Das Schmecken der Lämmer

Wie schmeckt gutes Lammfleisch, beziehungsweise welche Lammrasse schmeckt am besten? Eine Koch-Campus-Initiative versuchte, das im Zuge einer Verkostung herauszufinden.

Text von Florian Holzer/Fotos von Helge Kirchberger

Lammfleisch ist in Österreich ein Randthema. 350.000 Schafe weiden auf heimischen Almen, das erscheint auf den ersten Blick gar nicht wenig, im weltweiten Vergleich liegt Österreich damit aber gerade über der statistischen Wahrnehmungsgrenze: Nur 0,03 % aller Schafe dieser Welt leben in Österreich (die meisten tun das in China, Aus­tralien und Neuseeland), mit durchschnittlich 20 Tieren ist die heimische Betriebsgröße sogar im EU-Durchschnitt lächerlich klein (144 Tiere pro Betrieb), und auch beim Konsum schaut’s im wahrsten Sinne des Wortes mager aus: Nicht einmal ein Kilo Lammfleisch isst man in Österreich pro Kopf und Jahr, und das bei einem generell beachtlichen Fleischverzehr von durchschnittlich 64 Kilo. Lammfleisch wird in den Statistiken der Agrarmarkt Austria nicht einmal eigens gelistet.

Dennoch, wenn man Matthias Zehetner, den Geschäftsführer der Salzburger Genossenschaft Tauernlamm, fragt, wie es dem heimischen Lammfleischmarkt geht, sagt er: „Es geht ihm sehr gut, er wächst halt extrem langsam.“ Immerhin: Vor 40 Jahren sei fast jedes Kilo heimischen Lammfleisches nach Italien exportiert worden, Tradition des wunderbaren „Schöpsernen“ hin oder her, mittlerweile blieben rund 70 % der österreichischen Lammfleischproduktion im Lande. Interessantes Detail am Rande: Lammfleisch hat auch eine demografische Komponente. So wird im Osten Österreichs mehr Lamm gegessen als im Westen, was mit einem höheren Bevölkerungsanteil mit muslimischem Glaubensbekenntnis oder zumindest der kulturell bedingten Tradition von Lammfleisch-Genuss erklärbar ist.

Nachdem wirtschaftliche Relevanz und Quantität für Gourmets und Foodhunter aber noch nie die wesentlichen Gesichtspunkte waren, beschlossen ­Andreas Döllerer und der Avantgarde-Züchter Michael Wilhelm vor zwei Jahren, der Frage auf den Grund zu gehen, ob Wohlgeschmack und Köstlichkeit beim Lammfleisch eventuell etwas mit der Rasse zu tun haben könnten.

Tatsächlich gibt es weltweit unzählige Schafsrassen, über Jahrhunderte hinweg entweder auf Milchleistung, Wollqualität, Fleischigkeit oder Gelände-Anpassung gezüchtet. Die wenigsten davon sind der Genuss-Öffent­lichkeit namentlich bekannt oder werden – außer bei der Wolle – mit Angabe ihrer Rasse vermarktet, das war bei Rind und Schwein bis vor ein paar Jahren allerdings auch nicht anders. Wenn, dann wurde Lammfleisch eher über seine Herkunft definiert, sei es Tauernlamm oder Weizer Schaf, sei es Martin Sieberers „Paznauner Schafl“ oder das „Villgrater Lamm“ in Josef Mühlmanns Gannerhof, einem der absoluten Lammfleisch-Kompetenz­zentren Österreichs. Oder natürlich „Neuseeland“, wenn ein besonders rosiges, geschmacksneutrales Lammfleisch gefragt war. Erfahrungen mit rassebedingten Geschmacksprofilen gab es jedenfalls nicht.

Michael Wilhelm, der auf seinen Almen in Sölden Tuxer Rind, Yaks und die archaischen Zackelschafe stets im Hinblick auf optimalen geschmacklichen Ausdruck züchtet, stellte also eine kleine Herde von Lämmern zusammen, anhand derer diese Erfahrung gemacht werden kann: zehn verschiedene Rassen, „alte“ Gebirgsrassen ebenso wie „moderne“ Hochleistungsrassen, alle exakt gleich alt, nur männliche Tiere, die zum gleichen Zeitpunkt kastriert wurden. Kastrierte männliche Lämmer hätten in der alpinen Küche nämlich immer schon das beste und fetteste Fleisch geliefert, erklärt Matthias Zehetner, „und in der Vergangenheit liegt die Zukunft“.

Andreas Döllerer und Michael Wilhelm hatten vor über zwei Jahren die Idee, der Züchter machte sich an die Umsetzung – eine geschmackliche Laborstudie in der freien Natur.

Michael Wilhelm, der auf seinen Almen in Sölden Tuxer Rind, Yaks und die archaischen Zackelschafe stets im Hinblick auf optimalen geschmacklichen Ausdruck züchtet, stellte also eine kleine Herde von Lämmern zusammen, anhand derer diese Erfahrung gemacht werden kann: zehn verschiedene Rassen, „alte“ Gebirgsrassen ebenso wie „moderne“ Hochleistungsrassen, alle exakt gleich alt, nur männliche Tiere, die zum gleichen Zeitpunkt kastriert wurden. Kastrierte männliche Lämmer hätten in der alpinen Küche nämlich immer schon das beste und fetteste Fleisch geliefert, erklärt Matthias Zehetner, „und in der Vergangenheit liegt die Zukunft“.

Sechs Monate waren die Tiere alt, als Michael Wilhelm sie im Juni 2019 auf seine zwischen 2.000 und 3.000 Metern Höhe gelegene Weide brachte: das alpine Steinschaf, das Ile-de-France-Schaf, das Juraschaf, das Kärntner Brillenschaf, ein deutsches Merino, ein englisches Suffolk, ein niederländisches Texel, ein Tiroler Bergschaf, ein Walliser Schwarznasenschaf und Michael Wilhelms Spezialität, das Zackelschaf. Die Auswahl der Rassen resultierte einerseits aus dem in Österreich und seinen Nachbarländern zu beziehenden Schafsrassen-Sortiment, andererseits daraus, „was uns am meisten interessiert hat“, macht Michael Wilhelm klar. Was sich erstaunlicherweise recht schnell herausstellte: Auch die Flachlandrassen kamen mit dem hochalpinen Gelände sehr gut ­zurecht, Texel, Suffolk und Merino suchten ihr Futter ebenso in Steilhängen und auf Geröllhalden wie Steinschaf, Jura, Brillenschaf und Bergschaf. Und was sich im direkten Vergleich ebenso deutlich zeigte (wobei wir nicht generalisieren und durchaus die Möglichkeit einräumen wollen, dass es sich hier um individuelle Ausprägungen einzelner Tiere handeln könnte): „Manche sind schlau, andere sind blöd.“ Und wirkt sich das auf den Geschmack aus? „Ja. “

Alle zehn Lämmer sowie das Ziegenkitz und das Mufflonlamm wurden am gleichen Tag geschlachtet. Auch die Optik des Schlachtkörpers, Fleischansatz, Fettverteilung sowie Farbe des Fleisches wurden von der Jury, darunter Thomas Dorfer und Andreas Döllerer, bewertet. Verkostet wurde das Fleisch roh, gebraten und natürlich blind.

Am 10. Februar wurden die Lämmer dann am gleichen Tag geschlachtet, „überjahrig“, also in einem Alter von etwas mehr als einem Jahr, was zwar nicht der Lammfleisch-Normalität entspricht (Lämmer werden meistens mit maximal sechs Monaten geschlachtet), dafür aber das spezielle Aroma besonders deutlich werden lässt. Eine Woche später wurde das Fleisch der zehn Rassen im Rahmen eines „Koch-Campus“ dann von einer Jury aus Küchenchefs, Schafzüchtern und Journalisten blind verkostet, und zwar sowohl roh als Tatar als auch extrem kurz und scharf angebraten, beide Male ungewürzt.

Und das Ergebnis war doch sehr interessant: In der rohen Variante vermochten es die „alpinen Rassen“ wie Jura, Bergschaf und Walliser Schwarznase tatsächlich, mit feinen Kräuteraromen und mitunter sogar Salzigkeit zu überzeugen, wohingegen sich Flachland-Fleischrassen wie Merino und Texel geschmacksneutral zeigten. In der gebratenen Variante überzeugte das Tiroler Bergschaf die meisten Juroren, sein Fleisch erwies sich als saftig, ein angenehmes Mundgefühl vermittelnd und ohne besonders exzentrische Aroma-Spitzen. Und genau da trennt sich beim Lammfleisch die Spreu vom Weizen: Soll es möglichst neutral und „fleischig“ schmecken oder aber „intensiv“, um nicht zu sagen „interessant“, wie zum Beispiel das Fleisch der Walliser Schwarznase mit besonders ausdrucks­starkem Aroma, das Kärntner Brillenschaf mit seinen nussig-würzigen Nuancen, das süßlich-saftige Fleisch des ­Juraschafs oder etwa das fast schon an Wild erinnernde, mit kernigem Biss ausgestattete Fleisch des Zackelschafs?

Eine Frage, die so nur schwer zu beantworten ist, auch mit Lammrassen-Blindverkostung, die zweifellos das wahrheitsgetreue Abbild eines Mehrheitsgeschmacks abbildete. Josef Mühlmann etwa stellte nach Bekanntgabe der Ergebnisse fest, dass ihm das Fleisch des alpinen Steinschafs nicht nur optisch am besten gefiel, es schmeckte ihm auch am besten, sowohl roh als auch gebraten. Kein Wunder, genau das sei das Schaf, mit dem er es seit seiner Kindheit zu tun habe, erklärt er, das schon seine Mutter in den 80er-Jahren zur Spezialität des Gannerhofs machte. In der Gesamtwertung fiel es eher durch. Auch das Schicksal der beiden „Piraten“ in der Verkostung war bemerkenswert: Das dunkle, intensiv-würzige, magere Fleisch eines jungen Ziegenbocks überzeugte vor allem die wagemutigeren Esser in der Jury, immerhin landete es auf Platz vier, das Fleisch des Wildschafs Mufflon ging in seiner dunkel-aromatischen, wildwürzigen Mürbheit den meisten Juroren zu sehr am Thema vorbei. Wobei es absolut köstlich war, wie man an dieser Stelle bemerken und die unbedingte Empfehlung aussprechen muss, dieses Fleisch zu genießen, wo immer man seiner habhaft werden kann.

Tatsächlich geht der Trend beim Lammfleisch ganz eindeutig in Richtung des „mehrheitsfähigen“ Geschmacks, also rosiges, zartes, kurzfaseriges Fleisch mit maximal dezent-süßlichem, sonst aber möglichst wenig Eigengeschmack. Und das wiederum bekommt man nicht von Tieren einer speziellen Rasse, sondern vor allem von Tieren eines speziellen Alters, nämlich ­maximal sechs Monate. Für Lämmer aus Neuseeland und Australien ist das längst der Standard, heimische Handelsketten schreiben das ebenfalls in ihr Anforderungsprofil, und die österreichischen Schafszuchtverbände überlegen gerade, diese Parameter auch in ihre Statuten zu übernehmen, verrät Matthias Zehetner. Was weitreichende Folgen für die heimische, vor allem aber für die alpine Schafszucht hätte: Bei der Haltung auf hochalpinen Weiden erreichen Lämmer in dieser Zeit nämlich kein wirtschaftlich vertretbares Schlachtgewicht, und als „Jungschaf“, wie das Lamm nach sechs Monaten bezeichnet werden müsste (derzeit liegt diese Grenze bei zwölf Monaten), wäre das Fleisch ungefähr so leicht zu verkaufen, wie wenn man es mit „Hammel“ etikettieren würde …

Er habe Kunden aus der Topgastronomie, erzählt Tauernlamm-Chef Matthias Zehetner, die kaufen fürs Mittagsmenü das Lamm aus Neuseeland, das Fleisch für die Abendkarte beziehen sie hingegen bei ihm. Also lokale Ware mit „Charakter“ und aromatischer Eigenheit, die allerdings weniger auf die Rasse der Schafe zurückzuführen ist als eher auf das aktuelle Futterangebot auf den alpinen Weiden, schließlich werden im Lammzuchtalltag robuste Bergrassen und moderne Fleisch­rassen normalerweise gekreuzt, um in den Genuss der Vorteile von beiden zu kommen.

Und wer weiß, vielleicht wird es dann bald auch noch eine dritte Qualitätsebene geben, wo dann das Fleisch der reinrassigen Walliser Schwarznase, des Juraschafs, des ­Zackelschafs oder des Tiroler Bergschafs so wie jetzt schon Mangalitza, Turopolje, Black Angus, Simmenthaler, Wagyu und Charolais angeboten wird. Und vielleicht wird diese Verkostung dazu beigetragen haben. Wer weiß.

Alpines Steinschaf
Das Alpine Steinschaf ist mit einer recht zuverlässigen Milchleistung, brauchbarem Fleischansatz, reichlich Wolle (wenn auch nicht gerade der feinsten) und vor allem einer enormen Geländegängigkeit das klassische Bergschaf. Der Geschmack seines Fleisches erwies sich aufgrund geringer Fetteinschlüsse allerdings als relativ neutral.

Deutsches Merino
Den Namen dieser Schafsrasse kennt man ja eher vom Etikett des Pullovers – das Merinoschaf ist aufgrund seiner mächtigen Keulen und seines enormen Fleischansatzes aber auch vom kulinarischen Standpunkt her interessant, vor allem auf ebenen Weiden. Bei der Blindverkostung rangierte sein eher neutral schmeckendes Fleisch aber unter „ferner liefen“.

Kärntner Brillenschaft
Eine alte Rasse, die – ähnlich wie das Steinschaf und das Jura – mit alpinen Weidegründen gut zurechtkommt und als großen Vorteil natürlich auch eine gewisse regionale Verwurzelung mitbringt. Das Fleisch hat einen angenehmen, nicht allzu vordergründigen und fast etwas ­salzigen Geschmack.

Juraschaf
Ein absolutes Erfolgsmodell: Es wächst rasch, ist anspruchslos, geländegängig, es lammt pro Jahr zwei Mal ab, und es sieht noch dazu hübsch aus. Kein Wunder, dass Schafszüchter im Westen der Alpen auf dieses Schaf setzen. Und: Es schmeckt ganz ausgezeichnet! Roh erwies sich sein Fleisch als zart salzig und markant, gebraten als süß und mürbe.

Ile de France
Das Ile de France ist gewissermaßen das Charolais unter den Schafen: Es wächst wahnsinnig schnell und kommt auf ein Schlachtgewicht von bis zu 130 Kilo. Und man muss sagen: Trotz Quantität schmeckt sein Fleisch gar nicht mal schlecht.

Suffolk-Schaf
Ein Schaf, das über Jahrzehnte und Generationen optimiert wurde: viel und gute Wolle, große Fruchtbarkeit, Anpassungsfähigkeit und enormer Fleisch­ansatz. Wenn das Suffolk jetzt auch noch extrem gut schmecken würde, wäre es quasi die eierlegende ­Wollmilchsau. Tatsächlich erwies es sich bei der ­Verkostung als sehr intensiv und im Biss eher zäh.

Texel-Schaf
Auch das Texel zählt zu den „modernen“ Rassen, die auf hohe Fleischausbeute gezüchtet wurden. Bei der niederländischen Rasse sind es vor allem die Keulen, die hier eine enorme Bemuskelung aufweisen. Beim Geschmackstest landete das Lamm zwar auf dem letzten Platz, es gilt aber als idealer Zuchtpartner.

Tiroler Bergschaf
Nennen wir es fortan einfach „Super-Schaf“: Das Tiroler Bergschaf ist nicht nur extrem geländegängig und kümmert sich rührend um den Nachwuchs, es gibt auch tolle Wolle und bei reichlich Kraftfutter sehr viel Milch. Und jetzt kommt’s: Sein Fleisch schmeckt großartig! Als Tatar zeigte es sich dunkel und von ­angenehm fleischigem ­Geschmack, gebraten ­saftig, ansprechend und ohne störende Noten.

Zackelschaff
Es sei nicht leicht zu halten, erzählt Michael Wilhelm über seine Lieblings-Schafsrasse, und es verwildere rasch. Dafür regeln sich Zackelschafe ihre Angelegenheiten mehr oder weniger selbst – und ihr Fleisch weist ­einen bemerkenswert kernigen Biss und tollen Geschmack auf, der an Wildbret erinnert.

Walliser Schwarznasenschaf
Das Walliser ist ein bisschen der Clown unter den Schafen: Es sieht mit seiner Zottelwolle, seinen Spiralhörnern und den schwarzen Stiefeln entzückend aus. Und es schmeckt auch gut: Roh weist das Fleisch einen starken Umami-Ton auf, gebraten ein köstliches, ausgeprägtes, aber nicht störendes Lammaroma.