Die Wurstfischer

Jeden Donnerstag pilgern Genussmenschen ins Almtal und ins Kremstal mit einem klaren Plan: frische Kesselheiße mit Senf, Gebäck und Bier andächtig verspeisen. Zu Besuch beim Silmbroth und beim „Schölli“.

Foto von Volker Weihbold
In Spitzenzeiten schwimmen bis zu 500 Würstel im Wasser. Frankfurter, Weiße oder Debreziner – die Vielfalt ist groß, die Geschmäcker sind ­unterschiedlich.

Es gibt drei Dinge, die man in seinem Leben getan haben muss: einen Baum pflanzen, ein Haus bauen und eine Kesselheiße in Oberösterreich verzehren. Während die zwei erstgenannten oftmals am Platz und am nötigen Kleingeld scheitern, kann die dritte Option relativ leicht auf der To-do-Liste abgehakt werden. Einzige Voraussetzung: Man muss sich für einen Donnerstag am Vormittag freispielen, Appetit aufsparen und zu einer ausgewählten Metzgerei fahren. Wieso es genau dieser Wochentag sein muss, liegt in der Historie der Wurstproduktion begründet.

„Früher wurde immer am Montag geschlachtet und am Donnerstag gewurstet. Die Wurst musste über das Wochenende halten. Vakuumiert wurde damals noch nicht“, sagt Fritz Silmbroth. Der Metzger war bereits vor 25 Jahren Staatsmeister der Fleischhauer und führt seit acht Jahren den Betrieb im verträumten Viechtwang, direkt neben der barocken Pfarrkirche. Verarbeitet werden ausschließlich Schweine, Rinder, Kälber, Lämmer oder Wild aus dem Almtal. Die Bauern kennt er persönlich und nennt sie namentlich auf einer Tafel vor dem Verkaufsladen. Frischhalte- und Rötungsmittel oder pH-Senker für die Verarbeitung sind hier verpönt. Mehr als 80 verschiedene Fleisch- und Wurstspezialitäten stellen die Silmbroths in handwerklicher Perfektion her. Unter anderem auch Würste – die Hauptdarsteller am Donnerstag. Hätte die Kesselheiße einen Instagram-Account, sie würde Zigtausende Follower zählen. Doch der große Andrang entstand im analogen Zeitalter – weit vor dem Erfolgslauf des Internets. Es war irgendwann in den 50er-Jahren. Eines Tages flanierten der Amtsleiter, der Direktor und der Maurer verstohlen an der Fleischhauerei vorbei, fragten nach einer Stärkung und gönnten sich frische Würste und ein Glas Bier. Andere Einheimische bekamen das spitz. Wie der heiße Brei wurden die Genussmenschen immer mehr – und die „Kesselheiße“ war geboren.

„Heute kommen sie fallweise in Bussen und aus dem Ausland. Manchmal spielt auch die Musi auf“, erklärt Silmbroth. Der Erfolg fußt auf mehreren Punkten. Zum einen ist es die Wurst an sich. Ein Blick in die Antike zeigt, dass sich die griechischen Krieger damit stärkten. Die Römer füllten sie mit Innereien, Pfeffer und etwas Wolfsmilch, und nicht zuletzt winkte den Siegern bei Volksfesten oft eine Wurst als Gewinn. Es ging also tatsächlich immer um die Wurst.

Erfolg ohne Ende
Aus der nährstoffreichen Wegzehrung und dem späteren Armeleuteessen wurde heute ein Baustein der Kulinarik. Selbst ernannte Wurstwissenschafter zählen aus dem Stegreif Hunderte verschiedene Rohwürste, Brühwürste und Kochwürste auf. Von den Frankfurtern oder den „Wiener Würstchen“ über die nordafrikanischen Merguez bis hin zu Haggis aus Schottland, Zampone aus Italien und der französischen Saucisson de Lyon. Allen Würsten wohnt ein Geheimnis inne. Über Geschmack kann man diskutieren, nicht aber über die Qualität. „Nur wenn ich Gutes reingebe, kommt Gutes raus. Mit der Qualität darf man nicht sparen“, sagt Heinrich Schöllhuber aus Kirchdorf, eine weitere Wurstinstanz in Oberösterreich. Der Fleischermeister könnte sich mit seinen 82 Jahren auf die faule Haut legen, das macht er aber nicht. Er wurstet nach wie vor. Manchmal drei Mal die Woche. Die Kesselheiße gibt es allerdings nur am Donnerstag. Frisch aus dem Kessel bis spätestens zwölf Uhr. Wenn die Kirchturmglocken läuten, ist es zu spät. Dann werden die Mittagsgerichte im Gasthaus Schöllhuber serviert und dem Wurstkessel der Stecker gezogen. Das gilt für nahezu jedes Wirtshaus, das die Kesselheiße anbietet. Auch beim Silmbroth in Viechtwang ist irgendwann einmal das Ende der Wurst erreicht.

Zu Mittag dauert der Arbeitstag der Fleischhauer sowieso schon acht Stunden. Um halb vier Uhr in der Früh ist Tagwache. Silmbroth füllt mit seiner Mannschaft das Brät in den Darm, räuchert die Würste (mit Ausnahme der Weißwürste) für ungefähr zwei Stunden und lässt die ersten nach der Selch ab acht Uhr in 72 Grad Celsius heißem Wasser ziehen. Würde man die Würste bei höheren Temperaturen oder gar ins siedende Wasser geben, dann würden sie platzen.

Um die Würste essfertig zu machen, kochen alle Fleischhauer mit Wasser. Die Temperatur ist entscheidend. Ist es zu heiß, also kocht es, dann platzt die Wurst. 70 bis 75 Grad soll die Wassertemperatur im Kessel betragen. Je nach Dicke benötigen die Würste 15 bis 30 Minuten. Zu lang sollten sie nicht im Wasser bleiben. Sie würden sonst auslaugen. „Nach zwei Stunden mag ich die Wurst nicht mehr“, sagt Silmbroth. Er passt wie ein Haftel­macher auf, welche Wurst er entnimmt. In Spitzenzeiten schwimmen bis zu 500 Würstel im Wasser. Damit es zu keiner Verwechslung kommt und keine Frankfurter, Weiße oder Debreziner zu lange im Kessel bleiben, legt sie der Fleischhauer nach einem einfachen System ins Wasser, „die frischen sind ganz rechts, die auf der linken Seite sind essfertig“.

Je mehr Würste, desto aromatischer ist das Wasser und desto mehr behalten Debreziner und Co ihren Geschmack. Früher opferte man eine Wurst, um dem Wasser salzigen Geschmack zu verleihen, damit die Wurst in Folge durch den osmotischen Druck nicht ausgelaugt wird und einen Geschmacksverlust erleidet. Statt der Opferwurst könnte man auch einen Löffel Salz ins Wasser geben. „Ich hab beim Schölli gelernt, und wir hatten nie eine Opferwurst. Das tut man als Fleischhauer nicht“, sagt Silmbroth.

Die Gefahr, dass Würste ausgelaugt oder gar nicht gegessen werden, besteht beim Silmbroth und beim Schöllhuber sowieso nicht. Bereits um neun Uhr in der Früh sind viele Tische belegt. Fans der Kesselheißen finden sich in allen sozialen Schichten, vom Arbeiter über den Angestellten bis hin zum Bankdirektor. Es ist wie beim Würstelstand, wo sich Präsident, Popstars und Arbeiter auf Augenhöhe begegnen. Die Besonderheit ist, dass alle an einem Tisch sitzen, miteinander reden, scherzen und lachen. Eine ungezwungene Atmosphäre mit Stammtischcharakter für alle. Reservierung gibt es weder beim Silmbroth noch beim Schöllhuber. „Das ist unmöglich. Das funktioniert nicht. Und wenn Barack Obama anrufen und reservieren würde – das machen wir nicht“, sagt der junge Hannes Schöllhuber, der das Wirtshaus und die Fleischhauerei leitet. Auch wenn ein Griss um die Plätze besteht, eine freie Stelle findet man immer. „Dann rückt man halt zusammen. Das Besondere ist neben der Wurst ja der Mix von Menschen und das Flair“, sagt Schöllhuber.

Wurst to go
Das Ritual danach ist stets das gleiche. Zuerst Getränk bestellen und dann zum Wurstkessel marschieren und seinen Wunsch deponieren. In Kirchdorf liegt die Wurstausgabe im Hof, gleich neben der Fleischbank. Während der Autor noch überlegt, ob er die Spezialität, eine ungeselchte Frankfurter, oder eine Scharfe oder doch eine Burenwurst aus dem Wasserbecken gefischt haben möchte, hört er einen Stammgast aus der Weite rufen. „Für mich eine Meterwurst bitte!“ Eine weitere Köstlichkeit und in Kirchdorf eine der beliebtesten Würste. Knackig im Biss, schmeckt ein wenig rustikal, aber mundet ausgezeichnet. „Geselchtes, Rindsbrät, mageres Dauerwurstfleisch, kerniges Fett vom Rückenspeck – eine traditionelle Wurst, wie sie sein sollte. Sie wird gerne gegessen“, sagt Schöllhuber, nimmt ein langes Stück heraus und schneidet eine kleine Scheibe zum Probieren runter. „Ich koste alle. Hie und da nehme ich mir eine Debreziner oder ein Stückerl Weißwurst“, sagt er.

Währenddessen angelt sein Mitarbeiter eine Weiße aus dem Kessel und wickelt sie in ein Butterpapier. Die Gäste schnappen sich das wohlschmeckende Jausenpinkerl, gehen zurück zum Platz im Wirtshaus und beginnen zu essen. Gebäck vom ortsansässigen Bäcker, Senf in süßer und scharfer Ausführung sowie frisch geriebener Kren stehen am Tisch. Gegessen wird mit der Hand. Messer und Gabel sind bei der Kesselheißen etwas für feine Pimpf und unpassend. Falls der Hunger oder der Gusto weiterhin anklopft, wiederholt man das Prozedere – bis man statt ist. Getrunken wird meistens Bier.

In Viechtwang ist es ähnlich, einzig Gebäck, Teller, Senf und Kren sind in einem Zwischengang zwischen Zerlegestelle und Verkaufsraum. Bestellt wird bei Fritz Silmbroth. Mittlerweile ist es 11.30 Uhr. Die Tische sind voll belegt, viele bleiben noch länger, andere fahren heim. Vielleicht pflanzen sie einen Baum oder bauen gerade ein Haus. Oder sie lassen den Donnerstag Revue ­passieren – und freuen sich auf die nächste Woche: auf den Tag der ­Kesselheißen. —

Fritz Silmbroth fischt eine Wurst nach der anderen aus dem Kessel. In seinem Wirtshaus oder beim „Schölli“ in Kirchdorf (unten) isst man die Würste mit der Hand. Reservierungen gibt es nicht. Man setzt sich einfach auf einen freien Platz, genießt und plaudert.
© Volker Weihbold
© Volker Weihbold
© Volker Weihbold
Ein Leben, gewidmetder Wurst. Heinrich ­Schöllhuber aus Kirchdorf gilt als Wurstinstanz und steht mit 82 Jahren noch immer in der Fleischhauerei und wurstet.
© Philipp Braun

Adressen

Gasthaus Silmbroth
Viechtwang 23, 4644 Scharnstein, T 07615/22 54

Gasthaus Schöllhuber
Simon-Redtenbacher-Platz 8, 4560 Kirchdorf an der Krems, T 07582/621 16

Fleischmanufaktur Riepl
Dienergasse 5, 4210 Gallneukirchen, T 07235/638 98 15 (jeden ersten Donnerstag im Monat)

Fleischhauerei Führer
Ofteringer Straße 25, 4064 Oftering, T 07221/634 07

Fleischhauerei Strasser
Hauptstraße 15, 4642 Sattledt, T 07244/89 09

Fleischerei Böhm
Marktplatz 1, 4222 St. Georgen an der Gusen, T 07237/220 90 (Knacker und andere Würste auf Vorbestellung)

Fleisch und Wurst Badinger
Lambacherstraße 3, 4661 Roitham, T 07613/51 03 (aktuell Winterpause, sonst auf Vorbestellung)

Metzgerei Gruber
Platz der Sudetendeutschen 7, 4810 Gmunden, T 07612/642 57

Fleischhauerei Kranichsteg
Steg 20, 4817 St. Konrad, T 07615/80 31

Gasthaus Kiener
Breitenschützing 24, 4690 Schlatt, T 0699/10 23 93 95

Kalki’s Hausfleischerei
4655 Albenedt 19, T 07614/65 77 (immer am Freitag)