Es gibt wieder Brot
Lange war Brot zu gewöhnlich, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Der aktuelle Brot-Boom zeigt aber: Das war ein Fehler.
Es gibt wieder Brot
Wir haben es mehr oder weniger hingenommen. Das Bäckersterben; die Ausbreitung der Filialisten und die explosionsartige Zunahme an Brotsorten mit irgendwelchen Kinkerlitzchen und i-Tüpferln, die am ersten Tag verführerisch knuspern und duften, am nächsten Tag aber schon für die Enten im Winter zerbrochen werden. Die Tatsache, dass Brot nicht mehr gebacken, sondern in Fabriken her- und in Backshops fertiggestellt wird. Wir gewöhnten uns daran, erinnerten uns an Zitate unserer Eltern und Großeltern, die meinten, das schönste am Zurückkommen nach Österreich sei das Brot und das Wasser, akzeptierten sie aber als sentimentale Folklore. Weil in Wirklichkeit sah es ja längst anders aus: Überall hatte bereits eine Brot-Renaissance eingesetzt, alte Backtraditionen wurden wieder kultiviert oder sogar verbessert. In Frankreich gab es längst wieder so viele regionale Brote wie Käse, in Italien besann man sich alter Getreidesorten und Herstellungsverfahren, Pane Pugliese erlangte den Status der italienischen Delikatesse, und auf der Ausstellung der Presidio-Produkte „Terra Madre“ anlässlich der Slow Food Messe „Salone del Gusto“ in Turin konnte man Kastanien-Brote aus Mittelitalien ebenso verkosten wie Holzofenbrote aus Deutschland. Und in den USA war Brot ohnehin schon längst Kult.
Wir hatten den Kornspitz. Und ein paar Einzelkämpfer, die in der Wüste riefen. Das hat sich jetzt aber ziemlich rasch geändert, Brot ist nicht nur Thema, sondern plötzlich sogar so etwas ähnliches wie schick. Karl Wlaschek junior und sein Patissier Pierre Reboul eröffneten vor nicht allzu langer Zeit eine kleine Designer-Bäckerei in Döbling, in der man Brote diverser heimischer Topbäckereien bekommt; ein Architekturbüro am Spittelberg betreibt in einem Nebenraum noch ein Bäckerei-Geschäft mit den Waren eines neuen Bäcker-Stars, Namen von Bäckern sind in der Szene plötzlich so bekannt wie Namen von Winzern, von Mangalitza-Züchtern oder Käsemachern. Da hat sich also offenbar was getan. Endlich.
Was genau diese Bewegung auslöste, ist schwer zu sagen, es hat aber sicher mit dem qualitativen Ungleichgewicht zu tun; zwischen dem, was wir in den vergangenen Jahren auf unser Brot legten und dem Brot selbst. Und natürlich mit Menschen. Mit Erich Kasses zum Beispiel, der im fernen Thaya im Waldviertel seit Jahrzehnten großartige Brote bäckt und sich schon seit geraumer Zeit mit der Kultivierung von Sauerteigen auseinandersetzt. Helmut Touzimsky motivierte ihn bereits vor 30 Jahren, für Meinl die „Leni“-Serie zu backen. Peter Friese vom „Schwarzen Kameel“, grundsätzlich frankophil und von französischem Backwerk besonders begeistert, spornte ihn dazu an, die „Holzwandl-Brote“ zu entwickeln: unendlich saftige Sauerteigbrote in großer Vielfalt, im praktischen 400-g-Format, in der Spanschachtel gebacken und daher von nachgerade französischer Anmut. Sein „Rotonda“ entdeckte er anlässlich eines Urlaubs in Grado, erzählt der Waldviertler „Slow Baker“. Ihm hätten weder Hotel noch Strand so wirklich gut gefallen, also machte er sich auf die Suche nach gutem Brot. In einem winzigen Nest fand er einen Bäcker, der so arbeitete wie seine Vorfahren, und obwohl die beiden über keine Sprache verfügten, mit der sie sich hätten verständigen können, blieb Kasses zwei Wochen dort und lernte, wie „Rotonda“ zubereitet wird: mit Sauerteig (davon hat Erich Kasses mittlerweile 20 verschiedene in seiner Schatzkammer am Brodeln, „da bin ich ein bisserl ein Spinner“) hergestellter Weizenmehlteig, nur ganz wenig Hefe (um die Fermentation zu steuern und ungewünschte Spontanfermentationen zu vermeiden), 24 Stunden gereift, dann mit Olivenöl eingerieben und erneut 24 Stunden liegengelassen. Erst dann wird es in der Spanschachtel gebacken. Herrlich.
Und natürlich Helmut Gragger, gelernter Bäcker aus Ansfelden in Oberösterreich, der lange Jahre in der Brot-Industrie in Deutschland gearbeitet hatte, bis es ihm einmal reichte, er sich selbständig machte und einen Holzofen bauen ließ. Sauerteig, biologisches Mehl, Holz und Zeit waren von da an seine Devise, mit einem mobilen Ofen sorgte er für gebackene Freude auf Bauernmärkten und Biomeetings, Inspirationen fand er auf Ausfügen zu den großen Meistern nach Frankreich.
Vorigen Winter zündete er dann aber die nächste Stufe, nämlich mit der Eröffnung seiner Bäckerei in der Wiener City namens Gragger & Cie. Die kleine hübsche Bäckerei mit dem duftenden Holzofen mitten im Geschäft sorgte nach langer Zeit wieder dafür, dass sich die Wiener um Brot anstellten – freiwillig und bis auf die Straße. Star des Sortimentes ist zweifellos das „P-Brot“, wobei „P“ einerseits für das große Vorbild Poilâne steht, andererseits für den wohlmeinenden Hausbesitzer, dessen Sehnsucht nach gutem, echtem Brot ausschlaggebend für diese Unternehmung war. 24 Stunden geht der Teig für das P-Brot, und auch wenn Helmut Gragger weitaus mehr von seinem Brot verkaufen könnte als die 80 Stück à zwei Kilo – die zeitliche Abfolge und die Dimension des Ofens lassen einfach nicht mehr zu. Am Nachmittag noch P-Brot zu bekommen, hat mit großem Glück zu tun, und es ist auch schon oft vorgekommen, dass die Bäckerei um 16 Uhr zusperrte, „weil wir nichts mehr zum Verkaufen hatten“.
Poilâne in Paris schafft da schon mehr. Vom in den 70er-Jahren von Lionel Poilâne ganz im Widerspruch zum damaligen Neutral-Baguette-Trend zum Erfolg gemachten Natursauerteig-Graubrot bäckt man heute nicht nur in Paris und London Tausende Laibe, man verschickt etwa 5.000 davon täglich um die Welt. Kein Wunder, denn Filmstars, Künstler und andere Prominenz vor allem in L. A. und New York begründeten den Kult um das – überaus schlichte und unspektakuläre – Pariser Brot. Salvador Dalí formte Skulpturen daraus, Warhol versandte es per Concorde, ein amerikanischer Millionär bezahlte 100.000 Dollar, damit nicht nur bis zu seinem eigenen Lebensende ständig Poilâne vorrätig sei, sondern auch bis ans Lebensende seiner Kinder und Enkel. Sagt die Mär.
Aber wie auch immer, die adretten Shops, in denen man um nicht wenig Geld auch wunderschön rustikale Brot-dosen, -körbe, -messer und -tücher bekommt, waren seither wohl schon für viele Bäckerei-Konzepte das Vorbild. Poilâne selbst blieb trotz enormen Aufstiegs bis heute aber ziemlich exklusiv.
Einen eigenen Shop hat Josef Weghaupt bisher noch nicht, er ist bei diversen Wiener Bioläden aber schon recht gut vertreten und vor allem brotmäßiger Hauptdarsteller im Shop des vor einem Jahr eröffneten „Motto am Fluss“. Josef Weghaupts „Joseph Brot“ ist das jüngste Projekt in Österreichs boomender Brotszene. Backen als solches hat er eigentlich nie gelernt, Lebensmittel-Technologie aber schon, und in dieser Funktion kam er über Umwege zu einem Großbäcker, bei dem er drei Jahre im Qualitätsmanagement arbeitete. Auf Anregungen hin hätten die Bäcker immer gesagt: „Mit unserem Mehl geht sowas nicht.“ Als er dann aber Marketingleiter der Großbäckerei wurde und häufig ins Ausland kam, „sah ich, was wirklich geht“. Er erarbeitete ein Brotkonzept für eine neue Hochqualitäts-Biolinie einer Supermarktkette, und als das dann nichts wurde, machte er sein Brot einfach selbst. Lange Teigruhe von 48 Stunden, Demeter-Mehl, ganz wenig Hefe („da hab’ ich was ganz Eigenes“), gebacken wird in einem massiven „Monsun“-Dampfbackofen in einer Bäckerei in Vitis im Waldviertel. Und zwar zwei Mal, „weil ich eine Kruste will“.
Denise Pölzelbauer, derzeit medial ebenfalls sehr präsent, hat zwar auch etwas anderes gelernt, nämlich Bürokauffrau, da sie aber aus einer Bäckerfamilie kommt und vor allem schon früh von dem riesigen, 130 Jahre alten Steinofen, der quasi mit dem Haus verwachsen ist, fasziniert war, war die Sache irgendwann einmal klar. Die junge Frau wurde damals jüngste Bäckerin Österreichs, entdeckte über die Beschäftigung mit Gewürzen die Lehre der Fünf Elemente und entwickelte in den vergangenen Jahren ein kleines, aber faszinierendes Sortiment. 15 Brotsorten führt sie, Natursauerteig ist Ehrensache („der ist schon ein paar Jahre alt“) und Anlehnungen an französische Vorbilder sind ihr nicht so wichtig, „ich bin in Brunn an der Pitten, da ist 5 Elemente schon exotisch genug“. Ihr „Hausbrot“ ist in Farbe, Geschmack und Biss dem Poilâne dennoch erstaunlich ähnlich, eigentlich fast ein bisschen besser. Und das Molkebrot sollte man sowieso nicht versäumen.
Günter Drexels Vorbilder liegen ganz wo anders als in Frankreich, nämlich jenseits des Rheins in Graubünden. Das „Wurzelbrot“ wird dort nach uralter Tradition von einer Schweizer Bäckerei hergestellt und ist geschützte Marke, die in der EU allerdings keine Bedeutung hat. Günter Drexel versucht bei seinem Wurzelbrot dem Original möglichst nahe zu kommen und nicht einfach Brot zu backen, das so ähnlich aussieht. Er importiert sogar Schweizer Weizen, der über einen höheren Kleber-Anteil verfügt als der österreichische, erklärt Drexel, und außerdem vier Mal so teuer ist. Der Teig für das Wurzelbrot wird mit extrem wenig Hefe 24 Stunden lang gereift, was das spätere Brot nicht nur überaus flaumig und haltbar macht, sondern auch den Geschmack entwickelt. Drexel arbeitet ausschließlich mit der Hand, insgesamt führt dieses Verfahren dazu, dass 100 Teile Mehl bei seinem Wurzelbrot 80 Teile Wasser binden können und nicht nur 55, wie bei „normalem“ Brot. Und dass er sein Brot bis in die Toskana liefert, macht Günter Drexel auch nicht gerade wenig stolz.
„Es gibt kein schlechtes Brot“, sagt Erich Kasses, Vordenker und Pionier. Aber es gab lange Zeit viel zumindest sehr langweiliges Brot. Diese Zeiten scheinen nun aber endgültig vorbei zu sein, sogar qualitätsbewusste Großbäcker springen auf den Zug auf und die Chance, dass man im Restaurant nicht automatisch zu Focaccia & Co greift, sondern sich die gute Butter vielleicht auf ein Stückchen guten Brotes schmiert, stehen derzeit so gut wie schon lange nicht mehr.
Gragger & Cie, € 4,50/kg, www.gragger-cie.at
Kasses, € 11,50/kg, bei „Zum Schwarzen Kameel“, Bognergasse 5, 1010 Wien, www.kasses.at
€ 5,90/kg, www.joseph.co.at
Martin Auer, € 6,60/kg, www.auerbrot.at
Bäckerin Denise, bei Feinkost Böhle
€ 5,80/kg, www.baeckerin.at
Drexel, € 6,2/kg, www.baeckerei-drexel.at
Bäckerei Kerling, € 2,90/kg, www.brotspezialitaeten.de
Ströck, € 2,84/kg, www.stroeck.at
Felber, € 3,26/kg, www.felberbrot.at
Poilâne Paris, € 4,29/kg www.poilane.com
farrwerfener Vollwertbäckerei, € 5,–/kg www.sauerteigbrote.at