Die tolle Brause

Herausragend hinsichtlich Trinkvergnügen, Qualität, Historie und Preis. Dom Pérignon definiert in der Wertskala der Prestige-Vintage-Champagner eine eigene Kategorie und unterstreicht diesen Anspruch mit zwei grandiosen ­Neuerscheinungen.

Text von Christian Grünwald/Fotos: Dom Pérignon/Beigestellt, Harold de Puymorin

Blend kommt nicht von Blender. Letzteres ist der prestigereiche Champagner von Dom Pérignon mit keiner Flasche, auch wenn das gerne von manchen Neidern in verall­gemeinernden Diskussionen behauptet wird – aber das ist ohnehin ein ganz anderer Nebenaspekt dieser Geschichte.

Vielmehr bezeichnet man mit dem englischen „blend“ die im Idealfall besonders gelungene Vermischung verschiedener Weine. „Verschnitt“ würde man im Deutschen sagen und ­damit entwerten, was im Französischen würdig hochklassig klingt: Assemblage.

Um die perfekte Harmonie von Chardonnay und Pinot noir aus unterschiedlichen Lagen und Weingärten kümmert sich im Champagnerhaus Dom Pérignon Chef de cave Vincent Chaperon.

Wenn er mit seinem Team aus mehr als hundert verschiedenen Weinen die endgültige Grundweinmischung für den neuen Dom-Pérignon-Jahrgang bestimmt, liegen die Nerven blank. Immerhin steht enorm viel Geld und Prestige auf dem Spiel. Misserfolg und Fehltöne sind undenkbar, wären eine Katastrophe. Denn auch wenn die Eigentümer keine genauen Zahlen nennen, würde eine falsche Entscheidung Millionen von Flaschen betreffen. Ein Winemaker-Kollege meinte einmal treffend, „dass es schon eine ziemlich aufregende Sache ist, ­einige hundert Kisten wirklich guten Burgunders zu machen. Aber stell dir mal vor, du musst ein paar Millionen wirklich gute Flaschen Wein machen.“

Vincent Chaperon kann das. Er hat 2019 die Kellerleitung von Richard Geoffrey übernommen, mit dem er dreizehn Jahre lang zusammengearbeitet hatte. Geoffrey hat über Jahrzehnte den hohen und zuverlässigen Qualitätsstandard von Dom Pérignon etabliert und zwischen 1990 und 2009 fünfzehn Vintages auf den Markt gebracht.

Die elitäre Sonderstellung unter den Jahrgangschampagnern definiert sich bei Dom Pérignon nicht nur durch den Champagner selbst, sondern auch die Geschichte des Hauses.

Pierre Pérignon, ein Mönch in der französischen Benediktinerabtei Saint-Pierre d’Hautvillers, gilt schließlich gemeinhin als Erfinder des Champagners. Der Mythos rund um den Dom Pérignon ist so stark, dass ihn selbst die Marketing­abteilung eines millionenschweren Konzerns nicht mehr verändern mag. Denn ziemlich sicher hat der von 1668 bis zu seinem Tod im Jahr 1715 als Kellermeister tätige Mönch den Champagner nicht alleine erfunden, aber zumindest die ­Methodik der Flaschengärung, das Drahtkörbchen am Verschluss (Agraffe), die dickwandigen Flaschen sowie die Weißkelterung von roten Trauben maßgeblich mitentwickelt. Denn in der Champagne, so ist in zeitgenössischer Literatur nachzulesen, wurde damals vor allem vorzügliche Qualität bei Rotweinen geschätzt.

Foto James Bort. Die restaurierte Abtei Hautvillers dient heute als Dom-Pérignon-Firmensitz, auch ein Museum ist hier untergebracht.

Ende des 18. Jahrhunderts machte die Französische Revolution ohnehin alle Erfahrungswerte obsolet, Besitztümer von Adel und Kirche wechselten die Eigentümer, um die Staatskasse zu speisen. Die Abtei Hautvillers wurde samt den umliegenden Weingärten an Jean-Rémy Moët verkauft. Das so entstandene Unternehmen heißt auch heute noch Moët & Chandon. Eine Grabplatte in der Kirche und ein Denkmal des Mönchs erinnern an die wichtigen Eckdaten der önologischen Historie.

Es wäre sehr amüsant, zu wissen, wie der Kirchenmann darüber denken würde, dass seine Erkenntnisse ein wesentlicher Teil des gewinnträchtigen globalen Luxuskonzerns LVMH sind. – Börsenkurs ständig steigend, ganz gleich, welche großen und kleinen Katastrophen die Erde beschäftigen.

Am Ursprung des Champagners.
Hautvillers ist ein eigenes kleines Universum in der weiten Welt der Prestige-Champagner. Die Weingärten in sanfter Hanglage rund um die Kirche verfügen über sehr unterschiedliche Böden, darunter Kalk, Kreide, Mergel, Lehm und Sand. Ideal für die drei typischen Rebsorten der Champagne, nämlich Chardonnay, Pinot noir und Pinot Meunier, wobei Letztere nicht für Dom Pérignon verwendet wird. (Der Ordnung halber sei erwähnt, dass neben dem „klassischen Weißen“ seit dem Jahr 1959 auch ein Vintage Rosé in vergleichsweise kleinen Mengen produziert wird.)

Direkt an die Abtei Saint-Pierre grenzt in Hautvillers Premier Cru die Parzelle Le Prieur. Vincent Chaperon gibt hier gerne Interviews, weil der Ort sowohl zur Historie wie auch zu den aktuellen Umständen passt. „Ich bin mir sicher, dass auf diesen Lehmböden auch Pierre Pérignon gearbeitet hat. Der nach Osten ausgerichtete Weingarten ist ein vergleichsweise kühles Terroir – nicht unwichtig im heißen Klima unserer Tage.“

Vincent Chaperon hat die Verantwortung darüber, wie die Champagner-Legende tatsächlich schmeckt. Der Anspruch und die Erwartungshaltung sind enorm. Jeder neu veröffentlichte Jahrgang muss großartig sein, soll den jeweiligen Jahrgang in seiner Typizität widerspiegeln und dabei aber auch den unvergleichlichen Dom-Pérignon-Charme mit verführerischen Fruchtaromen, seidiger Perlage, mineralischer Würze und eleganten Reifenoten in die Flasche bringen. Da ist stets ein Hauch von Vanille-Barrique und geröstetem Brioche dabei, da fehlt aber stets ganz bewusst jenes reife-süßliche Biskuit, das die Jahrgangschampagner ­anderer Hersteller früher so typisch schwer und mächtig machte.

„Das Wichtigste passiert im Weingarten. Der für Dom Pérignon so entscheidende Blend startet letztlich hier und wird maßgeblich von den jeweiligen Witterungsbedingungen beeinflusst. Auch wenn wir einen gewissen Markencharakter besitzen, ist Uniformität für uns kein angestrebtes Stilelement. Es soll durchaus deutliche Jahrgangsstilistiken geben. Der Blend ist ­immer wieder eine neue Suche nach Harmonie unter den gegebenen Bedingungen. Dafür gibt es kein fixes Rezept, jedes Mal wird das neu konstruiert, besonders in so herausfordernden Jahren wie 2012.“

Die Produktionsmenge ist topsecret. Am Anfang des Blends steht also die Selektion des verschiedenen Traubenmaterials, in Folge die Auseinandersetzung mit den so entstandenen Weinen.

In der nächsten Stufe, dem sogenannten Pre-Blending, werden diese Weine nach verschiedenen Kriterien katalogisiert. Es geht dabei um technische Qualität, aber auch um Ausdrucksstärke und Charakter der ­einzelnen Lagen. „In der Praxis sortieren wir danach, was sich sehr ähnlich ist und wo geschmackliche Kontraste bestehen.“

In Stufe drei erfolgt der endgültige Blend, die ­Zusammenstellung der einzelnen Weine in einer endgültigen Proportion, der Balance, der Harmonisierung mit ihrer Frucht und den zu erwartenden Folgen. „Ein Abenteuer“, erinnert sich Vincent Chaperon, „das jedes Jahr aufregend ist, 2012 aber von ganz besonderen Kontrasten geprägt war.“

Winter und Frühling waren recht kalt und von generell unfreundlicher Witterung geprägt, im Sommer war es dann aber äußerst heiß. Die geernteten Trauben hatten eine präzise Säure und zugleich eine beinahe ausladende Fruchtigkeit. „Sowohl Pinot noir als auch Chardonnay waren bei der Ernte in perfekter Reife, die Selektion war also vergleichsweise leicht.“

Die Weingarten-Einheiten in der Champagne sind klein, oft unter einem Hektar, entsprechend aufwendig ist die Zusammenstellung der Grundweine. „Es sind an die tausend verschiedene Samples, die da zusammengestellt werden“, verrät der Dom-Pérignon-Kellermeister. Weitere Infos sind äußerst heikel, schließlich berührt all das das ganz große Geheimnis des Marke, die Produktionsmenge. Die Schätzungen dazu liegen zwischen zwei und sieben Millionen Flaschen, die Wahrheit ist wohl in der Mitte zu finden. In jedem Fall eine unglaubliche Menge an herausragend gutem Champagner.

Andere Geheimnisse aus der Produktion sind mittlerweile keine mehr. So stammt der Hauptteil der verwendeten Trauben neben der legendären Premier-Cru-Lage Hautvillers aus den Grand-Cru-Lagen Aÿ, Bouzy, Verzenay, Mailly-Champagne, Cramant, Chouilly, Avize und Le Mesnil-sur-Oger. Alle weiteren Zukäufe variieren je nach Witterungsverlauf und Ernte.

Es gibt ein strenges Reglement, was den Ertrag und die Produktionsmenge pro Hektar betrifft. 102 Liter Most müssen aus mindestens 160 Kilogramm Trauben gewonnen werden.

Unklarheit besteht über die Kelterung des Grundweins, ob im Holz oder Stahltank vinifiziert wird, wie es um den biologischen Säureabbau steht.

Schon mehr weiß man über die zweite Gärung, bei der die Flaschen im Keller acht Jahre auf der Hefe gelagert werden. Durch diese Reife zeigen sich typisch würzige Aromen und eine feine Cremigkeit, welche von deutlicher Frucht getragen wird. Die Dosage, also der Zuckergehalt des beim Degorgieren zugesetzten Weins, liegt im Regelfall bei fünf Gramm Dom Pérignon wird ausschließlich als Jahrgangschampagner produziert. Die Weine für die jeweilige Assemblage dürfen also ausschließlich aus einem Jahr kommen. Und ja, es gibt auch schlechte Jahre, in denen kein Dom Pérignon hergestellt wird. Das Rebmaterial landet dann in den Weinen für die gängige Moët & Chandon-Produktion.

In guten Jahren und bei herausragendem Rebmaterial denken die Weinmacher dann aber nicht nur an den „normalen“ Vintage, sondern auch an Extra-Editions aus dafür zurückgelegten Flaschen, wie etwa den P2. Das „P“ steht dabei für „Plénitude“, also für Fülle. Die Flaschen liegen dann bei ­optimalen Kellerbedingungen 15 bis 18 Jahre auf der Hefe. Noch ein ganzes Stück weiter geht man bei Dom Pérignon mit dem seltenen P3, für den die Flaschen erst frühesten nach 25 Jahren Hefe-Lagerung degorgiert werden.

Gereifte Qualität kostet. Unlängst wurde der Vintage 2003 Plénitude 2 vorgestellt, der auch für Vincent Chaperon eine echte Benchmark in seiner bisherigen Arbeit darstellt. Der Jahrgang ist schon durch den damaligen Witterungsverlauf besonders einzigartig. 70 Prozent des angebauten Chardonnays wurden in zwei Frostnächten zerstört. Danach folgte der heißeste Sommer in der Champagne seit 53 Jahren.

Entsprechend früh waren die Trauben reif und wurden ­ungewöhnlich früh im August innerhalb kürzester Zeit ­geerntet. „Wozu man bei der Ernte normalerweise einen ­Monat braucht, wurde damals in einer Woche erledigt.“ Das geerntete Rebmaterial war so kraftvoll, dass im Keller neue Maßnahmen ausprobiert wurden. „Um die Gerbstoffe zu mildern, haben wir uns beim Pressvorgang extra viel Zeit genommen und setzten auf reichlich Sauerstoffkontakt. Dadurch hatten wir die Polyphenole recht gut im Griff.“

Neu war auch die angewendete Rebsortenmischung in diesem Jahr: „62 Prozent Pinot noir und 38 Prozent Chardonnay hatten wir noch nie in der Geschichte des Hauses.“ Entstanden ist letztlich ein Champagner mit epischer Nase und Dichte am Gaumen. Reif und konzentriert, enorm viel Frucht, aber auch Mineralität und frische Säure. Ein Schwergewicht, das trotzdem leichtfüßig zu tänzeln scheint. Für den Kellermeister ist der P2 2003 die mögliche Quintessenz der Marke. „Er ist charmant fruchtig und kräftig balanciert zugleich. Alle Bestandteile sind harmonisch eingebunden. Im Vergleich zum normalen Vintage ist alles einfach ,more‘.“ Das kostet auch. Konkret beträgt der unverbindlich empfohlene Verkaufspreis pro Flasche bei 400 Euro.

Neues Klima, neue Champagner. 2003 war der Start für die heißeren Jahrgänge. Was damals noch außergewöhnlich war, etwa der Erntetermin August, ist jetzt schon normal – der Klimawandel eben. „Im Weingarten schützen wir die Trauben schon seit einiger Zeit vor drohendem Sonnenbrand, lassen viel mehr Laub als Sonnenschutz am Stock, all das hat aber auch Einfluss auf die Wasser- und Nährstoffversorgung der Pflanzen. Mit der Hitze kommen immer mehr dominante Polyphenole, also Bitterstoffe und Tannine. Wir müssen neu lernen, damit umzugehen, müssen sie beim Weinmachen besser integrieren und die Harmonie bewahren.“

Auch die verwendete Hefe verändert sich. All das erfordert äußerst komplexe Entscheidungen, die man über lange Zeiträume treffen muss und deren tatsächliche Auswirkungen man erst Jahre später ermessen kann.

Dom Pérignon ­Vintage 2003 ­Plénitude 2 – ein Champag­ner, der nach 17 Jahren seine zweite Reifestufe erreicht hat.

Mit den früheren Ernteterminen verändert sich auch bei der Vergärung sehr viel, weil man in der Produktion mit anderen Durchschnittstemperaturen konfrontiert ist und das wiederum Einfluss auf die Dauer der einzelnen Prozesse hat. Am schwierigsten ­erscheint wohl die Problematik, dass die Assemblage nicht zu mächtig gerät. Schließlich soll ein Dom Pérignon auf keinen Fall die ­magische wie erfrischende 12,5-Vol-%-Marke überschreiten.

Beim Verkosten des Vintage 2012 sind derlei Sorgen nicht angebracht. Unglaubliche Frucht, frische Marille und Weingartenpfirsich machen sich breit, gepaart mit feinem Blütenduft in der Nase. Sehr einladend, feine Mineralität. Und vor allem sind da diese eleganten zarten, von Früchten stammenden Bitternoten am Gaumen, die nur große Weine haben. Man versteht, dass das noch in vielen Jahren schmecken wird – aber schon jetzt großartig ist.

Gut möglich, meint Vincent Chaperon, dass dem Vintage 2012 in acht Jahren ein 2012 P2 folgen wird. „Der Jahrgang hat alle Anlagen dafür.“

Und wenn wir schon bei Thema Zuversicht sind: „In unserer Statistik erhöht sich mit den heißen Jahren auch die Frequenz der erscheinenden Jahrgänge.“ Man darf also schon auf die nächsten Editionen gespannt sein.