Jahrhundert-werk

Rémy Martin gönnt sich zum 300-jährigen Bestehen eine besondere Flasche.

Text von Alexander Rabl

Wenn ein Verfahren gut ist, wie gut muss es sein, wenn man es doppelt anwendet. In diese Richtung überlegte die Gründergeneration in Cognac, als sie lokalen Brandy aus den Weingärten der Charente doppelt destillierte und damit eine Getränke-Ikone schuf. Der Winzer Rémy Martin war einer aus dieser Gründergeneration. Das nach ihm benannte Haus zählt heute zu den berühmtesten Vertretern französischer Lebensart. Ein Name übrigens, der in Frankreich damals so gebräuchlich war wie Hans Müller heute in Österreich. Das erfährt man unter anderem bei einer Führung durch den vor Kurzem aufwendig neu gestalteten Firmensitz. Heuer wird das Unternehmen 300 Jahre alt. Kellermeister Baptiste Loiseau hat den Coupe 300e Anniversaire abgefüllt, ein exzellentes Sammlerstück aus erlesenen Jahrgängen, ausschließlich aus der Grande Champagne, den besten Lagen der Region.

Besuch in einem der Weingärten in der Region der Fine Champagne, die sich aus Grande Champagne und ­Petit Champagne zusammensetzt. „Hier holen wir einen kleinen Teil, den wir für unsere Produktion benötigen, der Rest ist für Entwicklungsarbeit mit den Winzern“, erklärt Alexandre Quintin, der im Pariser Hauptquartier arbeitet. Rémy Martin und seine 800 Lieferanten, die Winzer, leben in einer Symbiose. Die Winzer machen aus ihren Weinen Brandy. Die Cognac-Häuser machen daraus Cognac. Liefern die Winzer keine tolle Qualität der Eaux de vie, das Rohmaterial für Cognac, ist es schlecht für den Cognac. Verkaufen die Cognac-­Häuser zu wenig Cognac, leiden die Winzer. Winzer wie Cognac-Häuser leiden beide zurzeit unter der Klimaerwärmung, welche die Weine weniger säurehaltig und fruchtig werden lässt. Das ist Anlass zum Nachdenken und dafür, Neues auszuprobieren. „Schon 1964 haben wir mit den Winzern einen Thinktank gegründet, wo wir gemeinsam an der Qualität ar­beiten.“ Das Ziel der Alliance Fine Champagne ist, den Weinbau so ökologisch wie möglich zu ­gestalten. Fine Champagne ist eine Appellation, bei der die Cognacs mindestens zur Hälfte aus Weinen aus der Grande Champagne gemacht werden müssen. Der Rest ist Petit Champagne. Die Versuche der Alliance beschäftigen sich mit neuen, auch pilzwiderständigen Rebsorten und der Art, wie sie reifen. Denn auch in Cognac werden die Trauben immer früher reif, die Ernten finden mittlerweile Ende August statt. Früher war es Mitte Oktober. Hagel und Frost vernichten oftmals einen Teil der Erträge. Die Winzer ernten mit Maschinen. Ugni Blanc – in Italien bekannt als Trebbiano – war und ist eine der wichtigsten Traubensorten der Charente. Folle Blanche ist eine andere Sorte, die wegen ihrer Krankheitsanfälligkeit aber nicht so beliebt ist. Jetzt wartet man auf erste Ergebnisse mit der Sorte Luminant.
Auch in Cognac betreibt man die Begrünung und forciert Biodiversität in den Weingärten.

Der Brandy des Königs
Wein wird hier seit dem Römischen Reich produziert. Er wurde an Engländer und Holländer verkauft. Die Region wurde reich mit dem Salzhandel, später mit Wein und Cognac. Wegen der großen Entfernungen rieten die Holländer den Winzern, den Wein zu kochen, also zu destillieren. Brandy kommt von Burnt Wine. 1630 war es die Idee eines Ritters, Chevalier de la Croix Marron, einem ­Vorfahren der Familie Castelbajac, die ebenfalls Cognac produzierte, mit doppelter Destillation den Brandys mehr Kraft zu geben. „Cognac ist ein Produkt, dessen Markt von Tag eins an da war. Der französische König Louis Treize stellte die Region unter Schutz, Investoren kamen, es lief alles bestens, von Beginn an.“ Rémy Martin widmet Louis Treize einen seiner teuersten Cognacs. Die Fässer reifen im Keller der Destillerie, wo es bedeutend kühler ist als im Rest der Gebäude.

Das Blending ist entscheidend
Sämtliche von den Partnerwinzern gebrannten Eaux de vie werden in den Kellern von Rémy Martin entgegengenommen und verkostet. Dann fällt die Entscheidung: XO oder noch besser? Einfacher VS oder VSOP? 6.000 Fässer stehen in diesen Kellern. 8.000 Flaschen werden täglich abgefüllt. Die Keller sind aus Stein, und die alkoholischen Dämpfe färben den Stein schwarz, indem sie einen Pilz nähren, der im Stein lebt. Das Blending ist am Ende Sache des Kellermeisters, der von zwölf Verkostern beraten wird. Kellermeister Baptiste Loiseau arbeitet sich von kleinen Mengen bis zum kompletten Blend vor. Seine Vorgängerin Pierrette Trichet war die erste Kellermeisterin in Cognac. Sie tat das zwanzig Jahre lang. Loiseau ist seit zehn Jahren dabei. Schon im Stadium des Eau de vie legt der Kellermeister die Qualitäten und das spätere Preisniveau fest. Die Winzer bekommen einen Bonus, wenn die Güte ihrer Lieferung außerordentlich ist.
Eaux de vie sind an sich fast farblos. Cognac erhält seine mahagoniartige Farbe von der Lagerung in großen Limousin-Eichenholzfässern, in denen er reift und sich seine Aromen aneignet, sie kommen aus der Verbindung von Sauerstoff und Holz. Der Grund für Rémy Martins Behauptung, die besten Cognacs zu haben, ist deren Herkunft, die Grande und Petit Champagne. Auf den Flaschen von Rémy Martin steht Fine Champagne. Außer den beiden genannten Crus verfügt das Anbaugebiet Cognac noch über vier weitere. Es sind aber nicht nur die Herkunft der Trauben und der daraus gebrannten Eaux de vie, die einen Cognac von Rémy besonders machen. Die Brenngläser bei Rémy sind kleiner als für Cognac vorgeschrieben. Und die Fässer werden in einer hauseigenen Küferei hergestellt.
Rémy Martin verstand sich stets nicht nur aufs Destillieren und Lagern, sondern auch auf Qualität, Marketing und Packaging. Er dachte schon früh darüber nach, dem nach ihm benannten Getränk ein Logo zu verpassen: ein Mischwesen aus Pferd und Mensch, der Zentaur aus der griechischen Mythologie, er hat seinen Pfeil in den Bogen eingespannt und zielt damit nach oben. Der Zentaur auf den Etiketten von Rémy Martin zählt, wie die von Künstlern gestalteten Flaschen von Mouton Rotschild oder das sakral wirkende Etikett von Dom Pérignon, zu den berühmtesten Bildern französischer Luxusmarken.

Touristenmagnet Cognac
Das Städtchen Cognac hat weder Eiffelturm noch Hafen und auch keine nennenswerte Gastronomie. Die aus Sandstein gebauten Häuser erinnern an den Wohlstand vergangener Zeiten. Die meisten wurden im 18. und 19. Jahrhundert errichtet, verblassende Inschriften früherer Unternehmen erzählen die Geschichte der wechselvollen Wirtschaft in der Region. Dazwischen Fachwerkhäuser aus dem Mittelalter und alte Pflastersteine, die man in vielen westeuropäischen Städten längst entfernt hat, weil sie zu unpraktisch sind. Die Zeit fließt träge dahin in der Charente, nicht nur in den Kellern der Cognac-Häuser. Auch der Fluss Charente hat keine Eile bei der Durchquerung der Stadt und des Départements, das nach ihm benannt ist. Die gemächlich dahin fließende Charente, die irgendwann in den Atlantik mündet, war einst ein wichtiger Transportweg für den Handel. Der Fluss erreicht zwischendurch amazonasartige Breite, ist aber nicht besonders tief und wartet im Gegenteil mit mehreren nicht ungefährlichen Untiefen auf. In ihm leben riesenhafte Welse, sie lieben Schlamm und die Schatten der Bäume, die an den Ufern wachsen. Einst wurden Rinder und Pferde benutzt, um Handelsschiffe, die auf Grund gelaufen waren, wieder flott zu machen und ein paar Hundert Meter zu schleppen.

Viele Touristen sind nicht unterwegs, aber nahezu alle kommen wegen dieser einen besonderen Attraktion, die außer dieser Stadt keine andere Stadt in Frankreich besitzt. Die Cognac-Reisenden fotografieren sich vor den Eingängen der namhaften Cocnac-Produzenten, sie buchen Führungen, sie probieren, sie kaufen ein, sie buchen Bootsfahrten auf der Charente. Rémy Martin hat Gästen und Besuchern vor Kurzem ein prächtiges Gebäude eröffnet, eine architektonische Schmuckschatulle im Gebäude des ­alten Firmensitzes. Dieses feine Gebäude ist ausgestattet mit modernster Technik in luxuriös anmutendem Ambiente. Alleine die Tischlerarbeiten und die Holzdielen müssen ein Vermögen gekostet haben. Die Ausstattung des Multimedia-Raums könnte aus einem James-Bond-Film sein. Maxime Pulci, Brand Ambassador von Rémy Martin, alerter Franzose mit perfektem Englisch, der in Reims das Management von Luxusmarken studiert hat, führt durchs Haus, es herrscht Fotografierverbot. Sein ganzer Stolz ist ein in einem großen Raum untergebrachter gedeckter Tisch, auf dem sich Köstlichkeiten aus der Region und von weiter weg befinden. Maxime schenkt Rémy Martin XO ein und lädt die Gäste ein, sich durch die Speisen zu kosten und zwischendurch einen kleinen Schluck zu nehmen. Der XO funktioniert zu gereiftem Schafkäse ebenso wie zu Baguette mit gesalzener Butter und Ingwergelee, er entfaltet in jeder Kombination seine speziellen Vorzüge. Eigentlich ein höchst lebendiges Getränk. XO steht übrigens für Extra Old, in dem Fall sind es mindestens acht Jahre Reife im großen Holzfass. Während der Führung durch den alten Firmensitz erfährt man, dass sich nach Rémy Martin und seinem Sohn in der Familie kein Nachfolger fand. Die wirtschaftlichen Probleme der damaligen Zeit hatten die potenziellen Erben abgeschreckt. Es wurde verkauft. Mit André Renaud fand sich schließlich ein neuer Besitzer. Mittlerweile ist Rémy Martin Teil eines aktiennotierten Unternehmens namens Rémy Cointreau.

Cognac trinkt man nicht nur pur, er ist längst Teil der Mixology, und einige Cocktail-Klassiker wären ohne ihn nicht vorstellbar, etwa Side Car oder Champagner Cocktail. Hier eignet sich vor allem der einfache VS, zwei Jahre im Fass gereift. Rémy Martin ist auch Teil der Popkultur. Die Rapperin Reminisce Smith liebt das Getränk so sehr, dass sie sich als Hommage daran den Künstlernamen Remy Ma zugelegt hat. Jay Z, einer der berühmtesten Vertreter von Amerikas Hip-Hop, hat in seinem New Yorker Club zwei VIP-Lounges „Rémy Lounges“ getauft. Verkostungsnotiz vom Jubiläums-Cognac: Im Glas Bernstein wie die polierte Einrichtung einer Luxusjacht. In der Nase Orange, Passionsfrucht, Nüsse, kandierte Früchte, Unterholz („sous-bois“ sagen die Franzosen), Leder, später getrocknete Feige und exotische Früchte, leichtes Holz, Walnüsse, Eleganz, langer Abgang. Wer es nicht schon weiß, lernt es von Maxime: Man komme dem mit Cognac gefüllten Glas nicht zu nahe, sonst beschäftigt sich die Nase vor allem mit dem Alkohol. Man trinke ihn auch niemals zu warm, man halte den Mund offen, wenn man durch die Nase die Aromen einatmet, damit sich das alles gut zwischen Riechknospen und Gaumen verteilt.

Kellermeister Baptiste Loiseau arbeitet bei der besonderen Jubiläumsreserve mit der sogenannten „Réserve Perpétuelle“, einer Kollektion aus für besonders gut befundenen Eaux de vie. Die Grande Champagne ist bekannt als Lieferantin von großer Güte bei Traubenmaterial und Destillaten von hohem Alterungspotenzial. Die trinkbaren Sammlerstücke, die in den Kellern von Rémy Martin ruhen, werden wie ein gutes Rezept von den Kellermeistern bewahrt und weitergegeben.
Für den 300th Anniversary Coupe hat Baptiste Loiseau Vorräte der für den Coupe zum 290. Jubiläum vorhandenen Destillate hergenommen, der wiederum auf den Eaux de vie des Coupes vom 275. Jubiläum basiert. So erzählen die verschiedenen Jubiläums-Cognacs auch die Geschichte des Hauses und die Entwicklung seiner Stilistik unter den verschiedenen Kellermeistern. Wer sich von diesem besonderen Cognac eine Flasche sichern will, wird möglicherweise an seine Grenzen stoßen. Die Zuteilung für den österreichischen Markt betrug 32 Flaschen. —

In den Kellern der Destillerie von Rémy Martin hat der Cognac Jahre, Jahrzehnte und manchmal auch Jahrhunderte Zeit, um zu reifen. Holz und Sauerstoff geben den Eaux de vie der Cognac-­Region Farbe und Aroma.
Das Département Charente ist
geprägt von der Geschichte ­vergangenen Reichtums und
langsam fließender Zeit.
Baptiste Loiseau mit seiner Vorgängerin, Pierrette Trichet,
damals die erste weibliche Kellermeisterin in Cognac

„Schon 1964 haben wir mit den Winzern
einen Thinktank ­gegründet, wo wir ­gemeinsam

an der Qualität arbeiten.“