Im Finale

Ob Karamellvulva oder Eierlikörrezept: Der erste Eindruck zählt, der letzte Eindruck bleibt. Wie und womit Gastronomen den ­Abschluss eines Restaurantbesuchs gestalten.

Text von Anna Burghardt
Illustration von Josephine Warfelmann

Und das Menü geht in die Verlängerung!“ Wie in einem Fußballmatch gibt es auch bei Restaurantbesuchen einen Abschnitt nach Ablauf der regulären Spielzeit. Diese endet in der rudimentären Version mit: „Bitte zahlen!“, Rechnung, „Auf Wiedersehen!“, gehen. Das gesetzliche wie gesellschaftliche Soll ist damit erfüllt. Für manche Gäste macht aber erst ein Abstecher in die Küche oder ein Foto mit der Küchenchefin den Besuch komplett, gerade wenn lange darauf hingefiebert und womöglich eine längere Anreise in Kauf genommen wurde. Anderen ist eine vom Chef signierte Menükarte wichtig, oder sie wollen unbedingt ein Glas oder eine Flasche aus dem Merchandising-Regal mitnehmen. Viele Gastronominnen und Gastronomen machen sich darüber Gedanken, wie man einen Lokalbesuch enden lassen kann beziehungsweise wie man die Verlängerung gestaltet; wie man für die Gäste Erinne­rungswerte schafft, die über ein Menü hinausgehen, wie man nach Abschluss des eigentlichen Konsums zusätzliche Wertschöpfung betreiben kann, wie man als Lokal selbst im Gespräch bleibt – und das nicht bloß durch eine Visitenkarte im Rechnungsetui.

Ein wenig Kunstaffinität muss sein
Den Akt des Zahlens selbst mit einem Mehrwert aufzuladen, ist eine Möglichkeit. Im Aend im fünften Wiener Bezirk etwa hat man die Rechnung jahrelang in einer Nostalgie-Blechdose von Manner gereicht. „Das war eh ganz nett, es waren aber eben nur Manner-Boxen“, sagt Aend-Chef Fabian Günzel. Er wollte jenen Teil des Restauranterlebnisses, bei dem „wir leider den Gästen Geld aus der Tasche ziehen müssen“, deutlich aufwerten. Und ließ sich vom in Wien lebenden Künstler Jakob Gasteiger, dem Museen wie die Albertina schon Einzelausstellungen widmeten, Rechnungsboxen gestalten. Günzels ursprünglicher Wunsch war, dass Gasteiger auf den Boxen wie bei seinen bekanntesten Werken dicke Farbmasse mithilfe einer Kammspachtel zu seinen charakteristischen Furchen zieht. Der Künstler brachte ihn davon aber ab, erzählt Günzel: „Die Gefahr der Abnutzung war zu groß, die Boxen werden ja mehrmals täglich angegriffen.“ Jakob Gasteiger bot ihm an, kleine Aluminiumgüsse auf dunkle Walnussholzboxen eines befreundeten Tischlers zu montieren. Vier solcher Werke, von Gasteiger sig­niert, warten nun im Aend auf ihren Einsatz als Abschluss des Restaurantbesuchs. Vor allem kunst­affine Gäste reagieren stark darauf, sagt Fabian Günzel. „Die Boxen sind auch haptisch sehr interessant, die Leute greifen gerne den Metallteil an. Und wenn sich jemand richtig gut auskennt, die Box umdreht und sieht, dass die kleine Skulptur wirklich von Jakob ist, nickt er vielleicht anerkennend. Das sind die Momente, über die auch ich mich besonders freue.“ Für ihn fügen sich diese Rechnungsboxen schön in sein Konzept. „Ich bin kunstaffin, und ich liebe Unikate.“ Im Aend hängen Werke von Erwin Wurm und anderen Künstlern, das gesamte Geschirr ist maßgeschneidert, kommt von Kreativen wie Petra Lindenbauer, die unter anderen auch das Steirereck beliefert.

Auch zu seinen Menüzetteln, die die Gäste mitnehmen dürfen, hat sich der Aend-Chef viele Gedanken gemacht. Eine Version des niederländischen Kochstars Sergio Herman ist ihm als Gast dort besonders in Erinnerung geblieben: „Längs, schwarz und dazu ein Zettel, auf dem man mitschreiben konnte.“ Im Aend bekommen die Gäste zu Beginn ein ­schmales schwarzes Kuvert, in dem der Zettel mit dem Menü steckt. „Es ist doch immer ganz schön, wenn man etwas auffalten kann, wenn da nur ein schwarzer Umschlag liegt. Aber verwurschtelt auf dem Tisch liegen soll die Karte dann auch wieder nicht, also gibt es zusätzlich kleine Aufsteller mit dem Menü.“ Dass Gäste oft am Schluss anhand dieses Kärtchens das Menü noch einmal Revue passieren lassen, den Kontakt mit ihm, dem Küchenchef, suchen und ihm per Finger zeigen, was ihnen besonders gut gefallen hat oder auch nicht, sei eine zusätzliche Dimension: „So soll das doch sein!“

Die Geheimnisse der Matrjoschka
Auch im Mraz & Sohn kommt die Rechnung nicht in einem Leder­etui oder einem Umschlag zum Tisch, sondern versteckt in Matr­joschkas, die nicht unbedingt nach dem klassischen Schema bemalt sind. Darin findet man auch einen Stift, mit dem man sich selbst im Inneren der gedrechselten russischen Puppe verewigen kann,ähnlich wie auf einem Gipsarm oder auf einer Pub-Toilette. Der weiß getünchte Bauch einer solchen Mraz-Matrjoschka beherbergt ein Sammelsurium an kugelschreiberblauen Wortfetzen wie „J + A“, „Kimchis“, „HUHU“, „Lisl Geburtstag“. Zu Vorstellungsbeginn sozusagen sehen die Gäste im Mraz & Sohn seit Jahren keine Speisekarte mehr, vielmehr kommt ein Supermarkteinkaufswagen mit den jeweiligen Zutaten des Tages angefahren. Die kalkuliert trashig gestaltete Menükarte gibt es – gemeinsam mit einem Apfel samt eigenem Aufkleber als Give-away – erst bei der Verabschiedung an der Tür.

Adieu mit Eierlikör
Ein weiteres Lokal, in dem das Überreichen der Rechnung dramaturgisch aufgeladen wird, ist das Restaurant Sühring in Bangkok. Die Berliner Zwillingsbrüder Thomas und Mathias Sühring servieren in der thailändischen Hauptstadt seit dem Jahr 2016 deutsche Hausmannskost-Klassiker wie ­Eisbeinsülze, Obatzda und Brathering auf einem Niveau, das sie derzeit zur Nummer 23 im The World’s 50 Best-Ranking macht. Ganz zum Schluss wird ein Gläschen Eierlikör nach einem Rezept der Großmutter der beiden Köche gereicht. Das handgeschriebene schwarze Kochbuch, in dem sich dieses Rezept findet, hat hier als Mappe für die Rechnung seinen großen Auftritt – aufgeschlagen auf exakt der Seite mit dem Eierlikörrezept. „Anfangs haben wir das originale Buch verwendet, aber die Leute haben zu viel hineingekritzelt.“ Mittlerweile sind Faksimile im Einsatz.

Kunstwerk Menükarte
Den Gästen gleichsam zur Verlän­gerung ihres Restaurantbesuchs Menükarten mit nach Hause zu geben, teilweise mit der tatsächlich konsumierten Getränkebegleitung, ist mittlerweile Usus. Ob die Blätter dann wirklich als Erinnerung aufgehoben, zum ­Angeben oder als zukünftige Weineinkaufshilfe gehortet oder auch weggeworfen werden, obliegt dem Gast. Im Atelier Moessmer von Norbert Niederkofler wird die Rechnung in ­einem Cover aus Lodenstoff aus der gleichnamigen Tuchfabrik im Süd­tiroler Bruneck gereicht, das Menü zum Mitnehmen kommt in ­einen je nach Jahreszeit anders farbigen Umschlag, der von Niederkofler persönlich unterschrieben ist. Bei Andreas Caminada auf Schloss Schauenstein in der Schweiz wiederum finden die Gäste zu Beginn einen schwarzen Umschlag neben ihrem Platz vor, der das bei den Amuse-Bouches besprochene Menü, aktuell eine Karte zum 20-Jahr-Jubiläum und Samen enthält. Während des Essens füllt sich der Umschlag, nachdem manche Gänge von Kunstpostkarten begleitet werden, die als Souvenir gedacht sind, gestaltet von Caminadas Cousin Remo.

Karten aller Art
Im Steirereck darf man alle Kärtchen, die mit den einzelnen Gängen in die kleinen Aufsteller auf dem Tisch gesteckt werden, mit nach Hause nehmen. Die Tradition, den Abendgästen dank einer Kooperation auch die Abendausgabe der Zeitung Die Presse mitzugeben, gebe es seit der Übersiedelung aus der Rasumofskygasse in den Stadtpark, erzählt Steirereck-Chef Heinz Reitbauer. Die Rechnung selbst wird mittlerweile schmucklos überreicht, „früher hatten wir Schatullen, auch einmal aus Ton, aber das hat für uns nicht mehr wirklich einen Stellenwert. Der Gast will das eher unkompliziert, wir haben das deshalb aufs Notwendigste reduziert.“ Den Gag, die Rechnung in der Steirereck-Meierei „Milchmädchenrechnung“ zu nennen, erlaubt man sich dennoch. Das Steirer­eck setzt eher auf Souvenirs – vor allem in der Meierei und am Pogusch umsatztechnisch von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Klassiker sind zum Beispiel die eingelegten Vogelbeeren, die Chupetinhos, milde Chilis in Tropfenform, pikante und süße Nüsse oder das „Heinz“-Ketchup. Auf Reitbauers Pilzleidenschaft verweist ein Schwammerl-­Memory, das sicher zu den ungewöhnlicheren Restaurant-Andenken zählt. Ein ­eigenes Kochbuch, wie in so vielen Restaurants, gibt es noch nicht, ein Magazin sehr wohl. Jeder Gast erhält ein kostenloses Exemplar, „es sei denn, wir wissen, dass jemand gerade erst da war oder so“.

Merchandising-Vielfalt
Restaurant-Souvenirshops findet man unter anderem bei Andreas Caminada, der in der Casa Caminada gegenüber dem Schloss Schauenstein eine Vielzahl an Produkten wie Tees, Eingelegtes, Süßigkeiten, Messer oder auch eine Kochjacke anbietet. Ein Beispiel aus Österreich ist die Greißlerei der Geschwister Rauch, wo die hauseigene Produktlinie „Mein Bruder, der Koch“ zu haben ist – hier ­werden zum Beispiel Erdbeer-Waldmeister-Marmelade, Klachlsuppe und Käferbohnen-Hummus geboten. Die Slowenin Ana Roš ist längst ebenfalls auf den Merchandising-Zug aufgesprungen und bietet in der Hiša Franko Bärensalami ebenso wie Orange Wines, Kastanienhonig und Kapuzenjacken. Einer, der das Thema essbares Merchandising perfektioniert hat, ist der italienische Dreisterne­koch Niko ­Romito vom entlegenen Ristorante Reale in den Abruzzen. Er hat gemeinsam mit seiner Schwester Cristiana ­Romito in den letzten Jahren fast ein kleines ­Gastroimperium geschaffen, mit Lokalen in diversen Luxushotels der Bulgari-Kette, etwa in Tokio, Dubai und Paris, sowie seiner Delikatessenmarke „Laboratorio Niko Romito“ samt Flagshipstore in Mailand. Unter diesem Label bekommt man Gebäck, Nüsse, Säfte und anderes, alles in ausgesucht schlicht gestalteten, unverwechselbaren Verpackungen.

Wenn möglich persönlich
Während man als Gast für manche Souvenirs noch einmal in die Tasche greifen muss, sind Give-aways in Restaurants eine – wenngleich nicht uneigennützige – Geste der Großzügigkeit, sozusagen Bonusmaterial. Nicht uneigennützig insofern, als Dinge wie die Basteleien im Noma in Kopenhagen, die zur jeweiligen „Season“ passen, oder die mit dem (hoffentlich richtig geschriebenen) Namen des Gastes bestickten Servietten im Wiener Restaurant Tian eifrig auf Social Media zur Schau gestellt werden. Was ein Restaurantvielen potenziellen Gästen in Erinnerung ruft. Solche Give-aways gibt es recht häufig, wobei der Einfallsreichtum gern bei Marmelade und Gewürzsalz endet, also eher beliebigen Produkten, die mit der individuellen Küchenlinie nicht wirklich konkret etwas zu tun haben. Sven Wassmer vom Memories in der Schweiz, mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet, hat seinen Gästen unter anderem schon jenen Sauerteig mitgegeben, der im Laufe des Menüs am Tisch präsentiert wird: getrocknet, in Form eines Pulvers mit einem QR-Code, der zu einem Online-Rezept führte. Mithilfe dessen konnte man zu Hause das Brot aus dem ­Memories nachba­c­ken. In Sven Wassmers Augen verstärken solche Give-aways bei den Gästen nicht nur das Gefühl, dass ein Esserlebnis über den Tisch hinausgeht. Er spricht auch von einer Geste der Fürsorge. „Die Gäste fühlen sich geschätzt, besonders und stärker mit dem Restaurant verbunden. Es ist eine Geste, die sagt ,Wir denken an Sie, auch nachdem Sie ­gegangen sind‘, sie lässt das gesamte Erlebnis persönlicher und intimer­ ­erscheinen.“

Auch Bas van Kranen vom Amsterdamer Zweisterner Flore achtet darauf, dass seine Abschiedsgeschenke konkret etwas mit seinem Menü zutun haben. Er ist ein Fermentationsfreak mit einem Faible für Japan, verzichtet in seinem Restaurant aufgrund von Produktionsbedingungen auf Molkereierzeugnisse und arbeitet dafür umso mehr mit Koji-Produkten. Seinen Gästen gibt er, um einen Bezug zu den Gerichten des jeweiligen Tages herzustellen, ein Glas mit einer jener Mi­so­pasten mit, die in der Küche des Flore aktuell im Einsatz sind. Verpackt sind diese in attraktiven, sichtlich hochwertigen Schachteln mit Prägeschriftzug. Bas van Kranens Kalkül: „Die ­Verpackung muss so schön sein, dass die Leute sie sich wo hinstellen“ (und immer wieder an das Flore erinnert werden). „Unsere Kosten sind ­natürlich hoch, aber wir wollen den Gästen die Geschichten rund um unsere Küche zu Hause weiter­erzählen.“

Gleich eine ganze Landschaft in die Küchen der Gäste verpflanzen soll das neue Geschenk im Rote Wand Chef’s Table im Ortsteil Zug in Lech am Arlberg. Gastronom Josef „Joschi“ Walch gibt seinen Gästen neuerdings den „Duft von Zug“ mit: ein Elixier in einer Zerstäuberflasche, das sich die Gäste zu Hause über Salat oder Ähnliches sprühen können, um sich per Geruchssinn in die alpine Natur zurückkatapul­tieren zu lassen. Die beiden Küchenchefs Julian Stieger und Jamie Unshelm entwickelten gemeinsam ­einen intensiven Auszug von Wiesen- und Wald­aromen wie Waldmeister, Kiefer und Wacholder auf Wasserbasis.

Reaktionen erzeugen
Alles recht harmlos im Vergleich zu dem womöglich aufsehenerregendsten Gastro-Give-away überhaupt: den Vulven, die es im Berliner Lokal Nobelhart & Schmutzig vor einigen Jahren gab. Dessen Chef Billy Wagner weiß erstens, wie man im Gespräch bleibt, und ist zweitens ein politischer und kämpferischer Geist. Im Nobelhart & Schmutzig gab es von Anfang an immer „einen süßen Gang an der Tür, eine Wegzehrung“, erzählt Wagner. Ein Eis, ein Canelé, einen Fruchtgummi. „Damit die Gäste etwas haben, das sie vor dem Lokal essen können, wenn sie noch Fotos machen, oder auf dem Heimweg oder zu Hause nach dem Zähneputzen – da hat dann auch der Zahnarzt etwas davon.“ Handelt es sich bei den Gästen um Eltern von kleinen Kindern, bekommen sie eine zusätzliche Wegzehrung für den Babysitter mit. Zu den Karamellvulven war es im Rahmen einer Ausstellung in der Auslage des Nobelhart & Schmutzig gekommen, das Künstlerinnenkollektiv Vulvae hatte Vulven hingehängt, um unter anderem die steigende Zahl von Schamlippenkorrekturen zu thematisieren. Billy Wagner wollte dieses Statement auch im Lokal aufgreifen, ließ via Gipsabdrücken, die ein Künstler von Genitalien gemacht hatte, mehrere unterschiedliche Silikonformen herstellen. „Die haben wir mit Karamell bestrichen, nach dem Erkalten konnte man dann die Vulven abziehen.“ Diese Give-aways wurden den Gästen in Boxen mit einem erklärenden Text serviert, um jeglichen Verdacht der Sexualisierung im Keim zu ersticken. „Bei einem Tisch von vier Leuten waren es vier verschiedene Vulven.“ Die Reaktionen waren wie erwartet äußerst unterschiedlich. Es kam zu übergriffigen Kommentaren in Richtung Kellnerinnen – „Ist das Ihre?“ –, manche Gäste drohten mit Fernbleiben, andere waren begeistert.

Billy Wagner hat mit diesem Give-away realisiert, was ihm prinzipiell ein Anliegen ist: „Reaktionen zu erzeugen.“ Zu Reaktionen und Emotionen kommt es auch, wenn, wie etwa im El Celler de Can Roca oder einst im belgischen Hertog Jan, der Candy-Wagen mit kleinen Sackerln vorfährt und die Gäste sich noch einmal wie das Kind im Zuckerlgeschäft fühlen; wenn sich in so manchem japanischen Dreisterner das gesamte Team vor den Gästen hinterher verbeugt, so lange, bis diese nicht mehr zu sehen sind; oder wenn man als Gast im Eleven Madison Park, wo man vorab einen Paketpreis bezahlt hat, nach dem Essen einfach aufsteht und geht. —