Das Superhirn

Gaggan in Bangkok feiert den Gewinn des „Asia’s 50 Best Restaurants 2025“- Titels. Tatsächlich kocht Gaggan Anand so gut wie noch nie und macht dabei auch noch mit provokanten Kreationen wie „Rat Has Brains“ von sich reden.

Die Begrüßung der Gäste am Gaggan-Chef’s-Table ist so eigenwillig wie auch alles andere, was an diesem Abend noch folgt: „Willkommen zu dem, was wir die größte Shit-Show der Welt nennen“, sagt der Meister und wählt zur Einstimmung „Heroes“ in der Version von Moby und Mindy Jones auf seiner Playlist.

Bei Gaggan Anand für das 25 Gänge-Menü am Chef’s Table zu sitzen, ist nach wie vor eines der weltweit großartigsten kulinarischen Erlebnisse. Die Inszenierung, das Essen und die dazu offerierte Weinbegleitung sind outstanding. Ein gastronomischer Roller Coaster in zweieinhalb Stunden mit fantastischen Interpretationen der indischen, japanischen und thailändischen Küche, Musik und persönlichen Ansagen. Große Oper mit allen Zutaten, ein intensives grenzüberschreitendes Erlebnis, das niemanden kalt lässt. Unter den Gästen sind nicht nur private Feinschmecker, sondern auch Küchenchefs von namhaften Restaurants aus aller Welt. Nach einem Besuch am Gaggan-Chef’s-Table sehen selbst erfahrene Kräfte ihr Business in einem neuen Licht.

Der allgemeine Trend zum regionalen Produkt, zu Zero-Mile-Spezialitäten ist auch in Bangkok ein Thema. Gaggan Anand hat dazu seine eigenen Auswahlverfahren. „Wir haben lange nach einem geeigneten Produkt in der Großstadt gesucht. Die Wahl fiel letztlich auf Ratten: Die Population ist riesig, sie wachsen in ihrem natürlichen Biotop auf und man hat sie jederzeit frisch zur Verfügung“, erzählt Gaggan vor dem Service des annoncierten Gerichts, um dann fortzufahren: „Wir sammeln die prächtigsten Exemplare in der Regensaison ein. In unserer kleinen Farm geht es ihnen gut, wir bürsten sie und sorgen auch für die Pediküre der Krallen. Wir füttern sie mit Kräutern, Mais und Milch, geben ihnen auch guten Natural Wine zu trinken. Bevor wir sie zubereiten und kochen, erhalten sie noch eine Extramast mit erlesenem Whisky. Einen nachhaltigeren Genuss kann man in Bangkok nicht bekommen. Und wir sind besonders stolz darauf, dass wir Ihnen exklusiv das ausgelöste und zart pochierte Gehirn einer echten Straßenratte aus Bangkok servieren können.“

Was dann kommt, ist ein kleines cremefarbenes Stück „Hirn“ mit den typischen Furchen und roten Adern. Im Mund schmeckt es cremig, es ist angenehm zart und hat ein wenig süße Noten. Jeder Gast am Chef’s Table degustiert das Gericht nach Gaggans Intro mit entsprechendem Respekt und unterschiedlichen Gefühlen. Einige Gänge später folgt ein weiterer Gang zum Rattenthema und die Erzählung, dass die kurz blanchierten Rattenkörper wie im berühmten Pariser La Tour d’Argent durch eine extra in Japan konstruierte Maschine gepresst werden, um einen möglichst naturbelassenen und wohlschmeckenden Saft zu gewinnen. Auch wenn die Mehrheit der Gäste in diesem Moment ahnt, dass sie hier keine Ratte essen, bleibt doch die Ungewissheit, was man hier genau zu sich nimmt. Derart brillante wie provokante Ansagen machen Gaggan Anand zum Superhirn der Spitzengastronomie. Denn natürlich ist das Ganze eine Persiflage auf das gängige Greenwashing in der Branche, auf den dubiosen grünen Michelin-Stern, eine bissige Ansage auf die Verherrlichung von geringen Lieferkilometern als Qualitätsmaßstab für Lebensmittel.

Vor zehn Jahren wurde Gaggan im Jahr 2015 das erste Mal zum Gewinner von „Asia’s 50 Best Restaurants“ gewählt. Eine Ehre, die ihm auch in den folgenden drei Jahren zuteil wurde. Covid und ein neuer Standort sorgten dann für eine Unterbrechung. Kürzlich erfolgte das Nummer-eins-Comeback. Gaggan ist abermals das beste Restaurant in Asien 2025.

Es ist großartiges Fine Dining am Teller – und es ist die absolute Rebellion dagegen. Kreationen wie der Lick-it-up-Teller und der Joghurt-Explosion-Löffel sind längst Legende und in der einen oder anderen Variante auch stets im Menü. „Mein Essen ist so wie ich – geradliniger Minimalismus auf den Punkt. Wir verwenden keine essbaren Blumen, haben keine Beilagen. Das ist es, was ich von Japan gelernt habe. Es ist einfach und hochtechnisch. In den drei Minuten eines jeden Gerichts, das Sie essen, werden wir Ihnen eine Überraschung bieten, und es soll gut schmecken.“ Bemerkenswert auch, dass im Gaggan sogenannte Desserts in der Speisenfolge zwischendurch und en bloc am Ende kommen. Das verhindert den Zuckerrausch zum Schluss und sorgt zugleich für weniger vorhersehbare Abläufe.

Gaggan ist längst als Food Opera etabliert. „Ich will Geschichten erzählen und die Menschen überraschen. Heutzutage betritt man ein Restaurant und bekommt gleich zu Beginn die Zutaten präsentiert. In den Erklärungen geht es nur noch um den Landwirt und das Farm-to-Table-Konzept, das die Leute vorantreiben. Ehrlich gestanden ist jede dieser Geschichten ziemlich langweilig.“

Woraus genau die vermeintlichen Rattenhirne gemacht sind, verrät Gaggan seinen Gästen den ganzen Abend lang nicht. Die Rezepturen dafür haben sich mit der Zeit auch verändert. Anfangs war es eine Art Pannacotta aus Spargel und Zwiebeln, später wandelte die Küche dafür ein klassisches Soubise-Rezept ab. Die aktuelle Version ist tatsächlich tierischen Ursprungs, in der Verwendung stehen Ziegenhirn und Satay-Sauce.

Die Playlist des Abends ist stets Chefsache. Eigentlich wollte Gaggan ja Schlagzeuger werden. Aus der wirklich großartigen Tonanlage schallen je nach Stimmung und Speisen die Foo Fighters, Pink Floyd, Max Richters „Vivaldi Recomposed“ oder auch mal – schluck – die Backstreet Boys. „Wir leben in einer Kultur, in der die Menschen die ganze Zeit am Mobiltelefon sind. Wir alle sind süchtig nach unseren Telefonen. Die Leute haben angefangen, mit nur einer Hand zu essen, weil die andere Hand am Telefon ist. Wir tun alles Mögliche, um das zu unterbinden, damit man sein Handy nicht benutzt. Muss man wirklich Fotos oder Videos von jedem Moment machen? Wenn die Leute ihre Telefone weglegen, essen, trinken, zuhören oder auch singen – das ist oft die Krönung in einem gut laufenden Service.“

Christian Grünwald

Gaggan Anand schockt die Gäste mit seinem Rattenhirn-Gericht (oben)