Der hochprozentigen Zähmung

Bittersüß mit Schuss: Immer mehr Chocolatiers machen mit Schnapsbrennern gemeinsame Sache. Ob Waldviertler Whisky und Tiroler Zwetschkenbrand in Tafeln oder Mariazeller Kräuterlikör in Pralinen: Alles ist made in Austria.

Der hochprozentigen Zähmung


Text: Anna Burghardt | Fotos: Michael Reidinger

Einer schlägt vor, zwei schlagen zurück: „Wonach bitte sollte 
eine Wodkatrüffel schmecken?“, fragten Thomas Scheiblhofer und Christian Petz, „Wodka hat ja im Idealfall keinen Geschmack“. Xocolat-Chef Werner Meisinger hat die beiden zwar „ewig gequält“, eine Wodkatrüffel für die Barfly-Collection zu entwickeln, schlussendlich zählte aber deren aromabegründetes Njet, und der Wodka durfte sich dann nicht zur Schokolade gesellen. Christian Petz ist zwar seit kurzem nicht mehr für die Xocolat Manufaktur tätig, war aber an der Entwicklung der Kollektion beteiligt, einer Auswahl hochprozentiger Truffes mit legendären Barspirituosen. Der Blue Gin von Hans Reisetbauer ist mit deutlich mehr Eigengeschmack als Wodka gesegnet, weshalb er auch – als einziges österreichisches Produkt – Teil der Barfly-Collection ist, neben Kalibern wie Lagavulin Whisky 16yo oder Cognac Hennessy VS.

Kooperationen zwischen heimischen Chocolatiers und Schnapsbrennern sind in den letzten Jahren immer häufiger geworden: Zotter mit Gölles und Norderd, Hagmann mit Haider-Whisky, Haag mit Kössler für die Tiroler Edle… Mit Weinbrandbohnen oder Likör-fläschchen für den Christbaum haben diese Tüfteleien freilich wenig zu tun; es geht in den meisten Fällen darum, die Spirituosen so stark wie möglich in Tafelschokoladen oder Trüffeln wirken zu lassen. Vor diesem Hintergrund wirkt es fast unfair, dass es die Chocolatiers sind, die dabei die hauptsächlichen Tüftler sind

Mit Hans Reisetbauer hatten Xocolat-Patissier Thomas Scheibl-hofer und Christian Petz schon vor den Barfly-Trüffeln getüftelt: Pralinen mit dessen Bränden sollten es sein, lebensmittelfarbig bestempelt mit dem markanten Reisetbauer-Logo. Dass diese Pralinen aber derzeit nicht zu haben sind, liegt am Perfektionsdrang der Chocolatiers. „Wir wollten halt keine Schokolade-Hohlkörper verwenden“, blickt Ex-Xocolat-Kompagnon Petz zurück. Gegen dieses vorgefertigte Produkt hat er eine hörbare Abneigung. „In die könnte man auch Wasser einfüllen und das würd halten.“ Also tüftelte man an Reisetbauer-Schnitt-pralinen: Eine kompakte mit Hochprozentigem angereicherte Ganache, also Trüffelmasse, wird in einen Rahmen gegossen und nach Festwerden mit einer Harfe geschnitten. Die Ganache hat dafür viel 
fester zu sein als bei Hohlkörperpralinen. Was wiederum bedeutet: Man kann logischerweise nur relativ wenig Schnaps verwenden, sonst wird die Masse zu flüssig. Man hat es mit 80-prozentigen Reisetbauer-Bränden probiert, aber die sind nicht immer in gereiftem Zustand zur Verfügung gestanden. Schlussendlich waren die Ergebnisse „eh befriedigend“ – aber nur für einen begrenzten Zeitraum: Die Schnittpralinen seien nämlich nach einer Woche einfach ausgeraucht gewesen. In der Xocolat-Manufaktur arbeite man gerade an einer neuen Technik, um die Aromen länger durchzubringen. An Bränden werden jedenfalls eher die Klassiker verwendet, man wolle ja schließlich auch etwas verkaufen. Topinamburbrand oder Ähnliches kommen derzeit nicht in Frage: Der sei selbst schon so ein Nischenprodukt, und ein 
Nischennischenprodukt könne ja nicht das Ziel sein.

Hätte Konditor Hansjörg Haag einmal Ambitionen, ein solches Nischennischenprodukt zu machen, hätte er zumindest den Richtigen an der Hand: Christoph Kössler hat nämlich Topinamburbrand im Programm. Die beiden beschränken sich aber für ihre Schokoladen ebenfalls auf gängigere Früchte: In die Tiroler Edle-Tafeln kommen unter anderem Brände aus Him-beeren, Preiselbeeren oder Zwetschken. Stanzer Zwetschken bitteschön, da sind die Tiroler Oberländer genau. Dank denen hat es 1999 zwischen Kössler und Haag gefunkt: Christoph Kössler, der übrigens im Geburtshaus des Barockbaumeisters Jakob Prandtauer lebt und gleich daneben seine hochmoderne Brennerei hat, brannte die Stanzer Zwetschke, Hansjörg Haag fand außerordentlichen Gefallen daran und machte aus dem Erzeugnis Pralinen. Es folgten weitere Sorten, etwa mit Bränden aus Orangenmuskateller – einer Südtiroler Sorte –, oder Weichsel, „und auch mit Bier- oder Karottenbrand haben wir’s versucht, es gibt ja heute keine Grenzen mehr“, sagt Hansjörg Haag. Die Pralinen haben es in weiterer Folge der Ideenmaklerin Therese Fiegl angetan, die seit 2001 mit den beiden hinter der Marke Tiroler Edle steckt. Nachdem es zum Charakter eines felsafeschten Tiroler Oberländers gehört, dass es durchaus Zeit brauchen kann, bis man sie von etwas überzeugt hat, kann Vermittlerin Fiegl wohl durchaus stolz auf die Zusammenarbeit mit den beiden Oberländern sein. Wenn sie mit dem Schnapsbrenner Kössler und dem Konditor Haag zusammentrifft, muss sie immer wieder an einen alten Tiroler Spruch denken, erzählt Therese Fiegl: „Bevor du von einem Oberländer ein Bussl bekommen hast, hast von 
einem Unterländer ein Kind.“ Bussln gibt es aber nun doch ganz schön viele, wenn man so will, die Tafeln, in die nur Milch von der uralten Rasse Tiroler Grauvieh kommt, sind auch im Ausland schon zu haben.

Ins Ausland blickt der Kremser Thomas Hagmann indes gar nicht so sehr: Die Zutaten für seine hochprozentigen Schokoladen stammen fast ausschließlich aus der Region. Außer die Kakaobohnen natürlich. Mit diesen könnte doch sein Waldviertler Whisky gut harmonieren, dachte sich Johann Haider, und klopfte bei Thomas Hagmann an, ob man nicht eine Whisky-Schokolade probieren könne. Man konnte. Schließlich hatte Hagmann uralte Rezepte für das Zusammenspiel von Whisky mit Schokolade, auf denen aufbauend er eine Ganache mit Haiders Waldviertler Whisky entwickelte. „Whisky ist für Schokolade eine tolle Sache“, sagt Thomas Hagmann, „das Kratzige, Rauchige passt da sehr gut“. Auch für ihn ist das Verhältnis zwischen Schokolade und Flüssigkeit die große Herausforderung. Und ein Geheimnis: „Das Verhältnis sag ich Ihnen natürlich nicht.“ Beim Tüfteln mit neuen Sorten gibt es eine einfache, manchmal ziemlich ärgerliche Regel der Natur, sagt er: „Wenn der Geschmack zu schwach ist, kann ich nicht einfach mehr Alkohol dazuschütten. Dann geht’s halt nicht.“ So paradox das klingen mag, Alkohol verdicke die Schokolade. „Also ich kann schon mehr dazuschütten, aber dann wird’s ein Sterz.“ Ein was bitte? „Wir nennen das Sterz, wenn die Schokolade so klumpig ist, dass man sie nicht mehr verarbeiten kann.“

Thomas Hagmanns Lieblingssorten sind Whisky – „ein sauberes, gerades Rezept, super!“ – und die Dirndlschokolade, eine Auftragssorte, die deswegen in seinem Geschäft in Krems nicht zu haben ist. Thomas Hagmann arbeitet 
nämlich nicht nur mit Whisky-macher Johann Haider zusammen, sondern „sicher mit vierzig Spirituosenherstellern“, für die er unter deren Label Schokoladetafeln produziert. Wichtig ist Thomas Hagmann dabei immer eine langjährige Partnerschaft mit den Brennern, „ich brauch nicht, dass wer für kurzfristige Schlüsse daherkommt und sagt, machma schnell dies, machma schnell das. Wir haben ja beschränkte Ressourcen.“ Bei den eigenen, also bei den unter dem Hagmann-Label vertriebenen Sorten sei Johann Haider und dessen Waldviertler Whisky eine Ausnahme, das Logo Thomas vom Waldviertler Roggenhof scheint auf den Hagmann-Manschetten auf.

Dass sein Produzent auf der Verpackung aufscheint, ist für Walter Arzberger eine Ehre: Er lässt die Mariazeller Likörpralinen schließlich von keinem Geringeren als von Demel herstellen. Das passt nicht zuletzt angesichts der Betagtheit der beiden Unternehmen: Den Demel in Wien gibt es seit 1786, die Likörmanufaktur Arzberger in Mariazell seit 1871. Und auch die Krustenpralinen, flüssig gefüllt mit Mariazeller Magenlikör halbsüß, habe es viele Jahrzehnte gegeben, erzählt Walter Arzberger, vor zwanzig Jahren oder so sei aber der Konditor gestorben, das Produkt lag fortan brach. „Immer wieder haben aber Leute danach gefragt, weil sie sich daran erinnert haben.“ Und anlässlich des 125-jährigen Jubiläums des Unternehmens wollte man was Besonderes machen und begab sich auf die Suche nach einem Hersteller für die neue Generation der Likör-pralinen. „Das ist zu kompliziert für uns“, hörte Walter Arzberger aber in der Umgebung, „geht’s zum 
Muthentaler“. Und so kam es, dass Demel-Chefpatissier Dietmar Muthentaler kontaktiert wurde. „Der war aber grad in Südtirol“, berichtet Arzberger von einer nicht ganz leichten Geburt, „nach der Rückkehr sind wir aber zusammengekommen“. Nun werden also in der Demel-Werkstatt die Krustenpralinen mit Schokohülle, „vom Prinzip her ähnlich wie Rumkugeln“, fabriziert. Und zwar in zwei Sorten, mit ungesüßtem Kräuterbitter und mit halbsüßem Likör, in beiden Varianten stecken nicht weniger als 33 verschiedene Kräuter. „Der Kunde kann selbst steuern, wie süß er es möchte: Die Kräuterbitterpralinen werden beim Zerbeißen der Zuckerkruste quasi zum Likör, und die Pralinen, die schon mit unserem Halbsüßen gemacht werden, werden halt noch süßer“, erklärt Walter Arzberger das Prinzip. Haltbar seien sie etwa ein Jahr, „aber in der Praxis werden sie nie so alt, die Pralinen sind nicht nur bei Pilgern der Renner“.

Zu ihren jeweiligen Rohstoffen haben es weder Alois Gölles noch Josef Zotter weit: Zotters Kakaobohnen sind noch warm von der Röstung, wenn sie bei Schnapsbrenner Gölles ankommen. Und dessen Brände sind, hm, jedenfalls auch gut in Schuss, wenn sie in Josef Zotters Hände gelangen. Beide Herren sind in Riegersburg in der Steiermark zuhause, kennen sich seit 45 Jahren. Und machen seit Ewigkeiten gemeinsame hochprozentige Sache. In zweierlei Hinsicht, erzählt Alois Gölles. Da ist zum einen der Schokoladegeist, das jüngere Kind. „Wer da das erste Wort hatte, weiß ich nicht mehr, aber die Idee ist sicher bei der Buschenschank entstanden.“ Seit 2006 destilliert Gölles jedenfalls Kakaobohnen. „Sie waren ja sicher schon beim Zotter. „Am Weg der Kakaobohnen zum Conchieren steh ich mit meinem Rohrzuckerbrand mit 70 Volumsprozent und sammle quasi mein Grundprodukt auf.“ Die gerösteten, zerkleinerten Kakaobohnen. Und Rohrzuckerbrand deshalb: „Wo Kakao wächst, gibt’s oft Rum“. Gölles sieht seinen 43-prozentigen Schokogeist als perfekten Begleiter von Kuchen oder Espresso. Aus diesem Brand macht der Schnapsbrenner durch Zusatz von „mittlerer und dunkler“ Schoko-lade einen Likör mit 17 Volumsprozent. Alois Gölles gefällt an der Zusammenarbeit mit Sepp Zotter nicht nur die Sympathie zwischen den beiden Herren, sondern auch die Nähe zum Ursprungsprodukt. „Das ist wirklich eine einzigartige Basis: in Österreich direkt nach der Röstung Kakaobohnen zum Destillieren zu bekommen, das ginge sonst vielleicht grad mal noch in Wien.“ Anmerkung: Hier ist mit Manner der zweite und letzte heimische Schokoladeproduzent zuhause, der seine Bohnen selbst röstet.

Neben dem Schokoladegeist arbeiten Gölles und Zotter auch noch in Sachen Tafeln (die auf grund der Machart genau genommen flache Pralinen sind) zusammen. Schwierig sei das Zusammenspiel von Schokolade und Schnaps gar nicht zu bewerkstelligen, sagt Zotter, „man muss halt wollen“. Was auch bedeutet, ein bisschen mehr Wareneinsatz in Kauf zu nehmen. „Ein 60-Prozentiger kostet halt um die Hälfte mehr als einer mit 40 Volumsprozent – aber das braucht’s einfach.“ Vor der Partnerschaft mit Gölles habe man, wie die meisten anderen Chocolatiers hierzulande, mit Marc de Champagne oder Grand Marnier gearbeitet, „mit allem, was französisch klingt“. Irgendwann wollte man das Ganze aber regionaler halten und da waren Gölles’ Spirituosen (und auch dessen Essige, mit denen es einige Schokoladesorten gibt) nicht nur aufgrund der geografischen Nähe die logische Wahl: „Der Alois produziert einfach ohne Umschweife, zuckert nicht auf oder so.“ Für die Zotter-Tafeln werden unter anderem Himbeeren, Kirschen oder Zwetschken in hochprozentiger Form verarbeitet, oder auch Zuckerrohrbrand, wenn einfach ein bisschen Alkohol ohne Frucht gebraucht wird. Der Zucker ist fairtrade und bio, wie alles bei Zotter.

Alois Gölles liefert nicht einfach nur die Brände, sondern ist insofern an den Tüfteleien beteiligt, als er nach Josef Zotters Wünschen stets noch ein bisschen an den Aromenschrauben dreht: „Der Zotter hat zum Beispiel den Kirschenbrand gern mit mehr Stein, das macht den Brand charaktervoller, was für die Schokolade wichtig ist. Ich würde den Brand für meinen Verkauf mit weniger Nuancen in diese Richtung machen.“ Der Gesamtanteil der Brände an den Tafeln ist aber, wie bei allen vergleichbaren Produkten, relativ gering. „Da muss man einfach mit mehr Aroma reinfahren.“