Die zwei Seiten der Leber
Das Einkochen in Schmalz war einst eine europaweit verbreitete Form der Konservierung. Überlebt hat sie fast ausschließlich im Südwesten Frankreichs. In einer Region, die auch für ihre Enten- und Gänsestopflebern berühmt ist. Ein Besuch bei zwei Unternehmerinnen, deren Geschäftsgrundlage eine umstrittene Delikatesse ist.
Unter einem stahlblauen Novemberhimmel und bei ungewohnt milden Temperaturen wird Markttag gehalten im Städtchen Peyrehorade im Südwesten Frankreichs. Zumindest für Eingeweihte lässt ein Transparent an der Ortseinfahrt keinen Zweifel daran, womit hier gehandelt wird: Marché au gras, Markt des Fettes beziehungsweise Fettmarkt steht darauf zu lesen. Für Außenstehende klingt das zunächst einmal nicht so appetitlich.
Worum genau es sich dabei handelt, erschließt sich einem erst, wenn man die Markthalle betritt. Darin bieten Bauern und Erzeuger aus der Gegend lebende und geschlachtete Enten und Gänse an, aber auch etliche Fleisch- und Innereien-Produkte von Geflügel, Schwein und Rind, das meiste in dicke Schichten von Gänse- und Entenschmalz gepackt. Seit dem Mittelalter, im konkreten Fall seit 1354, bestehen solche Märkte im Südwesten Frankreichs, der letzten Region in Europa, wo die uralte Tradition der Fettkonserve bis heute hochgehalten wird. „Das Schmalz stammt großteils von Enten, denn Gänse finden sich hier heutzutage immer weniger“, sagt Guillemette Barthouil, die in Peyrehorade eine alteingesessene Konserven-Manufaktur betreibt, „weil sie in Haltung und Verarbeitung viel aufwendiger sind als Enten.“ Jedoch sind die Enten, die am Markt gehandelt werden, fast so groß wie Gänse.
„Das liegt daran“, erklärt Barthouil, „dass es sich um Mulard-Enten handelt, also um jene Rasse, die hier in der Gegend am häufigsten gezüchtet wird.“
Nun ist die Mulard freilich von Natur aus groß gewachsen. Doch ist sie auch jene Rasse, die sich am besten für die Mast eignet. Womit sie ihre Größe und ihren Fettgehalt auch der gleichermaßen traditionellen wie umstrittenen Methode des Überfütterns beziehungsweise Stopfens verdankt, für die ganz Südwestfrankreich bekannt ist. Und die auch zu den Geschäftsgrundlagen der angesehenen Firma Barthouil zählt.
Wie umstritten die Methode vor allem im Ausland ist, dessen ist sich die Konservenfabrikantin Barthouil freilich bewusst. Lange hat sie gezögert, bevor sie vor vier Jahren den elterlichen Betrieb übernahm, den ihr Großvater im Jahr 1929 gegründet hat. Zuvor studierte die heute 31-Jährige an der Slow Food-Universität der Gastronomischen Wissenschaften in Piemont, schloss in Paris ein Masterstudium in Geografie der Lebensmittelproduktion ab und forschte zwei Jahre lang in René Redzepis Kopenhagener Nordic Food Lab.
Dass die junge Frau mit den feuerroten Locken nach ihrer Ausbildung in der Hipster- und Foodie-Welt sich schließlich doch dazu entschloss, die altbackene Konserven-Manufaktur in einem verlassenen und ursprünglichen Winkel Frankreichs zu übernehmen, liege in erster Linie an der Arbeitsweise des Familienbetriebs, wie sie beteuert. „Ich bin einfach restlos davon überzeugt, dass das, was wir hier machen,
genauso qualitativ hochwertig wie moralisch vertretbar ist“, sagt sie selbstsicher.
Das ist natürlich eine kühne Aussage, wenn man bedenkt, dass die Zwangsmast von Geflügel nicht nur unter eingefleischten Tierschützern zu den am meisten verschrienen Formen der Lebensmittelproduktion zählt. Was aber, so Barthouil, ein Missverständnis sei und in erster Linie am Symbolwert der Stopfleber liege, die die Franzosen Foie gras nennen. „Es gibt eben viele Menschen, denen die Foie gras als Inbegriff der rücksichtslosen Feinschmeckerei gilt, was allerdings nicht den Tatsachen entspricht“, versichert Barthouil und bietet dem Besucher an, sich selbst davon ein Bild zu machen, wie es den Gänsen und Enten in der Gegend tatsächlich geht.
Die Fahrt geht von Peyrehorade in Richtung Norden, durch eine Gegend namens Chalosse in der Gascogne. Im Süden zeigen sich die schneebedeckten Gipfel der Pyrenäen. Vom Westen her lässt eine leichte Brise die Nähe des Atlantischen Ozeans ahnen. Die Landschaft ist hügelig und dünn besiedelt. Fabrikschornsteine oder Industrieanlagen sind hier keine zu sehen, dafür umso mehr Felder, einige Rinder, vor allem aber Enten und manchmal auch Gänse. Gehalten werden die Vögel allesamt unter freiem Himmel, in weitläufigen Einzäunungen mit einem oder mehreren Wasserlöchern darin. Barthouil hält den Wagen an.
„Laut Gesetz muss jedem Tier ein Auslauf von mindestens drei bis fünf Quadratmetern zur Verfügung stehen, wir verlangen von unseren Lieferanten allerdings zehn Quadratmeter“, sagt sie. Und tatsächlich gibt es im Handel wohl nur wenige Hühner oder gar Puten, denen so viel Platz zugestanden wird. „Deswegen finde ich es auch etwas heuchlerisch, wenn Leute, die Hühner- oder Putenfleisch essen, sich so vehement gegen unsere Art der Geflügelhaltung auflehnen“, sagt Barthouil.
Da ist natürlich was dran. Allerdings werden Hühner und Puten ja auch nicht zwangsgemästet. „Das ginge auch gar nicht, weil sie im Unterschied zu Gänsen und Enten nicht von Zugvögeln abstammen und sich folglich keine Fettreserven anfressen können“, entgegnet die Unternehmerin. Außerdem blieben die Gänse und Enten mindestens 14 Wochen auf der Weide und kämen lediglich die letzten zwei bis drei Wochen ihres Lebens zum Mästen in den Stall, wo sie in der Regel noch immer mehr Platz hätten als die allermeisten Hühner.
Die Fahrt geht weiter. Die Veredlerin will zu einer ihrer Lieferantinnen, auf den Hof von Marie-Pierre Dulucq. Sie zählt zu den nur mehr fünf verbliebenen Züchtern im gesamten Département Landes, die noch mit Gänsen arbeiten. Und sie ist eine der wenigen Frauen im Gewerbe. Inzwischen steht die Sonne tief und taucht die sanft-hügelige Landschaft in satte Herbsttöne. Auf einem der Hügel liegt der Hof von Madame Dulucq. Die Ankunft der Besucher sorgt für lautes Gänsegeschnatter. Auch die Züchterin, eine großgewachsene, schlanke und drahtige Frau, kann kein Problem erkennen in ihrer Tätigkeit. Viel mehr zeigt sie Stolz für das, was sie tut. Mit industriellen Aufzuchtmethoden hat es jedenfalls nichts zu tun“, sagt Dulucq. „In einem Jahr verarbeite ich gerade einmal 700 Gänse, alle werden sie zwanzig Wochen auf der Weide aufgezogen, danach kommen sie für drei Wochen in den Stall.“ Die Gänse werden also älter als die Enten und müssen auch länger gestopft werden, und zwar nicht nur zwei, sondern drei Mal am Tag. Alles in allem ein weit größerer Arbeitsaufwand. Zumal Madame Dulucq das alles alleine erledigt, in der Saison täglich also drei Mal am Tag einige Dutzend Gänse eine nach der anderen zwischen ihre Beine klemmt, ihnen einen Trichter in den Schnabel schiebt und eine Ladung Mais in den Schlund fallen lässt. „Wo soll da die Tierquälerei sein?“, fragt die Züchterin und zuckt mit den Schultern.
Der Stall ist in mehrere Boxen unterteilt. Jede davon enthält circa zwölf Gänse. Tatsächlich wirken auch die gestopften Vögel – zumindest für den Laien – alles andere als gequält. Ihr Auge ist vif, ihr Schnabel knallorange, was, so die Züchterin, vom Mais stamme, den sie während der letzten drei Wochen ihres Lebens in ganzen Körnern fressen. Auch das Stopfen selbst scheint den Tieren nicht allzu viel auszumachen. Mehr oder weniger bereitwillig lassen sie sich für eine Sekunde den Trichter einführen, schlagen danach schnatternd mit den Flügeln. Das war’s. Was sie dabei wirklich empfinden, kann freilich niemand so genau sagen.
Nach dem Stallbesuch geht’s an die Verkostung. „Die Gänseleber ist etwas für Fortgeschrittene“, betont Barthouil. Tatsächlich ist ihre Konsistenz grobkörniger und nicht so cremig wie jene der Entenleber. Und im Geschmack weniger fruchtig, dafür etwas bitterer. Billiger ist die aufwandsärmere und zugänglichere Entenleber freilich auch, weswegen ihr Anteil an der französischen Gesamtproduktion heute auch 98 Prozent beträgt.
„Vielen Verbrauchern, vor allem im Ausland, ist das offenbar nicht bewusst, sie sprechen immer von Gänseleber, obwohl die so selten ist“, sagt Barthouil. Auch sei es überhaupt nicht richtig, wie oft behauptet, dass nur die Leber verarbeitet und der Rest des Fleisches als Hundefutter oder Sonstiges entsorgt werde. „Ganz im Gegenteil verarbeiten wir so gut wie alle Teile, machen aus dem meisten ein Confit, kochen und legen es also im eigenen Schmalz ein und tun es in Einmachgläser“, versichert die Konserven-Fabrikantin. Darunter etwa die Keulen, die Flügel und sogar die Mägen („gésiers“), die in Frankreich gerne auf Salat gegessen werden.
Als Frischware gehandelt werden indessen die hohen und fleischigen Brüste, die die Franzosen „magret“ nennen. Und die auch in Österreich in zahlreichen Restaurants, Feinkostgeschäften und sogar Supermärkten angeboten werden. Dass es sich dabei um Brüste von gestopften Enten handelt, ist offenbar kaum jemandem bewusst. „Doch wie sollten die sonst so groß und fleischig werden?“, fragt Barthouil.
Ob sie befürchteten, dass die Europäische Union die Zwangsmast irgendwann verbieten könnte? Die beiden Frauen zögern nur kurz. „Das kann natürlich sein, dass da irgendwann ein Verbot kommt“, sagt Barthouil, „aber im Moment haben wir eigentlich ganz andere Sorgen.“ Wie etwa jene um die Billigkonkurrenz aus Ungarn oder Bulgarien, wo die Auflagen für die Stopfleberproduktion viel geringer und die Löhne niedriger seien als in Frankreich, sagt die Produzentin.
Madame Dulucq wiederum macht zu schaffen, dass die Behörden wegen der Vogelgrippe und einhergehender Ansteckungsgefahr durch Wildvögel immer öfter die Freilandhaltung in Frage stellten und zunehmend auf Stallhaltung bestünden. Das koste Geld. Und es widerspreche ihren Prinzipien. „Dann wäre das nicht mehr der Beruf, den ich mir ausgesucht habe“, sagt sie, „so will ich meine Gänse einfach nicht halten.“ Dann entschuldigt sie sich. Sie habe noch viel zu tun. Schließlich sei ja schon November und somit nicht mehr lang hin bis zu den Feiertagen, der Hochsaison für Enten und Gänse und – zumindest bislang – auch für deren Lebern.
Sprechen wir frei von der Leber weg: foie, fegato, higado, ficat, figado …
Nun ist freilich nichts allein deswegen erhaltenswert, nur weil es eine lange Tradition hat. Dennoch ist zu wissen, dass Gänse bereits in der Antike gemästet wurden. Da sie so wie Enten von Zugvögeln abstammen, verfügen sie über die Fähigkeit, Fettreserven für ihre Migration anzusammeln. Schon die alten Römer machten sich diese Eigenschaft der Tiere zunutze und stopften sie mit Feigen, weswegen das Wort für Leber sich in so gut wie allen romanischen Sprachen vom Lateinischen ficus, also Feige ableitet (franz.: foie, ital.: fegato, span.: higado, rum.: ficat, port.: figado).
Vor allem in der jüdischen Küche Mitteleuropas bildete das Schmalz der gemästeten Gänse eine bedeutende Fettquelle, da Schweinefett verboten, Butter nur für bestimmte Gerichte zugelassen und Olivenöl kaum erhältlich war. Heute ist die Zwangsmast in den meisten Staaten der Europäischen Union nicht mehr zugelassen. Weltweit größter Produzent ist mit Abstand Frankreich, wo sich auch die Tradition des Confits, also des Einlegens von Fleisch in Schmalz zwecks Konservierung, erhalten hat. Die qualitativ hochwertigste Foie gras stammt von im Freien gehaltenen Vögeln und wird nicht industriell, sondern handwerklich hergestellt. Ihr Preis sollte also keinesfalls zu tief liegen.
Die offiziellen französischen Qualitätseinstufungen sind folgende:
Foie gras entier: Ein oder maximal zwei Stück reine Gänseleber.
Foie gras: Aus Stücken von mehreren Lebern zusammengesetzt.
Bloc de foie gras: Mehrere Lebern werden zerkleinert und zu einer Creme emulgiert, sodass ein einheitlicher Geschmack entsteht.
Bloc de foie gras avec morceaux: Wie oben, nur dass nach dem Prozess noch Leberstücke hinzugefügt werden.
Parfait de foie gras: Leberparfait, das mindestens 75 % Stopfleber enthält.
Mousse de foie gras: Emulsion aus Foie gras und anderen Fetten.
Weitere Begriffe:
Foie gras mi-cuit ist Stopfleber, die bei niedrigen Temperaturen gekocht und als (nicht sterilisierte und zu kühlende) Halbkonserve angeboten wird.
Unter Magret dürfen ausschließlich die Brüste von gemästeten Enten und Gänsen verkauft werden. In Frankreich darf man keinesfalls zu Foie gras Pâté, also Pastete, sagen, wie das etwa die Spanier tun. Folglich darf Foie gras auch nicht auf Brot gestrichen, sondern nur gelegt werden. Essiggurkerln wie zur Pastete sind zur Foie gras verpönt.