Eine Frage der Lage
Wie schmeckt Buchberg 17, Naintschgraben oder Stuhleck? Wanderimker Johannes Gruber lässt sich mit seinen Bienen an unterschiedlichsten Plätzen nieder und füllt nicht nur sortenreinen Honig, sondern auch essbare Landschaften ab.
Text von Claudia Schemerl-Streben
Fotos von Stephanie Golser
Während der Putztrupp in der Wiener Staatsoper um sieben Uhr morgens die Bühne säubert, sind am Dach der Institution bereits zehntausende summende Arbeiterinnen am Werk. Die prominente Lage haben sich die Bienen nicht ausgesucht. Sie wurde ihnen unter Blitzlichtgewitter medienwirksam von der Politik im Jahr der Artenvielfalt aufoktruyiert. Um das ökologische Gleichgewicht nachhaltig zu stärken, braucht es allerdings mehr: Die nützlichen Insekten benötigen einen Lebensraum, der sich außerhalb der dicht besiedelten Großstadt befindet und von industrieller Landwirtschaft und damit von Pestiziden verschont geblieben ist. Geboten wird ihnen dieser etwa von Johannes Gruber, der sich hauptberuflich dem Vertrieb der biodynamischen Weine des burgenländischen Winzerbetriebs Meinklang widmet und sich seit über zehn Jahren auch Wanderimker nennen darf. Neben der Produktion sortentypischen Honigs von Löwenzahn, Linde und Buchweizen hat der 43-jährige Steirer mit den sogenannten Lagenhonigen eine völlig neue Herangehensweise thematisiert, bei der die Gegend und damit die Vielfalt an Pflanzen den Geschmack bestimmt. Orange, Karamell, Thymian, Minze, Moos und Tabak sind die Assoziationen zu seinen Delikatessen, die an ausgewählten Standorten entstehen. Auf die Idee kam Gruber nach der Ernte, beim Durchkosten einiger Honigkübel. „Jeder Waldhonig hat anders geschmeckt und selbst bei ein und demselben Standort entstand aus späteren Ernten ein ganz neuer Honigtyp, weil sich die Nahrungsquelle durch die unterschiedlichen Blütezeiten verändert hat. Es gibt beispielsweise Fichtenstandorte, an denen Himbeeren und Waldahorn wachsen. An anderen Stellen wiederum sind auch Tannen dabei, wodurch sich in der Gesamtheit eine ganz andere Würze ergibt.“
Maximal dreimal im Jahr siedelt der Nomade seine Bienenvölker um – das Staatsgefüge eines Stocks setzt sich aus einer Königin, hunderten Drohnen und zigtausenden Arbeiterinnen zusammen, die im Laufe ihres Lebens Funktionen wie Wächter, Amme, Sammler, Klimatechniker, Baumeister und Honigproduzent besetzen –, für die er 20 spezifische Standorte ausgekundschaftet hat. Für den Transport seiner Schützlinge wartet Gruber die Abendstunden ab, in denen die Sammlerinnen mit einer Fluggeschwindigkeit von bis zu 30 km/h, mit den letzten Nektar- und Pollenerträgen des Tages beladen, in den jeweiligen Stock zurückkehren, der in der Hauptsaison – von Mai bis Juni – von 60.000 Bienen bewohnt wird. Nachdem die Fluglöcher, Start- und Landebahn der fleißigen Insekten, verschlossen und die Stöcke (=Beute) mit einem Gurt fixiert wurden, lädt Gruber sein summendes Gepäck in den VW-Bus und führt es an jene Standorte, an denen die Bienen eine Nahrungsquelle erwartet, die sich nicht aus einer bestimmten Pflanzenart (Trachtpflanze), sondern aus der Summe von blühenden Gewächsen, einer Landschaft, zusammensetzt. Die Einzellage Naintschgraben etwa ist 40 Kilometer von Grubers Haus entfernt, befindet sich auf 500 Meter Seehöhe und ist von einem Wiesenmeer und Fichtenwäldern geprägt, wodurch sich ein milder, bernsteinfarbener Waldhonig mit feinen Orangenschalen- und Malz-Tönen ergibt. Der Standort Stuhleck hingegen liegt auf 1.200 Meter Seehöhe und ist ein Ausläufer der Fischbacher Alpen. Der dort vorherrschende Fichtenwald ist zu einem Drittel mit Weißtannen bewachsen, sodass sich eine markante harzige Note und ein Moosaroma durchsetzt.
Während helle Blütenhonige aus dem Nektar verschiedener Blüten produziert werden, entsteht der dunkle Waldhonig aus Honigtau: Läuse stechen die Leitungsbahnen von Fichten und Tannen an, verdauen die Rindensäfte und scheiden sie als Tropfen aus, den die Bienen einsammeln und daraus dunklen, würzigen Honig herstellen. Dabei ist eine ertragreiche Produktion von mehreren Faktoren abhängig. Voraussetzungen sind eine günstige Witterung (starke Regenfälle und Gewitter waschen den Honigtau ab) mit Temperaturen über 20 °C, ein gut entwickeltes Bienenvolk und der richtige Zeitpunkt: Geerntet werden kann der Honigtau nur an drei Wochen im Jahr (meist von Mitte Juni bis Anfang Juli), in denen die Läuse aktiv sind, bevor sie von Schlupfwespen vertilgt werden und somit keine Futterquelle mehr für die Bienen darstellen. Um die Vielschichtigkeit seiner Gebirgswaldhonige zu potenzieren, fermentiert Gruber sie und lehnt sich damit an das Prinzip des doppelt gebrannten Schnapses an: Dazu legt er die geerntete Honigwabe auf den Boden des Stocks, wo sie die Arbeiterinnen als Nahrung ansehen, erneut mit Enzymen anreichern und zu Honig verarbeiten. Dabei geht zwar die Hälfte des Honigs verloren, das Ergebnis ist im Geschmack aber noch konzentrierter und komplexer.
Über 15 Honige hat Gruber im Repertoire. Zum Lagenhonig werden davon nur jene Abfüllungen geadelt, die einen typischen Geschmack der jeweiligen Landschaft ausbilden, der auch im Folgejahr nicht an Einzigartigkeit verliert und somit Wiedererkennungswert besitzt. Bis es soweit ist, wird die Ausbeute erstmals erprobter Standorte – jedes Jahr lotet der Wanderimker fünf bis sechs Mikroregionen aus – als Landschaftshonig bezeichnet. Wie etwa jener, der im südsteirischen, hügeligen Gamlitz nahe der slowenischen Grenze seinen Ursprung hat. Dort haben sich die Bienen vergangenes Jahr im Mai am Nektar der Trachtpflanzen Löwenzahn und Vogelkirsche gelabt und daraus einen cremigen, hellgelben Honig mit subtiler Marzipannote produziert, der es in die Riege der Lagenhonige schaffen könnte.
Wie sich die Tracht seiner Carnica-Bienen, zu deren Charaktereigenschaften nicht nur Sanftmütigkeit, sondern auch enormer Fleiß zählt, zusammensetzt, erkennt der Imker an den Pollenkörbchen (den sogenannten Höschen), die die Insekten an ihren Hinterbeinen nach Hause tragen. Gruber hat ein ganzes Arsenal an Pollenproben angelegt, deren unterschiedliche Farbtöne Auskunft über die angeflogenen Blüten geben und zwischen Hellgelb (Raps) bis Orange (Löwenzahn), über einen Grünton (Vogelkirsche) bis zu Schokoladebraun (bei Rotklee) variieren. Die Pollen sind es auch, die die Insekten bei ihrer Sammeltätigkeit an der Narbe der Blüten abstreifen und damit die Blüte bestäuben, so dass sich eine Frucht entwickeln kann. Der hohe ökologische Nutzen, den die Biene dabei leistet, wird nur zu gerne übersehen: Nicht weniger als 80 Prozent aller Pflanzen sind auf die Bestäubung der Bienen angewiesen. Der deutsche Imker Werner Gekeler und Autor des Buchs „Honigbienenhaltung“ beschreibt etwa eine Demonstration in einem Schaugarten, in dem mehrere Bäume einer Apfelplantage bis auf einen Ast mit einem feinmaschigen Draht umwickelt und damit für Bienen unzugänglich gemacht wurden. Das Ergebnis: Im vernetzten Bereich entwickelten sich zwei Äpfel, der freiliegende Ast hingegen trug 157.
Johannes Gruber, der industrielle Landwirtschaft meidet und seine Bienenvölker nur dort aufstellt, wo sie sich in ihrem Aktionsradius von vier Kilometern frei von Insektiziden bewegen können und sich ausschließlich ihren natürlichen Feinden wie Ameisen und Hornissen stellen müssen, weiß Ähnliches zu berichten. Der Marillenbestand eines benachbarten Landwirtes stand heuer in voller Blüte und wurde von seinen Bienen en masse befruchtet. „Es wird immer mehr zur Dienstleistung, Bienen in der Blütezeit quasi zu vermieten, damit die Bestäubung von Kulturpflanzen gewährleistet ist. Einige Landwirte beginnen sogar damit, Hummeln aus Holland zu importieren, weil es nicht genug Wildbestände gibt.“
Während Gruber um eine terroirspezifische Charakteristik bemüht ist und damit sogar geschulte Gaumen überrascht, ist das Produkt Honig im Spitzenküchenalltag kaum implementiert. Wenn, dann bleibt das Einsatzgebiet wie bei Walter Eselböck und Alain Weissgerber vom Taubenkobel auf den Dessertbereich und Dressings beschränkt. Berechtigung hat Honig im Gourmetrestaurant auch als Süßungsmittel für alkoholfreie Getränkebegleitungen wie Eukalyptusinfusionen oder aber als Lack für Schweinebauch, Lamm und aktuell für Schwarzfederhuhn, das mit einer aromatischen Mischkulanz aus Honig, Kräutern und Chili von Erich Stekovics bestrichen wird. Mehr Spielraum haben Patissiers wie Thomas Köpl (Restaurant Amarantis) oder Yannick Ferraton, der im Restaurant Henrici in Eisenstadt für Mehlspeisen und Desserts verantwortlich ist. An seinen internationalen Stationen kam Ferraton immer wieder mit dem Produkt in Berührung: ln England lernte er die knusprige Süßigkeit Honey Comb kennen, in Russland die üppige Honigtorte Medovnik. Als gebürtiger Franzose beherrscht er nicht nur das Rezept von Pain d’épices im Schlaf, sondern auch jenes von Nougat de Montélimar, dessen Basis Lavendelhonig aus der Provence ist. Verwendung für Honig findet der Chefpatissier– er bevorzugt neben der Sorte Lavendel auch Honig von Kastanie und Orangenblüten – sowohl für die Zubereitung von elaborierten Desserts als auch für den vergleichsweise banalen Crêpeteig oder den französischen Sandkuchen Sablé Breton. Selbst ein Rezept für Makronen hat er sofort parat und schlägt vor, das zarte Mandelgebäck mit einer Schokoladen-Fichtenhonigcreme und gerösteten Marillen zu füllen.
Gustav Jantscher, der zuletzt im Restaurant Edelweiß in Schruns für kulinarische Höhenflüge sorgte und seit Mai als Küchenchef im Aiola City in Graz beschäftigt ist, war selbst zehn Jahre lang Imker und hatte seine 16 Bienenstöcke auf 1.000 Meter Seehöhe im Vorarlberger Walsertal stehen. Vor zwei Jahren musste er sich von seinem Hobby verabschieden, das zu arbeitsintensiv geworden war. 200 Kilogramm Ertrag hat er aber noch in Reserve und versetzt mit seinem Honig etwa das hausgemachte Roggenvollkornbrot, das am Anfang seiner vier Themenmenüs mit Fichtenwipfelbutter serviert wird oder schmeckt damit Wildragouts ab. Als Grund für den tendenziell zurückhaltenden Umgang mit Honig nennt er die Kombinationsmöglichkeiten, bei denen „ein Koch schnell an seine Grenzen stößt“, da Honig nur bedingt anpassungsfähig sei und in seiner Dominanz den Geschmack anderer Zutaten erschlagen würde.
Kollege Heinz Reitbauer, der schon seit längerer Zeit mit seiner Wachsgarmethode für ungebrochene Begeisterung bei seinen Gästen sorgt, erklärt sich die unzureichende Thematisierung in Österreichs Küchen ebenfalls durch das sehr spezielle Aroma: „Honig ist nicht jedermanns Sache. Auch für uns ist es lange Zeit nicht selbstverständlich gewesen damit zu arbeiten.“ Geändert hat sich das durch Haus- und Hofimker Anton Neber, der unter anderem hinter Reitbauers elterlichen Betrieb am Pogusch einige Bienenvölker aufgestellt hat. Seit drei Jahren beliefert er das Spitzenrestaurant im Stadtpark regelmäßig, und zwar nicht mit einer, sondern gleich mit vier Sorten: Akazien-, Linden- Wald- und Rosskastanienhonig haben seither ihren fixen Platz in Reitbauers Küchenregal. „Wir greifen nicht mehr automatisch zu Zucker und setzen als Ersatz auch nicht wahllos eine der Sorten ein, sondern variieren bewusst zwischen den Honigtypen, um Gerichte mit dem jeweiligen Charakter zu unterstreichen.“ Interessant könnten für ihn vielleicht auch die Raritäten von Johannes Gruber sein, von denen der Imker Jahrgänge bis in ins Jahr 2000 in seinem Kühlraum aufbewahrt. Oder aber sein neuester Honig, der direkt neben dem Haus in der Oststeiermark, das von Mischwald und saftigen Wiesen umgeben ist, auf rund 430 Meter Seehöhe entstanden ist. Der selbstkritische Imker ist vom Produkt seiner Bienen jedenfalls überzeugt. Buchberg 17 wird heuer erstmals mit dem Prädikat „lagentypisch“ abgefüllt.