Black & Bleu

Über das Ende des Jugendkultes und den Respekt vor einer alten Kuh.

Text von Alexander Rabl Foto von TXOGITXU

D´ario Cecchini ist der Kultfleischhauer Italiens. Für Auftritte im Ausland nimmt er ab 5.000 Euro. In seiner Macelleria in Panzano wird der Verzehr von am Holzkohlengrill blutig gegrilltem Fleisch zu einer Liturgie. Am Höhepunkt der Messe verteilt der Chef die Kommunion höchstpersönlich. Mit einer kleinen, silbernen Trompete tritt er vor den Gästen auf. Er schwenkt zwei Fleischtrümmer, Bistecca alla Fiorentina von mindestens einem Kilo, und ruft in die Menge: „To Beef Or Not To Beef!“

Die Menge tobt. Es sind maximal zwanzig Gäste, die sich einen Tisch teilen. Die Bistecca ist der fünfte Gang eines Menüs aus verschiedenen Cuts vom Rind. Und es ist dabei ein offenes Geheimnis und regt schon lange niemanden mehr auf: Mitten im Chianti serviert Cecchini die Bistecca nicht vom legendären Chianina-Rind, sondern von einer spanischen alten Kuh. Dario muss seine Gründe haben, wenn er auf diese Weise kulinarischen Landesverrat begeht.

Michael Wilhelm ist Bauer in Sölden, seinen Yaks und Zackelschafen erweist er den höchsten Respekt. Die an sich schon genügsamen Tuxer Rinder dürfen sich nach 12 oder mehr Jahren als Kalbmütter und Milchproduzenten über ein Jahr Pension freuen. Nachdem sie von der Milch genommen werden und sich während des Berufslebens keine Krankheiten zugezogen haben, so erzählt Michael Wilhelm, genießen sie noch ein Jahr das Nichtstun auf der Alm auf weit über tausend Metern. Michael Wilhelm beschreibt, warum das Fleisch dieser alten Kühe so einmalig schmeckt: „Auf der Almwiese gibt es allein zwanzig Enziansorten, jede Menge Kräuter. Kühe sind Wiederkäuer, das Futter gibt ihrem Fleisch das Aroma. Auch im Winter kriegen meine Kühe Heu. Nichts anderes. Mais ist gegen die Natur der Tiere. Das lehne ich ab.“ Und weiter: „Auf der Alm, da hat die Kuh Bewegung. Gut für das Muskelfleisch.“ Nach diesem Jahr wird sie behutsam geschlachtet, stressfrei, in einer vertrauten Umgebung und in Begleitung. „Die Leber dieser Kühe ist auffallend klein“, erzählt Wilhelm. Bedeutet wie beim Menschen: Gesundes Leben bis zum Schluss.

Das Fleisch dieser Kühe, von denen Wilhelm eine pro Jahr verkauft, hängt dann eine Zeit ab. Das kurz gebratene Rib-Eye erinnert an den Querschnitt eines gereiften Baums. Es hat Jahresringe. Hier ein Fetteinschluss, dort eine Muskelsehne. Mal dreht sich das Fleisch fasermäßig im Kreis, dann wieder in die Länge. Es ist zart und das gelbliche, cremige Fett schmeckt herrlich. Eine Rarität, ein Statement, eine Verbeugung vor dem Leben. Das Fleisch trägt die Aromen von vielen Jahren auf der Bergwiese in sich. Etwas grobes Salz dazu, mehr nicht.

Alte Milchkühe sind der Dernier Cri unter Steakliebhabern. Zum Schmoren und Kochen eignet sich ihr Fleisch eher nicht, heißt es. Wobei – man beachte die Bemerkung Heinz Reitbauers vom Pogusch weiter unten. Der Baske Imanol Jaca kauft in ganz Europa alte Milchkühe, teilt sie nach der Qualität des Fettes in mehrere Kategorien, lässt das Fleisch in seinem Betrieb reifen, schnuppert täglich am Fett. Die Qualität des Fettes zählt mehr als die Rinderrasse. Die Marke Txogitxu ist dabei unter den High-End-Köchen Europas gut eingeführt. Jonnie Boer in Zwolle brät die Steaks von etwa einem Zentimeter Dicke auf einem heißen, vorher mit ein paar Gewürzen bestrichenen Stein vor dem Gast. In Brüssel serviert Pascal Devalkeneer im Chalet de la Forêt das Stück von der alten Kuh ohne alles und bleu, begleitet nur von einem Salat mit schwarzen Sommertrüffeln.

Txogitxu ist baskisch und setzt sich aus den Begriffen „El Txuletón“ (T-Bone-Steak) und „Txotz“ (auszusprechen wie „choch“, meint: Cidre) zusammen. Dieser Teil des Baskenlandes ist das Hoheitsgebiet des Apfelweins und der Männerclubs. Sie lesen richtig. Die Herren, die mit Essen und Trinken viel am Hut und am Teller haben, kaufen aufgelassene Wirtshäuser, richten dort Vorräte ein und bekochen sich gegenseitig. Der Geldwert dessen, was dem Kühlschrank an Nahrung (Sie ahnen es: Es wird sich dabei anteilsmäßig meistens um Steaks handeln.) entnommen wird, wird wie beim Sparverein in eine Kassa getan: Selbstverwaltung ohne den Staat als Mitesser. Einmal im Jahr werden die Frauen der Männer oder andere Frauen eingeladen und im großen Stil bekocht. Großer Stil bedeutet wiederum: große Steaks. Welches Fett bei diesen Fleischtrümmern die größere Faszination ausübt, ist schwer zu sagen. Ist es das deutlich wahrnehmbare intramuskuläre Fett oder das zentimeterdicke Fettkleid, deutlich gelblich in der Färbung? Beide tragen einen wesentlichen Teil zum Geschmack der Prime Cuts aus dem Baskenland bei, für die Europas und Amerikas Gastronomen Preise zahlen, die so saftig wie die Wiesen in Galizien sind. Die besten Kühe übrigens, so behauptet Imanol Jaca, kämen von ebendort. Er hat ihre Steaks für besonders wichtige und liebe Kunden reserviert. Dass es diese in Österreich gibt, verdanken wir dem Fleischexperten Ernst Stocker.

Als Stocker von den sagenumwobenen T-Bones hörte, unternahm er kurzerhand eine Reise zum Sitz des Txogitxu, was wiederum Imanol so rührte, dass er dem Gast aus Österreich gleich einen halben Tag widmete, um ihn ausreichend mit Informationen über die Güte des durch die Lagerung oft dunkelroten und fast schwarzen, in helles Fett gehüllten Fleisches zu überzeugen. Stocker war schnell begeistert.

Wer das Baskenland nach einem Besuch bei Imanol Jaca verlässt, braucht dann für ein paar Tage kein Rindfleisch mehr. Stocker, der seinen Job so sehr liebt, wie er ihn versteht, präsentiert den Kunden und Besuchern in der Probeküche bei Wiesbauer Gourmet in Sitzenberg-Reidling das Txogitxu als Teil einer Steakprobe. Ein Erlebnis für sich.

Über die Garungsmethode gibt es laut Stocker keinerlei Unschärfen: „Bleu muss es sein, sonst ist das Steak kaputt.“ Dann brauche man gerade noch etwas grobes Salz, das man auf dem Steak nach dem Braten ein paar Minuten liegen lasse, damit das Salz ins Fleisch eindringen kann, das wär’s. Weitere Gewürze sind bei diesem Fleisch nicht notwendig. Es braucht keine, denn jedes Stück erzählt auch so seine Geschichte. Wer das Fett wegschneidet, sollte mit zehnjährigem Txogitxu-Verbot bestraft werden. Er – oder meistens handelt es sich um eine sie – hat dann das Prinzip nicht verstanden.

Interessanterweise verfügt Stocker nur über einen einzigen Kunden in Wien, nämlich Artner, während es bei den slowakischen Nachbarn gleich mehrere sind. Ein vermuteter Grund: Die alte Kuh ist leider kein Schnäppchen.

„Black and blue“, sagen sie in Amerika zur Garungsempfehlung für diese Art von Fleisch. Dort haben sie sie aber nicht erfunden. Im Buca Lapi in Florenz kommen die T-Bones vom ChianinaRind mit einer starken, schwarzen Kruste vom Holzkohlengrill auf den Teller des Gastes. Innen sind sie fast vollkommen roh, gerade lauwarm, also „bleu“, wie man es in Frankreich nennt. Die Methode wird nicht nur in Paris, Florenz oder New York beherzigt, sondern auch in Trautmannsdorf. Dort begab sich Richard Rauch auf die Suche nach alten Kühen und wurde bei den Bauern der Umgebung fündig. Viele sind es nicht. Die Steaks reifen im kleinen, gläsernen Reifeschrank, dem Prunkstück des Delikatessenladens, den Sonja Rauch gleich neben dem Restaurantgebäude führt. Sie bauen übrigens auch gerade ein kleines Hotel dort, womit der kleine Ort Trautmannsdorf dann komplett von der Familie Rauch und ihren gastronomischen Unternehmen geprägt sein wird. Man vergleiche Vonnas oberhalb von Lyon, wo sich die Familie Blanc gleich ein ganzes Dorf gebaut hat.

Richard Rauch wirft das Steak buchstäblich für ein paar Minuten nicht auf, sondern mitten hinein in die Glut eines Green Egg. Dann lässt er das T-Bone eine Zeit an einem warmen Ort ziehen. Die Teile – Rücken und Filet – werden in zwei Gängen serviert. Dass Rauch auch noch eine Béarnaise serviert, ist ein Ausdruck der Großzügigkeit dieses Hauses und nicht ein Hinweis, dass es sich beim T-Bone von der acht bis zehn Jahre alten Kuh um eine trockene Angelegenheit handeln könnte. Das Gegenteil ist der Fall, es ist ein Fest von Fleisch und Fett. Wer sich schon vor Jahren vom Thema Steak in Österreich resignierend abgewandt hat, kommt hier wieder auf den Geschmack.

Ein kleiner Epilog zum Thema Black  &  Bleu. In einem Gespräch mit Heinz Reitbauer im Steirereck am Pogusch fällt das Wort Steak. Heinz Reitbauer nennt seine drei Favoriten: 1. der Ochs von der Alm, 2. die Kälbin, 3. die alte Kuh. Doch fragt er sich, warum man aus letzterer nicht einmal einen Rostbraten, gedünstet, zubereitet? Das Fett, dieser einmalige Geschmack, wie würde es sich machen, wenn es einige Stunden sanft im Topf geschmurgelt hat? So wie es die Oma gemacht hat, wenn das Geld nicht für mehr als ein Stück vom weniger edlen und nicht mehr ganz jugendlichen Fleisch gereicht hat.

Windaustraße 7, 6450 Sölden
Tel.: 0664/863 61 86

Steira Wirt
8343 Trautmannsdorf 6
www.steirawirt.at

Wiesbauer Gourmet
Industriestraße 5
3454 Sitzenberg-Reidling
www.wiesbauer-gourmet.com

Dario Cecchini
Via XX Luglio 11
Panzano in Chianti, Italien
www.dariocecchini.com

Txogitxu
Paseo Ubarburu 5,
20014 Donostia, Spanien
www.txogitxu.com

De Librije
Spinhuisplein 1
8011 ZZ Zwolle, Niederlande
www.librije.com

Le Chalet de la Forêt
Drève de Lorraine 43
1180 Bruxelles, Belgien
www.lechaletdelaforet.be