Fruchtige Verführer

Die heimischen Rieslinge der letzten drei Jahrgänge gehören mit zu den besten Weinen weltweit.

Text von Willi Balanjuk

Mit rund 2.000 Hektar nimmt Riesling etwa 4,5 Prozent der gesamten heimischen Rebflächen ein. Er stellt sehr hohe Ansprüche an den Standort, fordert den Winzer, kann dafür Terroir umsetzen wie kaum eine andere Rebsorte. Weitere Vorzüge dieser Rebsorte sind die intensive, vielschichtige Fruchtausprägung im Bukett und die markante lebendige Säurestruktur, die dem Riesling seine Komplexität verleihen. Der Riesling steht mehrheitlich im Donauraum. In der Wachau, in Kremstal, Kamptal, Traisental und Wien wird er schon lange auf höchstem Niveau gekeltert. Auch am Wagram sowie teilweise im Weinviertel haben Winzer Erfahrung mit der anspruchsvollen Rebsorte. Riesling-Aufsteiger der letzten Jahre ist die Südsteiermark, vor allem der Raum Kitzeck/Sausal. Hier war Riesling zwar schon immer beheimatet, doch der Fokus der meisten Betriebe lag auf anderen Rebsorten. Die neue Generation steirischer Winzer hat die große Chance, hier einen eigenständigen Riesling zu keltern, erkannt. Gneis, Schiefer und kalkgeprägte Böden verleihen den Weinen der spät reifenden Rebsorte intensive Steinobstaromen mit lebendiger Struktur. Da die Trauben über hohe Säure verfügen, ist perfekte Reife gewünscht und die Wahl des optimalen Lesezeitpunkts die große Herausforderung für die Winzer. Stiellähme (Trauben fallen von abgestorbenen Stielen) und Botrytisbefall (Verlust der klaren, präzisen ­Steinobstaromen) sind hinsichtlich des richtigen Erntezeitpunkts ebenfalls wichtige Faktoren.
Die Jahrgänge 2023, 2022 und 2021 unterscheiden sich deutlich in ihrem Vegetationsverlauf. 2021 startete mit einer späten Blüte, wodurch auch eine späte Lese bei kühleren Temperaturen erwartbar war. 2022 gab es nach einer längeren Trockenperiode leichte Niederschläge in der Lesezeit. Dadurch ergab sich ein knapperes Erntefenster als 2021. Die Qualität beider Jahrgänge basiert auf hoher physiologischer Reife, guter, reifer Säure, hohen Extraktwerten und wenig bis gar keinen Botrytisanteilen. 2023 war lange Zeit feucht und kühl. Die späte Blüte war gegen Ende Juni abgeschlossen; warmer Juli, dann wieder etwas kühler und auf einmal ideale Bedingungen. Ein perfekter Herbst und Lesebedingungen bis Ende Oktober, wobei Mitte Oktober die Botrytis einsetzte. Daher waren der Lesezeitpunkt und das enge Erntefenster die wichtigsten Qualitätsfaktoren.

Ala Carte hat eine Riesling-Grand-Cru-Verkostung in vier Kategorien ausgeschrieben, insgesamt wurden 257 Weine bewertet.
Die Kategorie 2023 Riesling fruchtbetonte, klassische Sortenvertreter war mit 83 Weinen präsent. Die Mehrheit überzeugte mit einladenden reifen Fruchtnoten und gut stützender Säure. Oft waren einige Gramm Restzucker verantwortlich für einen leicht fruchtigen Schmelz im Abgang. Die gesamte Bandbreite von Kohlensäure(CO2)-geprägten Weinen bis hin zu den wertigsten Lagenweinen belegt die hohe Qualität des Jahrgangs 2023. Der Siegerwein dieser Kategorie, der 2023 Riesling Ried Rosengartel von Mayer am Pfarrplatz, hat den Charakter eines Riedenweins mit sehr eleganter Ausprägung. Daneben zeigten sich auch Ortsweine und Federspiele auf einem sensationellen Niveau. Vorteile dieses Jahrgangs sind die einladende gelbe Frucht und die lebendig-balancierte Textur, die die Weine bereits gut antrinkbar machen.

Die Kategorie 2023 Riesling, körperreiche Weine, DAC-Reserve- & Smaragd-Weine war mit 65 Weinen vertreten und zeigte die größte Diversität des Rieslings. Schiefer, Gneis und Kalk prägen in dieser Kategorie die Spitzenweine. Der Riesling Ried Steinertal gehört seit Jahrzehnten zu den besten Rieslingen des Landes. Leo Alzinger ist mit dem 2023er ein präziser und ­finessenreicher Wein gelungen. Dahinter folgen die Usual Suspects mit Wachau, Kremstal, Kamptal, Traisental und Wien. Positiv ist das generelle Ansteigen der Qualitäten auf ein sehr hohes Niveau. Als Beispiel dafür seien drei Wa­chauer Winzer – Georg Frischengruber, Simon Gattinger und Wolfgang Hofstätter – genannt, deren Lagenweine Topniveau erreicht haben.

In der Kategorie 2022 Riesling wurden 70 Weine verkostet. Die Familie Wohlmuth hat sich mit dem Riesling Ried Edelschuh gegen die Winzer vom Heiligenstein – Bründlmayer, Schloss Gobelsburg, Allram und Eichinger – durchgesetzt. Ein Wein, in sich ruhend und mit tiefer Aromatik ausgestattet, der sich mit Flaschenreife zu einem Klassiker entwickeln wird.

Die Kategorie 2021 Riesling, in der 39 Weine verkostet wurden, zeigte das große Potenzial des Jahrgangs. Die Weine brauchen jedoch noch Zeit, da sich einige verschlossener präsentierten als am Beginn. Der 2021 Riesling Ried Achleiten von Rudi Pichler ist ein sensationeller Wein. Die Spitzenlage und die individuelle Vinifikation ergeben einen großen Riesling mit „Ecken und Kanten“ im Jungwein-Stadium. Viele der verkosteten Weine verfügen über enormes Potenzial.
Das Re­sü­mee dieser Grand-Cru-Verkostung: Wachau, Kamptal und Kremstal haben Konkurrenz bekommen, sowohl die Südsteiermark als auch Wien und Traisental keltern Weine auf internationalem Spitzenniveau. Mit diesen drei Jahrgängen steht die gesamte Bandbreite an Genussphasen der Rebsorte zu Verfügung. Die einladende Frucht des 2023ers, die saftige, gelbe Aromatik des 2022ers und die Tiefe und Komplexität des 2021ers, die sich in den kommenden fünf bis zehn Jahren perfekt entwickeln wird. —

Zu den Bewertungen:
Kategorie 2023 Riesling, fruchtbetonte, klassische Sortenvertreter
Kategorie 2023 Riesling, körperreiche Weine, Reserve- & Smaragd-Weine
Kategorie 2022 Riesling
Kategorie 2021 Riesling

Verkostet und bewertet wurden die Weine vom Autor in Zalto-Universalgläsern. Im Anschluss wurden die besten in den jeweiligen Kategorien von einer Fachjury in einer Blindverkostung bewertet und zum Grand-Cru-Wein nominiert.
Jurymitglieder waren Hans Martin Gesellmann (Kracher Fine Wine), Benjamin Mayr (Weinhandel Del Fabro/Kolarik), Dragos Pavelescu (Önologe), Johannes Tremel (Weinhandel) und der Autor.