Geschichte tellerweise
In der Wachau nahm vieles in Österreich seinen Anfang. Etwa die hochstehende Weinkultur und auch eine angesehene, nicht nur für Ausflügler relevante Gastronomie. Manchmal ist es gut, wenn sich Dinge nicht zu sehr verändern.
Wie die Zuschauerreihen in einem Amphitheater wirken die Terrassen- weingärten, auf denen die feinst herausgeputzten Rebstöcke in die Sonne und auf die gemächlich dahinfließende Donau blicken. Hie und da lässt sich ein Schiff blicken und spuckt am Ufer ein paar Dutzend Touristen aus, um sie ein paar Stunden später wieder aufzunehmen. Schon immer faszinierte die Wachau Maler, und nach dem letzten Krieg war es die winzige heimische Filmindustrie, die den Österreichern ein paar unbeschwerte Stunden im Kino lieferte: Hauptdarsteller Hans Moser, Paul Hörbiger und die schöne Kulturlandschaft zwischen Dürnstein und Spitz. Man verliebt sich leicht in diesen kurzen Landstrich, sich zu entlieben fällt schwer, es besteht auch kein Grund dafür.
Zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Beitrags beginnt die Lese. Ereignisse wie Hagelstürme oder Überflutungen haben bisher nicht stattgefunden, Daumen drücken, dass es so bleibt. In ein paar Wochen werden sich die Blätter der Rebstöcke langsam gelb färben, später orange und schließlich braun, die Terrassen werden ihre Herbstgarderobe anlegen, schottischer Tweed in Erdtönen. Jetzt ist es Zeit, die Gastgärten zu schließen.
Ihr Image als kulturlandschaftliche und gastfreundliche Idylle hat die Wachau stets gut gepflegt. Die Gastronomie war immer mit den Entwicklungen im Weinbau verbunden. Das Restaurant des Weinguts Jamek wurde im ersten Gault-Millau 1979 als eines von ganz wenigen Lokalen mit einer Haube ausgezeichnet. Was die Rieden Kellerberg, Loibnerberg, Schütt, Klaus, Achleiten und Singerriedel beim Wein sind, sind unter den beliebten Wachauer Gerichten der klassischen Adressen Kalbsbutterschnitzel, Backhendl, Topfenhaluschka, Tafelspitzravioli, Kaviar-Ei, Marillenknödel und Marillenpalatschinken. Die Wachauer Marille ist neben der Weintraube und dem, was man daraus macht, eine der bekanntesten kulinarischen Ikonen der Wachau. Auch wenn die Saison erst wieder im kommenden Juli startet, widmen wir der Marille ein paar Zeilen.
Marillen als kulinarische Botschafter
Lisl Wagner-Bachers selbst gemachte Marillenmarmelade genießt mittlerweile Kultstatus, wir tragen keine Eulen nach Athen oder Mautern und fügen dem Lob kein weiteres hinzu. Dafür begeben wir uns nach Rührsdorf am rechten Donauufer, wo das Gasthaus der Familie Essl steht, zu dem ein ansehnlicher Marillengarten gehört. Die Ernte und die Zubereitung der daraus gewonnenen Marmeladen und Röster ist die Aufgabe von Patron und Küchenchef Philipp Essls Vater, der gemeinsam mit seiner Frau Marie Theres das Haus zu einer der besten Adressen der Wachau gemacht hat. „Die Marillen müssen so reif sein, dass sie fast vom Baum fallen oder gerade gefallen sind“ ist sein Credo. Dabei hatte der aus dem Lungau gekommene Marmeladenspezialist dort mit Marillen nichts zu tun, weil es dem Obst im Lungau zu frisch ist. Der Marillenröster der Essls schmeckt vollmundig mit einem Tick Süße und sanft beigemengter Würze, wie ein Smaragd oder eine Auslese aus einem warmen Jahr. Das ganze Jahr über gibt es Marillen zur Wachauer Tarte, deren Hauptdarsteller nicht Topfen und Brösel sind, sondern Schokolade.
Philipp Essl erweist sich auch in der salzigen Abteilung als Könner schlichter, ländlicher Eleganz. Aus dem Dunkelsteiner Wald kommt das Wild, vom Reh gibt es je nach Vorrat Rücken, Schlögel oder andere Teile. Grammelknödel mit Marillen-Chili-Kraut und Selchspeck, Blunzn-Focaccia mit Gurkenrelish, Senfcreme und Lauch oder Kalbsrahmbeuschel mit Gulasch-Schaum, wie es sich in der klassischen Wirtshausküche gehört, sind eine willkommene Stärkung nach einer Wanderung durch die nahen Weingärten oder entlang der Donau. Dass die Weinkarte des Gasthofs, der im kommenden Winter vollkommen neu gestaltet werden soll, viele Stücke spielt, muss nicht extra erwähnt werden. Selbstbewusst und selbstverständlich werden die Weine der Wachauer Winzer empfohlen und getrunken. Aber der Blick in die Nachbarschaft, nach Frankreich, Italien oder auch Deutschland, ist gestattet.
Eine der wichtigsten Weinkarten der Region, und das nicht erst seit heute, ist die des Landhaus Bacher in Mautern. Lisl Wagner-Bacher konnte ja nicht nur Marmeladen, sie kochte eine geschmacklich hundertprozentig präzise, feminine Hochküche, „wie wenn man zu Hause für Freunde kocht“, um es mit ihren Worten zu sagen. Thomas Dorfer hat diese Art zu kochen sanft in die neue Zeit transferiert, ohne ihre DNA zu verwischen. Seine Küche oszilliert geschmackssicher zwischen österreichverbundenen Klassikern und dem bisschen Luxus, den man sich an dieser ersten Adresse erhofft und erwartet. Das Kaviar-Ei steht seit Jahrzehnten auf der Karte, es wirkt ein wenig museal und erinnert an die Klassiker etwa aus der Auberge de L’Ill im Elsass, aus der Zeit gefallen und immer noch gut. Dorfer und sein Team rund um den meisterhaften Souschef Manuel Hammerl ruhen nicht und legen fast monatlich einen neuen Kaviar-Teller vor. Aktuell sind das Artischocken mit Kaviar-Beurre-blanc und Spitzkrautmousseline plus Kernöl. Das Gniglersche Lamm aus Rutzenmoos gibt es jeden Monat, ein Stück vom Rücken mit unwiderstehlichem Fettrand, ein Stück geschmorter Nacken, etwas Schärfe dank eingelegter Pfefferoni und Honig-Rettich. Würze im gebackenen Chorizo-Krapfen – Dorfer gehört zu den ganz wenigen Köchen, die ihren Gästen zum Hauptgang einen winzigen Happen Kohlehydrate offerieren, in vielen anderen Restaurants als „Sättigungsbeilage“ diffamiert, als ob wir noch in den 70er-Jahren lebten. Und immer den Versuch wert: Marmorierte Entenleber als Vorspeise im beginnenden Herbst mit Zwetschken und Pata Negra, die Terrine von köstlichem Schmelz und delikater Eleganz. Zum Zwetschkenknödel gibt es Brösel und zerlassene Butter von der Minimolkerei Höflmaier, über die wir in der vorletzten Ausgabe berichteten.
Symbiose von Emmerich und Sepp Knoll
Eine Ikone der Wachauer Gastronomie ist das Kalbsbutterschnitzel im Loibnerhof. Das saftige Butterschnitzel mit seinem aus Kalbsfond ge-
wonnenen Safterl steht neben dem Backhendl seit Jahrzehnten auf der Karte, und es ist vielleicht interessant zu wissen, dass der Loibnerhof und das Weingut Knoll schon seit mehr als einem halben Jahrhundert in einer nachbarschaftlichen Symbiose existieren, die beiden Betrieben von hohem Nutzen war, auch betriebswirtschaftlich. Jetzt gibt es auf der Karte auch ältere Knoll-Jahrgänge, und vor allem bei den Smaragden lässt sich sagen, dass sie nach ein paar Jahren in der Flasche die meiste Freude bereiten. Wenn die Wachau einmal im Herbstnebel versinkt und das Restaurant längst wieder in seine Winterresidenz im Hauptgebäude gezogen ist, ist ein älterer Grüner Veltliner Smaragd Loibenberg zu einem Teller mit Innereien vom Martinigansl ein willkommener Trost. Zu allem serviert man im Loibnerhof ein Gebäck, das in der Wachau ebenfalls zu den essbaren Denkmälern gehört, es handelt sich um die Wachauer Laberl von der Bäckerei Schmidl in Dürnstein.
Barbara Schmidl, die Chefin der Bäckerei, selbst gelernte Konditorin und Bäckermeisterin, erklärt, was die Qualitäten der Schmidl-Laberl aus-macht: „Das Rezept halten wir natürlich geheim, aber die Zutaten stammen alle von kleinen Produzenten aus der Gegend. Und vielleicht ist es auch die Energie, die sich bei der Handarbeit und beim Kneten des Teiges in das Gebäck überträgt, die man spürt und schmeckt.“ Die Bäckerei Schmidl gibt es seit 1780, es war eine kleine Dorfbäckerei im damals vor allem über das Wasser und einen kleinen Güterweg erreichbaren Dürnstein, ein klassischer Nahversorger. Dank der Wachauer Laberl ist der Ruf der Bäckerei weit über die Wachauer Grenzen hinausgedrungen. Die studierte Volkswirtin Barbara Schmidl hatte eine geniale Marketingidee: Sie ließ auf der Unterseite der Laberl ein großes S eingravieren. Fahren Sie nach Dürnstein und frühstücken Sie im vor Kurzem mit viel Detailliebe und architektonischem Feingefühl gestalteten Lokal der Schmidls – eine Oase des Geschmacks im von Schiffs- und Fahrradtouristen meist gefluteten Dürnstein.
Legendäres in Joching
Was eigentlich berühmter war, das Weingut Jamek, bereits in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts ein Aushängeschild, oder das dazugehörige Restaurant, lässt sich schwer sagen. Beide hatten wechselhafte Zeiten und haben sich jetzt, in der neuen Konstellation der Enkel des legendären Josef Jamek und seiner Frau Edeltraud, konsolidiert. Den Grünen Veltliner von der Ried Achleiten oder den Riesling Ried Klaus im Glas, auf dem Teller gebratene Blutwurst mit Kren und Erdäpfelschmarren (noch besser ist der Grammelschmarren) oder das knusprig-speckige Topfenhaluschka mit Gurkensalat, bestreut mit einer Prise roten Paprikas, kann wenig schiefgehen. Die Sonne strahlt hier auf der westlich gelegenen Terrasse auch dann noch, wenn andere Betriebe ihre Gärten längst eingewintert haben. Natürlich kann die Jamek-Küche auch zeitgemäß: Eierschwammerl-Lauchtarte mit Steinpilzcreme oder Zandersulz mit Jungzwiebel-Paradeisvinaigrette passen als Vorspeisen perfekt zu den Federspiel-Weinen der Familie.
Nur ein paar Hundert Meter vom Jamek weiter steht der alte Lesehof, in dem sich die Hofmeisterei Hirtzberger eingerichtet hat, ebenfalls Weingut und Restaurant in einem. Mâitre Hartmuth Rameder und sein Partner in Crime, Küchenchef Erwin Windhaber, sind das perfekte Pairing, so wie Windhabers Essen zu den Weinen aus einer der besten Weinkarten, nicht nur der Wachau. Den Weinen von Franz Hirtzberger und denen der Hofmeisterei sind gleich mehrere Seiten gewidmet, aber auch Winzer wie Knoll oder Prager bekommen ihre ganze, eng bedruckte Seite. Die Burgunder-Auswahl ist beispiellos, Rameder hat da seine direkten Verbindungen, die ihm Zuteilungen der begehrtesten Winzer sichern. Windhabers Gerichte passen ideal zu Wein, seine Saucen sind balanciert und ohne Fehltöne. Nur ein paar Minuten glasig gegarter Hummer mit Sauce hollandaise aus den Karkassen, darauf Ribisel, Spinat und Estragonöl, schmiegt sich an den Axpoint Grünen Veltliner Smaragd 2018 von Franz Hirtzberger, als wären die beiden füreinander geschaffen. In den Ziegelgewölben des alten Lesehofs, in dem die Hofmeisterei untergebracht ist, ist die moderne Klassik zu Hause. „Alle reden von Retro und Vintage, wir sind es!“ Hartmuth Rameder bringt es auf den Punkt. Sein bevorzugtes Kleidungsstück ist die Knickerbocker.
Was tut sich eigentlich in der Nachbarschaft zu den Weingärten, wo das Klima zu rau ist? Im Spitzer Graben wechselt die Landschaft von Weinterrassen zu Ackerbauflächen. Eine schmale Bergstraße in Mühldorf führt zum Bauernhof von Agnes und Matthias Penner, die gemeinsam mit den Eltern von Matthias den Betrieb führen. Schon beim Blick auf die Speisekarte des traditionsreichen Gasthofs Weisses Rössl wird man stutzig: Carpaccio vom Mühldorfer Wagyu und Lardo vom Turopolje-Schwein verheißen herzhaften Genuss. Das Fleisch stammt direkt aus der Nachbarschaft. Matthias Penner hat an der Universität für Bodenkultur studiert, die Entscheidung, wieder zurück auf den Hof der Familie zu gehen, erfolgte nicht in der ersten Sekunde. 2015 stellten er und Agnes den Betrieb um. Jetzt leben dort Wagyu-Rinder und die für ihre Fettqualität bekannten Turopolje-Schweine.
Die Unterbringung der Tiere ist first class. Ob im geräumigen Stall, der im Vergleich zur Massenunterbringung in der gängigen Landwirtschaft dennoch auf groteske Weise klein wirkt, oder auf den gleich nebenan gelegenen Weiden. „Die Schweine bleiben im Stall“, sagt Matthias Penner, „sie würden die Wiesen verwüsten.“ Das Fett der Schweine steht in einem guten Verdacht, nämlich dank Säurezusammensetzung eine gegenteilige Wirkung auf den menschlichen Stoffwechsel zu haben, als man es Schweinefett zuschreibt. Eine Kostprobe vom Lardo: Er schmeckt köstlich. Bauch und andere Teile werden kalt geräuchert, die Verantwortung für die Weiterverarbeitung der Tiere liegt bei Agnes. Die Blutwurst hat die Konsistenz von Brot, kaum Fetteinlagerungen, dafür Spuren von Sellerie und Karotte.
Das Fleisch der Wagyus findet sich interessanterweise kaum auf den Speisekarten der Wachauer Restaurants, dafür auf den Einkaufslisten der privaten Kundschaft der Bauern. Nur ein bestimmter Heuriger in Spitz serviert Carpaccio vom Wagyu, es ist die Adam-Mühle, sie wird von einer Tochter des Winzers Emmerich Knoll und ihrem Mann betrieben. Monika Pölzer hat die Adam-Mühle, ein altes Gebäude mit bezwingendem Charme und ebensolcher Atmosphäre, mit viel Aufwand renoviert und bietet ihre eigenen Weine an, die am elterlichen Weingut in Unterloiben vinifiziert werden. Die Qualität dessen, was Monika Pölzer und ihr Mann servieren, ist exzellent, ob Wurstsalat, kalter Schweinsbraten, marinierte Sulz oder vegetarischer Tagesteller. Natürlich gibt es auch in diesem Heurigen die Wachauer Laberl von der Bäckerei Schmidl. An den Tagen, an denen die Gäste die Adam-Mühle besonders zahlreich besuchen, kommt Emmerich Knolls Frau und Monikas Mutter Monika nach Spitz und hilft mit hausgemachtem Liptauer und im Service aus.
Und dann? In Mühldorf findet sich ein dezenter Hinweis auf eine Ortschaft, die Freunden des Wachauer Weins keine unbekannte ist. Nicht, dass dort Wein wüchse. Albrechtsberg liegt außerhalb der klimatischen Demarkationszone, in welcher Rebstöcke gut gedeihen. Der einstige Wirkungsort des Pfarrers Hans Denk, der als geschmackssicherer, trinkfester und eloquenter Weinpfarrer eine Gemeinde von Beseelten erreichte, die mehr im Sinn hatten als Messwein. Ein Gasthaus oberhalb der Wachau, das aber von allen Gästen zur Wachau gezählt wird, nahm der Pfarrer unter seine Fittiche und kuratierte gemeinsam mit dem Wirten und Küchenchef Erwin Schwarz eine Weinkarte, die damals Aufsehen erregte und auch heute noch enzyklopädischen Charakter aufweist.
Das Gasthaus Schwarz geht mittlerweile in die nächste Generation. Der Sohn steht mit dem Vater gemeinsam in der Küche. Sonst hat sich in den vergangenen zehn Jahren hier nicht viel geändert. Die Erdäpfelknödel, die es zum sonntäglichen Schweinsbraten oder als gefüllte Fleischknödel gibt, sind nach wie vor die Urmeter aller Erdäpfelknödel. Das Erdäpfelpüree zur gebratenen Niere ist ebenfalls erinnerungswürdig. Schwarz, der auch mal Austern oder Steinbutt auf die Karte setzt, damit die Locals im Gasthaus nicht das gleiche essen müssen, was sie von zu Hause kennen, ist ein Meister des gebackenen Kalbskopfs und der Blunzenradln, die er mit einer unnachahmlich schlichten Eleganz auf die Teller bringt, als wären es teure Juwelen. Diese Küche ist nicht die der Saucen auf Basis aufwendig hergestellter Fonds, sondern die des Natursaftls und des Bratensaftls, und wem wir den Unterschied erklären müssen, hat dieses Magazin wohl zum ersten Mal in der Hand. Den Abschluss sollten in jedem Fall Topfen-Mohn-Nudeln bilden, herrlich schmalzig und süß, begleitet von Marillenröster. Die Wachau ist nur ein paar Luftkilometer entfernt. —


zu einer jungen Feinschmecker- adresse hochgekocht.



Foto: Nicole Stessl


Im Bild: Gastgeber Hartmuth Rameder


ADRESSEN:
Landhaus Bacher, landhaus-bacher.at
Loibnerhof, loibnerhof.at
Jamek, jamekwein.at
Hofmeisterei Hirtzberger, hofmeisterei.com
Essl, landgasthaus-essl.at
Schwarz, gasthaus-schwarz.at
Familie Penner Turopolje-Schwein & Wachauer Wagyu,
povat.at
Adam-Mühle, adam-mühle.at
Bäckerei Schmidl, schmidl-wachau.at

