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Vom Göttertrank zum industriellen Konsumartikel und zur Schokokunst. Die Kakaobohne im Wandel der Zeit. Text von Andrea Karrer · Illustration von Peter Jani Am Vorabend der Französischen Revolution ist der gesüßte Morgenkakao das Modegetränk derer, die den Tag geruhsam plaudernd im Bett beginnen. Er bildet damit das Gegenstück zum herb-bitteren Kaffee des aufstrebenden Bürgertums, welches…

Vom Göttertrank zum industriellen Konsumartikel und zur Schokokunst. Die Kakaobohne im Wandel der Zeit.

Text von Andrea Karrer · Illustration von Peter Jani

Am Vorabend der Französischen Revolution ist der gesüßte Morgenkakao das Modegetränk derer, die den Tag geruhsam plaudernd im Bett beginnen. Er bildet damit das Gegenstück zum herb-bitteren Kaffee des aufstrebenden Bürgertums, welches sich bereits frühmorgens auf den Weg zur Arbeit macht. Im Jahr der Französischen Revolution, 1789, schreibt Wolfgang Amadeus Mozart die Musik zu seiner Oper Così fan tutte, einer Sozialsatire, in der die Kammerzofe Despina das Frühstück für ihre adeligen Dienstherrinnen, die Schwestern Fiordiligi und ­Dorabella, vorbereitet. Sie rührt die Schokolade und klagt:

Ich genieße von ihrer Schokolade nur die Düfte.
Ist mein Mund denn nicht ebenso wie Eurer?
O ja, gnädige Damen,
für Euch sind die Getränke, für mich die Düfte.
Doch nun will ich sie kosten. – Sie probiert –
Schmeckt das herrlich!

Es dauerte aber noch einige Jahrzehnte, bis das einstige Genussmittel der Aristokratie auch für weite Bevölkerungsschichten erschwinglich wurde. Seine Demokratisierung begann erst, als der Holländer Conrad van Houten die Kakaobutter vom Kakao trennte und damit zwei Produkte erschwinglich machte: das entfettete Kakaopulver und die aus dem Kakaofett mit geriebenen Bohnen geschaffene geschmeidige Ess-Schokolade. Der Bedarf an Kakaobohnen wuchs fortan beständig, und als die Schokolade allmählich industriell hergestellt wurde, verlor sie immer mehr an Exklusivität. Der Göttertrank, wie der Botaniker Linné den Kakao einst nannte, wurde ein Konsumartikel vom Fließband. Der Zauber des Exotischen fand Zuflucht bei den Schokoladekünstlern, die ­wählerisch bei der Sorte und der Qualität der Kakaobohnen und kreativ bei deren Verarbeitung sind.

Historisch ist immer von drei großen Kakaosorten die Rede. Criollo ist der bereits zu präkolumbianischer Zeit kultivierte Kakao aus dem milden Klima und den fruchtbaren Lagen Mittelamerikas. Seine Bohnen haben das intensivste und feinste Aroma. Heute ist der empfindliche Criollo-Kakao am teuersten und wegen seiner Krankheitsanfälligkeit auch am seltensten.

Forastero ist ein Kakao aus dem Amazonasgebiet mit wüchsigen, robusten Bäumen, die sehr dunkle und eher bittere Bohnen ausbilden. 80 % der weltweiten Produktion sind heute vom unedlen Forastero-Typ.

Trinitario ist eine in den Plantagen von Trinidad im 18. Jahrhundert natürlich entstandene Kreuzung aus den beiden Wildformen Criollo und Forastero und vereinigt deren positive Eigenschaften zu einem ertragreichen, robusten Baum mit edlen Bohnen, der heute mit etwa 15 % der Weltproduktion ins Gewicht fällt.

Um den ganzen Reichtum von Kakao zu begreifen, ist es wichtig, sich nicht auf diese drei Sorten zu beschränken. Die Wirklichkeit ist nämlich viel komplexer.

Im Laufe der Jahrhunderte haben Bewegungen der Population im Zusammenspiel mit verschiedenen Kakaobaumstümpfen zu zahlreichen Hybridbildungen durch eine natürliche Kreuzung zwischen Kakaobäumen geführt. Darum findet man heute in einer einzigen Plantage häufig unterschiedliche Varietäten oder Sorten.

Die jüngste wissenschaftliche Forschung auf der Grundlage genetischer Klassifizierungen verzeichnet über zehn Sorten; das Thema bleibt jedoch bei Genetikern heiß diskutiert. Je nach Verwendungszweck wählt man zwischen Kakaopulver, entöltem Kakaopulver, Grué de cacao
(gemahlene Kakaobohnenschalen) und Kakaonibs (grob gemahlene Kakaobohnen), die roh oder geröstet erhältlich sind. Da Rohkakao einen deutlich höheren gesundheitlichen Wert aufweist, lohnt es sich, den Gaumen von gewohnten Pfaden abzulenken. Bei der ersten Verkostung roher Kakaobohnen wird man überrascht sein: Der Gaumen stößt zunächst auf eine unerwartete Säurekomponente, doch beim Weiterkauen erschließen sich die vertrauten Aromen von Kakao und Kakaobutter in einem spannenden Spektrum, das durch die zarte Säure leicht gehoben wird. Wie bei allen Lebensmitteln leidet die Qualität unter dem Einfluss von Luft, Licht und Wärme. Keinesfalls sollte man Fertigmischungen benutzen – auch wenn sie sich ganz nobel als Trinkschokolade bezeichnen, bestehen sie großteils aus Zucker, wenig Kakaopulver oder Kuvertüre und Aromazusätzen. In und aus Kakao und Schokolade gibt es kaum noch etwas, was es nicht gibt. Innovationen werden immer rarer, und eine richtige Revolution ist nahezu ausgeschlossen. Ein kleiner Lichtblick ist der Trend zu Rohkakao bzw. Raw Chocolate*.

„Kakao mit seinem nussigen, holzig-röstigen Aroma harmoniert besonders gut mit Honig, Karamell, Salz, Zimt, Vanille, Tonkabohne, Chili, Nüssen und vielen Früchten. Aber auch mit dunklen Saucen, Geflügel, Wild, Innereien, Rotwein, Portwein, Rum und Whisky“, erklärt Lukas Mraz vom Restaurant Mraz und Sohn. Lukas, der in der Berliner Cordobar zwei Jahre als Küchenchef arbeitete, kehrte nach Stationen in der Sternegastronomie ins elterliche Lokal nach Wien zurück. Dort arbeitet neben Vater Markus Mraz in der Küche auch Bruder Manuel als Chef im Service. „Mein Kakao-Soufflé ist eine Reminiszenz an den ­Kakao, wie man ihn in der Rokokozeit getrunken hat: Kakao­pulver in Milch gekocht und gezuckert.“ Bis in das 19. Jahrhundert hielt sich eine Zubereitung, bei der Kakaopulver in Wasser gekocht, danach gezuckert und mit Milch gemischt wurde. Ein Rezept findet man übrigens im Kochbuch von Katharina Prato. In einigen lateinamerikanischen Stämmen bereitet man den ­Kakao noch heute mit Wasser zu.

Alles beginnt mit einem kleinen tropischen Baum namens Theobroma cacao. Theobroma stammt von den griechischen Worten theos, was „Gott“ bedeutet, und broma, was „Nahrung“ bedeutet. Die Kakaopflanze ist ein acht bis zwölf ­Meter hoher Baum, der im Tropenklima das ganze Jahr über an den Stämmen(!) blüht und fruchtet. Die Früchte sind zehn bis 20 cm lange trockene Beeren, die sich je nach Kakaosorte in Farbe und Größe voneinander unterscheiden. In ihrem Inneren sind 50 bis 60 Samen, die man auch Kakaobohnen nennt. Sie sind von einer süß-aromatischen, cremefarbenen Gallerte umgeben. Diese Pulpa ist reich an Zucker und Wasser, was die Fermentation ermöglicht.

Zur Verarbeitung gelangen die weißen Kakaosamen samt der Pulpa. Eine Fermentation in Gärkisten durch Hefen und Bakterien bewirkt eine Zersetzung der Pulpa und eine rotbraune Färbung der Kakaobohnen. Während der anschließenden Trocknung in der Sonne oder in Öfen entsteht das typische Kakaoaroma.

Die getrockneten braunen Bohnen werden verkauft und verschifft. Die weitere Aufbereitung der Kakaobohnen, das Reinigen, Rösten, Brechen und Mahlen, geschieht erst nach dem Export und in den Verbraucherländern. Das Rösten edlen ­Kakaos erfolgt bei milden Temperaturen für zehn bis 15 Minuten und erhält das fruchtige Aroma, wogegen scharfes Rösten, das bei schlechter Rohware nötig ist, die Bitterkeit der Bohnen erhöht. „Wie man röstet, hat dabei viel Einfluss auf das Ergebnis. Der typische, also mal blumige, mal auch leicht scharfe Geschmack wird durch die Temperaturführung beeinflusst. Zu lang oder scharf geröstet, und der Kakao schmeckt angebrannt oder gleich verbrannt, also nach Kohle“, bestätigt Chocolatier Josef Zotter und fährt fort: „Durch das Rösten wird in den Kakaobohnen die sogenannte Maillard-Reaktion ausgelöst, die durch Hitzeeinwirkung neue Aromaverbindungen schafft und entscheidend dafür ist, dass es ­diesen genialen Geschmack gibt. Man kennt das auch von einer Brotkruste oder von Kaffee – beides wäre ohne Röstung langweilig.“

Die gerösteten Bohnen werden dann zur weiteren Verarbeitung gebrochen und von Schalenteilen befreit. Durch das anschließende Mahlen entsteht die dickflüssige und sehr fetthaltige braune Kakaomasse. Diese Masse dient als Basis für die Schokoladeerzeugung. Die Kakaomasse kann durch Pressen in Kakaobutter und Kakaopulver getrennt werden. Kakaobutter gelangt vornehmlich in der Pharmazie und in der Kosmetik zur Anwendung, ist aber auch für den typischen Geschmack von weißer Schokolade verantwortlich.

Unter Zusatz weiterer Zutaten wird durch erneutes Mahlen beziehungsweise Walzen schließlich Schokolade gerührt. Dieses sogenannte Conchieren soll sehr langsam und bei möglichst niedrigen Temperaturen erfolgen. Die Kakaomasse wird über viele Stunden erwärmt, gerührt, gewalzt, gewendet, geknetet und gelüftet. Durch das stän-dige Hin- und Herbewegen entweichen unerwünschte bitter-saure Aromen, doch vor allem legt sich um jeden Krümel Kakaobohne eine feine Hülle aus Kakaobutter – der zarte Schmelz entsteht. Die Dauer dieses Prozesses entscheidet ganz wesentlich über die Qualität der Schokolade, den Glanz und das Mundgefühl. Je länger conchiert wird, desto zarter schmilzt die Schokolade auf der Zunge. Massenschokolade entsteht in wenigen Stunden. Für beste Schokolade mit zartem Schmelz wird oft einen ganzen Tag bis hin zu einer Woche conchiert. Nun könnte man ja ganz einfach ganz lange conchieren, und schon hat man die allerbeste Schokolade? „Einige Schokoladehersteller behaupten ja auch, dass sie 72 bis 120 Stunden conchieren. Ich glaube aber, die meisten sagen das nur, weil es gut klingt, zählen aber auch das Rühren dazu und kommen so auf diese über 70 Stunden. Das mit dem ­langen Conchieren ist ein Trugschluss … Man kann Schokolade auch zu Tode conchieren, bis sie also nach gar nichts mehr schmeckt.“ Der Erfinder des Conchierens, ein gewisser Herr Rodolphe Lindt, Chocolatier aus Bern, wurde ­jedenfalls reich durch seinen Einfall – und wir einfach nur glücklich. Und das ist die Botschaft, die alle guten Schokoladen vermitteln: Schokolade ist ein ­Genussmittel, kein Lebensmittel, das wie guter Wein den erlesenen Momenten des ­Lebens vorbehalten sein sollte.

* „Raw Chocolate“ oder „Rohkostschokolade“ beschreibt Schokolade, deren Zutaten nie höher als auf etwa 42 °C erhitzt wurden. Es handelt sich hierbei allerdings nicht um einen regulierten oder zertifizierten Begriff, sodass gestritten wird, inwiefern ­tatsächlich „rohe“ Schokoladeprodukte überhaupt existieren. Der hin und wieder ­genannte gesundheitliche Zusatznutzen von Rohkostschokolade wird noch häufiger bestritten. Unstrittig ist, dass Raw Chocolate typischerweise einen eigentümlichen, weniger gezähmt wirkenden Geschmack als herkömmlich hergestellte Schokolade hat – bei einigen Herstellern auch gut innerhalb des Sortiments vergleichbar.

Geeistes Kakao-Soufflé mit laktosefreiem Milchschaum und Molkekaramell
Von Lukas Mraz, Mraz und Sohn, Wien

Zutaten für 4 Portionen

Kakao-Soufflé
1 Blatt Gelatine
240 g Schlagobers
80 g Milch
10 g Zucker
50 g Kakao von Valrhona
1 Prise Salz

Gelatine in kaltem Wasser einweichen. Schlagobers mit den restlichen Zutaten gut verrühren und auf 80 °C erhitzen. Gelatine gut ausdrücken und ­vorschriftsmäßig einrühren. Masse in ein Isi-Sahne-Gerät (Espumaflasche) gießen, drei Patronen ­eindrehen und mindestens vier Stunden kalt stellen.
Anschließend in kleine tiefgekühlte Weckgläser bis zu einem Drittel hoch einfüllen, verschließen und in einem Vakuumiergerät Luft entziehen, bis die Masse den Deckel erreicht. Anschließend – am besten im Schockfroster – 2 Stunden tiefkühlen.
Vor dem Anrichten Glas kurz in warmes Wasser tauchen. Dann in zwei bis drei Scheiben schneiden.

Molke-Karamell
125 g Zucker
55 g Butter
85 g Molke
3 g grobes Salz

Zucker in einem Topf karamellisieren, Butter ­beifügen, kurz durchschwenken, Molke dazu­gießen, aufkochen lassen, salzen und ca. 1 Stunde
bei Zimmertemperatur abkühlen lassen.

Ovomaltine-Chips
Ovomaltine auf eine Silikon-Backmatte sieben und im vorgeheizten Rohr bei 165 °C 7 Minuten backen, auf der Silikonmatte auskühlen lassen, ­anschließend vorsichtig mit einer Palette ablösen.

Laktosefreier Milchschaum
250 g laktosefreie kalte Milch in einem Bar-Mixer so lang mixen, bis ein molliger Schaum entsteht, 5 Minuten kalt stellen.
1 EL Molkekaramell auf den Teller geben, mit Milchschaum bedecken, darauf schwebend das ­Kakao-Soufflé setzen und mit einem Ovomaltine-Chip bedecken.