Die Frucht- Granate

„Außen eins, innen tausend und eins – was ist das?“, fragt ein altes türkisches Rätsel. Die Antwort hat derzeit Saison am Markt: der Granatapfel.

Text von Andrea Karrer Illu von Kerstin Luttenfelder

Als „Paradiesapfel“ findet der Granatapfel in der Bibel, im Koran und im Buddhismus Erwähnung, als Zeichen der Macht ist er als „Reichsapfel“ auf diversen Wappen abgebildet, und als „Zankapfel“ soll er einen Krieg begründet haben. Dass man als Mann einen weiblichen Schönheitsstreit schlichten will, ist selten eine gute Idee. Der Jüngling Paris versuchte es in der griechischen Mythologie trotzdem und überreichte die rote Frucht an Aphrodite, die seiner Meinung nach Hübscheste von drei Göttinnen. Verliererin Athene nahm es mit Fassung, aber Hera zettelte aus Rache den Trojanischen Krieg an.

Was der Trojaner Paris der Göttin Aphrodite überreichte, war nicht etwa ein schlichter Apfel, wie wir ihn kennen, sondern ebendiese symbolträchtige Frucht. In vielen Kulturen galt der Granatapfel wegen seiner zahlreichen Kerne als Sinnbild für Fruchtbarkeit und Kinderreichtum, im Hohelied Salomos wird das Wort Granatapfel ­immer wieder eingesetzt, um die Schönheit einer Frau zu untermalen, und heute gilt er als „Anti-Aging-Frucht“, weshalb Hollywoodstars auf seinen Saft als Pausengetränk schwören.

Dass der Granatapfel immer wieder in der griechischen Mythologie auftaucht, ist nicht verwunderlich, stammt er doch wahrscheinlich aus West- und Mittelasien. Das liegt praktisch vor der Haustüre der Griechen. Heute wachsen die Pflanzen weltweit in tropischem und subtropischem Klima. Durch die spanische Kolonialisierung kamen sie nach Südamerika, und auch im Mittelmeerraum fühlt sich der Granatapfelbaum sehr wohl.

Der Name der Frucht führt ein bisschen in die Irre, denn die Frucht ist nur rein äußerlich dem Apfel ähnlich. Der Name ist auf „granae“, die ­lateinische ­Bezeichnung für Kerne oder Körner, zurückzuführen, denn in einer Frucht sind etwa 400 fleischig ummantelte Samen. Diese roten, saftigen Samenkörner sind auch das einzig Genieß­bare an der Frucht. „In südlichen Ländern knetet man die reifen Früchte mit der Hand, macht dann ein Loch hinein und trinkt den Saft aus“, weiß Nana Ansari. Nana Ansari stammt aus Georgien und lebt als Künstlerin in Wien. Sie betreibt das georgische Café Ansari in der Wiener Praterstraße.

Frische Granatäpfel liegen schwer in der Hand. Sie reifen nicht nach und halten bei Zimmertemperatur bis zu zwei Wochen, im Kühlschrank sogar länger. „Zwar schrumpft die Schale, doch das Fruchtinnere bleibt frisch und saftig“, erklärt Nana Ansari weiter. „Die Kerne sind mit einer schützenden Haut umgeben, sodass der Saft und die Inhaltsstoffe wochenlang nicht verloren gehen.“

Drei Wege führen zum fruchtigen Inhalt
Die größte Herausforderung im Umgang mit dieser köstlichen Frucht stellt das Auslösen ihrer Kerne dar. Die Kerne sind recht fest mit der übrigen Frucht verbunden, sodass es eine spezielle Technik braucht, um sie herauszulösen. Dabei ist Vorsicht angebracht: Der Saft der Frucht wirkt stark färbend, und Flecken auf der Kleidung lassen sich kaum entfernen.

Um an die Kerne des Granatapfels zu gelangen, gibt es drei Methoden: entweder den oberen Teil der Frucht abschneiden, die Schale von oben nach unten vorsichtig so einschneiden, dass Viertel entstehen, dann die Frucht auseinanderbrechen und die Kerne mit den Fingern oder mit einem Löffel aus den Kammern lösen. Diese Methode sei eher den Mutigen und Geschickten empfohlen. Deutlich weniger fleckenträchtig geht man mit der Wassermethode vor: Es spritzt weniger, wenn die Frucht in einer großen, mit kaltem Wasser gefüllten Schüssel auseinandergebrochen wird. Die Kerne können sozusagen im „Tauchgang“ herausgelöst werden – sie setzen sich am Boden ab, die weißen Häute schwimmen nach oben – und lassen sich leicht mit einem Sieb herausfischen. Für die „Klopfmethode“ schneidet man den Granatapfel mit einem Sägemesser zunächst rundherum ein paar Millimeter ein, so tritt erstmal kein Saft aus. Nun drückt man den Granatapfel mit beiden Daumen vorsichtig am Einschnitt auseinander, bis man zwei Hälften in den Händen hält. Die Fruchthälften über eine große Schüssel halten und mit einem Esslöffel kräftig auf die Schale klopfen, bis alle Kerne in die Schüssel gefallen sind – am besten klopft man dabei vom Rand der Frucht zur Mitte hin.

Egal, für welche Methode man sich entscheidet, der Granatapfel sollte nicht kalt sein, sondern Zimmertemperatur haben. Die Struktur ist dadurch geschmeidiger. Ansari empfiehlt auch, den reifen Granatapfel zum Entkernen mit der flachen Hand und ein wenig (!) Druck auf der Arbeitsfläche etwas hin und her zu rollen oder kräftig zwischen den Händen zu kneten. Achtung: Zu viel Druck lässt die Kerne platzen, dann entsteht ­gewollt oder ungewollt Saft. „Danach schneidet man ein Loch hinein und presst durch weiteres Drücken den Saft heraus oder trinkt ihn direkt aus der Frucht“, schwärmt Nana Ansari und fährt fort: „Oder man presst die geknetete und halbierte Frucht wie eine Orange auf einer Zitruspresse.“ Aus dem frischen, reinen Saft kann man Granatapfelgelee zubereiten. Auch Granatapfelwein wird aus dem Saft gewonnen, der vor allem von Israel exportiert wird. Und zu Grenadinesirup eingekocht und verfeinert, färbt der Saft nicht nur Cocktails wie Tequila Sunrise, sondern auch Kuchen und – vor allem in der orientalischen Küche – Salatmarinaden, Saucen und Eintöpfe. Doch Vorsicht: Nicht überall, wo Grenadine draufsteht, ist tatsächlich reiner Granatapfelsaft drin, er wird gerne mit anderen Säften gestreckt. „Echte ­Grenadine wird ausschließlich aus dem Saft von Granatäpfeln, Zucker und Wasser gewonnen“, erklärt Nana Ansari.

Granatapfel besitzt je nach Reifungsgrad einen säuerlichen bis süßen Geschmack. Diese herbe Fruchtigkeit macht ihn zum kulinarischen Alleskönner, seine Einsatzmöglichkeiten reichen von salzig bis süß. Sowohl der Saft als auch die Kerne verfeinern Wild- oder Geflügelgerichte, aber auch Lamm und Fisch. Er ist erfrischend in Obstsalaten, Joghurtdesserts, süßem Couscous oder einer Pannacotta. Die getrockneten Kerne werden Anardana genannt. In Nordindien werden die zerdrückten oder gemörserten Kerne zum Würzen von Linsengerichten oder geschmortem Gemüse verwendet. Ähnlich wie Tamarinde geben sie der Speise eine fruchtige und säuerliche Note. Im nahen und mittleren Osten verleihen die Kerne Reisgerichten ein süßsaures Aroma. Auch in Salaten, auf Hummus oder einem säuerlich ­gewürzten Melanzanipüree findet man Anardana wieder. Für Desserts werden – wie bereits erwähnt – überwiegend frische Granatapfelkerne benutzt. Die klebrigen Kerne können mit einem Mörser zerrieben werden. In den meisten Fällen streut man sie aber am Schluss über die fertig zubereitete Speise. Durch Wässern werden die Kerne wieder weicher und gewinnen etwas an Volumen.

Erwähnenswert: Der Granatapfel gab sowohl der (Hand-)Granate ihren Namen als auch dem Edelstein Granat, der eine ähnlich rote Farbe besitzt. Wahrscheinlich wurde auch die spanische Stadt Granada – in ­deren Umland bis heute Granatäpfel angebaut werden – nach der Frucht benannt. So ist der Granatapfel seit jeher in aller Munde. —

Q’ualia (Eintopf mit Putenfleisch)
Rezept von Nana Ansari, Café Ansari

Zutaten für 4 Portionen
1 kg Putenfleisch
(Schenkel- oder Brustteile)
3 Zwiebeln (etwa 300 g)
2 Knoblauchzehen, gepresst
Kerne von 2 Granatäpfeln
½ TL gemahlener Koriander
1 TL Uzcho Suneli*
1 EL Tomatenmark (oder
1 pürierte Tomate)
1 scharfer Pfefferoni oder
1 TL Adschika**
Salz

Zubereitung
Fleisch waschen, trocken tupfen und in 4 bis 5 cm große Würfel schneiden; in einen Topf geben. Zwiebeln schälen und kleinwürfelig schneiden, mit dem Knoblauch, den Granatapfelkernen, Tomatenmark, Koriander, Uzcho Suneli, Pfefferoni und Salz in einer Schüssel gut verrühren. Zum Fleisch geben, alles gut vermengen und 200 ml Wasser dazugießen. Den Eintopf bei geringer Hitze zugedeckt etwa 1 Stunde dünsten lassen.

Hinweis: Währenddessen immer wieder umrühren. Heiß in einer Schüssel servieren. Dazu schmeckt Ghomi (eine Art Polenta) besonders gut.

*Uzcho Suneli: Schabzigerklee, wird in der georgischen Küche sehr häufig verwendet.

**Adschika: eine gekochte ­Würzsauce, bestehend aus geriebenen gekochten ­Pfefferoni, die mit Öl, Zwiebeln, Knoblauch, Koriander, Dille, Schabzigerklee, gemahlenen Nüssen, Salz und je nach ­regionaler Tradition bestimmten weiteren Gewürzen zu einer ­pastösen Sauce vermengt ­werden. Ursprünglich stammt die Sauce aus dem westlichen Georgien, inzwischen ist sie im gesamten Kaukasus und in Russland sehr beliebt.

Adresse

Café Ansari
Praterstraße 15, 1020 Wien, T 01/276 51 02,
cafeansari.at