Ricottaland

Schwelgerische Tage rund um die Monumente Friedrichs II. in Apulien. Samt Epiphanien, Schrecksekunden und unerwarteter Glücksmomente.

Text von Christian Seiler
Illustration von Markus Roost

Als ich gegen zehn Uhr abends durch das Tor der Masseria Lama di Luna fuhr, empfing mich ein Rudel ausgeruhter Hunde. Sie freuten sich, mich zu sehen. Es waren schöne Hunde, keine Frage, sie sahen auch nicht aus, als hätten sie ein intrinsisches Interesse an meinen Unterschenkeln. Trotzdem war ich erleichtert, als ein Pfiff ertönte und die Hunde schlagartig ihr Interesse an mir verloren. Ein eleganter Herr im besten Alter eilte mir entgegen. Er trug einen ordentlich gestutzten Salt-and Pepper-Bart und stellte sich als Pietro Petrini, Inhaber der Masseria, vor, von der ich in der Dunkelheit leider kaum etwas sehen konnte. „Lassen Sie das Auto fallen, lieber Herr“, sagte der Chef. „Warten wir mit den Formalitäten doch bis morgen. Jetzt müssen Sie vor allem einmal essen.“

Ich war erleichtert über diese Anweisung. Ich war enorm hungrig und viel später dran als geplant, da mich das Abholen eines Mietwagens am Flughafen Bari deutlich mehr Zeit gekostet hatte, als ich dafür einkalkuliert hatte. Insgeheim hatte ich damit gerechnet, dass man mir noch eine Flasche Wein und ein Stück Brot aufs Zimmer stellen würde und vielleicht ein paar Scheiben aufgeschnittener Salami, mehr nicht. Nun war es allerdings so, dass Marco, der Koch des zur Anlage gehörigen Restaurants, und Pablo, sein mexikanisch-italienischer Kellner, auf mich gewartet hatten, um zuerst eine Flasche Schaumwein zu öffnen und dann einen winzigen Viergänger zu servieren, Snack, Salat, Pasta, Dessert. Es begab sich also, dass ich gegen Mitternacht in die Geheimnisse von gehärteter und gereifter Ricotta eingeführt wurde, die mir Marco großzügig über die Pasta geschabt hatte, deren Sauce mit Tomaten und Petersilie aus dem eigenen Garten zubereitet worden war.

Tage in Apulien, die so beginnen, können gar nicht schlecht weitergehen. Ich verzichtete sehenden Auges darauf, am nächsten Tag das Gelände der Masseria zu verlassen, weil ich sicher sein konnte, zu Mittag und am Abend auf eine mehr als würdige Weise ernährt zu werden. Ich hatte also Zeit, in der Bibliothek der u-förmigen Anlage herumzusitzen und zu versuchen, das biografische Kapitel, das Giorgio Vasari über Leonardo geschrieben hat, auf Italienisch zu lesen (mhm, mittelmäßig erfolgreich).

Außerdem besichtigte ich den nebenan liegenden Kinosaal, wo man, ganz nach Vorliebe, italienische Kunstfilme aus den vergangenen fünfzig, sechzig Jahren anschauen kann, ohne dabei auf ein Glas Wein verzichten zu müssen. Dass zu allem Überdruss die Terrasse des Restaurants so lag, dass ich unzählige Olivenhaine überblicken konnte, die seit Jahrhunderten zwischen hier und der Adria bewirtschaftet werden, spitzte die Lage zu: Wo, fragte ich mich, würde ich jemals wieder so einen entspannten, weiten Ausblick gewinnen, ohne dabei von lästiger Laufkundschaft gestört zu werden? Ich nahm ein ziemlich dramatisches Buch von Deborah Levy – Heim Schwimmen – mit auf die Terrasse und las es in einem Zug durch, bewegt.

Am nächsten Tag fuhr ich ans Meer. Ich wanderte mit Wohlgefallen durch die Altstadt von Barletta, besichtigte deren Lido, trank einen Kaffee bei einem Imbiss gegenüber des gewaltigen Castello, das zu den Hinterlassenschaften von Friedrich II. gehört, jenem Stauferkönig, der sein Glück nicht in der deutschen Heimat, sondern im italienischen Süden gefunden hat. Keine Ahnung, was mir an dem Kerl so sympathisch ist, abgesehen einmal von den Gebäuden, deren Grundrisse immer irgendwie mit acht Ecken zu tun haben.
Zum Glück habe ich Freunde und Freundinnen. Regelmäßige Leser dieser Geschichten wissen, dass eine davon Señora Monica heißt und dass ich keine Reiseführer mehr brauche, seit sie mir per Whatsapp mitteilt, wo ich tunlichst zu essen habe und mein müdes Haupt zur Ruhe betten soll. Oder glaubt ihr etwa, ich wäre selbst auf das fantastische Lama di Luna gestoßen? Nein, das war Señora Monicas Werk, und wenn du schon dort bist, schrieb sie, dann kannst du auch gleich bei Pietro Zito im Antichi Sapori in Montegrosso essen. Das ist nur ein paar Minuten entfernt und er kocht die allerbesten Gerichte nur mit Gemüse aus seinem Orto.

Abgelenkt davon, dass im Lama di Luna nicht gerade Hochbetrieb herrschte, was die Freude am Verweilen noch einmal potenzierte, ging ich davon aus, dass auch ein Platz im Garten von Pietro nicht allzu schwer zu ergattern sein würde. Weit gefehlt. Es bedurfte einiger Geduld und der leidenschaftlichen Intervention von Señora Monica, damit ich am Ende der Tage, für die ich mich vorerst eingemietet hatte, noch einen Platz bekam. Davon aber später.
Am nächsten Tag fuhr ich nach Trani. Trani ist eine ganz wundervolle Küstenstadt, auf zierliche Weise abgewohnt und an den richtigen Stellen von geradezu virtuoser Schönheit. So steht ­direkt am Hafen, Gesicht hinaus zur Adria, die Basilica Cattedrale Maria Santissima Assunta. Als ich die Kirche betreten wollte, hielt mich ein junger Mann sehr höflich auf. „Sie heiraten“, sagte er. „Ich freue mich so.“ Ich wusste noch nicht, wer „sie“ sind, aber ich freute mich auch.

Wenig später, ich hatte mich inzwischen an die Mole zurückgezogen, auf deren schweren Befestigungen auch ein paar Menschen ihre Handtücher ausgebreitet hatten, um sich zu sonnen, war die Zeremonie in der Basilika zu Ende. Die gesamte Familie, ganz am Schluss natürlich Braut und Bräutigam, stieg die Stufen hinunter, warf mit Reis und Konfetti, hatte plötzlich Gläser mit prickelnden Getränken in der Hand und stellte sich zu einem Gruppenfoto zusammen, auf das ich mich auch zu schwindeln versuchte, ganz außen, völlig unschuldig. Wenn ich Sonnenbrillen aufhabe und nichts sage, könnte ich schließlich auch als Italiener durchgehen. Was soll ich sagen: Ich wurde entdeckt. Das sorgte für allgemeine Heiterkeit, nicht aber für eine beiläufige Einladung zum Hochzeitsessen, auf die ich insgeheim gehofft hatte.
Scherz. Aber ich muss bei jeder feiernden Hochzeitsgesellschaft daran denken, dass ich vor doch schon ein paar Jahren einmal als Passant von der Dorfstraße gepflückt und zu einer burgenländischen Hochzeit eingeladen wurde, wo ich genauso viele Beteiligte kannte wie hier in Trani. Damals war ich sehr spät, sehr satt, und sehr betrunken von dannen gezogen. Jetzt brauchte ich eine Idee, wo ich meinen nagenden Hunger stillen könnte.

Was ich fand, war eine kleine Osteria in der Nähe des Bezirksgerichts von Trani, wobei man sich das Bezirksgericht durchaus als ein historisches Gebäude vom Format eines Wiener Ringstraßengebäudes vorstellen sollte. Die Osteria namens Frangipane war nicht besonders anheimelnd eingerichtet, klimatisiert, was ich schon gar nicht mag, und leer, was auf das Schlimmste schließen ließ. Aber erstens hatte ich Hunger, und zweitens sollte ich mich täuschen. Es war knapp nach eins, als ich eintraf. Einheimische denken zu dieser Zeit noch nicht einmal an die Worte „buon appetito“. Die Klimatisierung erwies sich als ausgesprochen angenehm, als mein Schweiß zu trocknen begann. Und dann gab es ein Gericht, das ich nie wieder vergessen werde. Es war ein einfaches Gericht, ein Carpaccio vom Gambero rosso, der Roten Riesengarnele (Aristaeomorpha foliacea). Dieses Carpaccio war eine Offenbarung. Es bestand aus gar nicht so dünn geschnittenen Scheiben besagten Krustentiers, die allerdings schon beim ersten Bissen allen Vorurteilen zum Trotz unglaublich zart und geschmackvoll waren. Das lag einerseits an ihrer Qualität, andererseits an der Temperatur. Die Küche hatte nicht, wie das andernorts die Regel ist, einen Gambero aufgeschnitten und den Teller in den Kühlschrank gestellt, sondern das Tier zuerst Zimmertemperatur annehmen lassen und es dann, als die Bestellung hereinkam, aufgeschnitten. Dazu gab es nicht viel mehr als eingelegte Gurken und ein bisschen mit Minze aromatisiertes Olivenöl, was sich als weise Entscheidung erwies. Ich saß also, ein Glas Vermentino nebenan, vor diesem Teller und ließ mich von ihm irgendwohin mitnehmen, wo das Glück und die Zufriedenheit zu Hause sind.
Inzwischen kamen noch andere Gäste. Einige von ihnen waren ganz offensichtlich Rechtsanwälte, jedenfalls die einzigen Italiener, die ich je um diese Tageszeit gesehen habe, die Anzüge und Krawatten trugen. Sie nahmen am Nebentisch Platz, und drei Mal dürft ihr raten, was sie bestellten. Wären sie vor mir da gewesen, hätte ich ihnen mein Glück verdankt. Jetzt durfte ich stolz darauf sein, selbst dessen Schmied gewesen zu sein. Ich aß noch einen kleinen Risotto mit gegrilltem Sepia und gereifter Ricotta, der sehr gut, aber nicht von der utopischen Qualität des Carpaccio war. Dann rundete ich die Mahlzeit mit einem Espresso, Einzelpreis: ein Euro, ab und entließ mich gestärkt und beglückt zurück in die Hitze.

Natürlich suchte ich in den kommenden Tagen auch andere Sehenswürdigkeiten auf, die Friedrich II. in Auftrag gegeben hatte. Die spektakulärste davon ist zweifellos das Castel del Monte, eine Konstruktion von solcher Strenge und Kargheit, dass ich es aus der Ferne zuerst für einen Flakturm hielt. Das ist ungerecht, ich weiß. Das Castel gilt als „Steinerne Krone Apuliens“ und ist von Geheimnissen umgeben. Die innere Harmonie des Gebäudes stammt vom oktogonalen Grundriss, der wiederum von acht ­oktogonalen Türmen ergänzt wird. Bei der Vermessung des Castels wurden Unregelmäßigkeiten festgestellt, etwa bei den Wandbreiten des Innenhofs, auf den ich jetzt hinunterblickte. Steckte dahinter ein ausgetüftelter Plan? Forscher stellten fest, dass die Länge des Schattens am Tag der Herbst-Tagundnachtgleiche exakt der Hofbreite entspricht, dass er einen Monat später so lang ist wie die Summe aus Hof- und Saalbreite und noch einen weiteren Monat später bis zur Außenkante der Türme reicht. Zufall? Oder Stoff für Dan Brown? Ich ließ mich jedenfalls vom geometrischen Charme des Castels einfangen, blieb sicher ein oder zwei Stunden, wanderte durch die großteils identischen Räume, suchte den Ausblick auf Barletta, Trani und Bisceglie und die dahinter funkelnde Adria und versuchte, den Schwingungen des Ortes nachzufühlen. Ich verließ den Ort nur, weil ich hungrig war und weil ich einen Tisch in einem nahe gelegenen Agriturismo namens Il Pino Grande reserviert hatte.

Hätte ich das Wirtshaus nicht im Süden Italiens, sondern im Süden Deutschlands angetroffen, hätte ich mir gedacht, es könnte Wilhelm Hauffs Wirtshaus im Spessart Pate gestanden sein. Sie erinnern sich: jener Spukort, wo Räuber um Mitternacht das Haus entern, um die Gäste zu stehlen.
Das Haus war düster. Ein riesiger deutscher Schäferhund schaute mich streng an, sobald ich aus meinem Fiat 600 stieg. Als ich mich über die Schwelle der Osteria ins Innere des Hauses gerettet hatte, war ich nicht sicher, ob ich vor dem Hund oder vor dem Menschen, der für dieses Tohuwabohu verantwortlich war, mehr Angst haben sollte. Dass sich niemand blicken ließ, verbesserte mein Gefühl nicht. Schließlich tauchte der Hausherr auf, ein Tuch um den Kopf geschlungen wie Johnny Depp in Pirates of the Caribbean. Ich dachte ernsthaft darüber nach, ihm zu sagen, ich hätte mich in der Tür geirrt, entschuldigen Sie bitte die Störung. Aber er lächelte ein bisschen schäbig und sagte mehr bestimmend als fragend zu mir: Christian?!
Was sollte ich sagen? Er hatte ja recht.

Ich wurde in einen Gastraum gebracht, wo früher eindeutig Vieh untergebracht gewesen war. Ich war natürlich der einzige Gast und musste mich erst ein paar Sekunden an das Halblicht gewöhnen, das im krassen Gegensatz zum grellen Sonnenlicht draußen stand. Dass ich unzufrieden war, ist nicht der richtige Ausdruck für die Demütigung, die ich erfuhr. Ich war sauer auf den Stall, in dem ich saß, auf den Piraten, der mich hier sitzengelassen hatte, auf das Wirtshaus im Spessart und vor allem natürlich auf mich selbst, weil ich nicht in der Lage war, ein paar ganz einfache Worte auszusprechen. „Entschuldigen Sie, es gefällt mir hier nicht, ich gehe wieder.“ Falls Sie das in italienischer Übersetzung brauchen: „Mi scusi, non mi piace qui, me ne vado.“
Ich bestellte seufzend eine Porchetta und eine kleine Pasta, um mich nicht allzu lange hier aufzuhalten. Aber dann kam diese Porchetta, dünne, saftige Scheiben Schweinefleisch mit gerösteten Paprikaschoten und eingelegten Puntarelle, die auf der Karte unscheinbar als „Zichorie“ aufgeschienen waren. Sie hatten die Zeit seit dem Winter offenbar in einer süßsauren Lake verbracht, die so generös und beherzt abgeschmeckt war, dass die Bitterkeit der Puntarelle perfekt eingehegt war und dem Gericht virtuos ihren Stempel aufdrückte. Vom einen Augenblick auf den nächsten war ich mit mir und der Welt zufrieden. Auch die Lasagne, die ich bestellt hatte, war außergewöhnlich gut, „fatto in casa“. Wer glaubt, dass eine ganz normale Schichtung von Pasta und Gemüse (mit einer krönenden Scheibe Speck) keine Delikatesse sein kann, weiß nicht, aus welchen Kleinigkeiten kulinarisches Glück zusammengesetzt ist. Okay, für einen mehrwöchigen Aufenthalt würde ich das Pino Grande vielleicht nicht empfehlen, aber einen Abstecher ist es allemal wert. Der Wirt wunderte sich jedenfalls nicht, als ich sämtliche Gläser mit eingelegter Puntarelle kaufte, die noch auf dem Regal für den Verkauf an Hausgäste standen.

Ich blieb zwei Wochen in Apulien, genoss die Hitze, aß in vielen Trattorien und Osterien und machte einen großen Bogen um Lokalitäten, die sich selbst als Ristorante bezeichnen. Dabei fand ich nicht nur ein wundervolles kleines Wirtshaus namens La Tradizione, das, wie sich zeigte, fast ausschließlich von Einheimischen frequentiert wurde, sondern einen ganzen Ort. Der Ort heißt Minervino Murge und hockt so abenteuerlich unerschrocken auf dem Rücken eines steil ansteigenden Hügels, dass es besser ist, schwindelfrei zu sein, wenn man hier zum Mittagessen vorbeikommt. Die Osteria La Tradizione befindet sich knapp hinter dem Abgrund. Hier bekam ich die vielleicht deftigste Mahlzeit meiner Apulientage, aber nicht ohne Charme: eingelegten Fisch, Schinken, fett geschnittene Salami, Eingelegtes, Schnecken. Dazu gab es einen Rosé aus der Karaffe, den ich gern auch einmal zu Hause trinken würde, außer, dass man so einen Rosé außerhalb von Minervino nirgendwo bekommt.

Über den Hausdächern standen die Dohlen und spielten im Aufwind. Wenn du den Ort der Länge nach durchschreitest, gehst du die eine Straße hinauf und die zweite hinunter. Ich weiß nicht, wie viele Menschen hier leben (Wikipedia weiß von knapp 3.500), aber was ich weiß, ist, dass sie zum Einkaufen zwischen fünf Metzgereien, vier Gemüsegeschäften und zwei Fischgeschäften wählen können, wenn sie abends etwas kochen wollen. Ich kürze mein übliches Lamento also ab, indem ich sage, dass der Untergang des Abendlands keineswegs unausweichlich ist, wenn sich das Abendland nämlich seiner wahren Bedürfnisse besinnt. Und mit „eines Besseren“ ist sicher nicht die höchste Supermarktdichte Mitteleuropas gemeint. Amen.

Es war tatsächlich der letzte Abend angebrochen, bevor ich wieder nach Norden aufbrechen musste. Also saß ich voller Vorfreude im Gastgarten von Pietro Zito. Schon als ich mein Auto auf dem kleinen Dorfplatz eingeparkt hatte, der an Pietros Gastwirtschaft grenzt, kam mir ein weißhaariger Herr zu Hilfe. Er wies mich ein, zeigte mir an, wie viel Platz ich noch hatte, um zurückzustoßen, was praktisch war, weil er direkt vor dem Objektiv der Rückfahrkamera stand. Ich wusste nicht recht, ob der Mann ein Parkwächter von Pietros oder von eigenen Gnaden war. Zur Sicherheit gab ich ihm ein paar Euro, ich nehme an, ein paar Euro weniger, als er für angemessen gehalten hätte, sonst wäre er nicht wortlos von dannen gezogen.

Die Situation erheiterte mich. Der Kellner hatte mir bereits ungefragt ein Glas Prosecco gebracht, das erstaunlich gut schmeckte. Über mir rankte sich eine Weinrebe und Drähte, an denen bunte Glühbirnen hingen. Inzwischen hatte ich natürlich herausgefunden, dass Pietro Zitos Antichi Sapori nicht irgendeine Klitsche links von der Hauptstraße ist, sondern dass ihr Inhaber sich in langen Jahren ernsthafte Berühmtheit erworben hat, was auch die Wartezeit auf einen Tisch in seinem Garten erklärt. Pietro Petroni, der Chef von Lama di Luna, hatte mir erzählt, dass es Zito gewesen sei, der mit den Früchten seines Gartens und seinen traditionellen Fähigkeiten als Koch etwas Außergewöhnliches begründet habe: die Wiederentdeckung der traditionellen Küche Apuliens. Die sei nämlich verschütt gegangen. In den Neunzigern habe es in den Osterien dieses Landstrichs „Lachs-Pennette und französischen Champagner“ gegeben, aber sicher keine Gerichte, wie sie sich die Bauern des Landstrichs selbst zubereitet hätten.

Pietro Zito selbst beschreibt das so: „Ich erinnere mich genau an den Tag, als ich das Restaurant eröffnete. Mein erster Gast war Graf Onofrio Spagnoletti Zeuli. Nachdem ich alle verfügbaren Primi aufgezählt hatte, fragte er, ob es noch etwas anderes gäbe. Ich war in großer Verlegenheit und erfand den banalsten aller Gänge: Orecchiette mit wildem Rucola. Ein Gericht, das damals auf der Karte jedes Restaurants in der Gegend nur belächelt worden wäre – und doch entschied sich Graf Onofrio genau dafür. Sofort eilte mein Vater auf die Felder, um wilden Rucola zu holen, und meine Mutter begann, Orecchiette zu kneten. Von da an sind wir nie mehr von diesem Weg abgewichen.“ Agostino Petroni, der Sohn des Lama di ­Luna-Inhabers, der als Journalist für
Atlantic Monthly und National Geographic arbeitet, erzählte mir von Menschen, die ihren ganzen Aufenthalt in Süditalien um mögliche Reservierungen bei Pietro Zito planen.

No pressure, aber die Latte lag schon ganz schön hoch hier im Gastgarten.
Was soll ich sagen: Das Essen war gut, aber es entzückte mich nicht. Ein Tomatensalätchen mit Burrata und Portulak. Ein wachsweiches Ei mit einer Tomatensalsa. Eine gefüllte Zucchiniblüte. Ein Gemüseflan. Schließlich ein Assortimento von Coppa, Salami, Pecorino und, ach, wirklich fantastischer Ricotta, bevor die Orecchiette kamen, die schon Graf Onofrio verzückt hatten. Als Höhepunkt des Menüs stellte der heitere Kellner eine Schüssel mit roher Gurkenmelone und halbierten Tomaten aus dem Ort auf den Tisch, die zeigen sollten, was so ein apulisches Gärtchen alles hervorbringt. Leider hätte das Gemüse durchaus noch ein paar Tage an der Sonne brauchen können, aber wer bin ich, um das zu beurteilen.

Als ich schon dabei war, meinen Baba au rhum zu verspeisen und den abschließenden Kaffee zu bestellen, traf noch eine Großfamilie ein, samt sechs-, sieben-, achtjährigen Kindern, sodass ich mich in Kindheitstage zurückversetzt fühlte, als ich spätestens um zehn zu Hause sein musste. Die Hauskatze hatte mich längst als schwächstes Glied in der Kette erkannt und ließ mich während der gesamten Mahlzeit nicht aus den Augen. Die Rechnung war ein bisschen höher als an den meisten anderen Orten, an denen ich gegessen hatte.
Würde ich wieder hierher zurückkehren? Oder besser gesagt: Werde ich wieder hierher zurückkehren?
Selbstverständlich. Das bin ich Pietro Zito, mir selbst und Señora Monica schuldig. —

Terrasse des Agriturismo Lama di Luna: Blick auf die Adria inklusive

Lama di Luna, der Innenhof: bäuerliche Architektur, kulturelle Aufwertung
Kathedrale von Trani: Die Hochzeits-
gesellschaft ist schon anwesend

„Sie heiraten“, sagte er. „Ich freue mich so.“ Ich wusste noch nicht, wer „sie“ sind, aber ich freute mich auch.

Pasta mit Seeigel: Spezialität im Ristorante Cosimino, Bisceglie
Castel del Monte: gravitätische Architektur, bestes Essen um die Ecke
Orechiette mit Rucola: Im Antichi Sapori in Montegrosso ein Pflichtgericht

„Ich war in großer Verlegenheit und erfand den banalsten aller Gänge: Orecchiette mit wildem Rucola.“ Pietro Zito

Speisesaal bei Pietro Zito in Montegrosso: rustikale Küche mit maximalem Verfeinerungsgrad

Ich saß also, ein Glas Vermentino nebenan, vor diesem Teller und ließ mich
von ihm irgendwohin mitnehmen, wo das Glück und die Zufriedenheit zu Hause sind.

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