Der Herr der Rosen

Kunstvoll kreativ, überaus erfolgreich, ein Star in der Pariser Gesellschaft. Pierre Hermé ist der Rosenkavalier im internationalen Patisserie-Business.

Foto von J. Faure/opale.photo/laif
Text von Eva Biringer

Eine Rose ist eine Rose ist ein Macaron. Gefüllt ist es mit Himbeeren und einer Creme aus Litschis und Rosenblättern, verziert mit einem einzelnen Krokantblatt mit Rosenaroma. Sein Name Ispahan bezieht sich zum einen auf die gleichnamige Rosen­sorte, zum anderen auf die iranische Stadt Isfahan. Erfunden wurde dieses Kultgebäck als Hommage an die iranische Kaiserin Farah Pahlavi, die sich eigener Aussage zufolge an ihre iranische Kindheit erinnert fühlte – eine Proust’sche Madeleine sozusagen. Ein solches Signature Pastry, weltweit bekannt, zu praktisch jedem Preis verkäuflich, ist schon eine feine Sache für einen Patissier. Pierre Hermé hat allerdings noch mehr Ikonisches zu bieten: die Tarte Infiniment Vanille beispielsweise, bestehend aus dreierlei Sorten Vanille aus Mexiko, Tahiti und Madagaskar, 2000 Feuilles, die Verfeinerung des Klassikers 1000 Feuilles, das mit einer Ganache aus Passionsfrucht verfeinerte Macaron Mogador oder der wie eine kubistische Skulptur anmutende Schokoladenkuchen Carrément Chocolat. Gemein ist diesen Kreationen ihr Wille zur Reduktion, die Vermeidung unnötiger Dekorationen, die Verwendung hochwertiger Zutaten – und die Tatsache, dass Menschen bereitwillig dafür Schlange stehen.

Ein WhatsApp-Anruf bei Monsieur Hermé. Dem voran ging eine tagelange E-Mail-Konversation mit mehreren seiner Assistentinnen, inklusive der Bitte, keine persönlichen Fragen zu stellen. D’accord. Hermé klingt erkältet. Erst vor wenigen Tagen kam er von einem Food-Festival auf Mauritius zurück. Sein Englisch gerät manchmal ins Stocken, mehrmals wechselt er in seine Muttersprache. Einmal, als es um Kunst geht, eine seiner Leidenschaften. Die Vogue nannte ihn einmal den „Picasso of Pastry“, was ihm lieber ist als das vom Nachrichtenma­gazin L’Express ausgedachte „Paganini der Desserts“.

Zu Ostern gab es eine Sonderedition zum Thema Art Brut. Die entsprechenden Eier (1,6 Kilo, 150 Euro) wirken eher wie Skulpturen als etwas Essbares und dürften wohl kaum als Suchobjekt im Garten vergraben worden sein. Der Begriff Art Brut geht zurück auf den Maler Jean Dubuffet und bezeichnete Mitte des 20. Jahrhunderts eine von Laien, Kindern und psychisch Kranken erschaffene Kunstform. Kennzeichnend war das Rohe, Unverbrauchte. „Mich fasziniert, dass es sich nicht um Ästhetik im klassischen Sinn handelt, vielmehr gilt es, einen Code zu entschlüsseln“, so Hermé. Natürlich gehe er gerne in Ausstellungen und Museen. Auf einen Lieblingskünstler will er sich nicht festlegen, dafür stammt seine letzte käuflich erworbene Arbeit von der französischen Bildhauerin Eva Jospin.

Von der Kunst ist es nicht weit zur Mode. Bekannt wurde der 1961 im elsässischen Colmar Geborene für Skizzen seiner Werke, die an Entwürfe Karl Lagerfelds erinnern, und seine seit 1987 zwei Mal jährlich stattfindenden Defilees, also Präsentationen im Stil einer Modenschau. Mindestens so spektakulär wie die dort gezeigte Patisserie sind die Locations. Das Palais de Tokyo und der Nachtclub Crazy Horse waren dabei, eine Kapelle und der Pavillon Elysée sowie eine Brücke über die Seine – so etwas ist wohl nur in einem Land möglich, das gutes Essen genauso wie edle Stoffe als Lebenselixier versteht. „Bien sûr“ kann man in so ein Defilee nicht einfach hineinspazieren, sondern muss einer der geladenen Gäste sein, „Stammkunden, Medien, Celebrities“.

Ein Glanz, den Hermé sich erarbeiten musste, stammt er doch aus einem eher bescheidenen Elternhaus. Schon sein Ururgroßvater war Patissier, so wie alle ihm folgenden Männer in der Erbfolge. „Wenn ich meinen Vater sehen wollte, musste ich zu ihm in die Backstube gehen“, erinnert sich Hermé am Telefon. Was Papa ­besonders gut konnte? „Schokolade, Gugelhupf, Schwarzwälder Kirsch.“ Schnell fand auch der Sohn Gefallen daran, seine Hände in Mehl und Butter zu tauchen, nicht jedoch in Sauerteig (anders als der Rest der Welt hat der Franzose selbst im Lockdown kein Brot gebacken, weil es ihn nie interessiert hat). Umso genauer erinnert er sich an sein erstes Werk: Sablés, französische Butterkekse, in Herzform. Mit neun fasste er den Entschluss, Patissier zu werden, mit vierzehn setzte er ihn um, in Form einer Ausbildung beim ­legendären Gaston Lenôtre in Paris, der als Erneuerer des Konditorwesens gilt. Mit neunzehn stieg Hermé dort zum Souschef auf, wurde später Chefpatissier des Pariser Feinkosthändlers Fauchon, wo er den aus viererlei Schokoladentexturen bestehenden Cerise sur le Gâteau entwickelte.

1998 eröffnete er den ersten eigenen, im Stil eines Juweliergeschäfts eingerichteten Shop in Tokio, 2001 die erste Filiale in Paris. Inzwischen sind es 48, darunter in Deutschland das Brenners Park-Hotel und ein Teesalon im Tokyo Disney Resort. Kein Ableger in Österreich, „noch nicht“. Über sechshundert Mitar­beiter zählt das Imperium Hermé. Dessen Geheimnis: „Du kannst den besten Kuchen der Welt backen – wenn du kein hervor­ragendes Team hinter dir hast, bringt das alles nichts.“ Obwohl die Marke längst für sich spricht, bleibt deren Erfinder weiterhin höchst kreativ. Inspiration findet er durch Reisen, Essen und „im Gespräch mit Ihnen“, wie er charmant bemerkt. Scheint zu wirken: Über hundert Kreationen gibt es von ihm pro Jahr, Produkte in seinen Shops ebenso wie Kollaborationen mit Hotels und Restaurants.

Dass er mit dem Zeitgeist geht, beweisen seine veganen Experimente. Von zuckerfrei hält er hingegen „rien“, denn: „Sobald ich den Anteil von Zucker verringere, steigt automatisch der des Fetts.“ Lieber verfolgt er das, was er Gourmandise raisonnée nennt, das sinn­volle Verringern von Zucker ohne Geschmackseinbußen, ganz ähnlich, wie es ein halbes ­Jahrhundert vor ihm sein Ziehvater Gaston Lenôtre tat. Dem Wunsch nach glutenfrei kommt er hingegen gerne nach, schließlich erfüllt dieses Kriterium jenes aus Eischnee und Mandelmehl bestehende Kleingebäck, mit dem er weit über die Grenzen Frankreichs hinaus berühmt wurde. „Früher waren Macarons viel zu süß, außerdem gab es nur ein paar wenige langweilige Sorten, Himbeere, Schokolade, Kaffee.“ Er habe diese Spezialität – deren Wurzeln übrigens nicht in Frankreich, sondern im arabischen Raum und in Italien liegen – revolutioniert, indem er mehrere Geschmacksrichtungen kombinierte und mit verschiedenen Texturen sowie Säure arbeitete. Nicht zuletzt ihm ist es also zu verdanken, dass auch hierzulande keine Fußgängerzone ohne Macaroncafé auskommt, ein Trend, der sich, im Gegensatz zu Cruffins, Cronuts & Co, schon seit Jahren hält. Abgesehen davon initiierte er 2005 den offiziellen Tag des Macarons, der am 20. März wenigstens in Frankreich feierlich begangen wird.

Der Sechzigjährige hat in seinem Job praktisch alles erreicht, was man erreichen kann: 2014 von den 50 Best Restaurants zum Patissier des Jahres ernannt, von Vanity Fair auf Platz vier der einflussreichsten Franzosen, von seinem Heimatland zum Ritter der Ehrenlegion geschlagen. Man muss ihn das einfach fragen: Hat jemand wie er überhaupt noch Lust auf Süßes? Natürlich, er liebe die fran­zösischen Klassiker, am meisten das Brandteig-Buttercreme-Törtchen Paris-Brest. Wichtig sei ihm auch, die Kreationen seiner Kolleginnen und Kollegen zu verkosten. Nicht wenige von ihnen sind bei Hermé in die Lehre gegangen, darunter Christophe Felder, Claire Damon und Anna Plagens, die in Berlin mit viel Erfolg die Patisserie Du Bonheur betreibt.

Was nicht heißen soll, dass er nicht auch gerne herzhaft isst: Entweder er kocht selbst, wie Risotto, Ceviche oder Blanquette de veau, am liebsten für seine Familie (keine privaten Fragen!), oder er geht in seine liebsten Pariser ­Restaurants, darunter das Bistro Le ­Baratin, Alain Passards Veggietempel L’Arpège oder Hélène Darrozes Marsan – dort liebt er besonders ein Dessert mit weißen Trüffeln.

Oder halt einen ordentlichen Kaiserschmarren. Anfang 2020 war er wieder mal vier Tage in Wien. Gewohnt hat er im Park Hyatt, an die Namen der Restaurants kann er sich leider nicht erinnern, aber, hach, Wien liebt er schon, genau wie den österreichischen Wein. Könnte auch daran liegen, dass er mal mit einer Österreicherin verheiratet war, der Designerin Barbara Riehl, die für ihren damaligen Mann die Einkaufstaschen entwarf. Gerne hätte man ihn zu den Details befragt, aber: keine privaten Fragen. Ebenso rätselhaft bleibt, wo er wohnt, ob er Kinder hat und wie das so war mit Ehefrau Nummer eins, der Journalistin und Restaurantberaterin Frédérick Ernestine Grasser, die einen Großteil seiner Backbücher verfasste, oder mit der aktuellen Ehefrau Nummer drei. Großzügig mit der Auskunft über sein Privatleben war Pierre Hermé gegenüber dem Klatschblatt Paris Match. An die erste Begegnung mit der Lehrerin Valérie Franceschi erinnert er sich wie folgt: „Als ich ihre Hand schüttelte, fühlte ich einen Elek­troschock, einen ,coup de foudre‘. Valéries Lächeln ließ mich dahinschmelzen, und ich sagte mir: ‚Das ist die Frau, mit der ich den Rest meines ­Lebens verbringen werde.‘“ Durch sie habe er mit Pilates begonnen und vierzehn Kilo abgenommen. Ein Macaron hat er auch nach seiner Liebsten benannt, Le Jardin de Valerie. Sein Duft erinnert an das korsische Strohblumenöl, mit dem Franceschi ihren Körper eincremt. —

Adressen & Infos
pierreherme.com

Nicht nur ein Kuchen, sondern pures Glück sei, so Hermé, sein Signature Pastry Ispahan, bestehend aus Macarons, Rosencreme, Litschi & Himbeeren – benannt nach einer Rose und der iranischen Stadt.
Für Hermé umfasst das perfekte Vanillearoma drei Sorten, die er mit einer Basis aus Shortbread, weißer Schokolade und Mascarpone kombiniert. Das Ergebnis heißt Tarte Infiniment Vanille und ist einer der Bestseller in Hermés Boutiquen.
Boutique Pierre Hermé in der l’avenue de l’Opéra.