Cheers, Charles

Mit 75 Jahren sieht Charles Schumann täglich nach dem Rechten in der Bar, die seit 1982 seinen Namen trägt. Dazwischen lernt der Münchner mit den prononcierten Ansichten Japanisch und Boxen. Oder er macht sich Gedanken zur Gastronomie.

Text Roland Graf ∙ Foto Klaus Norris Nather

Nein, er wird seinen 75er nicht öffentlich feiern. Charles Schumann, der bekannteste Barkeeper deutscher Zunge, sitzt im sonnigen Gastgarten des Schumann’s und redet sich warm: Was ihn nervt, was ihm schmeckt und warum er sich dem Gastro-Franchise verweigert.

Mitunter hat’s der Bayer leicht. Geht er im Münchner Hofgarten nach rechts, wartet das Augustiner-Bier unter Bäumen, hält er sich links, betritt man weltberühmten Bar-Boden. Lederhose und Laptop für Durstige, quasi. Der Namensgeber des Schumann’s sitzt bereits beim Espresso. „Wenn ich in der Stadt bin, dann findet man mich mittags immer hier.“ Von den vielen Geschichten über Schumann, das Raubein, das Baldessarini-Modell und den ewigen Kritiker kulinarischer Manieriertheit stimmt heute vor allem eines: Der Mann ist entspannt. Im blauen Anzug aus seiner Dressman-Zeit („Die passen alle noch.“) plaudert er über ein gastronomisches Leben, das durchaus als einzigartig gelten darf.

„Mein Vater konnte nicht kochen, aber einmal im Jahr gab es hausgemachte Nudeln“, erinnert sich Schumann an seine frühe Wertschätzung einfacher Lebensmittel. „Da legte er ein weißes Tischtuch auf und trocknete darauf die Nudeln.“ Aufgewachsen 1941 in der Oberpfalz, bestimmte Mangel den Speiseplan. „Ich weiß noch, als ich vom Internat nach Hause gekommen bin und da gab es zum ersten Mal zum Frühstück Wurst bei uns!“ Darin vermutet der bis heute leidenschaftliche Salami- und Chorizo-Fan eine frühe Prägung. „Essen ist ja auch Erziehung“, meint Schumann und erinnert sich, dass am Bauernhof zwei Mal im Jahr geschlachtet wurde. „Vom Getreide hat man nach der Ernte etwas bei der Mühle abgeliefert und dafür Brot-Scheine bekommen.“

Die französische Prägung
So ungewöhnlich die Barkarriere des als Karl Georg Schuhmann (damals noch mit „h“) geborenen Pfälzers verlief – in einem Punkt gleicht sie vielen Lebensläufen jüngeren Datums. Denn auch bei Schumann war die Bar als Arbeitsstätte nicht die erste Wahl. Erst nach einer Zeit beim Bundesgrenzschutz und einer Ausbildung zum Konsulatssekretär im Auswärtigen Amt fand er den Weg in eine Hotelfachschule. Sozialisiert wurde er aber in Südfrankreich, wo er von 1971 bis 1973 in Clubs arbeitete und nebenbei in Montpellier Französisch studierte. Der Name Charles blieb ihm, als er in München Barkeeper in der legendären Harry’s New York Bar wurde.

Als er aus Frankreich
zurückkam, herrschte an der Isar gerade gastronomische Aufbruchsstimmung. „Nicht alles war in der Zeit auch Gold“, meint Schumann heute mit Blick in den Rückspiegel. „Der erste Italiener in München war sofort überlaufen, und wir fanden den alle gut. Die Frage ist nur: Würden wir den heute auch noch so großartig finden?“ Dann, wir ­schreiben inzwischen das Jahr 1982, eröffnete in der Maximilianstraße 36 die „alte“ Schumann’s American Bar. Der Rest ist Geschichte, inklusive des Umzugs in den Hofgarten. Der Bayerische Rundfunk hat sie in einer eigenen Fernsehdoku nachgezeichnet. Marieke Schröder hat das TV-Porträt Schumanns gestaltet und dafür alte Weggefährten wie Eckart Witzigmann oder Stefan Gabanyi, der heute seine eigene Bar führt, interviewt. „Der Ecki“, erinnert sich Schumann, „hat sich letztens von uns einen Salat für zu Hause mitgenommen, weil er ihm so geschmeckt hat.“

Essen, das man sich merken kann
Angesichts der Erfolge als Bartender vergisst man gerne, dass im Schumann’s auch täglich zweihundert Essen verkauft werden. „Wir kochen jeden Tag eine Suppe, gestern etwa Borlotti-Bohnensuppe mit gebratenem Pulpo“, bekennt sich der Chef mit den langen weißen Haaren zu „Essen, das ich mir merken kann“. Die legendären Bratkartoffeln, für die Schuman selbst oft das Gemüse zuputzt, sind dafür das beste Beispiel. Auch das Paté-Rezept, „das von unserem alten Risotto-Koch, der bei Gualtiero Marchesi gelernt hat, mache ich immer noch selbst – mit viel Hühnerleber“. Dabei hatte auch Schumann selbst bis vor 15 Jahren, als er als sein zweites Lokal die Tagesbar eröffnete, „wenig Ahnung vom Kochen“. Mittlerweile weiß der Barchef aber genau, wer von der Crew ihm ein Omelett zubereiten darf.

„Ich habe gelernt, dass aus den gleichen Zutaten dann etwas Großes wird, wenn es einer auch wirklich kann.“ Als Beispiel nennt Schumann den Schinken in der Bar, den er sich von Roman Thum aus Wien kommen lässt und der schlicht „großartig“ sei. Und natürlich kommen wieder die Franzosen ins Spiel: „Wenn du in die Bar des Winzerverbands in Bordeaux gehst, gibt es einfach einen kleinen Teller Kopfsülze, und die ist perfekt!“

Salami raus aus dem Drink!
Es wird Zeit, auch über die Sünden der Küche zu sprechen. Schumann gilt auch kulinarisch als Qualitätsfanatiker, für die Bar in der Maximilian­straße klapperte er persönlich die Bäckereien ab, um das beste Brot zu finden. „Sehr wichtig waren mir immer gutes Brot, Nudeln und Kartoffeln“, lobt er heute noch die einfachen Genüsse. Jungen Bartendern gibt der Altmeister auch gerne den Rat, die Dekoration schlank zu halten: „Bitte keine Salami auf den Drink oder ins Glas geben, sondern lieber drei Scheiben Super-Salami dazu anbieten. Oder ein gutes Brot mit Salzbutter, mehr braucht’s doch nicht.“

Der jugendlich schlanke 75er hat natürlich eine klare Meinung, wie seine Lieblingsgerichte zu schmecken haben. „Viele Köche braten meiner Meinung nach falsch: zu stark, zu lange, zu ölig oder sie lassen das Fleisch zu wenig ruhen.“ Letztlich gehe es doch auch um die Liebe zu Lebensmitteln: „Ich freue mich richtig, wenn ich eine Sauce Bolognese blubbern höre. Da gebe ich – auch wenn es nicht richtig ist – viel Öl dazu, nur damit es schön blubbert.“ Das Ergebnis dieser Bemühungen schätzt er selbst lakonisch ein: „Manchmal sind wir supergut, aber wir sind nie ganz schlecht. Und das ist der Punkt.“

Bitte verbieten: 300-Gramm-Steaks
Dazwischen landet Boxer Schumann dann noch ­einen Treffer gegen die aktuelle – „aus Fleisch, Fleisch, Fleisch bestehende“ – Küchenmode. „Ich finde, dass man über einer gewissen Gewichts­klasse gar kein Fleisch anbieten dürfte. Alles über 300 Gramm ist doch einfach viel zu viel. Mich nerven vor allem diese Wahnsinnsportionen.“ Es sei aber nur eine Frage der Zeit, bis diese wieder von den Karten verschwinden, schätzt Schumann.

Entsprechend wenig hält der ­Betreiber einer Campari-Bar auch von der Entwicklung des „Aperitivo Lungo“. „Früher war das eine Kleinigkeit zum Drink“, lobt Schumann die italienische Erfindung, „doch heute wirst du zugeknallt mit Pizzabrot, kalten Nudeln und was weiß ich noch allem. Also schlechter italienischer Küche, nach der du nicht mehr zu Abend essen kannst und willst.“ Die richtige Portionsgröße in der Küche zu finden, sei allerdings schwierig, „das habe ich auch mit unserem 22-jährigen Küchenchef diskutiert“. Denn satt machen soll das Mittagessen, und er liefert ein Zitat eines Tokioter Freundes zur japanischen Küche nach: „Weniger ist bei uns mehr, das stimmt schon. Aber zu wenig ist einfach zu wenig.“

Konzepte sollen andere schreiben
Schumanns Buch-Klassiker American Bar wurde selbst in New York verlegt, die deutsche Version kam heuer in der x-ten Auflage heraus. Doch im Gegensatz zu anderen großen Namen der Gastronomie beschränkte sich Schumann auf München. Franchise gibt es nicht, von der naheliegenden Idee einer Gläserserie einmal abgesehen. „Meine Essensgeschichten funktionieren nur mit meiner Anwesenheit. Ich kann daher auch keine Konzepte für andere schreiben.“ So einfach ist das. Und wenn ihn heute doch jemand ­fragen würde? „Wenn ich in Deutschland was mache, käme nur Berlin in Frage. Das ist als Stadt für mich am spannendsten – wobei das nicht heißt, dass ich dort was mache. Alles rein hypothetisch. Aber ich bin letztens um ein Uhr nachts am Montag durch die Stadt spaziert, und da lebt alles.“

Sein Arbeitsethos bemüht der 75-Jährige auch, wenn es darum geht, warum er kaum Interviews gibt: „Wenn du 30 oder 40 Leuten dasselbe erzählst, fragen sich schnell alle: Hat der nichts Besseres zu tun?“ Charles, der Kulturkenner, kokettiert kurz mit Greta Garbo und Marlene Dietrich, deren Ruhm wuchs, indem sie sich rar machten. Auch der deutsche Boxer Max Schmeling, den der Faustkämpfer Schumann ­natürlich kannte, habe es so gehalten – „und der ist allen als Boxer in Erinnerung geblieben“.

Best of Schumann – der Film
Statt ewig gleiche Fragen zu beantworten, reist Schumann nach wie vor viel. Geplant war daher auch eine Fernsehserie, in der er seine weltweit liebsten Bars vorstellt. Aktuell scheint daraus mangels Finanzierung durch die TV-Sender ein Film zu werden. In Wien wurden Marianne Kohn und die Loos-Bar porträtiert, New York und Tokio, seine geliebte Stadt, hat er schon durch. Parallel warten Bar-Shows – zuletzt in Paris – und die wenigen Cocktail-Wettbewerbe, denen er sich als Juror zur Verfügung stellt.

Die Nachwuchsarbeit nimmt der Münchner mit Legendenstatus ernst; fast liebevoll über­nahm er bei einem Cocktailwettbewerb in Malaga den Shaker der jüngsten Teilnehmerin und zeigte ihr, wie man stückige Drinks ohne Kleckern ausgießt. Doch es wäre nicht Schumann – der selbst von sich sagt, „der Charles muss immer meckern“ –, wenn er nicht auch die Kehrseite ansprechen würde. „Ich habe ein Problem damit, dass viel zu junge Leute heute Markenbotschafter sind. Der steht ein halbes Jahr an der Bar und wird plötzlich Brand Ambassador. Da denk ich mir, gibt’s keine anderen Leute? Oder wenn mir irgendein Junger ganz selbstverständlich erklärt, er sei jetzt Marke XY – und ich arbeite mit denen dreißig Jahre zusammen.“

Liebe und Österreicher-Methode
Die Veränderungen der kulinarischen Landschaft nimmt Schumann ansonsten stoisch hin. Allerdings mit einem klaren Blick für Absurditäten. „Mittlerweile gibt es sogar bei uns am Dorf in der Oberpfalz, das so klein ist, dass du dir das nicht vorstellen kannst, ein Sternerestaurant. Und das heißt dann auch noch Soul Food“, lacht er. Generell aber werde das Essen im Restaurant immer besser. „Es gibt junge Köche – und das gilt auch für die Barkeeper –, die ganz selbstverständlich mit den Zutaten umgehen.“ Auch die ­Gäste wüssten viel besser Bescheid als früher. „Ich hoffe nur, dass es genug gute Leute gibt, die eine Kochlehre durchstehen“, sorgt sich Schumann. „Das höre ich von allen, dass sie hier das größte Problem haben. Obwohl der Beruf durch die vielen Kochshows attraktiv gemacht wird und du überall Köche siehst.“

Was ist denn nun das Geheimnis eines guten Essens, wollen wir von Schumann noch wissen. Die Antwort kommt rasch und klingt weise: „Das verhält sich wie mit vielen Dingen: Du darfst nicht lieblos arbeiten! Was da oft zusammengeknallt wird auf einem Teller, das geht gar nicht. Natürlich geht es auch um saisonale Angebote, aber da war Österreich immer schon gut. Da kommt einfach der Kellner und sagt: ‚Das gibt’s heute!‘ Herrlich!“

Das Japanisch-Lehrbuch, in dem er täglich eine Stunde Vokabeln büffelt, hat Charles Schumann heute nicht dabei. „Neugierig zu sein und sich zu verändern, ist wichtig“, lautet sein Motto. Seit vielen Jahren fasziniert ihn die japanische Kultur, in den Bars von Tokio bewundert man aber auch den Deutschen. „Vielleicht übernehme ich hier die Wohnung einer Freundin“, blickt Schumann in die Zukunft. Zumindest in Gedanken hat er schon vorgeplant, wie es enden soll. „Meine letzte Bar mache ich mit zwei Leuten: einem, der besser mixen kann als ich, und mit mir in der Küche. Das kann keiner besser.“ Das Schlusswort im Hofgarten ist voller Selbstbewusstsein. Und anders kann man sich Schumann auch mit 75 Jahren nicht vorstellen.

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