Ein Kaviar muß knistern

Eine Verkostung bei Kaviarhändler Markus Rüsch ist so vergnüglich wie lehrreich. Die Qualität des Kaviars kann man nicht nur schmecken, sondern auch hören.

Text von Christian Grünwald/Foto von Christian Grünwald

Eine Art Küche-Labor-Raum im altehrwürdigen Haus des Altonaer Kaviar Import Hauses, kurz AKI, in Hamburg. Die kleine Besucherrunde hat zuvor Haube und Schutzmantel angelegt und eine Hygiene-Desinfektionsschleuse passiert. Jetzt ist es ehrfürchtig still, als AKI-Boss Markus Rüsch das Gummiband von einer mächtigen 1,8-kg-Dose ablöst, mit einem Messerrücken auf den Blechdeckel klopft und diesen in Folge vorsichtig abhebt. Dann ist er freigelegt, der Kaviar-Kuchen, glänzend schwarz schimmernd, leicht ölig wirkend an der Oberfläche, die schmelzend glatt den Augen des Betrachters schmeichelt. Rund drei Monate alter, lediglich mit vier Prozent Salz gewürzter Kaviar von einem Weißen Stör, der etwa zehn Jahre in einem deutschen Zuchtteich bei Fulda geschwommen ist.

Markus Rüsch nimmt einen Perlmuttlöffel und sagt: „Wenn’s jetzt knistert, ist es gut. Hört ihr das?“ Tatsächlich knistert es ganz deutlich, wenn der kleine Perlmuttlöffel erstmals in die bislang unberührte Oberfläche des Kaviars einsticht und einen kleinen Gupf schwarz glänzender Perlen herausbefördert.

Seit 1925 wird hier in Altona mit Kaviar gehandelt. Markus Rüsch hat das Unternehmen von seinem Vater übernommen, ist sozusagen mit Kaviar groß geworden. Nach wie vor ist das Unternehmen in Familienbesitz. Längst schon hat man außerhalb von Hamburg eine Produktionsstätte mit Kühllager, Abfüllung und allem, was dazugehört, errichtet. Aber trotz aller wirtschaftlicher Unvernunft will Rüsch den Standort in der Altstadt nicht aufgeben, zu viel Emotion und Geschichte sind hier stationiert. „Meine Großtante hat von hier aus den Kaviar noch mit dem Fahrrad ausgeliefert.“

Markus Rüsch schöpft familienbedingt aus tiefem Wissen zum Thema. Er verkauft Kaviar nicht nur tonnenweise an Großabnehmer wie andere Händler oder auch Airlines mit exzessivem Fischeier-Bedarf in der First Class, er spricht auch gerne über ihn. Etwa an Bord des Europa-Luxus-Kreuzfahrtschiffs, wo exklusive Kaviar-Seminare zum begehrten kulinarischen Rahmenprogramm gehören.

„Zwischen fünf und zwanzig Jahre brauchen die Fische zur Laichreife. Laichreife bedeutet cash. Gute Sensorik braucht Zeit. Da haben wir schon einen gewissen Widerspruch.“

Markus Rüsch macht sich daran, die nächste Blechdose zu öffnen. „Manchmal gehen die Dosen schlecht auf. Mein Vater sagte dann immer, da sitzt einer drin.“ Abermals präsentiert sich auf der spiegelglatten Oberfläche eine großartige Kornstruktur. Und auch hier knistert der Kaviar.

Ein sauberer Spiegel, der im Licht glänzt, eine absolut gleichmäßige Oberflächenstruktur – so stellt man sich das vor. Ein wunderbares Bild. Man könnte die Dose sogar kippen, und die „Torte“ bliebe fürs Erste stabil. Dass die Seitenwand der Dose etwas schmutzig ist, stört nicht, der ölige Film unterstützt sogar das beim Abpacken entstandene Vakuum.

Die zweite Probe am Tisch ist Kaviar von einem Sibirischen Stör aus Frankreich. „An der Versiegelung einer Dose kann man erkennen, woher der jeweilige Kaviar kommt, wie alt er ist usw.“ Kaviar aus dem Iran, dem einstigen Marktführer bei Wildware, gibt es nur mehr ganz selten. „Und wenn, dann kommt er nicht aus dem Kaspischen Meer, sondern von einer Farm dort in der Nähe. Kann gut sein, muss aber nicht.“

Nach dem Knistern kommt das Riechen. Der Geruch: fast fleischig, fettig, intensiv. Mancher erkennt auch Leberwurst darin, jedenfalls nuancenreich. Von Fischgeruch keine Spur, auch kein Anflug von Metall.

Jetzt probieren: einen kleinen Perlmuttlöffel nehmen und am besten etwas Kaviar aus der Mitte der Dose stechen und die Probe auf den Handrücken geben. Man kann ihn natürlich auch direkt vom Löffel essen oder, so empfiehlt Rüsch, auch gerne mit etwas Brot und Butter.

Wenn Kaviar ganz frisch ist, dann ist er recht klebrig, richtig „sticky“. Weich ohne eine gewisse Zartschaligkeit im Korn ist Kaviar in der Regel dann, wenn er schon länger gelagert ist. Beim Pasteurisieren würde er hartschalig und recht lange lagerfähig werden, aber zumindest das Erstere will man ja nicht. Frischer, optimal gereifter Kaviar fasziniert durch seine feine Sämigkeit, Kompaktheit und Buttrigkeit.

Aus der großen Original-Dose zu löffeln, ist ein unvergleichlicher archaischer Genuss. Und natürlich sollte man auch wissen: einmal aufgemacht, wird der Kaviar nicht besser, sondern verliert sukzessive. „Am besten wäre es, frischen Kaviar in Gläser mit Vakuumdeckel zu packen. Aber die meisten Kunden glauben leider, dass er dann pasteurisiert und minderwertig ist – so haben das früher die Russen gehandhabt, und dieses Vorurteil ist kaum aus der Welt zu schaffen.“

Welches Produkt nun tatsächlich der beste Kaviar ist, ist subjektiv und Diskussionsstoff. „Die meisten Kunden haben beim Kaviar kein Detailwissen. Sie merken nicht, wenn er Durchschnitt ist, aber sie merken, wenn sie sehr guten Kaviar essen, weil er dann schmeckt, dem Ideal einfach entgegenkommt und man das Produkt entdeckt. Beim Kaviar hat jeder seine persönlichen Geschmackswünsche, und die kann man auch erfüllen. Wenn jemand meint, dass er ganz besonders milden Kaviar bevorzugt, dann brauche ich ihm mit der meist recht ausdrucksstarken Ware aus französischer Zucht erst gar nicht kommen. Dafür kommt dann der Nächste und küsst uns die Füße, weil das für ihn ,wie in alten wilden Zeiten‘ schmeckt. Darum bin ich so froh, dass wir kein Kaviarproduzent, sondern Kaviarhändler sind. Wir suchen einfach das Beste für uns und unsere Kunden aus.“

Die Produzenten und Kunden sind quer über den Erdball verstreut. „Alles, was heute im Handel ist, ist zwischen drei und acht Monate alt. Das halte ich für frisch und optimal gereift. Früher, mit der Wildware aus dem Kaspischen Meer, handelten wir mit Kaviar, der zwischen 18 und 24 Monate alt war. Da mussten wir dem Kunden schon in den Mund legen, dass dieses herrliche Bitteraroma großartig schmeckt …“

Je größer das Korn, desto mehr Salz verträgt es, „weil der Kaviar dann gesamt einen Tick milder wirkt“. Das gilt vor allem für Korngrößen von 3,5 bis 4 mm, wie sie etwa beim Beluga vorkommen. Die Korngröße ist sowohl genetisch als auch zufällig bedingt. „Mit dem Alter hat das wenig zu tun. Denn wie groß müssten dann die Eier von einem 100-jährigen Beluga sein?“ Gesalzen wird in der Regel mit ganz normalem Salz. Sämtliche Spezialsalze sind eventuell eine gute Geschichte zum Erzählen, aber effektfrei für den Geschmack. Die Russen haben schon vor Jahrzehnten „malossol“, auf Deutsch „mild gesalzen“, als Standard definiert. Das bedeutet 3,5 bis 4 Prozent Salz. Manchmal kommt wegen der Haltbarkeitsverlängerung auch noch Borsäure hinzu. Diese ist eigentlich hochgiftig, aber von den Behörden als einziges pro­bates Konservierungsmittel zugelassen. Maximal vier Promille pro Kilo beträgt die erlaubte Höchstdosis.

Kaviar mit beeindruckend festem Korn kommt nicht selten aus China. Speziell die Hybridrasse Schrenckii dauricus, eine Kreuzung aus Acipenser schrenckii (Amur-Stör) und Huso dauricus (Kaluga-Stör), bringt großkörnigen Kaviar mit mild-nussigem Geschmack und einer attrak­tiven grün-bräunlichen Farbtönung, die an goldfarbenen Beluga erinnert, dabei aber von einem recht schnell laichreif werdenden Fisch stammt. Ein Produkttyp, der unter der Bezeichnung „Mandarin Imperial“ auch schon den Sieg bei einer A la Carte-Kaviardegustation errungen hat. „Das machen die Chinesen wirklich sehr brillant“, meint Markus Rüsch voller Respekt. Tatsächlich ist das Mundgefühl grandios. Konsistenz, Biss, alles fein, sehr sauber und tadellos. Nur das letzte Quäntchen Aroma fehlt, das andere Produkte mit großem Korn und der gewissen Schlutzigkeit dann eben doch noch zusätzlich aufweisen.

Die eindrucksvolle China-Ware schmeckt auch den First-Class-Catering-Kunden, die derlei tonnenweise konsumieren. Einmal mehr mag Markus Rüsch Geschmacksfragen nicht werten und sagt es lieber mit einer alten Redewendung: „Für jeden Köter gibt’s ne Leine …“

Auch wenn die Farbe des Kaviars kaum Einfluss auf den Geschmack hat, ist für viele Gold-Grau am erstrebenswertesten bei der Optik. Darum ist Beluga der Kaviar unter den Kaviaren. Großes Korn, Butter-Nuss-Aroma und mäßige Salzung machen ihn zum State of the Art. Mindestens zwanzig Jahre braucht ein Beluga in der Aquakultur zur Laichreife. Gerne wird Beluga auch mit dem Sibirischen Stör gekreuzt. Das kann perfekte Ware ergeben, für die schon mal 10.000 Euro für das Kilo im Einkauf aufgerufen werden. Was für ein Glück, dass sehr guter Kaviar auch für ein Fünftel des Preises im Umlauf ist.

Bei der Verkostung trinkt man entweder Blanc-de-blanc-Champagner, Markus Rüsch empfiehlt wegen der Gerbstoffe und zur Reinigung der Geschmacksnerven aber gerne auch ein Hamburger Ratsherrn-Bier.

Das Einzige, was beim Genuss gar nicht geht, sei es ja, Kaviar mit einem Metalllöffel zu essen, sagt man. Dabei reift er doch seit Hunderten Jahren traditionell und perfekt in Metalldosen. Das, was aber wirklich nicht geht, ist Silberbesteck, da kommt es zur böse schmeckenden Oxidation. „Perlmuttbesteck“, so Rüsch, „ist einfach in der Haptik und vom Essgefühl her angenehmer. Ansonsten gilt für mich: lieber einen guten Kaviar mit Metalllöffel als einen schlechten mit Perlmutt.“

Eine Frage der Art

Neben vielen anderen Faktoren hängt die Kaviarqualität letztlich vor allem von der jeweiligen Störart ab.

Weißer Stör (Acipenser transmontanus)
Man weiß von Weißen Stören, die 800 kg schwer und 6 m lang wurden. In der Zucht sind sie natürlich um einiges kleiner und frühestens nach elf Jahren laichreif. 3,5 mm große Eier mit dunkelgrauer bis schwarzer Farbe. Sehr begehrt ist auch sein schneeweißes mageres Fleisch.

Oscietra-Stör (Acipenser gueldenstaedtii)
Der Russische Stör ist ein mittelgroßer Fisch, der 50 kg haben kann und einen mohnartigen und leicht nussigen Kaviar mit einer Färbung von dunkelbraun bis beige liefert. Manche halten den recht knackigen Oscietra für einen besonders feinen Kaviar. Seine Eier sind ca. 3 mm groß. Laichreif ab neun Jahren.

Sevruga-Stör (Acipenser stellatus)
Der kleine Sevruga-Stör erreicht maximal ein Gewicht von 25 kg. Er hat einen ausgeprägten aromatischen Geschmack und kleine 2-mm-Eier mit heller bis anthrazitgrauer Farbe. Er benötigt mindestens sieben Jahre des Störlebenszyklus und ist extrem empfindlich in der Brut.

Beluga-Stör (Huso huso)
Der Beluga-Stör erreicht in der Zucht eine Länge von 2,5 bis 3 Metern. Er zeichnet sich durch große Eier (größer als 3 mm) aus, die meist oval geformt sind und eine perl- bis dunkelgraue Färbung aufweisen. Nach etwa zwanzig Jahren erstmals laichreif, auch das erklärt neben dem Geschmack den hohen Preis.

Sibirischer Stör (Acipenser baerii)
Sibirischer Stör ist eine mittelgroße Art und erreicht ein Gewicht zwischen 8 und 40 kg. Mittelgroß auch der Kaviar (2,2 bis 2,7 mm) in Grau- und Bernsteinfarben, dazu ein recht ausgeprägter Geschmack. Erstmals laichreif nach sechs bis acht Jahren des Störlebenszyklus.

Adriatischer Stör (Acipenser naccarii)
Mittelgroße Störart mit eher intensivem Geschmack, geschmeidiger Konsistenz und ca. 2,5 mm großen Eiern in Braun- bis Schwarztönen. Benötigt etwa zehn Jahre des Störlebenszyklus.

Sterlet (Acipenser ruthenus)
Diese maximal ein Meter lange Störart ist als einzige auch in Österreich beheimatet. Der Kaviar ist recht klein, anthrazitgrau bis schwarz. Nach sechs bis sieben Jahren ist er laichreif.

Amur-Stör (Accipenser schrenki)
Der ursprünglich aus dem chinesisch-russischen Grenzfluss Amur stammende Stör wird rund einen Meter groß, wächst recht schnell und ist entweder alleine oder als Kreuzung mit dem Kaluga-Stör Lieferant für guten Preis-Leistungs-Kaviar, zumeist chinesischen Ursprungs. Insider behaupten unter vorgehaltener Hand, dass bezüglich Farbe und Knackigkeit manchmal mit etwas Alginat nachgeholfen wird. Ändert allerdings nichts an der sauberen Qualität.

Der Kaviar-Code

Der CITES-Code ist verpflichtend auf jeder Kaviarverpackung angebracht und gibt Auskunft über Sorte, Herkunft sowie den Produktionszeitraum.
BAE Sibirischer Stör
GUE Russischer Stör/Oscietra
HUS Europäischer Hausen
(Huso huso, Beluga)
NAC Adriatischer Stör
RUT Sterlet
SCH Amur-Stör
STE Sevruga
TRA Weißer Stör
Der Buchstabe C steht für Zuchtstöre.
W steht für wild gefangene Störe, die de facto derzeit nicht gehandelt werden.
Der Zwei-Buchstaben-Code steht für das Herkunftsland, beispielsweise RU für Russland oder CN für China (siehe auch z. B. wwf.at/de/cites-und-kaviar). Es folgen das Jahr der Entnahme des Kaviars, die Nummer der Produktionsanlage und die Lieferungs-Identifikationsnummer.

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