Der fermentierte Nationalheld

Kimchi geht auf Reisen: Die „Seele der koreanischen Küche“ mischt sich in britische Foodblogs ein, erobert Berliner Märkte und die Herzen von österreichischen Herd-Tüftlern. Über Fräuleins, Massiermaschinen und explodierendes Reisegepäck.

Text von Anna Burghardt Foto von Christian Grünwald

Natürlich war es wieder einmal Berlin, wo ein Trend, auf den die Welt gewartet hat oder auch nicht, in überaus kleidsame Worte gegossen wurde. Fräulein Kimchi – das sagt denkbar knapp alles über das fermentierte koreanische Nationalgemüse aus, was man derzeit wissen muss. Nämlich: Es ist der letzte Schrei. Aber auch rechtschaffen altmodisch. Man darf die Sache kokett-naiv angehen wie ein Schulmädchen-Fräulein aus einem koreanischen Manga, aber auch streng-gewissenhaft wie ein Oberlehrer-Fräulein aus einem illustrierten deutschen Schulbuch der Fünfzigerjahre. Fräulein Kimchi, das sind zwei Worte und unzählige Treffer.

Hinter dem Pseudonym, das seit wenigen Jahren die Berliner FoodieSzene ergänzt, steckt die Koreanerin Lauren Lee, in Seoul geboren, in Toronto, Chicago und Los Angeles aufgewachsen, heute in Berlin wohnhaft. Die Sache mit dem Fräulein sei durch Zufall ins Rollen gekommen. Sie habe sich in Deutschland gleich ein Dirndl gekauft, weil es zum koreanisch-amerikanischen Bild von Deutschland gehört, dass man das hier eben tagaus tagein so tut. Und in ebendiesem Dirndl begab sie sich mit einem Glas gewürzten, fermentierten Chinakohls in den Berliner Mauer­park, wo das heutige Fräulein Kimchi Passanten fragte, ob sie kosten wollten – das Ganze sei eher als Performance gedacht gewesen. Die schräge Dirndl-Kimchi-Kombination hat dazu geführt, dass Lauren Lee heute nicht nur Kochkurse gibt und als koreanische Mietköchin zu buchen ist, sondern ihr Kimchi unter anderem in der „Markthalle Neun“ (wo sonst!) und im eigenen Lokal im Bezirk Prenzlauer Berg (wo sonst!) verkauft. Und man wagt sich wohl nicht zu weit hinaus, wenn man behauptet, dass Lauren Lee alias Fräulein Kimchi das Hipster-Interesse an diesem fermentierten Gemüse im deutschsprachigen Raum durchaus befeuert hat. Auf englischsprachigen Foodblogs und in trendbeflissenen Magazinen ist das Thema Kimchi – was in Korea schlicht und einfach konserviertes Gemüse bedeutet – ohnehin schon länger Dauerbrenner. Es lässt sich schließlich auch so schön abwandeln. Auch wenn Lauren Lee das wohl nicht gemeint hat, als sie „Part Korean, Part American, Part German, All Kimchi“ zu ihrem Leitspruch auserkor.

Zumindest den Teil „All Kimchi“ würden wohl fast alle Koreaner ohne zu zögern bestätigen. Dass Koreaner jeden Tag und sogar zu jeder Mahlzeit Kimchi essen und es in jedem, wirklich jedem Haushalt einen eigenen Kimchi-Kühlschrank gibt (Stichwort Geruchsentwicklung), ist in allen Korea-Reisegeschichten zu lesen. Und klingt ungefähr so realistisch, wie wenn man behaupten würde, alle Österreicher essen täglich Schnitzel und Sachertorte. Bei Kimchi liegt die Sache allerdings anders, wie sich etwa in Seoul feststellen lässt. Korea isst Kimchi, Korea ist Kimchi. Es gibt ein staatliches Institut zur weltweiten Verbreitung der Kimchi-Botschaft, das auch ein spezielles Kimchi für Astronauten entwickelte. Und Koreaner sagen statt „Cheeeeese“ „Kimchiiiiii“, wenn sie fotografiert werden.

„Sehr rot, sehr scharf“ – das dergestalt verknappte Image der koreanischen Küche im Ausland kennt man in Seoul zur Genüge, kann es den Fremden bei aller kulinarischen Vielfalt aber nicht verdenken. Kimchi ist einfach tatsächlich überall. Das Einzige, wo man aus koreanischer Sicht einhaken muss: Nicht jedes Kimchi ist rot, und nicht jedes Kimchi ist scharf. Und schon gar nicht jedes Kimchi wird aus Chinakohl gemacht. Man findet in Korea grüne Versionen aus Bärlauchstielen, Rettichgrün, Sesamblättern, Wassermelonenschalen und jungen Baumtrieben, oder orangefarbenes und gelbes aus Kürbis, Karotten und Ginseng. Auch österreichische Köche wandelten und wandeln das Thema Kimchi in alle möglichen Richtungen ab: Christian Petz hatte für das Fleisch-Pop-up It’s all about the Meat Baby Fenchel-Kimchi im Sinn, Christoph Fink, im Brotberuf Koch in der schwedischen Botschaft und ansonsten gern auf kulinarischen Wildnisexpeditionen unterwegs, verarbeitete das angebliche Unkraut Giersch zu einem herben regionalen Blatt-Kimchi, und Andreas Döllerer kombiniert ein Rotkraut-Kimchi mit Zander, Fichtenwipfeln und grünen Mandeln.

Wenn Kimchi als die Seele der koreanischen Küche gilt, ist Paechu die Seele der Seele, DAS Kimchi schlechthin: aus China­kohl. In den meisten koreanischen Restaurants im Ausland – und davon ist in den vergangenen Jahren vor allem in den USA eine bemerkenswerte Anzahl entstanden, was der koreanischen Küche einen gewissen The-next-big-thing-Nimbus verliehen hat – ist Paechu Kimchi jenes, das ungefragt auf den Tisch gestellt wird. Dabei kam Chinakohl erst vor etwa achtzig Jahren nach Korea, erzählt der Foodjournalist SungYoon Kim, die in Seoul lebende Koryphäe der hier sehr jungen über Essen und Trinken schreibenden Zunft. „Seit vierzig Jahren ist Paechu Kimchi Standard. Aber es gibt enorm viele andere Varianten.“ SungYoon Kim weiß auch von diversen Zwischenfällen mit explodierendem Kimchi im Reisegepäck zu erzählen. „Manche Koreaner reisen nicht ohne ihr Kimchi, und wenn es dann weiterfermentiert … tja.“

Kimchi fürs Reisegepäck, damit hat auch Ran Kim Erfahrung, die in der O’ngo Cooking School in Seoul Kimchi-Kurse für Touristen gibt – die selbst gemachte Portion darf man mitnehmen (und am besten essen, bevor Fermentation und Abreise sich zeitlich auf einen gemeinsamen Nenner einigen). „Was wir hier machen“, beginnt Ran Kim, „ist Weltkulturerbe“. Im Jahr 2013 wurde Kimjang, also die Zubereitung von Kimchi, in die UNESCO-Liste aufgenommen, samt dem Kimchi-Festival im November, bei dem Großfamilien zusammenkommen, um teils öffentlich Kimchi zu machen. Die UNESCO-Verantwortlichen hatten freilich sicher eher die traditionellen Tonbottiche im Sinn, die samt Kimchi im Winter monatelang im Boden vergraben werden, als die Kühlschränke der koreanischen Elektronikgiganten LG oder Samsung. Nur ältere Leute fermentierten ihr Kimchi noch in Tontöpfen, meint die Köchin Ran Kim. „Mitte der Neunziger kamen die Kimchi-Kühlschränke auf den Markt. Die Temperatur darin beträgt etwa 0 Grad. Da kommt nichts anderes als Kimchi hinein. Und JEDER Haushalt hat einen. Wenn man heiratet, ist das Erste immer ein solcher Kühlschrank.“

Es gibt an die zweihundert Versionen von Kimchi, schätzt Ran Kim, „aber wir wissen natürlich nicht, wie viele es in Nordkorea gibt – also sind es womöglich noch mehr!“ Im südlichen Teil von Südkorea sei Kimchi generell schärfer und intensiver, unter anderem, weil im Süden mehr fermentiertes Meeres­getier untergemischt werde oder auch rohe Austern.

Paechu Kimchi, dessen Herstellung in der O’ngo Cooking School auf dem Programm steht, wird stets in drei Schritten gemacht: Zuerst werden die Chinakohlblätter in einer Salzlake eingelegt, am besten über Nacht. So werden die Blätter biegsam und brechen nicht. Dann wird der Chinakohl bestrichen beziehungsweise gefüllt, danach fermentiert.

Für die Füllung schneidet, reibt und mischt Ran Kim Junglauch, Ingwer, Rettich, Chilipulver, fermentierte Shrimps, Zucker und Salz. Und natürlich Knoblauch, in Korea essenziell. „Knoblauch macht uns Koreaner hitzig wie Italiener. Haben Sie nicht gemerkt, dass in Seoul alles mehr Tempo hat?“ Sie zieht sich Handschuhe über und streicht die dank dem Chilipulver kräftig hellrote Füllung großzügig auf die Kohlblätter – der Strunk hält dabei noch schmale Bündel zusammen, die gefaltet und mit dem äußersten Blatt verschlossen werden. Diese roten, elastischen Bündel werden nun in Gefäße gelegt, zunächst etwa einen Tag bei Raumtemperatur stehen gelassen und danach im Kühlschrank – natürlich dem obligatorischen Kimchi-Kühlschrank – fermentiert. „Nach etwa einer Woche sollte das Kimchi fertig sein.“ Nur noch wenige Restaurants in Seoul machen ihr Kimchi selbst, meint Ran Kim. Aber auch bei den großen Herstellern wird der Kohl immer von Hand mit Paste eingerieben. „In Japan, sagt man, kommt Geschmack vom Messer, in China vom Feuer und in Korea von den Händen. Aber wenn LG oder Samsung eine Kimchi-Massiermaschine auf den Markt bringen würden – ich würde sie sofort kaufen.“

Kollwitzstraße 46, 10405 Berlin
www.fraeuleinkimchi.com

Kimchi im Internet
Rezept von David Chang, Momofuku:
www.luckypeach.com/recipes/paechu-kimchi-2
Bei der Foodbloggerlegende: www.davidlebovitz.com/2008/03/kimchi-revisite/
Schritt-für-Schritt-Bilder: www.maangchi.com/recipe/tongbaechu-kimchi
Von Fermentations-Freaks für solche:
www.fermentistablog.wordpress.com/2014/08/11/my-first-kimchi/
www.ferment.works/blog/2014/2/21/burdock-carrot-kimchi (Karotten-Kimchi!)
www.ongofood.com