100 Prozent

Criollo

„From bean to bar“ war ihm nicht genug. Domori-Gründer Gianluca Franzoni machte sich auf die Suche nach dem verlorenen Kakao und wurde in Venezuela fündig. „From genetics to bar“ lautet sein Criollo-Erfolgsmodell.

Text von Nina Kaltenbrunner Fotos: beigestellt

Jeder, der schon einmal hundertprozentige Schokolade probiert hat weiß, dass damit zumeist ein unangenehm bitterer Geschmack und ein stark adstringierendes Mundgefühl verbunden sind. Die wenigsten verbinden damit cremigen Schmelz, balancierte Süße, elegante Nuss- und Fruchtnoten und einen wunderbaren Duft, wie sie „Il 100%“ den Archetyp von Domori auszeichnen. Gianluca Franzoni, dem Erfinder der 100-prozentigen Schokolade, war immer schon klar, dass dieses Geschmackserlebnis möglich ist. Aber wie? Sein Geheimnis lautet „back to the roots“. „Ich glaube einfach an das Talent der Natur“, erläutert der Gründer von Domori, „und das bedeutet für mich das beste genetische Ausgangsmaterial, sprich die Ur-Kakaoart-Criollo, in ihrer gesamten Sortenvielfalt.“ Heute bringt er als Einziger weltweit das ganze Geschmacksspektrum dieser beinahe verschwundenen Criollo-Bohnen in einer Serie hochprozentiger (70%) reinsortiger Schokoladen zum Ausdruck. Und eben in der Königsklasse, der hundertprozentigen Blend aus verschiedenen Sortenraritäten wie Porcelana, Guasare, Chuao und Canoabo.

Venezuela, Criollo, Trinitario und Konsumkakao. Dazu muss man wissen, dass es drei große Kakao-Familien, mit jeweils zahlreichen Unterarten gibt, die sie sich in ihrer Qualität maßgeblich unterscheiden: Forastero, Trinitario und Criollo. Bei Criollo und Trinitario handelt es sich um Edelkakaos. 90 Prozent des weltweit gehandelten Kakaos sind allerdings vom Typ Forastero; Einem „Konsumkakao“, widerstandsfähig, resistent gegen Krankheitserreger, ertragreich, mit den negativen Charakteristika bitter, sauer und adstringierend. Criollo ist das Gegenteil davon: Die Bohnen besitzen wenig Bitterstoffe, einen geringen Säuregehalt, weiche, samtige Textur und volle, elegante Frucht- und Nussaromen. Allerdings sind die Pflanzen sehr empfindlich und schwierig zu kultivieren. Mit Beginn von Massenproduktion und -konsum ging der Anteil von Criollo, der noch bis 1860 den Weltmarkt dominierte, daher drastisch zurück. Heute stellt er nur mehr 0,001% der weltweiten Ernten dar. Trinitario ist eine frühe Kreuzung zwischen Criollo und Forastero und macht etwa 8% der Ernte aus.

Gianluca Franzoni entdeckte Anfang der 90er Jahre als frisch studierter Betriebswirt auf einer Venezuelareise eher zufällig seine Leidenschaft für Kakao. Das Potenzial der seltenen Criollo-Bohnen war ihm sofort bewusst. Also beschloss der Qualitätsfanatiker die Artenvielfalt der Ur-Sorte zu erforschen und sie vor dem Aussterben zu bewahren. Er bezog ein Haus in San Antonio del Golfo und machte sich auf die Suche nach der genetischen Herkunft von Criollo, der heute, durch jahrhundertelange Kreuzungen, kaum mehr in seiner reinen ursprünglichen Form existiert. Beziehungsweise extrem schwierig zu finden ist. Wie ein Besessener ist er Wälder und kleine Plantagen im ganzen Land abgefahren, sammelte und kaufte Rohstoffe. Die unterschiedlichen Sorten studierte er und begann, mit kleinen Trommelöfen und Mixern ausgestattet, den Herstellungsprozess von Kakao zu erlernen: Bohnen rösten und sie zu Kakaomasse mixen. „Geruchlose Bohnen dazu zu bringen herrliche Düfte freizusetzen, löste in mir ein unglaubliches Glücksgefühl aus“, schwärmt Franzoni. Er besuchte Forschungslabors, Universitäten, Geschäftsleute, Kakaohändler und schrieb Kakao-Gedichte. Er probierte und verglich die Vielfalt der unterschiedlichen Criollo-Sorten, beschrieb sie akribisch und begann 1994 als Erster die verschiedenen Sorten von Criollo als auch von Trinitario zu katalogisieren.

Vom Forscher zum Produzenten. Als er mit dem Geschmack seiner Schokoladen endlich zufrieden war, ging er mit vier Tonnen Edelkakao im Gepäck nach Italien zurück. In einem Turineser Traditionsunternehmen verarbeitete er seine Bohnen zu kleinen reinsortigen Schokoladetafeln, die er mit dem Satz „Willkommen in der Welt des Edelkakaos“, vermarktete. Als Weinliebhaber wusste er genau, wo er seine Grand Crus perfekt positionieren musste: in Weinkellereien. Als „Kakao-Sommelier“ leitete er Verkostungen und eröffnete der Gourmetszene eine völlig neue Geschmackswelt: die von hochprozentiger Schokolade aus 100% Edelkakao, Zucker und sonst nichts. Damit löste Schokoguru Franzoni auch einen neuen kulinarischen Trend aus. Von dem Erfolg seiner Mission bezeugen auch die unzähligen Urkunden, Auszeichnungen und Diplome an den Wänden im Verkostungsraum des Domori-Betriebes nahe Turin.

Ein Rundgang durch die überschaubare Schokoladenmanufaktur mit ihren insgesamt 45 Mitarbeitern, bestätigt Franzonis Firmenphilosophie hinsichtlich Reinheit und Transparenz. Viel Handarbeit, in den kleinen Hightech-Anlagen werden Mini-Chargen Schokolade hergestellt. Der Duft von geröstetem Kakao ist betörend. Und mittendrin Gianluca Franzoni, strahlend, immer an der Entwicklung neuer Produkte und daran, innovative Schritte in Richtung Geschmacksvielfalt zu setzen. „Dafür produzieren wir völlig old-style, fügen keine Kakaobutter hinzu, obwohl es die Verarbeitung vereinfachen würde, sondern halten uns an die Formel „nur Edelkakao-bohnen und Rohrzucker“. Die Bohnen werden bei niedriger Temperatur (120 °C) geröstet, was weniger Röst- jedoch mehr Schokoladearomen ergibt. Auch der Prozess des Konchierens (Anm.: Zerkleinern der gerösteten Bohnen um die Kakaobutter freizusetzen und die Masse zu homogenisieren) wird so kurz wie möglich gehalten, um die originären Aromen des reinen Kakaos zu erhalten. Mit seinen Produkten war und ist Domori nach wie vor, laut „Schokotester“ Georg Bernardini, „der Maßstab aller Hersteller weltweit“. Zahlreiche Spitzenköche, vornehmlich aus Frankreich und Japan lassen daher ihre eigenen Mischungen auch von Franzoni kreieren.

Die Hacienda San José. Besonders ist dabei aber das wissenschaftliche Engagement bei der Kultivierung der Kakaobohnen und die Zusammenarbeit mit der Hacienda San José in Venezuela.

Denn ohne das Herzstück der Domori-Produktionskette, der eigenen Plantage, wäre es nicht möglich, reinsortige Criollo-Schokolade zu erzeugen. Sie ist nicht nur ein international bedeutendes Kakao-Kulturgut, sondern auch eines der weltweit wichtigsten Zentren zur Rettung der Biodiversität des Kakaos. Die Plantage in San José bietet in geschützter Lage und mit stabilem Klima den optimalen Ort für das beste Material. Seit 2000 wird dort im Sinne Franzonis bepflanzt. Etwa zehn verschiedene Criollo-Sorten werden zurzeit auf insgesamt 140 ha angebaut. Die Vision Franzonis lautet, Kakao nachhaltig zu kultivieren, wobei für ihn der Artenreichtum an oberster Stelle steht. Samen sind zur Zucht nicht genug, da absolute Sortenreinheit für ihn dadurch nicht zur Gänze gewährleistet ist. Um die Reinsortigkeit und somit den besten Geschmack zu sichern, werden die Pflanzen mit alten Sortenraritäten veredelt und zurückgezüchtet (geklont), was bis dato im Kakao-Bereich nicht üblich war. „Die Genetik ist alles“, ist Franzoni überzeugt, „nicht die Lage, nicht der Boden sind entscheidend – es geht einzig um das genetische Material der Kakaopflanze und um das Know-how in der Verarbeitung vor Ort.“ Weshalb Domori die Arbeiter auf der Plantage zu aktiven Mitgliedern im Prozess der Entwicklung der Plantage sowie bei den Phasen vor und nach der Ernte macht. Regelmäßige Verkostungen mit den Mitarbeitern vor Ort und Schulungen bezüglich Geschmack, Fermentation etc. tragen zudem zu größerem Wissen und Verständnis für das Produkt und ihre Tätigkeit bei.

Und wenn bereits auf der Farm alle alles geben, kommt man in der Verarbeitung der Bohnen zur perfekten Schokolade mit sehr wenig aus: 100% Criollo. Less is more.

Criollo, eine Unterart des Theobroma cacao, ist eine empfindliche, ertragsarme Pflanze, die nur in Mischbepflanzung wächst, wodurch die Bohnen feine Nebenaromen wie, je nach Sorte, Nuss, Karamell, Waldbeeren oder Tabak entwickeln. Die ersten Kakaobäume, die jemals kultiviert wurden, waren Criollos. Man nannte die in Venezuela einheimischen Sorten „Criollo“, alle später eingeführten Sorten Forastero (span.: Fremdling). Unterschieden werden reinerbige und heutige Criollos.
Ursprüngliche, reinerbige Criollos sind sehr selten und konnten in Venezuela, der angrenzenden Andenregion und in Mittelamerika gefunden werden. Die Pflanzen weisen eine sehr geringe genetische Diversität auf, so dass man heute davon ausgeht, dass alle Kakaosorten aus Kreuzungen der beiden Grundtypen Criollo und Forastero entstanden sind.
Heutige Criollos (Criollo-Hybride) sind durch Einkreuzung mit Kakaosorten des Typs Forastero oder Trinitario entstanden. Genetisch ähneln sie den Trinitarios, die aus einer Kreuzung zwischen Criollo und Forastero entstanden sind. Aufgrund ihrer besonderen geschmacklichen Eigenschaften zählt man sie zu den Criollos.

Porcelana
Eine der ältesten und edelsten Criollo-Arten. Sie wird hauptsächlich in Venezuela kultiviert, ist sehr empfindlich, der Anbau daher sehr risikoreich. Viele Porcelana-Plantagen bauen keinen reinsortigen Porcelana an. Typisch für Porcelana sind die weißen bis hellrosa Keimblätter der Kakaobohnen. Geschmacklich zeichnet sie sich durch komplexe Brot-, Butter- und Marmeladennoten sowie einen mild-vollmundigen Geschmack aus.

Guasare
Eine sehr alte, extrem seltene Sorte, die ursprünglich aus der Bergregion von Perija stammt. Sie wurde von Agronomen in einer Plantage am Fluss Rio Guasare entdeckt. Ihre Oberfläche ist rau, runzelig und grün. Sie ist für ihre Feinheit bekannt und gekennzeichnet durch Trockenobst-und Honinoten und feine Cremigkeit.

Chuao
Diese außergewöhnliche und sehr rare Criollo-Art hat ihren Ursprung in der schwer zugänglichen Region Chuao. Anfang 19. Jh. wurde sie beinahe ausgerottet, seit 2002 wird sie in San José wieder reinsortig kultiviert. Die Frucht ist grün-rot, länglich und besitzt Geschmacksnoten von Mandel, Trockenobst, Vanille, Jasmin und Honig.

Ocumare 67 (Puertofino)
Ein 90%iger Criollo-Hybrid mit gutem Ertragsanteil und starker Widerstandskraft, der erst vor kurzem von Domori durch Klonen zurückgewonnen werden konnte. Die Hauptmerkmale der runden roten Frucht sind Karamell-, Tabak-, Papaya- und Dattelnoten sowie Aromen von Unterholz und Pilzen.

Ocumare 61 (Púertomar)
Ein Criollo-Hybrid, der 1998 erstmals in der Domori-Plantage gepflanzt wurde. Diese kräftige und aromareiche Untersorte hat rote Früchte von unregelmäßiger Form. Ihre Geschmacksnoten reichen von Obers über Gewürze, Mandel bis Kirschmarmelade, sie besitzt Süße und ausgezeichnete Balance.

Javablond
Diese einzigartige Criollo-Varietät stammt von der Insel Java (Indonesien). Ihr Geschmacksbild ist sehr kontrastreich: scharf sowie ausgeprägt süß, dabei ausgewogen, mit einem Hauch von Tabak, roten Früchten, Unterholz und Räuchernoten.

Canoabo
Diese Criollo-Sorte stammt ursprünglich aus dem venezolanischen Waldgebiet zwischen Yaracuy und Carabobo und wurde vor dem Aussterben bewahrt. Die weiß bis grünliche Frucht ist optisch der Porcelana ähnlich. Die Kakaoqualität verfügt über Geschmacksnoten von Bourbonvanille, Mandelmilch, Datteln, getrockneten Marillen und Sonnenblumenkernen.

Literatur
Georg Bernardini – Der Schokoladentester.
Die besten Schokoladen und Pralinen der Welt. Was dahinter steckt und worauf wir gerne verzichten.
731 Seiten, Eigenverlag,
2. Auflage, 2014.
Camilla Baresani (Hrsg.):
„Auf der Suche nach dem verlorenen Kakao. Mit Gianluca Franzoni auf Entdeckungsreise in die wunderbare Zauberwelt der Schokolade.“, Edizioni Gribaudo, 2012

Bezug
Die Domori Criollo-Tafeln (70–100%) gibt es u. a. bei:
Xocolat
Palais Ferstl
Freyung 2, 1010 Wien
www.xocolat.at
www.domori.com