Die Palette Grandioses Menü, mit viel Warenkunde inklusive

Foto von Herbert Lehmann
Text von Alexander Rabl

Es ist nicht so, dass das gastronomische Angebot Wiens in den vergangenen Jahren an Spannkraft und Abwechslungsreichtum verloren hätte. Es ist aber auch nicht so, dass man an jeder Ecke ein Gericht bekommt wie ein Tatar vom Lammherz mit Seeigelcreme und Lauch in heller ­Sojasauce; wie isländischen Lachs, eine echte und teure Rarität; wie ein Sashimi mit Gurkenspaghetti und rohen Garnelen, das vielleicht beste Sashimi der Stadt, voller Schmelz und Biss. Der Autor, Gas­tronom und Koch Gerd Sievers hält solches und ähnliches in seinem atelierartigen Minirestaurant am Vorgartenmarkt bereit, diesem sympathischen Minimarkt bei der Lassallestraße, wo man nicht nur gut essen, sondern in kleinen Läden auch Gemüse und Obst einkaufen kann, wie es das auf anderen Wiener Märkten kaum gibt.

Der Paletten-Patron arbeitet seit Kurzem mit Markus Höller, ­einem Koch, der hier in Wien vielleicht endlich seinen Platz gefunden hat, wo er nicht gezwungen wird, Mainstream zu kochen. Sievers betreibt neben seiner Palette auch ein kleines À-la-carte-Standl, wo es z. B. Cotoletta Milanese gibt. In der Palette gibt es ein Menü, nach Tageseinkauf und Lust des Küchenchefs. Großartig zum Einstieg ein „japanischer“ Salat, ­Pilze und Säure und ­eine rohe Jakobsmuschel mit Daikon, die ­bereits vorgibt, mit welcher ­Produktqualitätsstufe der Gast bei Sievers und Höller zu rechnen hat. Die Snacks nimmt der Gast mit Stäbchen zu sich. Da ist ein dekon­struiertes Nigiri, roter Reis, mariniert mit heller Sojasauce, Reisessig, Mirin, Traubenkernöl, Sake und ­anderem. Darunter eine Creme aus Rapsöl, Eiweiß, Gewürzen und Reisessig, darauf geschnittener Sepia mit Sepiacreme aus der Tinte des Tintenfischs.

Da mischen sich dann noch Aromen von Mandarine und Algen darunter, ein paar Bissen nur, aber von beträchtlicher Komplexität. ­Eine echte Rarität ist isländischer Lachs, im Tuch gereift, zu Sashimi verarbeitet, delikater Schmelz und zarte Bissfestigkeit, darunter Gurkensalat, wiederum Sake und Sojasauce. Rohes, in dünne Streifen geschnittenes Beiried bester Qualität wird gefüllt mit in Ponzu mariniertem Räucheraal, Röstzwiebeln und drei Jahre altem Gouda. Ein Bissen, ein Festmahl. Rohes Lammherz wird zum Tatar, gewürzt mit Colatura di alici, darunter Seeigelsauce, dazu Lauchsalat mit heller Soja­sauce. Gebackener, vorher ausgelöster Ochsenschlepp harmoniert ohne Zweifel perfekt mit Saiblingskaviar und einer an ein Dashi erinnernden, transparenten Sauce. Ein bisschen schauen die Siebziger herein bei der Miniportion von der Lammkeule mit Strindberg-Kruste (Zwiebeln, Mehl, Petersilie), Lammjus und ­grünen Bohnen. Dann werden die Stäbchen abserviert, die Portionen werden erwachsen. Einen Ostsee-Steinbutt wie diesen bekommt man in Wien nicht alle Tage, was an sich auch wenig verwunderlich und in Ordnung ist. Dieser ist perfekt gegart und begleitet von einer Sake-­Beurre-blanc und einem kleinen ­Salat aus rohen, dünn gehobelten Steinpilzen. Erdigkeit, Salz, Süße und Butter, eine unschlagbare Mischung. Kalbshirn wird wie ein ­Sa­ba­yon aufgeschlagen und sanft gebraten, darauf roher Eidotter und Schwarze Trüffel.

Das wird im Spätherbst und im Winter, wenn es die gute Ware aus dem Piemont und dem Périgord gibt, selbstredend noch besser schmecken. Als dritten, größeren Teller, während wir schon ein wenig in den Seilen hängen, gibt es butter­zarten Rehschlögel mit ­Kakao und frittierter Artischocke, ein für sich genommen ebenfalls kompromiss­loses, fast exzentrisch wirkendes ­Gericht. Als Nachtisch Scroppino, mit einem Teelöffel Obers cremig ­gemacht, ein in Wien viel zu selten serviertes Gericht. Der Venedig-­Kenner Sievers kann dazu stundenlang Geschichten erzählen. Sie werden an einer anderen Stelle zu lesen sein. Apropos Scroppino: Vorschriftsmäßig gekühlt, die Weine!

Küche: 3,5
Atmosphäre: 2
Weine: 2

Die Palette
Vorgartenmarkt Stand 22+23, 1020 Wien, T 0664/200 00 54
diepalette.at