Der König vom Grill

Archaisch, authentisch, einfach grandios. Asador Etxebarri ist ein Wallfahrtsort für alle, die zumindest ein Mal im Leben richtig gutes Essen, das ausschließlich über offenem Feuer zubereitet wird, genießen wollen. Vorsicht, der Suchtfaktor ist enorm.

Foto von Mariano Herrera/Extebarri
Text von Christian Grünwald
Mit einem von ihm selbst entworfenen System steuert Victor Arguinzoniz in der Etxebarri-Küche stufenlos den Abstand der Grillplatten zum Feuer.

Seit den 1990er-Jahren befindet sich die Pilgerstätte für alle Grill- bzw. Barbecue-Fans in einem rustikalen Steinhaus in Axpe-Atxondo, einem kleinen Dorf im gebirgig-hügeligen Baskenland. In das etwa eine halbe Autostunde von Bilbao entfernte Örtchen würden normalerweise nur einige Wanderer und Mountainbiker an den Wochenenden kommen. Seit aber die informierte Gourmetwelt weiß, dass die Küche von Victor Arguinzoniz einfach fantastisch ist, machen die Taxifahrer mit Hin-und-retour-Preisen von knapp 200 Euro ein gutes Geschäft.

Die Gäste aus aller Welt kommen, um sich für 242 Euro an einem ausführlichen 14-Gänge-Menü zu erfreuen, das komplett über offenem Feuer zubereitet wird. So wird aus scheinbar einfachen (gleichwohl absolut perfekten) Zutaten ein Fest für alle Sinne. Die Chorizo ist hausgemacht, hat ebenso wie die gefühlvoll gesalzenen Sardellen die exakt richtige Menge an Raucharoma abbekommen; Gleiches auch beim einige Stunden zuvor selbst hergestellten Büffelmozzarella, der mit zart geräuchertem Tomatenfruchtfleisch eine bewährte Allianz eingeht. Wenn dann Palamós-Garnelen oder später ein Côte de ­Boeuf in der bestmöglichen Form vor einem auf dem Teller liegen, ist man der Küche restlos verfallen und grübelt, wie ein so punktgenaues Garen auf dem Grill überhaupt möglich ist.

Victor Arguinzoniz ist ein Kind der Region, wurde nur etwa einen Kilometer von seinem heutigen Restaurant entfernt geboren. In seinem Elternhaus gab es weder Strom noch Gas, Mutter und Großmutter kochten auf dem holzgefeuerten offenen Herd. Die Magie des offenen Feuers kam also ganz von selbst. Wie überhaupt die Biografie des Küchenchefs, die Lage des Hauses inmitten idyllischer Natur und das Gebotene im Restaurant nicht harmonischer und logischer sein könnten. Allen Ehrungen zum Trotz ist Victor Arguinzoniz ein ungemein bescheidener und zurückhaltender Mann. Ein „humble guy“, den viele andere Köche weltweit als echten Küchenstar, Mentor und Vorbild zugleich sehen. 2021 erhielt Arguinzoniz den Chefs’ Choice Award bei den The World’s 50 Best Restaurants. Damals erreichte das Asador Etxebarri mit Platz 3 die bislang beste Ranking-Position. In der aktuellen 2022er-Wertung belegt man Platz 6.

Wenn das Wetter passt, das Baskenland ist in der Regel das kühlste und regenreichste Gebiet Spaniens, serviert Sommelier Mohamed Benabdallah auf der Terrasse im ersten Stock den Aperitif und kleine Willkommenssnacks. Der Ausblick auf die Berge und die dort weidenden Rinder und Schafe ist fantastisch. Wer einen Blick in die Weinkarte macht, ist ebenso begeistert. Große Weine in allen Preislagen aus allen wesentlichen Teilen der Weinwelt. Besonders das Burgund-Programm lässt selbst Kenner staunen. Man wähle selbst, ob man klassische oder alternative Techniken bevorzugt. Oder noch besser verständigt man sich auf eine glasweise Begleitung. Enttäuschung eher unwahrscheinlich. Der Service agiert smart, kompetent und freundschaftlich zugleich. Es ist die pure Freude, hier zu sitzen.

Bei aller Gemütlichkeit auf der Terrasse, gegessen wird dann in jedem Fall im Restaurant. Das Ambiente gefällt durch die enorme Raumhöhe und mächtigen Holzbalken. Wer auch nur den Anflug von Grill- oder Räucherduft erwartet, schnuppert vergeblich. Die Grillstation befindet sich, für den Service durchaus herausfordernd, einen Stock tiefer. Was dafür umso mehr in die Nase sticht, ist der intensive Duft der mitten im Raum positionierten Lilien, deren Stempel scheinbar mit Absicht nicht entfernt sind.

Victor Arguinzoniz war eigentlich Förster, ehe er 1989 das 200 Jahre alte Gebäude auf dem Dorfplatz von Axpe kaufte und nach der Renovierung für die Einheimischen klassische Asador-Gerichte zubereitete.

Das Spiel mit dem Feuer zeigte bald seine Wirkung. In den späten 1990ern führte die Suche nach Perfektion zur Entwicklung neuer Gerätschaften. Schließlich wurden schon damals Fantasien von auf dem Grill zubereitetem Eigelb oder auch Kaviar gewälzt. Gitterförmige Pfannen in der Art eines Siebs,
Behälter mit fein durchlöcherten Seitenwänden, mehr oder weniger geöffnete Töpfe sowie allerlei speziell geformte Zangen und Schaufeln sorgen seither für die feine, wohl dosierte Durchdringung von Hitze und Rauch.

Für die meisten Köche ist der Rauchgeschmack nur eine von vielen Geschmacksrichtungen. Arguinzoniz behandelt ihn als eine Art Gewürz beziehungsweise Grundzutat.

Einfach nur auf den Grill gelegt werden die einzelnen Produkte hier nicht. Victor Arguinzoniz ist ein Tüftler, stets um die ideale Lösung bemüht, egal wie kompliziert der Weg dorthin ist. Victor Arguinzoniz veredelt die jeweiligen Zutaten, unterstreicht mit seiner Art von Küche die Aromen und Texturen, stärkt so den Eigengeschmack. Manches braucht nicht mehr als einen kurzen Flammenkontakt, um perfekt zu schmecken. Arguinzoniz hat für jedes Produkt die optimale Zubereitungsmethode auf dem Grill. Zumeist zieht er Holz herkömmlicher Holzkohle vor, weil das Aroma dadurch viel feiner und milder wirkt.

Ganz wichtig ist die richtige Wahl und Mischung der verwendeten Hölzer. Faktoren wie Alter, Durchmesser der Stücke, Feuchte/Trockenheit oder auch der Gehalt von Harz sind entscheidend. Fisch und Meeresfrüchte werden auf Steineiche gegrillt, die gibt eine gute Hitze und wirkt recht neu­tral im Aroma. Fleisch gart bevorzugt auf dicken Rebhölzern und deren Trieben (wegen dem prägnanten Raucharoma), manchmal kommt auch das Holz von Obstbäumen zur Anwendung.

Die Küche verfügt über sechs verstellbare Grills, die mit einem von Arguinzoniz entworfenen Flaschenzugsystem angehoben und abgesenkt werden können. Für die perfekte Glut sorgen zwei Öfen mit dem in der Umgebung gesammelten Holz. So wird die Urgewalt von Hitze und Feuer für den entscheidenden Moment domestiziert. Es geht vor allem um die Glut, die stets den Garpunkt definiert und deren Hitze sich so schnell verändern kann, dass kein Thermometer und Timer da mitkommt. Darum lassen sich die Grillebenen in Arguinzoniz’ Küche blitzartig anheben oder absenken. Das ist pure Handarbeit und Gefühlssache, das macht das Handwerk zum Kunstwerk.

Nur sehr wenige Zutaten werden direkt auf dem Rost gegrillt. Aber ­alles erhält, zum Teil umhüllt von kleinen metallenen Behältnissen, die einzigartige Räuchernote à la Etxebarri, die jedem Produkt die geschmackliche Krönung verleiht. Etwa der geräucherte Kaviar, der mit etwas Iberico-Fett eine arge wie überzeugende Verbindung eingeht. Die Seegurke mit jungen Erbsen wirkt durch den rauchig-zartbitteren Ton des Hauses so ungemein elegant und bietet dabei zeitgleich ein Festival der Texturen zwischen knorpelig, knackig und cremig. Butterzart und aufs Erste irgendwie betörend nach nichts schme­ckend, wirkt ein Stück ­Schwimmblase. Aber da ist dann auch Chilischärfe und natürlich Raucharoma als adäquates Gegenstück.

Sehr wohl kurz auf dem Rost war ein saftig-fettes Bauchstück vom weißen Thunfisch, davon zeugt das rautenförmige Grillmuster. Die Crew kratzt jeden Grill täglich penibel ab, um sämtliche alte Bratreste zu entfernen. Man weiß ja aus eigenen negativen Erfahrungen, welche unerwünschten Aromen sich da sonst entwickeln. Das Steak, ein Txuleta, also ein Rippenstück vom älteren grasgefütterten Rind in der Region, ist etwas mehr als einen Zentimeter dick, das Fleisch ist perfekt auf den Punkt rot gebraten, ist saftig und hat keinerlei rohe Stellen. Die dunkle Karamellisierung an der Außenseite macht süchtig. Es ist diese Art von geiler Paste, die man daheim selbst nie zusammenbringt. Man ahnt, dass auch hier die Küche sehr viel an der Oberfläche der Stücke arbeitet, also zum Beispiel die sich bildende Kruste immer wieder besprüht oder lackiert wird. Kein bisschen bitter oder verbrannt, einfach ein geniales Stück Rindfleisch. Dazu serviert die Küche einen schlichten, leicht säuerlich marinierten grünen Salat. So einfach kann ein herausragend guter Fleischgang daherkommen.

Wer meint, dass im Etxebarri nur Fisch, Fleisch und Gemüse über offenem Feuer zubereitet werden, bekommt am Ende des Menüs auch noch die süße Ergänzung: Da ist das Eis von reduzierter und geräucherter Milch mit einer Rote-Rüben-Beeren-Sauce und dann auch noch das Schokoladensoufflé. Beide Gänge mit zartem Rauchton versehen (in der Stunde 4 des ausführlichen Menüs will man ohne dieses Aroma nicht mehr leben), beide Desserts in einer Perfektion hinsichtlich Geschmack und Textur, von der andere große Häuser nur träumen können. Und falls Sie sich fragen, wie man Milch räuchert:
Victor Arguinzoniz stellt die Milchbehälter zum Reduzieren auf den Kohleofen, wodurch die Aromen des Feuers aufgenommen werden.

In den letzten Jahren, als Etxebarri zunehmend zum Kult bei Köchen und Gästen wurde, trudelten Angebote für Restaurantkonzepte mit gleichem Namen in New York, Singapur und Dubai ins Haus. Ernsthaft überlegt hat Arguinzoniz das nie. Etxebarri mit all seinen Details funktioniert nur hier in Axpe. „Wir brauchen das Holz, die Produkte, die Menschen.“

Angst oder Bedenken davor, dass jemand das Konzept kopieren könnte, bestehen nicht. Unter den fünf bis sechs Köchen, die gemeinsam mit Victor Arguinzoniz in der Küche stehen, waren schon einige, die das hier Erlernte auf ihre eigene Weise interpretierten und damit viel Erfolg haben. Sie waren so vernünftig, keine 1:1-Kopie zu entwerfen.

Die wohl berühmtesten Beispiele für Restaurants mit dem Etxebarri-Spirit sind das Firedoor in Sydney, wo Lennox Hastie eine wirklich beeindruckende Asador-Küche zelebriert. Er war jahrelang Souschef in Axpe. Und da ist auch noch Dave Pynt mit dem ebenso formidablen Burnt Ends in Singapur (seit Kurzem an einer neuen Adresse und mit mehr Tischen).

Den in den letzten 33 Jahren angesammelten Erfahrungsschatz von Victor Arguinzoniz kann niemand toppen oder kopieren. Eine derartige Meisterschaft entsteht nur durch die tagtägliche Arbeit mit dem Feuer. Bei der Gelegenheit: Ja, man kann ohne Problem kurz in die Hitze greifen oder die Glut entfachen. Gefährlich wird es nur mit Flüssigkeiten und Fett beim offenen Feuer, das tut ordentlich weh.

In diesem Sommer, der auch im Baskenland einer der sehr heißen war, zollte Victor Arguinzoniz der Hitze erstmals Tribut. Angesichts von Temperaturen von etwa 50 Grad in der Küche, nahm man in den Sommermonaten nur mehr rund 25 Gäste pro Tag an. Ab Herbst darf wieder die doppelte Anzahl an Feinschmeckern aus aller Welt auf einen Platz beim besten und chronisch gut gebuchten Grill der Welt hoffen. —

Adresse

Asador Etxebarri
San Juan Plaza 1, 48291 Axpe-Atxondo, Bizkaia, Spanien, asadoretxebarri.com

© Christian Grünwald
Beispiele für die Verführungen vom Grill: Die Seegurke kommt, umhüllt von zartem Raucharoma, auf jungen Erbsen. Das Steak (unten) ist exemplarisch perfekt.
© Christian Grünwald
© Christian Grünwald
Erfindungsgeist am Rost: In der fein gitterartigen Pfanne garen die Glasaale perfekt.
© Mariano Herrera/Extebarri
Tintenfisch mit karamellisierter Zwiebelfülle
© Christian Grünwald