setzt Küchenchef Denis Ilies alpine Küche nach seinen Vorstellungen um, frei von Tafelspitz- und Kaiserschmarren-Folklore. Aber ganz ohne herzhafte Aromen geht es nicht: Blutwurst und Apfel haben als salzige Canelés ihren Auftritt, Teil eines Reigens an Snacks, bevor es mit einer vermeintlich oft anzutreffenden, gleichwohl gelungenen Kombination aus Lachsforelle, Gurke, Buttermilch und Forellenkaviar dezent, aber bestimmt zur Sache geht. Hinter dem vom Understatement getragenen Titel „Rindfleischsalat“ verbirgt sich eine betörende Kombination aus rohem Tiroler Wagyu und (ungestopfter) Bio-Entenleber, dazu Bohnen und Walnussdressing. Der Pfirsich-ledrige Duft des Osmanthus verhilft dem mit Karotten servierten Hummer zu einem exotischen Auftritt. Durchaus eigenwillig dann das Miteinander von Paprika, Marille und Kalbskopf, die gemeinsam mit Sauce hollandaise das Kalbsbries begleiten. Die Trendsüßigkeit dieses Winters, Pistazie, kommt nicht als Teil von Schokolade, sondern mit delikatem Olivenöleis, dazu Orange, Estragon und ein wunderbares Soufflé. Man kann am Arlberg sicher weiter oben essen, aber schwerlich auf höherem Niveau. —
Infos & Adressen
Lech:
aureliolech.com
arlberghotel.at
almhof.at
fux-mi.net
postlech.com
kronelech.at
backstubelech.at
hagens.at
Oberlech:
burghotel-lech.com
murmeli.at
burgvitalresort.com
Zug:
rotewand.com
aelpele-lech.at
fischteich-lech.at
echtlech.at/bergbauernhoefe/bio-rinderhof-kaufmann
Klösterle & Langen:
haus-jochum.at/die-kleine-farm
wirtschaft-traube.at
St. Anton:
arl-one.com
verwallstube.at
hoteltannenhof.net
arlberghospiz-alm.at
Stuben am Arlberg:
mondschein.com
restaurant-fuxbau.at










