Nach der Arbeit aufs Feld

Text von Alexander Rabl

Dass Wien zu den lebenswertesten Großstädten der Welt gehört, ist mittlerweile bekannt. Wie vielfältig die Landwirtschaft in und um Wien ist, ist vielen Städtern nach wie vor unbekannt. Die Initiative After Work am Bauernhof will genau das ändern. Ein Lokal­augenschein.

Da läuft ein Schwein. Sind wir in Brüssel, der „Hauptstadt“, deren Beschreibung in Robert ­Menasses gleichnamigem Bestseller mit diesem Satz beginnt? Nein, wir sind auch nicht in Wien, aber fast in Wien. Dem Schwein folgen mehrere Schweine, sie rennen um die Wette, sie suhlen sich im Schlamm, vergnügen sich am Futtertrog. Manche der älteren gehen einfach nur ­spazieren. Aggressionen zwischen Jung und Alt gibt es keine, denn das Revier dieser Schweine hat die Größe ­eines Fußballfelds. Alles im Freien. Nur 25 Autominuten von der Wiener Innenstadt entfernt.

Nur wenige Stadtbewohner wissen um die Szene der Gärtner und Bauern Bescheid, die sich in der nahen Umgebung ihrer Stadt auftut. Da liegen große und kleinere Betriebe einträchtig nebeneinander. Bio existiert neben Konventionell. Die einen arbeiten für den Lebensmittelhandel. Andere verkaufen ihre Produkte im eigenen Hofladen, der nur einmal pro Woche für ein paar Stunden öffnet und danach restlos ausverkauft ist. So einer ist der Biobauer Vinzenz Harbich in Aderklaa. Gerade hat er vier Schweine geschlachtet. Höchstselbst zerteilt und im Kühlraum neben dem winzigen Schlachtraum verstaut. Des Biobauern Hipsterbart passt besser zu seinem Lifestyle als zum Caffè Latte der männlichen Bewohner des 2., 7. und 8. Wiener Bezirks, von denen vermutlich nur die Wenigsten schon im Bauerndorf Aderklaa waren, nur wenige Kilo­meter von der Autobahn entfernt. „Meine Kunden kommen fast alle aus der Umgebung, und das gefällt mir“, sagt Vinzenz Harbich.

Der Herbst hat gerade mit einigen größeren Regenmengen angeklopft, was den Schweinen in ihren frischen Schlammbädern besonders gut gefällt. Und Harbich arbeitet an der Errichtung der Winterstallungen für seine Rinder. Die grasen einstweilen noch in Nachbarschaft zu den Schweinen, und der Anblick der in Ruhe Gras und Kräuter schmausenden Stierkälber und Ochsen erinnert an eine Form der Landwirtschaft, Lichtjahre entfernt von der Massentierhaltung, deren Lobbyisten die Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaft prägen. „Im Winter ernähren sich die Rinder von Heu und Mais, das reicht ihnen.“ Von April bis Oktober gibt es frisches Gras, täglich von einem anderen Stück Wiese, in das die Rinder mit Koppeln und Zaun geführt werden.

Ursprünglich arbeitete die Familie Harbich vornehmlich mit Tiroler Grauvieh, so erzählt der junge Biobauer, doch als die Tiroler Kleinbauern von Bio auf Konventionell umstellten (auch das gibt es), ging den Harbichs der Nachwuchs aus. Vinzenz holte Aubrac-Rinder, Angus und Piemonteser nach Aderklaa. Sie gedeihen ­mittlerweile prächtig. Harbich experimentiert auch mit Kreuzungen, sein Ziel: das beste Rindfleisch der Welt, von ihm selbst vier Wochen in einem Dry-ager trocken gereift. „Unsere Beiried sind am Freitag, wenn der Bioladen offen hat, immer als Erste ausverkauft.“ Zum Trost gibt es Schmalz, Grammeln von den Harbich’schen Schweinen und auch mal die eine oder andere Wurst. Im vergangenen Sommer waren neben fetten Schweinskoteletts übrigens T-Bones sehr angesagt. Wegen des Grillens.

Eine Fahrt zu den Gartenbetrieben und Bauern rund um Wien bringt einiges an Wissenswertem und manche schöne Geschmackserlebnisse.

Wir lernen hier über Idealismus, über Biolandwirtschaft und konventionelle Landwirtschaft und dass die Grenzen für Ideenreichtum und Qualität bei beiden Disziplinen oft fließend sind. Obwohl sie sich grundsätzlich voneinander unterscheiden. Ein Besuch in den neuen Hightech-Glashäusern der Gärtner-Familien Flicker und Haidvogl. Das moderne Glashaus-Areal besitzt eine Größe von vier Hektar, zum Vergleich: Das Ernst-Happel-Fußballstadion hat etwa ebenso viele. Hier wachsen dank moderner Lichtregie das ganze Jahr über Salatgurken und Minigurken.

Warum ausgerechnet Gurken, Martin Flicker? „Ich habe die Gärtnerlehre gemacht, den Betrieb der Eltern übernommen dann einfach mit Gurken begonnen, weil sie mir gefielen. Die Minigurke verkauft sich zusehends gut. Besonders in Wien sind Salatgurken und die kleinen Gurken sehr beliebt.“ Weil Schnitzel und Backhendl? „Genauso ist es vermutlich.“ Was in den Bio­läden in Neubau höchstens hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen wird: Substratboden, Verzicht auf Fruchtwechselwirtschaft, Intensivgemüse­anbau und Pflanzenschutz, alles das findet man im Betrieb der Familien Flicker und Haidvogl, wobei letztere das Know-how bei Bewässerung und Pflanzenschutz beisteuert – eine ideale Partnerschaft. Der gut gelaunt wirkende und auf derartige Fragen gut vorbereitete Gärtner Flicker sagt: „Klar arbeiten wir hier mit den Methoden eines großen Betriebs. Doch gesetzliche Grenzwerte oder die noch strengeren des Handels unterschreiten wir locker, chemischer Pflanzenschutz wird nur in extremen Situationen angewandt.“ Beispielsweise beim Mehltau, der die Pflanzen der Salatgurken gerade befallen hat, wie ein Lokalaugenschein in einem der beiden futuristisch anmutenden Glashäuser zeigt. Woher die Technik, das Recycling des Wassers, perfekte Klimaregulation, die Methoden der Düngung? „Das beste Know-how kommt zur Zeit aus Holland, dort haben wir auch Rat und Technik her.“ Und dann fügt Martin Flicker hinzu: „Schön wäre es, wenn man einen der Kulturexperten aus Holland greifbar hätte, gerade in einer Zeit, in der ein Betrieb wie unserer noch mit Anfangsproblemen ringt.“

Die täglich frisch geerntete Minigurke hat es in Wien zu großer Beliebtheit gebracht. „Sie ist auch geschmacklich spannender, weil weniger Wasser ein Mehr an Aroma bedeutet“, sagt Flicker. Er freut sich, dass seine Ware mittlerweile auch an Wiener Schulen geliefert wird. Regio­nales Gemüse zum Kennenlernen, der beste Weg zur kulinarischen Bildung für die Jungen, die in Österreich ohnehin im Argen liegt.

Wie das schmeckt, was aus den Schwäbisch-Hallschen-Duroc-Schweinen, der fett-köstlich-winterkälteresistenten Kreuzung der Harbichs, bereitet wird, kann der hungrige Marchfeldbesucher an der Grenze zum Weinviertel erfahren, im Bioheurigenbetrieb von Maria und Hermann Hofer in Auersthal.

Lokalaugenschein im August an der Grenze zwischen Marchfeld und Weinviertel. Die Windräder stehen still, die Maispflanzen sehen aus wie Ende November, die Luft flirrt, die Sonne sengt in einem der trockensten Gebiete Niederösterreichs. Nur der Wein wächst und gedeiht prächtig. Bei der Familie Hofer schmeckt das Bratl­fett überirdisch gut, cremig, würzig, ohne dass ein einziges Gewürz darin vorkommt. Der Schweinebauch ist nicht ­weniger köstlich als der Couscous mit den frischen Paradeisern oder der Wurstsalat. Bei einem Glas seines hervorragenden Grünen Veltliners erzählt Hermann Hofer, warum man für Biowein zwar mehr Aufwand bei der Arbeit in Kauf nehmen muss, aber deshalb nicht mehr Geld verlangen kann. „Da fehlt es den Kunden einfach an Bewusstsein. Sie beurteilen einen Wein in erster Linie danach, ob er ihnen schmeckt, und vielen ist egal, ob der Wein bio ist.“ Bei der Landwirtschaft verhalte es sich anders, so Hofer. „Viele Landwirte aus der Gegend haben weniger aus ideologischen, sondern aus ökonomischen Gründen auf Bio umgestellt.“ Denn die Leute bezahlen zwar nicht für Biowein, sehr wohl aber für Biogemüse und -feldfrüchte mehr Geld. Witzig, wie der Markt zwischen Angebot und Nachfrage, dem viele gern absolute Bösartigkeit unterstellen, dann plötzlich doch die Dinge im Sinne unseres Planeten regelt. Wie es auch Vinzenz Harbich sagt: „Über Preise wird mit unseren Kunden nicht geredet.“ Und fügt hinzu: „Meine Frau meint immer, wir wären zu günstig. Ich will aber nicht nur für eine Elite arbeiten, sondern für die Leute aus der Umgebung.“

Das Steak von den Rindern des Biohofs Harbich schmeckt dann, wenn man die Familie und ihre Philosophie kennt, noch einmal so gut. Und das Schweins-Wiener schlägt ­jedes Kalbs-Wiener. Dazu gibt es übrigens Gurkensalat. In beliebiger Größe. Und aus der Nachbarschaft.