Mythos Sorn
Das Restaurant Sorn in Bangkok gilt als das beste der Region, zugleich gilt es auch als das am schwierigsten zu reservierende Lokal der Stadt. Die Erwartungshaltung der Gäste ist immens hoch – und wird erfüllt.
Bangkok kann so ein Dorf sein. Nur fünf Gehminuten von der belebten Sukhumvit Road entfernt sind die Häuserreihen anstatt dreißig plötzlich nur noch ein Stockwerk hoch. Anstelle des reißbrettartig geraden Straßenverlaufs mäandern kleine Gassen, die mehr wie private Hauseinfahrten als reguläre Verkehrswege wirken. Hier, in einer der kleinen Alleen, befindet sich das Restaurant Sorn. So versteckt, dass sogar Taxifahrer oft mehrere Anläufe ans Ziel brauchen. Das neunzig Jahre alte Haus mit dem hübschen grünen Vorgarten war früher wohl das Wohnhaus einer wohlhabenden Familie. Mit viel Finesse umgebaut, beherbergt es nun die begehrteste Restaurantadresse Bangkoks. Sein Ruf bezüglich der Qualität der Küche ist legendär. Nirgendwo sonst gibt es eine so hochstehende südthailändische Küche, sagen viele Kenner seit Jahren und neuerdings auch der stets mit Verspätung reagierende Guide Michelin. Seit Ende 2024 ist das Sorn das erste und einzige Dreisternerestaurant Thailands. Legendär ist nicht nur die Küche, sondern auch die Limitiertheit der Plätze. The World’s 50 Best Restaurants, wo das Sorn sowohl im Asia-Ranking als auch in der World-List Topplatzierungen belegt, bezeichnet das Restaurant als eine der am schwierigsten zu buchenden Adressen überhaupt. Tatsächlich gibt es nur einen Abendservice für vierzig Gäste. Sechs Abende die Woche hat das Sorn geöffnet, samstags ist geschlossen. That’s it. „Wenn wir eine zweite Runde machen würden, ginge das nur auf Kosten der Qualität“, sagt Küchenchef und Eigentümer Supaksorn Jongsiri, besser bekannt als „Chef Ice“. Topqualität in jedem Detail geht dem akribisch arbeitenden Küchenchef über alles. Ernsthaft etwas reklamiert hat ein Gast dem Vernehmen nach noch nie. „Ich bekomme nur Beschwerden, weil es bei uns so schwierig ist, eine Reservierung zu machen.“ Etwas daran zu ändern, erscheint unmöglich. Immerhin, für internationale Gäste wurde mittlerweile ein eigenes Reservierungs-Prozedere eingerichtet. Auf der Website werden jeweils zur Monatsmitte Reservierungen für den Folgemonat angeboten.
Täglich frisch gefangen
Die Limitiertheit ist auch in den verwendeten Zutaten begründet. Vieles kommt von kleinen Produzenten und Fischern im Süden und wird täglich frisch nach Bangkok geflogen. Ein immenser Aufwand für superfrische Produkte, wie etwa bei Ankunft noch quicklebendiger Meeresfrüchte.
Supaksorn Jongsiris erste Mentorin in Sachen Kulinarik war seine Großmutter. Der kleine „Chef Ice“ startete im zarten Alter von fünf Jahren mit Reiskochen und durfte mit sieben seine Tom Yam individuell abschmecken. Erstes Anzeichen für einen ausgefallenen Geschmack war vielleicht die Kindheitsliebe zu gebratenen Sataw (Stinkbohnen) mit Krabbenpaste. Eine Leidenschaft, die bis heute besteht. Mitte der Neunzigerjahre studierte „Chef Ice“ in den USA Design und Kunst. Als dann wegen der asiatischen Finanzkrise die finanziellen Zuwendungen schwanden, jobbte er als Koch in Asia-Restaurants. Mit einem Bachelor zurück in Thailand, half „Chef Ice“ weiterhin in Küchen mit. Seine Großmutter hatte in der Zwischenzeit ein Restaurant namens Baan Ice gegründet, dessen Leitung der Enkel schrittweise übernahm. Heute gibt es sieben Baan Ice-Restaurants in Bangkok. Vor der Gründung des Sorn im Jahr 2018 bereisten „Chef Ice“ und sein Team in einer regelrechten Fact Finding Mission sämtliche Provinzen Südthailands, machten Produzenten rarer Produkte ausfindig und reaktivierten traditionelle Rezepturen und Zubereitungstechniken. Die Bemühungen um Produkte dieser Art kann man durchaus mit der Pionierarbeit anderer Küchen, wie etwa jener von René Redzepi im Noma oder Heinz Reitbauer im Steirereck, vergleichen. Wir sprechen hier von gelebter Regionalität, ohne sich dabei den modernen Zeiten zu verweigern.
Es ist Essen mit Terroir.
Der Name Sorn leitet sich vom thailändischen „sarana“ ab, was so viel wie „bewahren“ bedeutet. „Produkte und Rezepturen verschwinden aus unserem Leben, wenn sie niemand verwendet. Wenn wir nicht den letzten noch aktiven Bauern ihre Chili-Raritäten abkaufen, werden sie diese eines Tage nicht mehr anbauen.“ „Chef Ice“ verwendet ungemein aromatische Vogelaugen-Chilis für seine gelbe Currypaste, die Kenner in Bangkok als eine der weltweit besten bezeichnen. Diese Zutat allein ist es aber nicht. „Wir stellen die Paste frisch mit Mörser und Stößel her, nur dann entfalten die Gewürze ihre Magie.“
Abenteuer Chili
Chili ist in Südthailand und Malaysia der Hauptdarsteller in der Küche. Ihre Schärfe wird einerseits für die längere Haltbarkeit von Lebensmitteln verwendet. Die Schärfe hat aber auch eine gewisse biothermische Wirkung, um im heißen Klima die Körpertemperatur einzustellen. Für Menschen ohne Schärfetoleranz ist das durchaus eine Herausforderung. Ein eindringlicher Rat für Gäste, die zum ersten Mal im Sorn essen: Man spiele hier besser nicht den Helden, wenn sich die Frage nach dem persönlich verträglichen Schärfeniveau stellt. Was in Thailand medium scharf ist, befindet sich für den Durchschnittseuropäer schon auf recht forciertem Level. Nicht nur deshalb ist das Sorn speziell für Esser aus Europa ein echtes Abenteuer. Zwar ist vieles im Menü beschrieben, und auch der kompetente Service erklärt viele Zutaten und Zubereitung recht detailreich. Trotzdem ist es ein Roller Coaster mit überraschenden Texturen, mitunter explosiven Aromen und in jedem Fall beglückenden Geschmackserkenntnissen. Und ganz nebenbei wird man hier auch noch tatsächlich satt. Das Sorn ist kein One-Bite-Gourmet-Tempel.
Gestartet wird das Menü aber natürlich mit kleinen Happen. Etwa einem Sago-Cracker – belegt mit Jasminreis, gegrillter Tapi-River-Garnele und scharfem Garnelenöl –, der die Synapsen adäquat anwärmt. Eine Miniatur, die eine Essenz des Themas „Thailand am Meer“ darstellt. Abalone kann man sozusagen als Seafood-Rolls-Royce kategorisieren. Die Meeresschnecken, in Phuket einzeln getaucht, werden dem Gast bei Tisch lebend präsentiert. Die Zubereitung ist langwierig und kompliziert. In unkundigen Händen verwandelt sich das Fleisch in ein hartes, flachsiges Gewebe. Die Sorn-Küche macht daraus ein Gericht, das man auf den ersten Blick fast mit Patisserie-Kunst assoziiert. Mit Mangostane, Algen und grüner Mango entsteht eine Kreation, die zwischen frisch-fruchtig und zart-nussig eine neue Abalone-Referenz setzt. Wie eine avantgardistische Streetfood-Version wirkt dann ein frittierter Silver Sillago. Der kleine Fisch, am Tag zuvor in Phuket gefangen, ist so forciert frittiert, dass man beim Essen nur noch die reine Knusprigkeit wahrnimmt. Ein wenig Kurkumapüree, Jakobmuschel-Inlets sowie Curry ergeben einen weiteren Thai-Snack der ganz besonderen Art.
Seafood der Extraklasse
Schon zu einem Signature Dish geworden ist „Der Ozean“, eine Trilogie, bestehend aus Languste, Blaukrabbe und Babylonia-Meeresschnecke; beinahe schon überflüssig die Erwähnung, dass alles fangfrisch aus Phuket stammt. Ein dickes Stück aus dem Langustenschwanz ist mit erfrischend-pikanten Mango-, Melone- und Koriandersaucen-Tupfern getoppt. Das rohe Fleisch hat einen zart-süßlichen Meeresgeschmack, die Textur ist mürb-cremig. Noch süßer wirkt das samt der Schere servierte Fleisch der Blaukrabbe, das kurz mit einer Ingwer-Sojasauce mariniert wurde und mit ein wenig fruchtigem Kumquat-Granité belegt ist. Als Kontrast dazu ist das Fleisch der Babylonia-Schnecke bissfest gekocht und wird mit einer gehörig scharfen Chilisauce versehen. Wow, was für ein stürmisches Wellental am Gaumen! Die Gerichte sind eher zweckmäßig als optisch effekthascherisch angerichtet. „Mir geht es um den Geschmack und weniger um das adrette Aussehen“, so „Chef Ice“. Aus diesem Grund und wohl auch, um die verwendeten Produkte entsprechend darzustellen, werden die zentralen Zutaten jedes Gangs dem Gast bei Tisch präsentiert. Kan Chu Piang, der prächtige Crab Stick mit Krabbenrogen, ist ein weiteres Sorn-Signature. Das beste Teil einer männlichen Blaukrabbe, das besonders fleischige Schwimmerbein, wird gegart und mit dem Rogen eines weiblichen Tiers überzogen serviert. Das Krabbenbein mit dem saftig-zart-süßlichen Fleisch wird in einer Granitschale mit fruchtig-scharfer Paste von gelben Chilis serviert. Man isst das Ganze wie einen Seafood-Lolly. Ein Gericht, das alles Sinne fordert. Gegen die Chili-Schärfe hilft am besten das Fett der Kokosnuss, die hier in Form einer Suppe kommt. Im Sorn wird dafür das frische Koksnussfleisch zuerst geraspelt und erst unmittelbar vor dem Servieren ausgepresst. Übrigens: Auch später, beim Dessert, sollte man, vor die Wahl gestellt, unbedingt das Kokos-Dessert wählen. Allein das Kokossorbet mit allen süß-salzigen Satelliten wäre jede Anreise wert. Das vielleicht ikonischste Gericht im Sorn ist Khao Yum, ein traditioneller Reissalat. Gepuffter Jasminreis, mit Kurkuma gewürzt, sowie verschiedene Kräuter, Sprossen, Ingwerblüten, Chili, Zitronengras, Gurke und Pomelo werden mit einem Budu-Dressing verrührt. Der Salat wird direkt bei Tisch finalisiert, hat geschmacklich harmonischen Tiefgang mit verschiedenen Texturen und reichlich Umami. Die Zutaten verkörpern alle wichtigen Produkte der Region, vom Wald bis ins Meer. Sehr stolz ist „Chef Ice“ auf die hauseigene Budu-Sauce, eine traditionelle fermentierte Fischsauce, die normalerweise aus Fischresten und Innereien gemacht wird. Der starke Geruch ist legendär. „Chef Ice“ verwendet dafür aber frische Innereien, wodurch die olfaktorische Zumutung wegfällt.
Back to the roots
Es geht aber nicht nur um authentische Zutaten, sondern auch um traditionelle Zubereitungsarten. Einige Gerichte brauchen etwa den Holzkohlenofen, weil nur dort eine unvergleichliche Hitze samt zarter Aromagebung entsteht. „Moderne Technologie und Geräte machen den Geschmack einiger Speisen vergleichsweise sehr uniform. Wenn man sich akribisch genau an die detaillierten Anweisungen jahrhundertealter Zubereitungsarten hält, hat das schon seinen Sinn.“ Die Recherchen dafür waren oft mehr als aufwendig, Rezepte im Sinn von Textvorlagen existieren oft nicht. „Als ich in einem muslimischen Dorf die Fischer um ihr berühmtes Rezept für Krabben bat, meinten sie nur, wenn ich es wissen will, muss ich beim Fang helfen, über Nacht bleiben und ihnen bei der Arbeit helfen.“ Das für den Hauptgang verwendete Rindfleisch aus Phatthalung kommt von acht Jahre alten Kühen. Das geschmorte Beinfleisch ist zart und intensiv im Geschmack. Das Curry ist betörend scharf, dabei durchaus komplex, wirkt in der Textur sämig-seidig. Es ist jedoch nur ein kleiner Teil des Hauptgangs, der in Wahrheit sieben Gerichte umfasst. Darunter auch ein sagenhaft großartiges Garnelen-Omelett, knusprig und fluffig zugleich; an der Seite begleitet von gebratenem Wasserspinat mit einer Sauce aus Abaloneleber.
Die Vielzahl der gereichten Speisen machen nicht nur den Tisch, sondern auch den Magen voll. Über allem steht aber ohnehin eine ganz andere Hauptsache: der Reis. Es ist ein spezieller Jasminreis aus Nakhon Si Thammarat, der im Sorn mit extra aus der Provinz Ranong besorgtem Wasser in einem Tontopf über Holzkohlefeuer gegart wird. Perfekt gekocht ist der Reis nach alter Lehre nur dann, wenn die Reiskörner auf der Oberfläche am Ende in senkrechter Position stehen. Im Sorn stehen die Körner wie die Einser. Das sind die Momente, in denen man „Chef Ice“ fröhlich lachen sieht. Wirklich große Küche hat eben immer ein gehöriges Maß an verwurzelter Bodenhaftung. —
Sorn
56 Soi Sukhumvit 26
Klongton Khlong Toei
Bangkok 10110, Thailand
sornfinesouthern.com






