Bodenschätze mit Suchtfaktor

Wenn ein familiär vorbelasteter Franzose, ein visionärer Landwirt und eine belohnungssüchtige Hündin sich zusammentun, duftet im niederösterreichischen Traisental die Erde: Trüffeln aus heimischem Anbau sind die aromatischste Bereicherung des Regionalismus in der Küche.

Text von Anna Burghardt · Fotos von Julia Stix

Faustgroß liegt sie da, schwarznarbig überzogen, das Küchenpapier im Transport-Tupperware schon unverkennbar parfümiert. 180 Gramm wiegt diese Burgundertrüffel, die Ronald Vogl gerade in den Nibelungenhof in Traismauer gebracht hat. Eine Trüffel aus Einöd im Wienerwald, ausgegraben erst Stunden zuvor, auf der Trüffelbaumplantage von Ronald Vogl und Tony Pla. Und obwohl das Trumm an die hundert Euro kostet, ist es kein Luxusprodukt, meint Landwirt Vogl. „Viele in der Gegend denken sich, ma, das ist was Exotisches, das brauchen wir nicht. Die wenigsten wissen, dass es im Wiener Becken natürliche Trüffelvorkommen gibt.“ Später wird Nibelungenhof-Chef Rainer Melichar, einst Schüler von Jörg Wörther und Karl Eschlböck, die ungewöhnlich große Trüffel, die keine gleichmäßig runde Form hat, sondern eher wie ein stäbchenloses Molekülmodell aussieht, halbieren, in dünne Scheiben von beeindruckenden Ausmaßen schneiden und die Abschnitte zum Pürieren aufheben. Melichar ist einer jener Köche, die mit den Trüffeln aus dem Traisental arbeiten, neben Andreas Hettegger von der Gaststätte Figl etwa. Melichar erzählt von Paul Haeberlin und dessen in Blätterteig gehüllten Trüffeln, „im Ganzen?“, fragt Trüffelbauer Vogl ungläubig, „im Ganzen“, sagt Melichar recht ungerührt und fährt fort, was er nun mit den Trüffeln zu tun gedenke. Sie nur mit den neutralen Geschmacksträgern Reis, Eiern oder Nudeln zu servieren, ist einem Querdenker nämlich zu wenig. Rainer Melichar kombiniert die Traisentaltrüffeln lieber jahreszeitlich, etwa mit Mangold und Schwarzwurzeln oder mit weißem Mus aus geräucherten Mandeln und Brokkoli – „allein die Farben!“. Er füllt kleine Artischocken mit Trüffelcreme, lässt seine Gäste ein in Trüffelsalzwasser schwimmendes verlorenes Wachtelei wie eine Auster schlürfen oder hobelt Trüffeln großzügig über Wachtel, Speck und Paprikasucco. Für die Succowell-Methode, also intensive Gemüsesäfte als Basis für die Küche, ist Rainer Melichar schließlich bekannt. Und wenn er schon Trüffeln in Reis einlegt, dann bitteschön in niederösterreichischen Einkorn und nicht in Arborio.

Regionales Denken ist auch dem Trüffelbauern Ronald Vogl wichtig. „Ein Vorteil von meinen Trüffeln ist sicher, dass sie viel frischer geliefert werden können, bei mir sind sie einen Tag alt, ohne lange Transportwege. Und Trüffeln werden ja ab dem Erntezeitpunkt nicht besser, sondern nur schlechter.“ Er ist im Moment im deutschsprachigen Raum konkurrenzlos. Abgesehen davon, dass wilde Trüffeln in Deutschland nicht geerntet werden dürfen, da sie unter Naturschutz stehen, sind die ältesten Trüffelplantagen dort oder auch in der Steiermark noch zu jung, um zu „produzieren“. Bisher erntet Vogl auf seinen Plantagen Burgundertrüffeln, die es in zwei Saisonversionen gibt, Sommer- und Herbsttrüffel. Für nächstes Jahr ist auf sandigem, kargem Boden in Einöd, „wo sonst nichts wächst“, eine Périgordtrüffelplantage geplant. Die Wasserdurchlässigkeit ist für die empfindliche Art Tuber melanosporum besonders wichtig, Périgordtrüffeln verfaulen auf feuchten Böden nur allzu leicht.

„Im Moment habe ich eine Trüffel und zehn Anfragen“, beschreibt Ronald Vogl die Anfänge seines Daseins als Trüffelbauer – erst im letzten Jahr wurden nach neun Jahren Wartezeit die ersten niederösterreichischen Plantagentrüffeln geerntet. Damals waren es nur 600 Gramm, heuer war es schon ein Vielfaches, und jedes Jahr wird es mehr werden. Dann werden auch die Anfragen aus der Gastronomie nicht mehr ins Leere gehen. „Ein Wiener Gastronom wollte meine Trüffeln für seine Trüffelwochen, aber ich hätte noch nicht diese Mengen liefern können.“ Auch Josef Floh habe sich interessiert gezeigt, „und mit seinem Radius 66 geht es sich aus, das weiß ich“.

Für Ronald Vogl ist die Trüffelzucht eine langfristige Sache, „wie eigentlich prinzipiell alles in der Landwirtschaft. Ob ich mit den Trüffeln mehr verdiene als mit konventioneller Landwirtschaft, steht noch in den Sternen.“ Seinem eigenen Frühstück jedenfalls kommt die Arbeit schon zugute: Toastbrot mit Butter und Scheiben von Trüffeln, die zu klein sind für den Verkauf. Ronald Vogl weiß, dass Trüffeln nicht nur aufgrund des Preises nicht jedermanns Sache sind: „Trüffelneulinge sagen, das ist ein unangenehmer Geruch, nach Katzen- oder Marderdreck. Trüffelessen muss man halt erst lernen.“

Trüffelessen lernen – das klingt für Tony Pla vermutlich ziemlich absurd. Der Mitstreiter von Ronald Vogl stammt aus einer pyrenäischen Trüffelsucherfamilie, ist mit Trüffeln also aufgewachsen. Und für die Trüffeln vor dreizehn Jahren nach Österreich gekommen, wo er gemeinsam mit dem Pilzwissenschaftler Alexander Urban die Firma Trüffelgarten aufgebaut hat. Diese Firma vertreibt Baumsetzlinge – Eiche, Haselnuss, Buche und andere –, deren Wurzelgeflechte mit Trüffelsporen infiziert sind, und berät beim Einsetzen. Der Boden etwa muss kalkhältig sein, falls nicht, muss man aufkalken.

Kalk enthält der Boden auf den niederösterreichischen Plantagen jedenfalls genug. Wir besuchen jene in Einöd, die im Trio bewirtschaftet wird: von Ronald Vogl, dem Grundbesitzer, Tony Pla, der die Baumsetzlinge im Glashaus züchtet, und dessen bretonischer Vorstehhündin Titoune, die unter den Bäumen schlussendlich die Trüffeln aufspürt. Ohne die Nase der weiß-braunen Hundedame ginge es nicht. Titoune ist trotz ihres Alters – mit zehn Jahren ist sie schon in Frühpension, wie Herrchen Tony Pla sagt – eine eifrige Mitarbeiterin. Als solche wird sie auch auf der Homepage der Firma Trüffelgarten angeführt, samt Telefonnummer. Tony Pla hat eben einen trockenen Humor.

Schweine werden als Trüffelsucher mittlerweile kaum noch eingesetzt. „Früher hat man mit Schweinen gearbeitet, weil die Trüffelsucher gleichzeitig meist Bauern waren, aber Schweine kann man höchstens zwei Jahre verwenden, dann werden sie zu schwer für den Transport. Und zu ungehorsam.“ Was die Hunde betrifft, gäbe es keine bestimmte Rasse. „Ich hab schon alles gesehen, Schäfer, Dackel, jeder schiache Mischling kann das.“ Wenn Titoune, die Reinrassige, das hören würde! Was für ein Glück, dass sie kein Deutsch spricht. Die Hündin reagiert nur auf Cherche!, Attends!, Viens!, Allez!. Das aber mit fast inbrünstigem Gehorsam. „Cherchez!“, ruft Tony Pla, und Titoune legt los. Läuft im Zickzack unter den Bäumen der Plantage umher, die Nase stets gen Boden gerichtet. Tony Pla versucht sie im Blick zu behalten. Unter einem Baum hält Ti-toune plötzlich inne und beginnt mit den Vorderpfoten zu scharren. „Attends!“, heißt es nun mit aller pyrenäischen Strenge, und die Hündin hört auf zu graben. Sie hat angezeigt, dass sie etwas gerochen hat. Tony Pla und Ronald Vogl eilen herbei. Pla beginnt zu graben, zehn Zentimeter unter der Oberfläche reichen immer, und fördert tatsächlich eine Trüffel zutage. Erste Qualitätskontrolle: riechen. „Verfaulte Trüffeln stinken so richtig grauslich“, informiert Ronald Vogl bereitwillig. Bei dieser Trüffel passt den beiden Herren das Odeur und auch die Festigkeit, und sie wird eingesteckt. „Hier auf der Plantage ist die Trüffel noch ein Pilz, kein Gewürz“, meint Tony Pla nachdenklich. Später wird sie gebürstet und in Tupperware gebettet. Titoune hat liegenderweise artig gewartet, ob ihr Herrchen mit der wertvollen Beute alles richtig macht, hat sich mit unermüdlichen Küsschen auf ihre braven Vorderpfoten selbst belohnt und fordert, nun schon etwas weniger artig, auch von Tony Pla ihren Lohn: ein Wurststückchen. „Sie bekommt immer etwas, auch wenn wir nichts finden. Es kann ja sein, dass sie eine Stelle anzeigt, die zwar nach Trüffeln riecht, aber deshalb, weil wir dort schon eine Trüffel geerntet haben.“ Titoune bekommt nur ausgerechnet dann keine Belohnung, wenn ihre wenig damenhafte Körperhaltung beim Innehalten und Buddeln auf einen besonders hohen Motivationsgrad schließen lässt: „Das ist jetzt hundert Pro eine tote Maus.“

Tony Pla kennt seine Hündin auswendig. Am Vortag waren die beiden sechs Stunden lang im Wienerwald unterwegs, um für A la Carte wilde Trüffeln zu suchen und den Beweis abzuliefern, dass die Wiener Gegend eine Trüffelgegend ist. „Anfang des 20. Jahrhunderts hat man hier noch viele Trüffeln gefunden und auf Märkten verkauft.“ Der Wald wurde damals noch gepflegt, zwar eigennützig, aber dennoch mit gewinnbringenden Folgen: Laub und Kiefernadeln hat man als Einstreu für den Stall eingesammelt und die Bäume somit vor zuviel Säure bewahrt – Laub versauert den Boden. „Und ein saures Milieu zieht andere Pilze an, das bedeutet Konkurrenz für die Trüffeln.“

Zwei Stunden kann Titoune bei einem Wienerwald-Ausflug, wie ihn Pla immer wieder unternimmt, konzentriert arbeiten, dann braucht sie eine Pause. „Mein Vater war deshalb immer mit mehreren Hunden unterwegs.“ Tony Pla, der Mann mit den Trüffelgenen, kennt die viel versprechenden Areale im Wald mittlerweile, nicht aber die konkreten Bäume, die seien nicht voraussagbar. Und die sechs Stunden Suche haben sich gelohnt: Pla hält stolz kleine Tiefkühlsackerln mit lateinischen Kugelschreiber-Beschriftungen in die Höhe, in denen, eingewickelt in Küchenpapier, die wilden Trüffeln auf Bewunderung warten. Tuber excavatum, die Höhlentrüffel. Gelblich, ein bis vier Zentimeter groß. „Jede hat eine kleine Höhle, jede einzelne, ob winzig oder größer.“ Statt „größer“ könnte man bei manchen Exemplaren auch sagen: im Kaninchennierenformat. „Die halten gar keine Hitze aus, sind außerdem so klein und mühsam zu finden. Dafür gibt’s eigentlich keinen Markt.“ Weiters: Tuber mesentericum, die Gekrösetrüffel. Fast schwarz, jede einzelne mit einer Mulde versehen, fast wie ein Husarenkrapfen vor dem Marmeladeeinfüllen, im Querschnitt sieht man eine dunkelbraun-weiße, gröbere Marmorierung. Und diese Trüffel hat es in sich. „Neunzig Prozent der Franzosen hassen sie, aber ich liebe sie.“ Ein Aroma zwischen Amaretto und Benzin, hochintensiv. „Die ist eine der wenigen Trüffeln, die den Kochprozess aushält, anders als weiße oder Burgundertrüffeln. Kenner können damit Wunder bewirken.“ Tony Pla, der selbst viel mit Trüffeln kocht, parfümiert mit der Gekrösetrüffel unter anderem eine Wildschweinterrine. „Die ist so intensiv, mit der darf man auch Eier nur zwölf Stunden lagern statt wie sonst 48, sonst ergibt das einfach zu viel Aroma.“ Der dritte Fund: Tuber uncinatum, die Burgundertrüffel, die Pla und Vogl auch auf ihren Plantagen züchten. Nur Périgordtrüffeln wird man im Wienerwald vergeblich suchen. Da muss Tony Pla warten, bis Ronald Vogl im nächsten Jahr mit der Zucht der begehrten und deutlich teureren Périgordtrüffeln beginnt. Und mit diesem – pardon, Herr Vogl – Luxuslebensmittel ein neues Kapitel der österreichischen Landwirtschaft schreibt.

Adressen

Trüffeln kaufen
Burgundertrüffeln von niederösterreichischen Plantagen bekommt man bei Ronald Vogl: roni.vogl@aon.at

Trüffelbaumsetzlinge verkauft Tony Pla:
www.trueffelgarten.at