Auf der Butterseite

Aus ethischen Gründen verzichten immer mehr Spitzenköche nicht nur auf Fleisch, sondern ganz allgemein auf tierisches Eiweiß. Das trifft in erster Linie jene ­Züchter, die sich einer ­ artgerechten Tierhaltung verschrieben haben. Und ob die Qualität ihrer Küche davon profitiert, bleibt dahingestellt.

Foto von Stockfood, LUCAS JACKSON/REUTERS/picturedesk.com
Text von Georges Desrues

Milchfett ist ein Teil der Sonnenenergie, eingefangen von den Gräsern der Weide und neu verpackt von der Kuh, die darauf grast, schwärmt der amerikanische Autor Harold McGee in seinem Standardwerk On Food and Cooking. Und in der Tat besteht die große Leistung der Kuh, aber auch der Ziege und des Schafs, darin, etwas, das für die menschliche Ernährung gänzlich ungeeignet ist, eben Gras, in hochwertige Proteine zu verwandeln. Genau diese Eigenschaft ist die Grundlage aller Viehzucht und machte es den Menschen möglich, Gegenden dieser Welt zu besiedeln, wie etwa die Alpen, in denen der Anbau von essbaren Pflanzen nur bedingt oder gar nicht möglich war.

In der Regel erzeugten die Bauern aus der Milch Käse, den sie selbst aßen, und aus dem Milchfett wertvolle Butter, die sie verkauften. Mit der Butter kochten die Herrschenden sowie wohlhabende Städter, womit sie im Laufe der Zeit zu einem Grundelement dessen wurde, was man die Haute Cuisine nennt. Danach tauchte alle Jahrzehnte wieder ein Reformer auf, der eine „Neue Küche“ predigte. Bei jeder dieser Erneuerungen ging es in den Grundzügen um dasselbe. Nämlich um bekömmlichere Kost, leichtere Zubereitungsarten, vor allem aber um einen reduzierten Fettgehalt – also um weniger Butter. So war das bei François-Pierre de La Varenne im 17. Jahrhundert, dann wieder bei Marie-Antoine Carême (1784–1833), bei Auguste Escoffier (1846–1935) und bei Paul Bocuse (1926–2018). Und nun, im 21. Jahrhundert, besteht zum ersten Mal die Gefahr, dass die Butter aus der gehobenen Küche endgültig verbannt wird.
Zumindest deutet darauf eine Art vegetarisch-veganer Wind hin, der im letzten Jahr durch die Dunsthauben in die Küchen und ins Bewusstsein gleich mehrerer Spitzenköche drang. Und diese dazu bewegte, Fleisch – und in nicht wenigen Fällen gleich auch alles tierische Eiweiß – aus ihren Menüs zu streichen.

Unsere Art der Massentierhaltung, was wir den Ozeanen antun, die Mengen, die wir verbrauchen, all das ist nicht nachhaltig.
Daniel Humm, Eleven Madison Park

Eröffnet hat den Reigen der Schweizer Daniel Humm, der weltweit mediales Aufsehen mit der Bekanntgabe, in seinem New Yorker Dreisternerestaurant Eleven Madison Park keine tierischen Produkte mehr zu verwenden, erregte. Gegen Ende des Jahres kündigte er zudem ­seine Zusammenarbeit mit dem Londoner Hotel Claridge’s auf, da die Hotelleitung seinen veganen Kurs nicht mitgehen wollte.

Bereits im Frühling des Vorjahres erhielt das ONA, dessen programmatischer Namen für „Origine Non Animale“ steht, als erstes veganes Restaurant in Frankreich einen Michelin-Stern. Etwa zur selben Zeit verkündete der Starkoch Alexis Gauthier, in seinem Londoner Gauthier Soho auf rein vegane Kost umzustellen. Im vergangenen September eröffnete dann der x-fach besternte Alain Ducasse in Paris ein Restaurant namens Sapid, das nach eigenen Angaben zu 95 Prozent auf pflanzliche Zutaten setzt. Und auch der Däne Rasmus Kofoed, Betreiber des Kopenhagener Restaurants Geranium, das nicht nur drei Michelin-Sterne hält, sondern auch auf der Liste der 50 besten Restaurants an zweiter Stelle liegt, wird in Zukunft kein Fleisch mehr verwenden. Und, wie er sagt, tierisches Eiweiß „sukzessive reduzieren“.

Fleischlos kocht Dominique Crenn in ihrem kalifornischen Atelier Crenn bereits seit 2018. Milchprodukte, Eier und Fisch verarbeitet sie zwar nach wie vor, allerdings nur für ihre Gäste. Und nicht etwa für die sicher sehr dankbaren Obdachlosen, denen sie im Rahmen ihres Wohltätigkeits­projekts ausschließlich rein vegane Gerichte serviert.

Rasmus Kofoed (®ClaesBech-Poulsen)

Nun will man freilich davon aus­gehen, dass allen diesen Bemühungen nicht schnöder Zeitgeist, sondern eine moralisch untadelige Einstellung in Form von aufrichtiger Sorge um Umwelt, Tierwohl und Nachhaltigkeit zugrunde liegt. Daniel Humm etwa erklärte seine Entscheidung so: „Unsere Art der Massentierhaltung, was wir den Ozeanen antun, die Mengen, die wir verbrauchen, all das ist nicht nachhaltig. Wenn Eleven Madison Park wirklich unter den besten und innovativsten Restaurants der Welt ist, dann muss man hier einen Schritt weiter gehen.“

Da möchte man Humm allerdings fragen, womit er denn vor besagtem Schritt in die innovative und vegane Zukunft gearbeitet hat? Doch wohl nicht mit Fleisch aus industrieller Tierhaltung, sondern mit solchem von nachhaltig und artgerecht gehaltenen Tieren, von alternativ arbeitenden und nach Exzellenz strebenden Landwirten, die sich die Unterstützung der Spitzenrestaurants verdienen. Das wäre nämlich auch jenes Fleisch, das man sich in einem Restaurant dieser Kategorie und angesichts des Menüpreises erwarten würde. Genau wie man sich dort einen Fisch wünschen würde, der von kleinen Booten, im besten Fall per Leine, und von Fischern gefangen wurde, die alle Auflagen einhalten, damit der Bestand der Spezies gesichert bleibt. „Für Humms Bemühen, mit gutem Beispiel voranzugehen und sein Restaurant zu positionieren, habe ich sowohl Verständnis als auch Respekt“, schickt Heinz Reitbauer voraus, „was mich viel mehr irritiert, bei der allgemeinen Diskussion um Tierhaltung und Veganismus, ist, wie sehr da die Dinge vermischt werden.“ Denn selbstverständlich gebe es etliche Alternativen zu Fleisch aus Massentierhaltung, sagt der Küchenchef und Betreiber des Wiener Steirereck, der selbst Schweine, Schafe und Hühner hält, die er in seinem Restaurant verarbeitet. „Selbst meine eigene Tochter muss ich immer wieder da­ran erinnern, dass unterschiedliche Arten der Tierhaltung und damit auch unterschiedliche Arten Fleisch und Tierprodukte existieren“, so Reitbauer. Deswegen brauche es in Wahrheit viel mehr Aufklärung, betont der Küchenchef, der nicht zuletzt für seine herausragende und innovative Arbeit mit Pflanzen und Gemüsesorten bekannt ist.

„Als Restaurant verstehen wir es auch als unsere Aufgabe, die Gesellschaft abzubilden und zugleich für einen Austausch zu sorgen, um unseren Gästen zu vermitteln, dass es gerade in Österreich eine Fülle ausgezeichneter Züchter und Erzeuger gibt, die gefördert und nicht boykottiert gehören.“

Es braucht viel mehr Aufklärung in Sachen Tierhaltung.
Heinz Reitbauer, Steirereck

Zu diesen zählt ohne Zweifel der Betrieb von Daniela Wintereder und Fred Zehetner. Auf ihrer BOA-Farm im Weinviertel betreiben die beiden eine Viehzucht, die unbestreitbar zu den vorbildlichsten des Landes zählt. Unter ihren Kunden ­finden sich etliche Spitzengastronomen, die alle in den höchsten Tönen sprechen, von dem Fleisch, den Züchtern und der Art, wie sie ihre Tiere halten und schlachten. Doch nicht alle treffen auf Gegenliebe. „Es gibt schon auch Wirte, die kaufen ein einziges Mal bei uns, schmücken sich mit unserem Namen, erzählen ihren Gästen was von artgerechter Tierhaltung und waren nie wieder gesehen“, erzählt Daniela Wintereder, „da sind mir sogar jene Ehrlicheren lieber, die mit veganer Kost ein Zeichen setzen wollen.“

Über die seriösen Köche und Wirte, die bei ihr einkaufen, freut sich die Züchterin freilich. Zumal sie den Ruf des Betriebes stärken und die Botschaft von respektvollem und artgerechtem Umgang mit Tieren als Antithese zur Massentierhaltung hinaus in die Welt tragen. Und artgerecht leben die 700 Angus-Rinder der BOA-Farm in der Tat. Über den Sommer grasen sie auf Hunderten Hektar Weideflächen, für die Wintermonate steht ihnen ein großzügig dimensioniertes und überdachtes Areal zur Verfügung, in das sie sich zurückziehen können. Geschlachtet wird per Betäubungsschuss und direkt auf der Weide und zerlegt im hofeigenen Schlachthaus. „Keine Transportwege bedeuten auch keinen Stress, keine Angst und somit auch keinen Adrena­linausstoß“, erklärt Wintereder. Gefressen haben die Tiere bis dahin ausschließlich Gras im Sommer sowie Heu und Silage im Winter. Auf Kraftfutter in Form von Getreide oder Hülsenfrüchten wird prinzipiell verzichtet. „Weil solches ja auch für die menschliche Ernährung geeignet ist, Rinder aber Grasfresser sind und das somit gar nicht brauchen“, bestätigt die Züchterin.

Nun wird wohl kaum jemand bestreiten, dass bei der heutigen Form der Massentierhaltung vieles falsch läuft. Ob der Umstieg auf rein pflanz­liche Ernährung die Lösung aller Probleme ist, bleibt allerdings dahingestellt. Denn industrielle Landwirtschaft bedeutet auch gewaltige Mengen an Anbauflächen und gigantische Monokulturen, einen ständig wachsenden Einsatz von Pestiziden mit allen einhergehenden Problemen wie Insektensterben und ausgelaugten Böden.

Zudem kommen etliche dieser Kulturen nicht ohne große Mengen an künstlicher Bewässerung aus, wie etwa im Fall der immer beliebter werdenden Avocados oder der Mandeln, die für den Milchersatz Mandelmilch genutzt werden. Laut einer Studie, die in der New York Times veröffentlicht wurde, braucht man im wasserarmen Kalifornien im Schnitt 70 Liter Wasser, um gerade einmal 16 Stück (!) Mandeln zu erzeugen. Offensichtlich ist das Thema Nachhaltigkeit doch
um einiges komplexer, als Humm und viele seiner engagierten Kollegen wissen beziehungsweise wahrhaben wollen.

Fraglich bleibt auch, ob sich der richtige Ansatz für eine Reformierung der Landwirtschaft tatsächlich in den Küchen der Spitzengastronomie findet. Noch gibt es genügend Vertreter der Branche, die das bezweifeln und es sich auch zu ­sagen trauen. Unter ihnen Ana Roš, deren Restaurant Hiša Franko in den Julischen Alpen in ­Slowenien vor ­wenigen Wochen von der New York Times in die Liste der 52 nachhaltigsten Reisedestinationen der Welt aufgenommen wurde.

„Die Umwelt und die Landschaft unserer Alpentäler und Almen hätten wohl kaum etwas davon, wenn un­sere besten, sorgsamsten und für die Landschaftspflege so wichtigen Lieferanten ihre Betriebe einstellen müssen und ausschließlich die Massenproduktion überlebt“, betont die Sterneköchin. Außerdem, fügt sie hinzu, seien Milchprodukte für eine Haute Cuisine, die diesen Namen verdiene, unersetzlich. „Wenn eine Küche wirklich kreativ und spannend sein soll, wenn sie überraschen und zugleich befriedigen soll, dabei die nötige Balance in Geschmack und Konsistenz halten soll, braucht es tierisches Eiweiß und Fett“, sagt Roš. Natürlich könne man aber auch ganz ohne kochen, fügt sie an.

Nur müsste man das dann anders nennen als Haute Cuisine beziehungsweise Fine Dining. —

Daniela Wintereder, Betreiberin der BOA-Farm im Waldviertel, auf der Weide mit ­einigen der 700 vorbildlich gehaltenen ­Angus-Rinder