Underdog, ganz groß
Zweigelt zeigt vermehrt auch als Solist Charakter und viel Potenzial.
Text & Verkostung: Willi Balanjuk
Zweigelt, die meistverbreitetste österreichische Rotweinsorte, gilt als „Underdog“ unter den heimischen Rebsorten. Er liefert viel Fruchtcharme in allen Qualitätsstufen und wurde dafür in seiner Geschichte als einfach und jung zu trinken abgetan. Der Aufstieg des österreichischen Rotweins, das Alter der Reben und eine Vielzahl an Spitzenweinen mit Zweigelt-Dominanz haben das Image dieses „Underdogs“ jedoch verändert.Im letzten Jahrzehnt hat Zweigelt sowohl reinsortig als auch als prägender Cuvée-Partner in unzähligen Weinen Topqualität erreicht und wurde sowohl von österreichischen als auch internationalen Jurys extrem hoch bewertet. Die rund 6.500 ha Zweigelt-Rebflächen (entspricht 13,6 % der gesamten Rebflächen Österreichs) sind über alle Weinbaugebiete verstreut. Neusiedlersee DAC und Carnuntum gelten als die Hauptanbaugebiete für diese Rebsorte. Der bessere Umgang mit Holz und die feinere Extraktion der Tannine ermöglichen komplexe Zweigelt, die intensive Fruchtaromen und engmaschige Strukturen mit perfekt verwobenen Tanninen ergeben.
A la Carte hat eine Zweigelt-Grand-Cru-Verkostung ausgeschrieben. Die rund 200 eingereichten Weine wurden in fünf Kategorien verkostet. Probiert wurden die Jahrgänge 2023 bis 2019. Damit zeigt sich, dass viele Winzer auch beim Zweigelt die Weine länger im Fass ausbauen und/oder sie erst mit einer gewissen Flaschenreife auf den Markt bringen.
In der Kategorie Fruchtbetonte Zweigelt 2023 präsentierten sich die Weine sehr einladend im Fruchtcharakter und saftig am Gaumen. Viele unter ihnen zeigen noch malolaktische Noten (Aromen vom biologischen Säureabbau). Die besten Weine verbinden eine tiefe Kirsch-Weichsel-Heidelbeer-Aromatik mit harmonischem Trinkfluss und feinstem Gerbstoff im Abgang. Viele dieser Weine vermitteln Aromen von Nougat und Bitterschokolade. Das Match Göttlesbrunn gegen Gols und Andau konnte heuer Göttlesbrunn für sich entscheiden. Der 2023 Rubin Carnuntum von Philipp Grassl präsentiert sich komplex und trinkfreudig.
Die Kategorie 2023 Zweigelt Reserve war mit wenigen Weinen und davon mehrheitlich Fassproben vertreten. Hier hatte Gols die Nase vorn. Sowohl der Zweigelt Ried Luckenwald Neusiedlersee DAC als auch der Zweigelt Ried Ungerberg bestätigen das Potenzial von 2023 durch Aromatiefe und balancierte Konzentration.
Die Kategorie Zweigelt klassisch & Riedenweine 2022 war mit über 50 Weinen prominent vertreten. Der 2002er beginnt, sich sehr gut zu entwickeln, und die klassischen Riedenweine präsentieren eine vielschichtige Aromatik. Frucht und fein verwobene Holznoten (Würze, röstige Noten und Bitterschokolade) finden sich bei beinahe allen eingereichten Weinen. Die besten überzeugen durch Tiefe, Engmaschigkeit und feinsten Gerbstoff im Abgang. Die Weine öffnen sich langsam und sind gut antrinkbar. Göttlesbrunn führt mit den Rieden Haidacker, Schüttenberg und Kirchweingarten das Rennen an. Der Zweigelt Ried Haidacker 1 ÖTW war in den letzten Jahren immer im Spitzenfeld und hat die letzten zwei Jahre auch den ÖWM Salon-Sieger gestellt.
Die Kategorie 2022 Zweigelt Reserve & Cuvées präsentierte sich am besten. Zweigelt als dominanter Cuvéepartner mit Blaufränkisch, Merlot und Cabernet Sauvignon ergibt großartige Aromanuancen, unter denen jeder Weinliebhaber seine bevorzugte Stilistik entdecken kann. Die Weine integrieren auch den Barriqueausbau bestens. Allesamt verfügen sie über riesiges Potenzial – um sie heute zu genießen, empfiehlt es sich, die Weine zu dekantieren. Die Qualität beider Siegerweine ist sensationell, der Unterschied bei der Stilistik wie Tag und Nacht! René Pöckls Admiral ist dicht und enorm konzentriert, er verfügt über feinstes Tannin – und davon viel. Gerhard Markowitschs Ried Rosenberg verführt durch finessenreiche, beinahe zart wirkende Konzentration. Barock versus Gotik könnte man als Vergleich heranziehen. Vielleicht verkosten Sie diese Weine einmal über zwei Tage. Beide Weine unterstreichen das hohe Qualitätspotenzial der Rebsorte Zweigelt.
Die Kategorie Zweigelt & Zweigelt-Cuvées 2021–2019 war mit knapp 70 Weinen vertreten. Auch hier hat die Qualitätsdichte aus Göttlesbrunn überzeugt. Franz und Christine Netzl mit ihrem Ried Bärenreiser „Anna Christina“ cuvéetieren Zweigelt mit Blaufränkisch und Merlot, um diesen Spitzenwein zu komponieren. Wie gut sich Zweigelt in der Flasche entwickelt, belegt der 2019 Zweigelt Ried Oberkirchen von Leo Aumann – vielschichtige Frucht, harmonisch und eleganter Trinkfluss.
Zusammenfassend unterstreichen die verkosteten Weine die Vielfalt der Zweigelt-Interpretationen und das enorme Qualitätspotenzial dieser Rebsorte aus den letzten fünf Jahrgängen. Zweigelt hat sich nicht nur im Cuvée-Bereich etabliert, sondern auch die riedenreinen Weine zeigen Herkunft und Charakter. Das Entwicklungspotenzial der Rebsorte ist heute besser denn je. 2023 Zweigelt klassisch, 2022, 2020 und 2019 kann man bereits antrinken. Die 2021er verfügen über enormes Potenzial, sollten aber erst in den kommenden Jahren getrunken werden. —
Zu den Bewertungen
1. Kategorie: Fruchtbetonte Zweigelt 2023
2. Kategorie: 2023 Zweigelt Reserve
3. Kategorie: Zweigelt klassisch & Riedenweine 2022
4. Kategorie: 2022 Zweigelt Reserve & Cuvées
5. Kategorie: Zweigelt & Zweigelt-Cuvées 2021–2019
Verkostet und bewertet wurden die eingereichten Weine vom Autor in Zalto-Universalgläsern. Im Anschluss wurden die besten Weine jeder Kategorie in einer Blindverkostung von einer Fachjury bewertet.
Jurymitglieder waren Hans Martin Gesellmann (Kracher Fine Wine), Benjamin Mayr (Del Fabro/Kolarik), Dragos Pavelescu (Önologe), Johannes Tremel (Weinhandel), Philipp Schäffer (Weinhandel) und der Autor.