Der Mythos lebt
Ins Pariser Maxim’s kommt man vor allem wegen der Historie – die ist lang und mehr als beeindruckend.
Es gibt nur wenige Lokale, die als regelrechte Mythen gelten, die so gut wie jeder kennt und deren bloße Namensnennung Assoziationen weckt. Das Maxim’s ist eines davon. Mit dem Unterschied, dass in diesem Fall nicht nur der Klang seines Namens, sondern auch sein Erscheinungsbild weltweit bekannt ist. Verantwortlich dafür ist der verstorbene Modedesigner Pierre Cardin, der das legendäre Lokal im Jahr 1981 erwarb und das Maxim’s zu einer Marke ausbaute. Cardin eröffnete Ableger und Boutiquen und bedruckte alles Mögliche, darunter Parfums, Kleidung und sogar Käse mit dem Schriftzug aus den scheinbar tanzenden sechs Buchstaben.
Der Bekanntheitsgrad nahm weiter zu, der Mythos aber schwand. Eine Zeit lang kamen nur mehr Touristen, bis der tägliche Betrieb eingestellt wurde und eines der berühmtesten Restaurants der Welt zur reinen Event-Location verkam. Dann, im vergangenen November, beendete den Dornröschenschlaf die Firma Paris Society, die bereits weitere legendäre Lokale an spektakulären Orten in Paris betreibt, darunter das Giraffe gegenüber vom Eiffelturm oder das Laurent in einem prächtigen Stadtpalais nahe den Champs-Élysées.
Und so geht man heute wieder „zu Maxim“, wie es bereits Graf Danilo in der Operette Die lustige Witwe aus dem Jahr 1905 tat. Tatsächlich war es ein Kellner namens Maxime Gaillard, der nur acht Jahre zuvor das Lokal in der Rue Royale, nahe dem Place de la Concorde, eröffnete und ihm eine anglisierte Form seines Vornamens gab, was offenbar schon damals als cool galt.
Empfangen (und gründlich gemustert) wird man von einer sehr großgewachsenen Hostess, die genauso gut über einen Laufsteg schreiten könnte, sowie von einem sehr breit gebauten Rausschmeißer. Danach geht’s zur Cocktailbar in den ersten Stock, über ein verspiegeltes Treppenhaus, das wirkt wie der Wiener Graben in der Adventzeit nach einer Überdosis Weihnachtspunsch. So wie im gesamten Lokal wurde auch hier der Originalzustand weitgehend bewahrt, lediglich der Tresen etwas versetzt und adaptiert, um aus einer Champagner- eine Cocktailbar zu machen, wie der Barkeeper erzählt. Einrichtung und Dekors aus der Zeit der vorigen Jahrhundertwende stammen von verschiedenen Künstlern und wirken geradezu wie eine Karikatur jugendstilistischer Üppigkeit. Nymphen, Seerosen, schlängelnde Blüten und Pflanzen, funkelnde Spiegel, glänzendes Akazienholz, Kupfer, Messing und roter Samt, wohin man auch blickt. In Zeiten der Belle Époque verkehrte hier das „Tout Paris“ – Künstler, Adel und Geldadel, Schauspielerinnen, Tänzerinnen und Damen von zweifelhaftem Ruf; und während der Besatzung im Zweiten Weltkrieg vor allem hochrangige Nazis. Nach der Befreiung kehrten die Promis zurück, der Michelin vergab drei Sterne, bald galt das Maxim’s als eines der besten und teuersten Restaurants der Welt.
Heute stellt sich der Kellner mit Vorname vor, was zwar nicht unsympathisch, aber doch eher ungewöhnlich ist für Paris – und allemal für ein Restaurant mit diesem Anspruch. Die Speisekarte verspricht in erster Linie Klassiker der bürgerlichen französischen Küche, was wiederum, angesichts des Orts und seiner Fama, durchaus passend scheint. Darunter Lachs, Hummer, Kaviar, Entenleber und Froschschenkel. Einiges ist für zwei Personen gedacht, kommt auf hübschen Wägen daher und wird von Michel (dem Kellner) mehr oder weniger geschickt serviert. Darunter ein Brathuhn à la Henri IV. mit eher nichtssagenden Morcheln auf einem imposanten Berg Erdäpfel. Oder die weitaus befriedigenderen und gewohnt spektakulären Crêpes Suzettes.
Dass das Essen hier nicht die erste Geige spielt, erscheint nur folgerichtig und wird auch in allen anderen Lokalen der Betreibergruppe so gehalten. In erster Linie kommt man eben wegen der Historie, wegen des Mythos, der Location, des Dekors. Dass das Erlebnis dennoch nicht wirklich stimmig ist, der Zauber nicht richtig einsetzt, liegt am, gemessen an den Preisen, dann doch etwas zu wenig gepflegten Essen und Michels überraschend schleißigem Service, aber auch an der Musik. Gegen 22 Uhr betreten drei Herren mittleren Alters in schlecht sitzenden Anzügen mit Krawatten und Gitarren die kleine Bühne und spielen „The Dock of the Bay“ von Otis Redding oder „Unchain my Heart“ von Joe Cocker. Allesamt Hadern, die hier, wo der Geist von Marlene Dietrich, Josephine Baker, Édith Piaf und dem Grafen Danilo weht, eigentlich rein gar nichts verloren haben. „Paris wird erst dann verdammt sein, wenn das Maxim’s verschwindet“, schrieb einst der Stammgast und Schriftsteller Jean Cocteau. Doch der verstarb 1963, da war Paris noch eine andere Stadt. Und das Maxim’s ein anderes Lokal.