Gastronomische Sprachverwirrung

Distanz und Respekt versus Amikalität und Nähe: Duzen und siezen wir aneinander vorbei? Über den Gastraum als Wohnzimmer, Bauchgefühle und ein Sie als Abstandshalter. 

Text von Anna Burghardt / Illustration von Christina Mühlhöfer

Ein Hotel, dessen Besitzer sich von einer Marketingagentur ein generelles Du empfehlen lassen, mit dem eine blutjunge Kellnerin dann dienstbeflissen eine pensionierte Ärztin anspricht. Ein Lokal, dessen frisch von Berlin nach Wien gezogene Betreiber sich vor zehn Jahren über das hier allgegenwärtige Sie gewundert haben. Eine Gastronomin, die im Umgang mit den Gästen dem Du immer ausweicht, ihre Mitarbeiter aber selbstverständlich duzt. Eine Wirtin, die auf „Sehr geehrte Frau“ nie, wie so viele, mit „Hallo“ antworten würde und ­generell ein Verlorengehen von Gefühl ortet. Allein mit einer solch anonymisierten Liste an unterschiedlich gepolten Einstellungen in der Causa Du oder Sie in der Gastronomie könnte man Seiten füllen. 

Man muss nicht einmal ausnehmend viel auswärts essen (oder trinken) gehen, um festzustellen: Die Gastronomie kennt im Gebrauch des Du und Sie offenbar keine Regeln mehr; mit Ausnahme der Regel, dass das Du an Verbreitung gewaltig zugenommen hat. Oft kommt es so selbstverständlich, so über jeden Zweifel erhaben ­daher, dass man sich als Anhänger des Per-Sie fragen muss, ob man nun spießig oder überheblich oder beides ist. Man betritt ein Restaurant mit „Grüß Gott“ und bekommt ein „Hast du reserviert?“ zu hören, man kontert ein „Magst du noch etwas trinken?“ mit „Ja, könnten Sie mir bitte die Weinkarte bringen?“ und wird ungerührt weiterhin geduzt oder man duzt anpassungswillig den jungen Sommelier im Sternelokal und wird in freundlich-distanzierter Profimanier gesiezt. A la Carte hat ein Stimmungsbild zum Duzen und Siezen zusammengestellt. Der Anlass: die offensichtliche gastronomische Sprachverwirrung.

Dem Besitzerpaar des im Frühling 2022 eröffneten Boutiquehotels Gilbert hinter dem Wiener Museumsquartier schien die Sache mit dem Du anfangs ganz klar: „Wir haben vor etwa vier Jahren mit dem Positionierungsprozess von Gilbert &flora begonnen und sind mit unserer Marketingagentur der Meinung gewesen, dass wir eine möglichst ­persönliche Ansprache der Gäste im Hotel und im ­Restaurant wollen“, sagt Jörg Kleindienst-Giendl (&flora ist das Hotelrestaurant unter der Leitung von Parvin Razavi). „Dabei hat uns die Marketing­agentur empfohlen, ein prinzipielles Du einzuführen, aber mit Ausnahmen.“ Dieses prinzipielle Du stieß in den Eröffnungswochen nicht nur auf Gegenliebe, selbst wenn der Hotelbesitzer das heute anders wahrnimmt – mancher Gast mag sich angesichts des von oben verordneten Dus gefragt haben: Und was, wenn der Bundespräsident zum Essen kommt? Auf die vehemente Ablehnung des Geduzt-Werdens der eingangs erwähnten Ärztin Mitte 60 reagierte die junge Kellnerin jedenfalls mit: „Aber das ist unser Konzept!“ (Die Antwort: „Auch ein Konzept kann falsch sein.“) Kleindienst-Giendl meint, dass natürlich Fingerspitzengefühl gefragt sei, damit sich niemand vor den Kopf gestoßen fühle, und dass man Gäste mit Sie anspreche, wenn diese signalisieren, dass ihnen dann wohler zumute sei. „Das funktioniert im Restaurant bislang sehr gut. Ich würde sagen, dass wir zu rund neunzig Prozent
per Du mit unseren Gästen sind. Das Feedback von den Gästen dazu ist positiv, sie fühlen sich durch das Du sehr willkommen.“

„In Frankreich hat die Gastronomie einen gewissen Stolz. Da heißt es ganz selbstverständlich ,Bonjour, Madame‘.“ 
Stefanie Herkner,
Gasthaus Zur Herknerin

Über Konzepte, die etwa ein generelles Du verordnen wollen, kann Stefanie Herkner nur den Kopf schütteln. Als Köchin und Wirtin führt die Tochter des legendären Heinz Herkner das Gasthaus Zur Herknerin in der Wiedner Hauptstraße im 4. Wiener Bezirk, der Untertitel des Lokal­namens lautet: Die Küche mit dem großen Herz. Auf der Speisekarte ­stehen Hausmannskostklassiker wie Faschierter Braten und Sarma, für ihre Spinatknödel wird sie weithin gerühmt. „Wenn ich das schon höre, ,Konzept‘! Ich möchte zum Beispiel weder das Du noch das Sie generell durchsetzen. Es muss einfach in jedem Moment stimmig sein. Das macht ja auch die Qualität einer Wirtin oder eines Kellners aus, zu wissen, was fühlt sich wann richtig an.“ Das Gefühl generell sei der springende Punkt in so vielem, sinniert sie. „Wenn dieses Gefühl verloren geht, geht auch gute Gastronomie verloren. Die Leute denken so sehr über Konzepte nach und ihr Ego und wie was auf dem Teller ausschauen soll. Dabei geht es doch so stark darum, die Gäste glücklich zu machen, ihnen etwas Gutes zu tun, ­ihnen ein schönes Erlebnis zu bieten. Zu spüren, was brauchen sie dafür.“ Dazu gehöre auch die richtige, weil ­individuell passende Anrede. 

Stefanie Herkner führt als ein Beispiel ihren Reservierungsmailverkehr an: Sie hat kein Buchungssystem, beantwortet alle Anfragen persönlich. Die korrekte Ansprache ist dabei ein großes Thema für sie, jedes Mal aufs Neue. „Ich habe eine Art Standardantwort: ,Vielen Dank, der Tisch ist reserviert.‘ Aber natürlich schreibe ich dann ein ,Lieber Herr‘ oder ein ,Hallo‘ dazu, je nachdem.“ Schon dafür brauche es Bauchgefühl. „Wenn zum Beispiel jemand aus Deutschland schreibt, wo das Hallo mehr verbreitet ist, und seine Mail beginnt mit ,Hallo‘, antworte ich genauso. Wenn jemand mit ,Sehr geehrte Frau Herkner‘ beginnt, schreibe ich nicht ,Hallo‘ zurück.“ Für Herkner eine Selbstverständlichkeit, in vielen anderen Lokalen befolgt man dieses Prinzip allerdings nicht. 

„Im Lokal würde ich per se lieber per Sie sein, aber wenn da ein zwanzigjähriger lässiger Typ sitzt, werde ich ihn eher nicht siezen.“ Man müsse immer darauf achten, wie man selbst angeredet werde. „Ich passe mich diesbezüglich den Gästen an. Ist da eine höfliche Distanz, die bewahrt werden sollte? Oder sucht jemand meine Nähe, möchte sich austauschen?“ Wenn sie selbst essen gehe, so Herkner, komme es auch auf die Art des Lokals an, ob sie ein Du oder ein Sie als passender empfindet. Im Steirereck erwarte sie ein Sie, wenn es „more ­casual“ sei, könne auch ein Du „total angenehm“ sein. „Das Wichtigste ist doch, dass die Leute ihren Job gern machen. Es nützt ja nichts, wenn der Kellner mich siezt, aber ein unwilliger Trottel ist.“ Dann lieber einen charmanten, engagierten Duzer. Als Wirts­tochter, die unzählige Stunden ihrer Kindheit im Lokal ihrer Eltern, Zum Herkner im 17. Bezirk, verbracht hat, ist ihr der Wandel im Umgang mit­einander sehr bewusst. „Mein Vater war alte Schule, der stand mit Mascherl und Manschettenknöpfen in der Küche. Der Standard war generell ein anderer. Gute Manieren waren
für ihn das A und O.“ Bis auf wenige Ausnahmen, „bei Freunden oder ganz langjährigen Stammgästen“, gab es nur das Sie. „Ein Du in der Küche und im Gastraum wäre für meinen Papa undenkbar gewesen.“ Das Sie in der Gastronomie (mit ihrem Team ist sie allerdings per Du) steht für Stefanie Herkner für gegenseitigen Respekt, für den Respekt vor dem Handwerk Kochen. „In Frankreich hat die Gas­tronomie einen gewissen Stolz. Da heißt es ganz selbstverständlich ,Bonjour, Madame‘, die Kellner sind stolz darauf, Kellner zu sein, von den ­Gästen kommt mehr Wertschätzung. Durch das Du geht in beide Richtungen Würde verloren. Und die Distanz durch das Du schützt ja auch. Aber ein stures Sie wäre genauso falsch.“ 

„Ich brauche diese Professionalität durch das Sie, man kann dann ganz anders kommunizieren.“ 
Barbara Eselböck,
Taubenkobel 

Die Distanz durch das Sie schätzt auch Barbara Eselböck, Gast­geberin im Taubenkobel im burgenländischen Schützen am Gebirge. Das Du markiert für sie eine gewisse Grenzüberschreitung. „Ich brauche diese Professionalität durch das Sie, man kann dann ganz anders kom­munizieren, zum Beispiel Dinge ablehnen wie eine Umbestellung in der
Küche, die nicht möglich ist. Mit einem Du nehmen sich die Leute viel mehr heraus, und als Gastgeber hadert man dann mit sich, traut sich weniger, seiner Linie treu zu bleiben, geht Kompromisse ein, die man eigentlich nicht eingehen möchte.“ Interessanterweise sei der Wunsch nach dem Du mit ihr und ihrem Mann Alain Weissgerber, dem Küchenchef, bei Hochzeiten extrem. „Die Brautpaare wünschen sich das fast immer. Weil man ja gemeinsam an ­einem Projekt arbeitet, weil es dann relaxter wird, glauben sie. Aber gerade da brauche ich das Sie.“

Barbara Eselböck erlebt oft, dass ihr von Gästen, die nicht zum ersten Mal im Taubenkobel sind, das Du angetragen wird, vor allem, wenn der Abend lang wird. „,Jetzt kommen wir schon so lange zu euch, da können wir doch per Du sein, ich bin der Wolfgang.‘ Ich nehme es dann zwar an, aber setze es nicht um. Ich sage, ,ich bin die Barbara‘, aber ich bin weiterhin per Sie. Wenn der Gast dann sagt, aber wir sind doch per Du, weiche ich auf das Ihr und Euch aus. Ich duze nicht.“ 

Eselböck fühlt sich oft peinlich berührt vom Du. Wenn sie in eine Boutique shoppen geht genauso wie wenn sie im Taubenkobel geduzt wird. „Es gab da so eine Kippe. Als die Mama auch noch im Restaurant war, war das Du normal für mich (Eveline Eselböck hat das Restaurant 1984 mit ihrem Mann Walter aufgebaut, seit einigen Jahren sind Tochter Barbara und Alain Weissgerber die Chefs, Anm.). Aber wenn mich jetzt jemand duzt, der nicht zu meinen Freunden gehört …“

Sie sagt als Chefin zu ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Du, von Anfang an, umgekehrt wird sie aber gesiezt. In der Taubenkobel-Küche sei es auch so, Alain Weissgerber ist „der Chef“, darf aber sein Team duzen. Diese, wenn man so will, eta­blierte Schieflage dient in diesem Fall also als hierarchische Kennzeichnung, analog zum einseitigen Du bei Lehrern und Schülern in Gymnasien. Wenn es eine Situation erfordert, etwa wenn Fehlverhalten vorliegt, nützt Barbara Eselböck ein Sie im Umgang mit den Mitarbeitern gleichsam als zusätzlichen Abstandhalter: „Wenn ich mit Sie anfange, wissen sie gleich, da stimmt etwas nicht. Da läuten alle Alarmglocken.“

Das allgegenwärtige Du, zumindest in der ambitionierten Gastronomie, führt sie zum Teil auf den Einfluss des Noma in Kopenhagen zurück – „auf Englisch duzt man ja automatisch“ –, von wo nicht nur das T-Shirt als Servicekluft importiert wurde, sondern außerdem das sich Hinhocken der Kellner neben den Gästen, der Kopf dann knapp über der Tischplatte. „Dieses Hinhockerln, das pack’ ich nicht“, sagt Barbara Eselböck unmissverständlich. „So unterwürfig. Noch schlimmer: als Frau an ­einem Männertisch.“ Und sie erinnert sich an ein Essen gemeinsam mit ihren Eltern in einem Wiener Fine-Dining-Lokal: „Meine Mutter hat augenblicklich gesagt: ‚Stehen Sie sofort auf, Sie können doch nicht vor uns knien!‘“ Eselböck vermutet hinter dem omnipräsenten Duzen außerdem den Wunsch von Gastronomen, ein Wohlfühlambiente herzustellen. „Fühl dich wie zu Hause, das ist dein Wohnzimmer für heute, dein Tisch, dein Sessel.“ 

„Ein Ihr ist schwächer als ein Du, aber mehr als ein Sie.“ 
Sandra Jedliczka,
Mochi

Genau das war für das Gründungsteam des Mochi in der Wiener Praterstraße, Anfang 2012 eröffnet, der Punkt, wie Sandra Jedliczka erzählt: „Angefangen hat es ja nur mit uns vieren“ – außer ihr gehören noch Tobias Müller sowie Nicole und Eduard Dimant zum Chefquartett – „und wir wollten unbedingt eine Wohnzimmeratmosphäre schaffen.“ Im Ur-Mochi und den Ablegern Mochi Ramen Bar, Mochi am Markt, Kikko Ba¯und den zwei o.m.k. erlebt man als Gast häufig ein Du, aber nicht immer. Von Anfang an war der Service im Mochi mit Gleichaltrigen fast immer per Du, während im Umgang mit älteren Gästen das direkte Du mit einem Ihr, Euch oder „Darf es noch etwas sein?“ umschifft wurde. „Wir haben dann das Du nicht ausgesprochen, wollten aber den Gästen immer das Gefühl geben, dass wir im Mochi eine persönliche Ebene schätzen. Ein Ihr ist schwächer als ein Du, aber mehr als ein Sie.“ Es sei auf jeden Fall Gefühlssache, zu wem man was sage. „Wir wollen eine gewisse Atmosphäre verbreiten, aber wir passen auf – vielen ist es einfach zu nah und sie fühlen sich unwohl, das ist ja völlig legitim.“ Manche Mitarbeiter, gibt Sandra Jedliczka zu, hatten weniger Feingefühl, da habe es schon ältere Gäste gegeben, die das Du abgelehnt haben. „Die meisten sprechen das dann auch klar und deutlich an.“ Neuen Mitarbeitern gibt man zu verstehen, dass die Marke Mochi für amikal und familiär steht, aber dass es stets mit Gefühl zu agieren gelte; man schneidet das Thema also durchaus an, wenn neue Leute eingestellt werden. Jedliczka selbst ist eher irritiert, wenn sie in einem jungen Lokal gesiezt wird, „dann frage ich mich, bin ich schon so alt?“ Womöglich hat das Mochi, so viel kopiert und nachgeahmt, wie es wird, die Lage in Wien sogar mitbeeinflusst: Sandra Jedliczka und die anderen drei Mochi-Chefs haben vor ihrem Umzug nach Wien vor mehr als einem Jahrzehnt in Berlin gewohnt. „Dort wurde nur geduzt. Ich erinnere mich, wir waren damals eher irritiert, dass in Wien so viel gesiezt wurde.“ 

„Was wollen die Leute mit diesem IKEA-Du erreichen?“ 
Ingrid Schediwy-Fuhrmann,
Benimm-Trainerin

„Ich verstehe dieses Du einfach nicht“, sagt hingegen Ingrid Schediwy-Fuhrmann, die mit dem „Salon für Kinder“ Fünf- bis Vierzehnjährigen spielerisch Umgangsformen beibringt. Etwa, wie man sich in einem Restaurant korrekt verhält. Die Kurse finden unter anderem im Schwarzen Kameel statt. „Was wollen Leute mit diesem IKEA-Du erreichen? Ein Sie ist doch nicht spießig, sondern Usus unter Menschen, die sich nicht kennen. Es ist weder antiquiert noch sonst etwas.“ Sie sei von der alten Schule. „Diesen amikalen, betont lässigen Umgang ­finde ich unangenehm. Wenn man jemanden duzt, ist das ein Eindringen in einen persönlichen Bereich, ohne dass man gefragt wird.“ Und man könne dann ja ganz schlecht aus. „Ich habe einmal in meinem Leben gewagt zu sagen, dass ich lieber per Sie bleiben würde. Das ist natürlich ganz merkwürdig rübergekommen.“ Schediwy-Fuhrmann weiß es zu schätzen, wenn sich aus einer Sie-Beziehung langsam ein Du entwickelt. „Bodo Kirchhoff hat geschrieben: ,Ein Du taugt nur dann etwas, wenn es aus einem Sie hervorgeht.‘ Das finde ich sehr schön.“ 

Die Eventmanagerin und Benimm-Trainerin wurde vor rund dreißig Jahren bei Do&Co im Bereich Catering ausgebildet. Das Siezen im Dienstleistungsbereich war völlig normal, alles andere undenkbar. „Das ist doch gleich ein ganz anderer Umgang. Vor allem, wenn man sich nicht kennt.“ In ihren Kursen arbeitet sie viel mit Rollenspielen. Etwa, wie man im Restaurant am Tisch Platz nimmt, „und auch, wie nicht!“, wie man einen Kellner ruft, wie man bestellt. Auch das korrekte Grüßen ist ein Thema: Ein Rollenspiel sieht vor, dass die Kinder zu spät kommen. „Sie sagen dann immer Hallo. Ich bringe ihnen bei, dass es Grüß Gott heißt oder Guten Tag, dass man sich entschuldigt, wenn man zu spät ist, schicke sie hinaus und noch einmal das Ganze.“ In ihren Kursen fällt Schediwy-Fuhrmann auf, dass viele Kinder ihre Eltern heute mit Vornamen ansprechen, „wie Freunde, das ist wohl die Idee dahinter“. Sie hingegen versuche, Kindern den Respekt vor dem Alter mitzugeben und sie generell hinsichtlich des Umgangs mit anderen Menschen zu sensibilisieren. Über Umwege hat das auch mit dem Du und Sie zu tun: Wer generell Respekt lernt, läuft weniger leicht Gefahr, ein vom Gegenüber als übergriffig empfundenes Du zu verwenden. 

Mit dem schnellen Du und dem mangelnden Haltungsbewusstsein gingen, so Schediwy-Fuhrmann, außerdem flapsige Äußerungen gegenüber den Gästen wie hoppala, oje, gute Idee einher. „Letztens wurde ich in einem Restaurant von einem sehr netten Kellner mit ,Hallöchen!‘ begrüßt.“ Ein anderes Erlebnis: „Meine Mutter hatte 80. Geburtstag, und ein Kellner fragte sie: ,Und für dich noch ein Glaserl Wein?‘ Aber daneben mit weißen Handschuhen das Brot aufschneiden … Ich habe das der Zuständigen mitgeteilt, aber dann gemerkt: Es ist völlig sinnlos. Die ist auch so eine Duz-Freundin. Ihre Reaktion: „Oje. Aber kommt’s ihr eh wieder?“ 

„Bei uns werden die Gäste nicht geduzt. Das war nie so und wird auch in Zukunft nicht anders sein.“ 
Berthold Obauer,
Restaurant Obauer

Auch Berthold Obauer, Jahrgang 1992, ist nicht unbedingt ein Anhänger des schnellen Dus. „Auf der Hütte auf über 1.000 Metern ist das eine andere Geschichte, aber ich empfinde es in einem Restaurant nicht als so angenehm, wenn jemand Du sagt und Servas. Ein Sie tut der Gastfreundschaft ja keinen Abbruch, im Gegenteil, es bringt sogar mehr Wertigkeit.“ Der Sohn von Rudi und Angelika Obauer kam vor drei Jahren aus Peking zurück und ist seither Gastgeber im ­Restaurant Obauer im Salzburger Werfen. Nebenbei macht er seinen MBA in Hospitality auf der École hôtelière in Lausanne. 

„Bei uns werden die Gäste nicht geduzt. Das war nie so und wird auch in Zukunft nicht anders sein. Sie werden mit Grüß Gott und Auf Wiedersehen gegrüßt und nicht mit Hallo und Tschüss. Ich ­denke, dass das Siezen noch immer eine Form von Respekt und auch Kultur ist. Das Per-Sie heißt ja nicht, dass man mit einem Gast weniger connectet.“ 

Neuen Mitarbeitern kommuniziere man ganz klar, dass es im Umgang mit den Gästen Sie heißt. Apropos Mitarbeiter: „Als ich aus Asien zurück­gekommen bin, war es für mich komisch, wenn Mitarbeiter, die mich kennen, seit ich Windeln anhabe, plötzlich per Sie sein und Herr Obauer sagen müssen, nur weil der Papa und Karli mit ihnen auch
per Sie sind“ – mit Karli ist Karl Obauer gemeint, sein Onkel. 

Für Berthold Obauer hat Duzen oder Siezen nichts damit zu tun, ob man ein junger Betrieb ist oder ein spießiger. Die Obauer-Gäste würden es durchaus schätzen, dass im Restaurant eine gewisse Form von Höflichkeit und Distanz gewahrt werde. „Es gibt ja auch das Sprichwort ,Zum Du sagt man schneller Arschloch als zum Sie‘. Da ist auf jeden Fall etwas Wahres dran.“ —