Beten um Sonne

Früher galt das Wetter als unverfängliches Smalltalk-Thema. Beim Gespräch mit Weinmachern ist die Wetterlage heutzutage allerdings zur Hauptsache geworden. Das ist auch bei Dom Pérignon nicht anders.

Text von Christian Grünwald

Jean-Baptiste Terlay spricht viel über das Wetter. Er ist nicht Meteorologe, sondern Önologe und Winemaker bei Dom Pérignon. Beim Besuch des Weinguts in Hautvillers im Juni scheint zwar gerade die Sonne, aber das sei ­eine echte Ausnahme in diesem Jahr. „Wir hatten hier bislang eine Periode mit acht Monaten täglichem Regen.“ Die Champagne hat 2024 die feuchte Seite der aktuellen Wetter- und Klimakapriolen abbekommen. Die kühlen, nassen Frühlingstage, mancherorts auch Frost und Hagel, brachten alles, was man sich als Weinmacher im Weingarten nicht wünscht: Verrieselung und Mehltau, dazu verhaltenes Wachstum und schließlich auch noch Pilzkrankheiten, denen durch den langfristigen Entschluss zum biodynamischen Anbau ­besonders schwer zu begegnen war. Entsprechend niedriger wurden die Ernteerträge angesetzt. Trotzdem könnte auch in diesem lausigen Jahr ein gar nicht mal so schlechter Jahrgangschampagner entstanden sein. Für eine endgültige Einschätzung ist es noch zu früh, aber die Geschichte des Champagners ist keineswegs fix mit Sonnenschein verknüpft. „In den Aufzeichnungen von Dom Pérignon ist viel
von Jahren mit hohen Säurewerten und unbefriedigender physiologischer Reife zu lesen“, weiß Terlay. So gesehen ist es kein Wunder, dass die einst bescheidenen Weine der Region gerade hier durch die Méthode champenoise, bei welcher Wein durch die Zugabe von Hefe in der Flasche gärt, erstmals veredelt wurden.

In der Abtei Hautvillers, wo sich heute das Dom Pérignon-Hauptquartier befindet, hat der Mönch Pierre Pérignon gelebt, gebetet und gearbeitet – und wurde wegen seiner Verdienste um die Bubbles auch hier begraben. Jean-Baptiste Terlay hat mittlerweile 29 Ernten in der Champagne mitgemacht. „Früher haben wir damit im Oktober gestartet, jetzt ist zumeist im August Erntebeginn. Bezüglich Reife, Zucker, Phenole und Tannin hatten wir früher ein komplett anderes Rebmaterial.“ Die aktuelle Herausforderung für den Winemaker besteht im Erhalt der Kontinuität des Produkts. „Wir bewegen uns hier im Vergleich zum Stillwein in einer komplett anderen zeitlichen Dimension. Unser Champagner wird schließlich erst neun bis 15 Jahre oder noch später nach der Ernte getrunken.“ Ganz gleich, ob regnerisches Sauwetter oder superheiße Hundstage, Dom Pérignon steht für eine bemerkenswerte Frische mit floralen und fruchtigen Noten, die auch nach vielen Jahren Reifung in der Flasche faszinierend präsent sind. „Wir müssen für das restliche Jahrhundert planen, müssen erkennen und verstehen, welche Änderungen im Weingarten und im Keller erforderlich sind, um auf die möglichen klimatischen Veränderungen vorbereitet zu sein.“ Der Erfolgsdruck ist also gewaltig.

Wie es geht, ist an den beiden aktuellen Neuerscheinungen mustergültig nachzukosten. Der 2015er wirkt schon in diesem jugendlichen Stadium wunderbar frisch und zitrusfruchtig mit einem Hauch Pfirsich, unterstützt mit zarten Bitternoten und einer Idee von Brioche. 51% Pinot noir und 49 % Chardonnay wurden in diesem heißen Jahr zu einem brillanten harmonischen Wein, der über die Jahre noch an Komplexität gewinnen dürfte. In den meisten Verkostungen wird der 2015er wohl mit 98 Punkten gelistet werden. Ungewiss, aber nicht unmöglich scheint, dass der 2015er eines Tages in einer späteren Plenitude-Version ähnlich grandios und 100-Punkte-reif dasteht wie der P2 2006. Der recht heiße Witterungsverlauf mit etwas Regen zwischendurch wurde optimal bewältigt, der Wein hat nach 15 Jahren Flaschenlagerung Eleganz und Fruchtfülle, die sich mit Aromen von Kakao und Haselnüssen zu einem großen Ganzen verbinden. Im Moment ist das wohl der beste derzeit im Handel erhältliche Dom Pérignon.

domperignon.com

Dom Pérignon-Winemaker Jean-Baptiste Terlay (oben) blickt auf ein verregnetes Jahr 2024 zurück. Ein Studieren der Aufzeichnungen des Mönchs Pierre Pérignon zeigt, dass das Wetter in der Champagne immer schon ziemlich lausig war. Der Qualität des Champagners kann das aber nichts anhaben.