Was der Wein will
Andi Gsellmann war in Österreich einer der Ersten, der Traminer auf der Maische vergären ließ und der Sorte so einen neuen Geschmacks- auftritt verschaffte. Damit wurde der Winzer auch in der internationalen Natural-Wine-Szene populär.
„Ich versuche herauszufinden, was der jeweilige Wein gerade braucht“, erklärt Andi Gsellmann das ungewöhnliche Prozedere, „eigentlich sind es Botschaften an mich selbst.“ Der gefühlvolle Umgang mit seinen Weinen ist dem Winzer wichtig. Es soll nicht bloß ein Produkt entstehen, sondern etwas Beseeltes, Transzendentales, das auch spürbar ist. Es sei vor allem das Energetische, das ihn dabei interessiert – das, was hinter dem Sichtbaren steht. Ein Zugang, für den man schnell als Esoteriker abgestempelt wird und damit jeglichen Anspruch auf Seriosität oder gar Qualität verwirkt. Aber der burgenländische Winzer ist weder ein Träumer noch ein Spinner – er weiß genau, was er will und wie er es erreichen kann. „Ich schieße nicht ins Blaue“, erklärt er, wenn er etwas tue, dann gäbe es auch einen Plan dahinter. „Man kann nicht nur meditieren, man muss auch Geld verdienen.“
Eine besondere Feinfühligkeit habe er jedoch schon als Kind gehabt, eine intensive Wahrnehmung seiner Umwelt. Deshalb fühlte sich auch die Biodynamie, nach dessen Richtlinien der Betrieb seit 2007 bewirtschaftet wird, von Anfang an so vertraut an. Da habe er erstmals eine ähnliche Denk- und Empfindungsweise wiedergefunden. Die Idee eines großen Ganzen, wo alles mit allem verbunden sei. Allmählich entwickelte er dadurch ein tiefes Verständnis für die Vorgänge in der Natur und das Wissen um die Bedürfnisse von Boden, Rebe und dem werdenden Wein. 2011 wurde er Mitglied der Winzergruppe „respekt-BIODYN“ und somit zertifiziert. Damals wurde das Weingut noch von seinen Eltern geführt. Andi Gsellmann arbeitet zwar schon seit 2005 im Betrieb, offiziell übernahm er jedoch erst 2021, nachdem Vater und Mutter in Pension gingen. Er sei langsam in den Betrieb hineingewachsen, habe sich aber von Beginn an entfalten können.
„Ich bin immer für alles offen gewesen, was der Andi machen wollte“, sagt der Vater. Hans Gsellmann ist ein geselliger Mensch, der gerne erzählt: vom Großvater, der als einer der Ersten der Region mit Wein handelte, von den Weißweinen, die einst im Burgenland einen höheren Stellenwert hatten als die Roten, und vom Blaufränkisch, den man bloß in der Ebene, in den minderwertigeren Lagen pflanzte. Als er erstmals Blau-fränkisch-Reben auf Hanglagen pflanzte, hätten die Nachbarn nur die Köpfe geschüttelt: „Du wirst den Blaufränkisch doch nicht auf den besten Rieden setzen, den kannst du doch im Keller aufzuckern!“ Er erzählt auch vom Weinskandal, wo man nichts Genaues gewusst habe, aber beobachtete, dass einige Winzer plötzlich so viel Geld verdienten, dass sie die Scheine in Wäschekörben stapelten; und von der Zeit nach dem Weinskandal, als sich das Blatt wendete und diejenigen profitierten, die nicht gepanscht hatten – als man nach Wien fuhr und Wirte schon an der ersten Kreuzung nach der Stadteinfahrt warteten und ihnen die Weine förmlich aus der Hand rissen. Hans Gsellmann war auch einer der Mitbegründer von „Pannobile“ vor genau 30 Jahren, ein Winzerverein, der antrat, um den burgenländischen Weinen eine neue Identität zu geben. Er sei immer offen für neue Ideen gewesen und begrüßte auch den Umstieg auf Bio und später Biodynamie. Der Übergang vom Vater zum Sohn fand fließend statt – radikale Brüche gab es keine.
„Vielleicht hat der Vater aus Vorsicht die Weine ein wenig zu technisch gemacht“, glaubt Andi, aber das sei halt auch die Zeit gewesen, wo man in der Vinifikation gemeinhin aufrüstete. Zuweilen sei die Vorsicht des Vaters auch berechtigt gewesen, gesteht er. Als der Sohn zu Beginn der Natural-Wine-Bewegung, auf Schwefelzugabe gänzlich verzichtete, sah Hans Gsellmann schwarz. „Er hatte leider Recht“, gesteht der Junior, „einige Weine entwickelten Fehltöne. Ich hab mir damals leicht getan, weil ich noch nicht die Verantwortung für das Weingut hatte“, erinnert er sich, „so einen Blödsinn hab ich dann, als es mein Betrieb war, nicht mehr gemacht.“
Seither werden alle Weine leicht geschwefelt. Bei der Spontangärung habe er wiederum zu Beginn Bammel gehabt, wenn eine Gärung stotterte, während der Vater ruhig blieb. „Das wird schon“, meinte der nur stoisch. Im Großen und Ganzen hat es den Anschein, dass die beiden ein gut eingespieltes Team sind: „Ich hab immer seinen Drang zur Qualität gesehen“, sagt Andi, „da kann ich gut anknüpfen“, habe er sich gedacht. Es sei eine gute Basis da gewesen, als er den Betrieb schließlich vor drei Jahren übernahm. Vorschriften gab es keine, nur drei Ratschläge habe der Vater ihm ans Herz gelegt: Geh deinen eigenen Weg. Geh ihn mit Gleichgesinnten und begegne der Natur mit Achtsamkeit und Respekt.
Er sei dem Rat gefolgt und begann, seinen eigenen Zugang zur Landwirtschaft zu suchen, den er schließlich in der Biodynamie fand. „Heute ist der Vater mein bester und billigster Mitarbeiter“, scherzt der Sohn, man müsse eher schauen, dass er nicht schon frühmorgens zu arbeiten beginne, wenn alle noch schlafen wollen.
Der Stil der Gsellmann-Weine änderte sich im Laufe der Jahre. Waren sie unter „Gsellmann & Gsellmann“, als der Vater gemeinsam mit dem Bruder das Weingut führte, noch relativ konventionell, begann mit dem Einstieg von Andi Gsellmann eine experimentelle Phase, wo man sich stilistisch auslotete. Nach Reisen in den Karst, in den Collio und nach Slowenien zu den Meistern der „Orange-Weine“ versuchte man, auch daheim Maischegärung bei Weißweinen einzusetzen. Andi hatte dabei von Beginn an den Traminer im Visier, eine Sorte, die im Burgenland aufgrund ihres plakativen Geschmacksbilds niemand mehr wollte. Auch Andi Gsellmann nicht. Dann bekam er den Weingarten mit Gelbem, Rotem und Gewürz-Traminer. Also wollte er was draus machen, etwas, das die verschmähte Rebsorte auch für Kenner trinkbar mache. Dem damals blutjungen Winzer gelang es tatsächlich, den operettenhaften Charakter des Traminers zu bändigen. Dem aufdringlich süßen Odeur setzte er mit zunächst mehrwöchiger Gärung auf der Schale eine ordentliche Gerbstoff-Struktur entgegen – und siehe da: Die alte, grell geschminkte Dame erstrahlte in neuem Glanz. Die Trägheit wich einer reizvollen Frische, der einstige Kitsch wandelte sich in eine ungeahnte Grandezza. Damit gelang ihm ein Meisterwerk, das sich rasch zum Kultwein in der internationalen Orange-Fangemeinde entwickelte. Aber selbst viele Orange-Muffel fanden Gefallen an dem so zarten wie eindringlichen Wein mit seinen mediterranen Aromen nach Blutorange, Kräutern und einem Hauch Meer. Schon sein erster Jahrgang 2011 war ein sensationeller Erfolg.
Ihm selbst behagte zunächst gar nicht, nur auf diesen einen Wein reduziert zu werden, wo er doch so viele andere im Programm hatte. Noch dazu ätzten Kollegen: „Maischevergorenen Traminer kann ja jeder Idiot!“ Mag sein, aber kaum einer bekommt ihn so feingliedrig und vielschichtig hin wie er. Bei der sonst gerne plumpen Rebsorte spielt ihm eindeutig sein angeborenes Feingefühl in die Hände. Fragt man den Winzer, was denn sein Ideal eines Traminers sei, antwortet er wie aus der Pistole geschossen: „Wenn er nicht nach Traminer schmeckt!“ Das ist ihm gelungen. Mittlerweile scheint maischevergorener Traminer Standard geworden zu sein. Nur wenige Weißweinsorten eigenen sich so gut für die Vinifikationsmethode. Man will ihn gar nicht mehr anders trinken. Erst die Gerbstoffe, die am Gaumen auch als Säure wahrgenommen werden, verleihen dem Wein Lebendigkeit, Frische und Tiefgang. Und Gsellmann ist einer ihrer Meister. Mittlerweile ist sein Signature Wine noch feiner geworden, er lässt ihn nur mehr zwei Wochen auf der Maische im Holzgärständer, danach kommt er in die Amphore und ins große Holz, abhängig vom Jahrgang.