Erzherzog Johanns große Liebe

Südsteiermark: Wo Weltklasse-Weinlagen und Spitzenrestaurants in Rufweite liegen. Und zwischendurch die Buschenschank lockt.

Foto von Michael Reidinger
Text von Alexander Rabl

Sturmwarnung für die Südsteiermark gab es schon vor der Zeit der Wetterextreme. Der werdende Wein sorgt an Wochenenden gemeinsam mit Reisebussen, E-Biker-Karawanen (auf der Suche nach Strom) und in der Abenddämmerung irrlichternden Pkws (auf der Suche nach dem Heimweg) für Turbulenzen auf den viel zu engen Weinstraßen. Kurz vor Herbstbeginn, während die Gäste der besseren Herbergen wie der Winzarei der Familie Tement untertags noch am Pool liegen, wagen sich die ersten Schilder ins Freie: „Sturm und Maroni“. Da müssen die Südsteirer durch. Der gewissenhafte und wissende Besucher der steirischen Weinstraßen und ihrer Anrainer lässt den Sturm und die Kastanien beiseite, und wenn er im Oktober auf einem südsteirischen Hügel die letzte Sonnenwärme des Jahres zu sich nimmt, nimmt er dazu fertige und am besten gereifte Weine zu sich von den Winzern Tement, Sabathi, Polz, Maitz, Sattler, Aubell, Schauer, Trummer, Muster, Taus oder Tscheppe, die aus den steilen Lagen Faszinierendes keltern. Doch das hier ist keine Weingeschichte. ­Wiewohl die Südsteiermark dem Wein viel verdankt. Der vergorene Traubensaft und die liebliche Landschaft hatten es einstmals dem selbstbewussten steirischen Erzherzog ­Johann angetan. Ihm verdankten die südsteirischen Weinbauern den Weg aus der Knechtschaft und die Erlaubnis, mit Wein und der Einrichtung einer Buschenschank eigenes Geld zu verdienen. Bis zum Aufschwung der letzten Jahrzehnte verging allerdings noch einige Zeit.

Kalt, aber wärmstens zu empfehlen
Auch heute noch ist es den Buschenschanken gesetzlich verboten, warme Gerichte zu servieren. Was nicht heißt, dass der Gast mit Glück nicht einmal ein frisches Backhendl oder einen Schweinsbraten bekommt. Die müssen ja auch zubereitet werden, und ­keiner kann den Buschenschankbesitzern anschaffen, sie ins Tiefkühlfach zu stellen, bevor sie serviert werden. Das Tiefkühlfach hat vieles an alter Tradition zerstört, in den Heurigengegenden rund um Wien wie auch in den steirischen Weinhügeln. Die echten Buschenschanken sind die, wo ein Großteil der Zutaten aus eigener Produktion oder zumindest aus der Region stammt und wo die Firma Bofrost und andere Hausverbot haben. Ein exemplarischer Ort ist die wunderschön in Kitzeck gelegene Buschenschank der Familie Schauer, wo die Mama kocht und die beiden Buben mit dem Wein kräftig Furore machen. Nicht nur der Welsch­riesling und der Pinot gris mit leichtem Maischestand, ­sondern auch der Riesling schmeckt hervorragend. Dazu ein Bratl mit Senf, Kren und Pfef­feroni. Die Welt ist perfekt. An der Ratscher Weinstraße, gleich neben dem berühmten Weingut Maitz, befindet sich die Buschenschank von Tamara Kögl, die für ihre biodynamischen Weine geschätzt wird. Aus den zum An­wesen gehörenden Schafen gibt es Würste, Schinken, Geräuchertes und andere Teile. Alleine dieser Teller ist die Reise an die ­Ratscher Weinstraße wert. Was diesen Teil der österreichischen Weinregionen aber bemerkenswert macht, ist das Nebeneinander von lokaler Tradition und weltläu­figer exem­plarischer Güte. Nur we­nige Auto­minuten sind es nämlich von Kitzeck nach Sankt Andrä, wo Harald Irka im zum Restaurant reformierten Pfarrhaus seine Zelte aufgeschlagen hat.

Die Liturgie des guten Essens
Irka ist kein Pfarrer, aber Priester der Autorenküche. Seine Ideen schreibt er immer wieder neu, Signatures scheinen ihn zu langweilen. Die ersten ­sieben, wie Fingerfood präsentierten Happen serviert er Bissen für Bissen, wie ein japanischer Sushimeister, eine Liturgie des feinen Schmeckens. In eine Pâte à choux, also frisch gebackenen Brandteig, packt er ’Nduja, Taubenblutwurst und Oktopus. Davor war es ein Beignet mit Räucheraal­butter, Schnittlauch, fermentiertem Knoblauch und Osietra-Kaviar. Natürlich muss man sich diese Bestandteile ­notieren, wie es auch gilt, die ­Noten einer Partitur zu lesen, wenn man ins Detail gehen will. Die kleinen Happen sind mehr als die Summe ­ihrer Teile. Schließlich schlägt der Torchon von der Gänseleber ein, oder schlägt nicht ein, denn die Foie gras kriegt durch ­Bitterorangenvinaigrette, Physalis aus Schönbrunn, Kaffee-Kombucha und grünes Tomatenmark das bitter-fruchtige Kontra, das dem Gericht Federleichtigkeit und Delikatesse verleiht. Die Fische (Lachsforelle, Steinbutt) gart Irka bei ungefähr 55 Grad, was ihnen Biss und Aroma verleiht, für „Ich will mein Essen warm“-Gäste aber eine Herausforderung darstellt. Dafür sind die Beilagen jeweils extraheiß. Die Ente ist vier ­Wochen abgehangen, die Brust kommt fast ­blutig, mit einer Sauce rouennaise, großartig, dazu die Keule und eine Kombination aus Feige, Sellerie und Haselnuss. Man verneigt sich. Irkas Desserts sind immer große Klasse, ­dieses Mal Mara-de-Bois-Erdbeere mit Schafmilchjoghurt, Joghurtpulver und Estragonzucker. Eine Augenweide ist alles, was Irka, der fast alleine das Programm bestreitet, da auftischt. ­Peter, der Sommelier, hat es bei einem solchen Essen mit den Weinen nicht leicht. Er schafft die Herausforderung aber souverän, indem er zwischen Tradition (Dom Pérignon) und Neuzeit (Malvasia von Skerlj) pendelt.

Bienenfleiß im Weingarten
Wie die fleißigen Bienen arbeiten zur Lese die Erntehelfer der Weingüter in den unwegsamen Rieden. Einige echte Bienen sind auch darunter, sie arbeiten nicht nur zur Lesezeit und machen bemerkenswert guten Honig. Zum Beispiel in den Weingärten von Armin Tement, wo sie eine schöne Bleibe gefunden haben. Ali Farzat gilt als der beste Imker der Region. Einst kam Farzat als Flüchtling aus Syrien nach Österreich, bald entdeckte er seine Leidenschaft, das Kochen. Er gehört zum fixen Bestandteil des Teams von Gerhard Fuchs. „Seit vier Jahren koche ich in der Weinbank. Die Bienen sind mein Hobby, ein ­Besuch bei den Bienenstöcken dient mir zur ­Entspannung“, sagt der groß gewachsene Syrer, der in einer Offiziersfamilie aufwuchs und dem das Schießen auf Landsleute eine noch größere ­Unzumutbarkeit schien als die der Flucht in ein fremdes Land. „Meine Eltern hatten 65 Bienenvölker, ich habe hier bereits mehr als vierzig.“ Bienenhonig, so Farzat, der auch wohltuende Wirkung ­besitze, werde in Österreich zu wenig wahrgenommen. „Wir arbeiten in der Weinbank gerne mit einer ­Mischung aus Honig und Apfel oder Weinessig, dem Oxymel. Man kann damit viel machen. Manche trinken das auch vor dem Essen. Es soll gesund sein.“ Die Südsteiermark als Beispiel für die Erkenntnis, dass, wo der Wein wächst, die Natur auch andere ­Annehmlichkeiten bereithält.

Das komplette Restaurant
Die Küche von Gerhard Fuchs ist in letzter Zeit leichter, etwas bekömmlicher geworden und hat gleichzeitig an Raffinement noch zugelegt. Fuchs ist ein Mann der Saucen. Ein Meister des Kombinierens und präzisen Erfassens von Aromen. Gerne kombiniert er steirisches Kürbiskernöl mit leichtvolumigen Saucen, etwa bei seiner Version der Essigwurst mit gebackenen Zwiebeln, der noch ein Schuss Säure gut täte. Waller dämpft Fuchs mit Lardo, eine perfekte Kombination, reicht dazu Paradeisersalat und Zucchini, Ponzusauce und rundet ab mit gerösteten Haselnüssen. Ein mit Salbeiblättern umwickelter Rehrücken kommt mit Steinpilzen, Karotten-Parmesan-Gnocchi und Artischocken als Side Dish. Dim-Sum vom Ochsenschlepp mit Estragon, Brennnesselspinat und Schalottenjus plus winzige Eierschwammerln. Solches ist ein Genuss, der lange im Gedächtnis bleibt – großes Kochen ohne Kompromisse und Moden. Zum Rhabarber gibt es Kreneis, Rhabarberstreusel und Schokoladenkaramell. Christian Zach, einer der besten Sommeliers Österreichs, serviert nicht nur e­xzellente Weine, zum Beispiel Sepp Musters groß­artigen Morillon Graf in einer Weinbank-Exklusiv-Abfüllung, passend zum Dotter-Raviolo mit Trüffel und Cremespinat, Parmesanemulsion und Périgord-Trüffel-Jus. Er bereitet am Ende einer als fulminant zu ­bezeichnenden Mahlzeit vor dem Gast Crêpes à l’orange zu. „Wissen Sie, was der Unterschied zwischen kochen und etwas zubereiten ist? Gerhard kocht, ich bereite jetzt etwas zu.“ Die Crêpes schmecken, als läge Ehrenhausen vor den Toren von Paris.

Florenz lässt grüßen
Den Begriff „steirische Toskana“ kann in der selbstbewussten Südsteiermark niemand hören, wenngleich er sich sogar in den Köpfen der jüngeren Besucher festgesetzt hat. Entsprechend dem Erfinder des aus dem österreichischen Minderwertigkeitskomplex rührenden Vergleichs, der mit dem Größenwahnsinn nah verwandt ist, ist Leibnitz das steirische Siena. Doch da, im Nest Dobl, eine Herde weißer Chianina-Rinder und die Frage: Hatte der Schöpfer des ­Begriffs „steirische Toskana“ doch recht? In einem der alten, rund um eine Kirche sortierten Herrenhäuser residieren Nino Sifkovits und Cheyenne Ochsenknecht mit ihrer Tochter, drei Hunden unterschiedlicher Formate, Duroc-Schweinen, Hühnern, französischen Schafen und den präch­tigen Chianina-Rindern, die das Landschafts- und Geschmacksbild der echten Toskana prägen. Ninos Vater hat sich das einst eingebildet. Seit ein paar Jahren sind die Rinder da, die für ihr gutes Fleisch bekannt sind, aus dem die berühmte Bistecca Fiorentina geschnitten wird. Das alte Haus ist schönbrunnergelb, eine Farbe, die man in der Gegend öfter an den Fassaden älterer, vornehmer Gebäude findet. Der Verputz bröckelt, und für das längst notwendige Facelifting des Hauses samt Renovierung fehlen Nino, obwohl handwerklich begabt, zwei wesentliche Dinge, wie er sagt: „Zeit und Kapital“. Beides investiert das junge Landwirte-Ehepaar lieber in die Tiere. Cheyenne putzt, wenn die Tochter schläft, den Stall. Nino wusste schon als Kind, was er einmal werden wollte, er verbrachte die Kindheit am Hof der Eltern. „Ich konnte stundenlang he­rumsitzen und die Tiere im Stall oder auf dem Feld anschauen.“ Landwirtschaft aus Berufung. Von Gerhard Fuchs in der Weinbank bis zum Fleischhauer Robert Buchberger in Pöllau kennen bereits viele die Qualitäten des Fleisches der steirischen Chianina-Rinder. Nino bietet neben dem Fleisch von Kälbinnen auch das Fleisch von Ochsen an. „In Italien gibt es oft das Fleisch von Stieren, sieht ­opulenter aus, ist aber oft zäh.“ Glücklich darf sich schätzen, wer auf der Terrasse neben dem Haus, gleich gegenüber den luftig-weitläufigen Ställen, Bistecca und anderes vom Feuer bekommt. Auch das Grillen gehört zu den Leidenschaften des jungen Landwirts und Rinderzüchters Nino. Zu seinen Kunden zählt unter anderen Jürgen Schmuck im neuen Terra in Stainz, das zum Zeitpunkt unserer Recherche noch nicht geöffnet hatte.

Von Ducasse an die Weinstraße
Dem Sattlerhof, einem über Jahrzehnte in der Region bestens beleumundeten Hof aus Hotel und Weingut, sieht man es von außen noch nicht an: Hier herrscht Aufbruchstimmung. Ein Glücksfall, Willi Sattler, der Winzer, und Hannes Sattler, der Küchenchef und Hotelier, haben hier schon vor mehr als einem Vierteljahrhundert ein Paradebeispiel eines funktionierenden Familienbetriebs geschaffen. Immerhin, aber während im Weinbau dank Willis Söhnen, Alexander und An­dreas, Biodynamie und eine starke Tendenz zu schlankeren, präzise der Sortenstilistik gewidmeten Weinen merkbar sind, wirkte der gastronomische Teil der Familie verlässlich wie konservativ. Dieses aus der Ferne fixierte Bild stimmt mit der Realität nicht mehr überein. Anna, ­Hannes Sattlers Tochter, leitet seit Kurzem das Restaurant. Aus ihrer Zeit bei Alain Ducasse im Londoner Dorchester und in Macau (insgesamt ein halbes Jahrzehnt, keine der üblichen Stagiaires, nur, um das auch klar zu sagen) hat sie bereits ein paar Dinge behutsam in den elterlichen Betrieb eingeschleust. Ihr Lebensgefährte Thomas war Head Sommelier in den Alain-Ducasse-Betrieben, sie lernten sich in London kennen, und Anna hat es geschafft, den Ausnahmemann in die südliche Steiermark zu locken. Wer das hinkriegt, dem ist alles zuzutrauen. Die Weinkarte im Sattlerhof war schon länger eine sprichwörtliche Wucht von zehn Zentimetern Dicke. Jetzt sind auch der Service, die Art, wie die Tische gedeckt werden, das duftende Brot, die erinnerungswürdig gute Beurre noisette und letztendlich ein Teil der Gerichte am Puls der Zeit – internationale Zeit, nicht die ­österreichische.

Das Hirschtatar mit gehobelten Steinpilzen hat rassige Textur und Geschmack, bemerkenswert aber die Marinade, in welcher es badet: Von Markus Sattler, der kommendes Jahr den Herd im Sattlerhof übernehmen wird, stammt die Idee dafür. Papa Hannes Sattler fährt alljährlich als Rucksacktourist durch die Welt, um sich Neues, vor allem aber die Welt anzuschauen. ­Afrika und Amerika kennt er fast auswendig. Wer viel unterwegs ist, aber die guten Sachen direkt vor der Haustür hat, dem kommt die Idee zum ­gebratenen Stör mit Mandeln und Mandel-Zitrus-Sauce, dazu knusprig geflämmte Rote-Rüben-Blätter und Püree von Roten Rüben. Der Fisch kommt vom benachbarten Fischzüchter Schlein, von dem auch Gerhard Fuchs seinen blütenweißen Waller und andere Fische bezieht. Ein besonderes Vergnügen ist, den Service zu erleben. Wenn Thomas mit weltläu­figer Eleganz Methusalems hievt, als wären es Demi-Bouteilles, wenn Anna Sattler mit Verve und Eleganz den Käsewagen (Riegersburg) vorfährt oder dem Gast nach dem Hauptgang ein kühles, mit Zitronenaromen getränktes Tuch zur Erfrischung angeboten wird. Nein, so „heavy“ war das alles nicht, dass man Wiederbelebung bräuchte. Hier im Sattlerhof kann man auf angenehme Weise das Mit­einander der Generationen erleben, wie es mustergültig passiert – Schritt für Schritt im gemeinsam orchestrierten Einklang.

Einst ein Arme-Leute-Fett
Der Sattlerhof war seit 1989 lange die einzige ernst zu nehmende Gourmetadresse der Südsteiermark. Die Dichte der guten Adressen rund um die südsteirischen Weinstraßen ist mittlerweile beträchtlich. Dabei erinnern sich viele Südsteirer – und ihre Gäste – noch gut daran, dass es einmal anders war. Die Südsteiermark galt als besonders arme Region, abgelegen an der Grenze zu Jugoslawien. Exemplarisch lässt sich der Aufstieg der Region an der Entwicklung des Kürbiskernöls nachvollziehen, das einst als Armeleuteessen galt und mittlerweile eine international geschätzte Delikatesse ist. In der Ölmühle Hartlieb kann man sich durch die alte Welt der Kürbiskernölgewinnung führen lassen. Viel hat sich nicht geändert, es geht immer noch vornehmlich ums Gespür für die richtigen Temperaturen und nicht zu sehr in den Vordergrund tretende Röstnoten. „Erfahrene Mitarbeiter überprüfen jede Charge, es sind immer gewisse Nuancen, auf die man achten muss. Deshalb wird beim Rösten der gemahlenen Kerne auch gekostet und beurteilt, wann die Kerne perfekt sind.“ Das erzählt Thomas Hartlieb, der den seit Generationen im Ölgeschäft tätigen Betrieb in immer höhere Qualitätssegmente pusht. „Kürbiskernöl und sein Markt haben sich erst in den vergangenen vierzig Jahren entwickelt, vorher war es in der bitterarmen Südsteiermark ein preiswerter, oft selbst produzierter Ersatz für die damals als höherwertig betrachteten, weil hellen Öle aus Sonnenblumen.“

Die Schritte zur Erzeugung dieser EU-geschützten steirischen Spezialität waren immer die gleichen: Die Kerne (hoffentlich richtig und nicht zu feucht gelagert) werden gemahlen, dann mit Wasser und Salz vermischt, diese Masse wird erhitzt, bis sich Eiweiß und Öl voneinander trennen. Schritt vier ist dann die Pressung, die ohne erhöhte Temperatur erfolgt. Leider ist nicht jedes steirische Kürbiskernöl gutes steirisches Kürbiskernöl. „Die Qualität der Kerne selbst und die Sorgfalt bei der Röstung sind entscheidend. Und wie es schmecken soll“, sagt Nina Hartlieb, Akademikerin und fürs Qualitätsmanagement zuständig: „Frisch, leicht nussig, vielleicht nach Gras. Wenn bei der Röstung forciert gearbeitet wurde, muss das kein Fehler sein. Aber manche mögen das leicht Kratzende beim Abgang des Öls dann nicht.“ Die Hartliebs pressen nicht nur Kerne von anderen Landwirten, sie importieren auch Haselnüsse aus dem Piemont und pressen daraus Haselnussöl. Das Öl aus den Haselnüssen gibt es dann bei Harald Irka zu gut gereiftem Käse. Nicht nur zum Frühstück eine Delikatesse.

Paradies für Weinliebhaber
Die Weinkarten sind nicht gerade dünn entlang der schmalen Weinstraßen, und das Aufkommen guter und besonders guter Sommeliers ist bemerkenswert. Ein bekannter Name ist René Kollegger. Er hat im Gasthaus von Wolfgang Maitz nicht nur die Weine des Spitzenwinzers auf der Karte. Zu probieren sind die Sauvignon blancs vom Schusterberg, der vor der Restaurantterrasse wie ein Amphitheater von Rebstöcken einem Mittelpunkt zustrebt. Kollegger hat aber noch viel mehr auf Lager, etwa leistbare Flaschen aus den gerade angesagten Weinregionen Frankreichs. Wer Lust auf weißen Beaujolais hat, wird hier fündig. So ist es kein Wunder, dass sich hier oft namhafte Winzer oder Weinmenschen aus anderen Betrieben einfinden, wenn sie beim Wein über den südsteirischen Glasrand schauen wollen. Dazu serviert die Küche ihre Klassiker, gebeiztes Filet vom Duroc-Schwein mit Linsen, Wachtelei und Liebstöckelschaum, Kürbisrisotto mit Steinpilzen und gebratenen Karpfen vom Schusterbergteich. Es sind die Zu­taten aus der unmittelbaren Umgebung, die bei Wolfgang Maitz auf den Teller kommen, darunter das Kogelberger Wollschwein und das Ratscher Steinschaf, denen an bestimmten Tagen im Herbst Themenmenüs gewidmet werden.

In Leutschach das Leben schmecken
In der Liebe soll es öfter ein Auf und Ab geben, aber niemals liegen Tiefen und Höhen so nah beieinander wie bei einer Tour durch die Straßen und Wege der südlichen Steiermark. Nicht, dass sich der Autor auskennen würde. Der Erzherzog Johann hatte ja ein Panscherl mit Anna Blochl, der Altersunterschied zwischen beiden wurde nicht als hinderlich empfunden, schließlich doch zu heiraten. Die Romanze zwischen dem Bruder des damaligen Kaisers von Österreich und der Tochter eines Postlers aus Aussee fand nicht auf oder neben der Südsteirischen Weinstraße statt, sondern zwischen Toplitzsee und Grundlsee, wie man aus dem Geschichtsunterricht weiß. (Über die Vergnügungen im inneren Salzkammergut berichteten wir in der vergangenen Ausgabe.) Mit erschöpften Oberschenkeln und heißen Bremsen (der Radler) oder hitzigem Motor (der Autofahrer) landet man irgendwann in Leutschach, nicht bekannt aus Film und Fernsehen, sondern durch die ausgezeichneten Winzer („Schmecke das Leben“), von denen einige in der Gegend ihre Weine machen, denen in Österreich die Anerkennung verwehrt wurde, als sie in Kopenhagen oder Bangkok längst das dortige Weinangebot prägten. Leutschach ist eine Ausnahme unter den südsteirischen Städtchen, es hat ein liebenswertes Ortszentrum. Und gut essen kann man hier auch. Peter Liepert hat das altväterliche „Kulinarium“ gestrichen, sein Restaurant plus Café, Bar und Mini-Boutiquehotel heißt jetzt Lieperts. Das Facelifting hat dem Ort gut getan, man wähnt sich in der südfranzösischen Provinz. Gegessen hat man hier auch schon vorher sehr gut. Und Sommelier Holger Massner hat mit Massenweinen nichts am Hut. Der zuerst gepökelte, dann sous-vide gegarte Schweinebauch vom Schwein eines Landwirts der Umgebung, wo die 47-Grad-Köche (neben Liepert auch Irka, Fuchs und andere gute Namen) Schweine züchten ­lassen, wird mit Beurre blanc aus Pilzen und Schweins­knochen mit Gewürzöl und Kren serviert – klare Nummer eins im Schweinebauch-Ranking ’22. Zum Apero serviert Liepert eine Liepert-Version einer Carbonara, selbstvergessenes Löffeln. Vorsicht, Suchtgefahr!

Gradwohls One-Man-Show
Als hätte es nicht schon genug gute Adressen gegeben, hat es vor drei Jahren ausgerechnet Joachim Gradwohl an die Weinstraße verschlagen. Er ist nur denen kein Begriff, die bei den Namen „Eckart Witzigmann“, „Christian Willer“, „Aubergine“ oder „Restaurant Meinl am Graben“ die Google-­Maschine anwerfen müssen. Gradwohl führt gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Lilli das entzückende Wirtshaus Lilli & Jojo, dank seiner Vorbesitzer vor allem für seine Backhendln bekannt, was Joachim Gradwohl das Leben als Koch an der Weinstraße im ersten Jahr nicht leicht machte. Backhendln gibt es immer noch, aber die Attraktionen sind andere. Ob es sich um Sellerie mit Feigen in einer delikat abgeschmeckten Marinade oder Gradwohls Klassiker, das Beef Tatar, handelt. Ob der Gast Risotto aus Einkorn mit gebratenem Radicchio und Steinpilzen bestellt, ob Waller mit Karfiol und Steinpilzmarinade oder Geschmortes und Gebratenes vom Rind mit weißer Polenta. Jeder Handgriff sitzt, die Zutaten werden behandelt, wie es ihnen gebührt. Alles schmeckt hier hervorragend, auch die Desserts, Pavlova mit Erdbeeren und Kirschen oder die filigrane Zwetschkentarte mit Vanilleeis. Mittlerweile haben sich trotz streng auferlegter Zurückhaltung in der Öffentlichkeitsarbeit die Qualitäten von Lilli & Jojo auch in der Gegend herumgesprochen, ohne Reservierung gibt es auch montags keine Chance auf einen freien Tisch. Jüngere Kollegen Gradwohls staunen, wenn sie miterleben, mit wie wenig, zumindest wenig inszeniertem, Aufwand man derart komplette Geschmacksbilder herstellen kann. Dass Joachim Gradwohl an den Tagen, wo das Restaurant geöffnet ist, um sechs Uhr früh in der Küche mit der Arbeit beginnt, wissen sie nicht. Zu erwähnen ist noch, dass die Aussicht von der weinrebenbedeckten Terrasse hinein ins Sulztal unbezahlbar ist. Die Südsteiermark ist eine Region, die man sich nicht schöntrinken muss, obwohl das Weinangebot ausreichend wäre. —

Essen, Trinken

Weinbank
Hauptstraße 44, 8461 Ehrenhausen, T 03453/222 91
Zach und Fuchs – oder sagt man Fuchs und Zach? – machen hier hochklassige Gastronomie, für die sich keine Großstadt genieren müsste. dieweinbank.at

Lilli & Jojo
Sulztal an der Weinstraße 22, 8461 Gamlitz, T 03453/23 10
Wenn ein ausgezeichneter Koch an einem der schönsten Plätze der Weinstraße kocht, kann man von einem Glücksfall sprechen. lilliundjojo.at

Schauer
Greith 21, 8442 Kitzeck im Sausal, T 03456/35 21
Ein Musterbeispiel einer traditionellen Buschenschank mit auffallend guten, modern gemachten Weinen. weingut-schauer.com

Maitz
Ratsch 45, 8461 Ehrenhausen, T 03453/215 30
Die Institution an der Weinstraße mit einer bemerkenswert guten Weinkarte. maitz.co.at

Tamara Kögl
8461 Ratsch an der Weinstraße 59, T 03453/43 14
Spitzenbuschenschank wie aus dem Bilderbuch. Kalte Gerichte von selbst gezüchteten Lämmern. Dazu biodynamische Weine mit Charakter und Kraft. weingut-koegl.com

Sattlerhof
Sernau 2, 8462 Gamlitz, T 03453/44 54
Erste Gourmetadresse der Steiermark, gerade in Aufbruchstimmung. sattlerhof.at

Am Pfarrhof
8444 St. Andrä im Sausal 1, T 0660/394 46 28
Exzentrische Küche eines jungen Meisters, dazu Spitzenambiente und eine schöne Weinkarte. ampfarrhof.com

Thaller
Am Kirchpl. 4, 8423 St. Veit am Vogau, T 03453/25 08
Einer von den Guten in der Südsteiermark, feine südsteirische Gasthausküche mit viel Raffinement und einer, wen wundert es hier noch, Spitzenweinkarte. gasthaus-thaller.at

Lieperts
Arnfelser Str. 2, 8463 Leutschach, T 0664/141 81 16
Junges Restaurant mit teilweise exzentrischen, sehr gut gemachten Gerichten. Großartig: das Petits-Fours-Buffet beim Ausgang. Sehr regional aus­gerichtet das Weinangebot, ein Kompendium der ­Antimainstreamwinzer der Südsteiermark mit Schwerpunkt Leutschach. lieperts.at

Rath im Schlosskeller
Seggaubergstraße 5, 8430 Seggauberg, T 03452/744 99
Küchenchef Markus Rath und Sommelière Veronika Fritz garantieren hier kongeniale Speisen-Wein-Erlebnisse in bemerkenswertem Ambiente. schlosskellersuedsteiermark.at

Harkamp
Hollerbrandweg 6, 8430 Leibnitz, T 03452/764 20
Fantastisches Setting oberhalb der spektakulär abfallenden Weingärten. Tolle Weinsuppe und Backhendl, wie es sein soll, dazu die Weine des Hauses, unter anderem der bereits zu verdienter Bekanntheit gelangte Sekt. harkamp.at

Zur Hube
8443 Sausal 51, T 0664/221 12 42
Eines der entzückendsten, mit persönlichem Stil eingerichteten Lokale der gesamten Region. Gingi Peez-Petz ist als Gastgeberin lebende Legende. Auf der Karte Trüffel und Fische aus dem nahen Meer. Weine aus Slowenien. zurhube.at

Terra
Rathausplatz 2/Unterboden, 8519 Stainz, T 664/238 28 60
Johann Schmuck (bekannt durch Broadmoar und ein sehr guter Koch) zieht für den Winter nach Stainz. Das Restaurant eröffnete erst nach Redaktionsschluss der vorliegenden Ausgabe, es wird einstweilen bis März ­bespielt. johann-schmuck.at

Das Kappel
8442 Steinriegel 25, T 03456/23 47
Kreative Küche für Hausgäste und à la carte in einem Traditionsbetrieb mit Wellness-Angebot. Entspannend. daskappel.at

Winzerhaus Kogelberg
Silberbergweg 1, 8430 Leibnitz, T 03452/834 51
Klaus Zechner und Peter Mosser, Urgesteine der guten steirischen Gastronomie, bieten hier eine heutzutage ­seltene Mischung aus nobel und erdverbunden. Extrem schöne Adresse. kogelberg.at

Kogel 3
Kogelbergstraße 62, 8430 Kaindorf, T 03452/749 35
Im Mateschitz-Stil, also rustikal mit feinsten Stoffen, ­ausgestattetes Lokal mit fantastischer Aussicht und ­Öffnungszeiten, wenn der Rest der Südsteiermark im Spätwinterschlaf ist. Recht spektakuläres Weinangebot und liebenswerte Gastgeber. kogel3.at

Kosten, Kaufen

Ölmühle Hartlieb
Mühlweg 1, 8451 Heimschuh, T 03452/825 51-0
Erstens: ausgezeichnete steirische Kürbiskernöle und andere gepresste Spitzenprodukte. Zweitens: ein Museum im ersten Stock, wo man staunen und kosten kann. hartlieb.at

Imkerei Farzat
Hauptstraße 4/44, 8461 Ehrenhausen
Ali Farzat arbeitet in der Weinbank, nebenbei macht er Honig in den Weingärten von Armin Tement und Hartmut Aubell. Seine Honige gibt es auch im Weingut Tement.

Chianinahof
Oberberg 6, 8143 Dobl, T 0664/593 02 22
Die sagenhaft guten Rinder, für die man in der Toskana betteln muss, gibt es jetzt auch südlich von Graz. chianinahof.at

Kollar-Göbl
Hauptplatz 10, 8530 Deutschlandsberg, T 03462/26 42
Fleischmanufaktur, von der Joachim Gradwohl 24 Monate gereiften Rohschinken bezieht, den er zum Apero auf hausgemachten Crackern reicht. Empfehlenswert, wenngleich Deutschlandsberg nicht mehr zum südsteirischen Gebiet gehört. kollar-goebl.at

Wohnen, Schlafen

Winzarei Tement
Neben Maitz, Pfarrhof, Sattlerhof, Das Kappel, Harkamp und Lieperts eine der empfehlenswertesten Adressen an der Weinstraße ab Ehrenhausen. Geräumige, mit viel Geschmack eingerichtete Appartements und Suiten. Blick auf die spektakuläre und berühmte Riede Zieregg. Zum Frühstückskorb auf dem Zimmer gibt es jeden Morgen frische Blumen. Noch wichtiger aber: die satte Auswahl an Tement-Weinen im Kühlschrank. Man muss die Unterkunft also gar nicht verlassen, außer man möchte im Pool mit Aussicht auf die Umgebung schwimmen. winzarei.at

Mit seiner ­Partnerin Lisa führt Harald Irka den Pfarrhof als fast privat wirkendes Gästehaus.
Gänseleber: Mit Sinn für Balance holt ­Harald Irka aus allem das Beste, oft das Überraschende heraus.
Vollmundiges Miteinander von Spit­zenküche und Spitzenweinen in der ­Weinbank: Die Herren Gerhard Fuchs (unten) und Christian Zach (oben) befinden sich in Topform. Nicht erst seit kurzer Zeit.
Anna Sattler leitet seit Kurzem das Restaurant im Sattlerhof, wo in der Küche gerade ein sanfter Generationenwechsel erfolgt. Das Hirschtatar (unten) mitrohen Steinpilzen ist ein Blick in die Zukunft.
Das schmucke Gasthaus Lilli & Jojo und seine Gastgeber haben sich an der Weinstraße gut eingelebt.
Joachim Gradwohl serviert Pfirsichtarte mit Vanilleeis
Strenge Qualitätsprüfung der steirischen Kürbiskerne durch Thomas Hartlieb.
Ein paar Tropfen Kürbiskernöl veredeln auch die Sauce zum Schweinebauch bei Peter Liepert.
Nach einer Verkostung bei Wolfgang Maitz (re.) stärkt man sich mit ­Backhendl. Bei der
Buschenschank Schauer in Kitzeck gibt es Braten (unten) und andere Jausengerichte: vorschriftsmäßig kalt serviert.
Imker Ali Farzat im Weingarten von Armin Tement auf Besuch bei seinen Bienen.
Nino Sifkovits und Cheyenne Ochsenknecht.