Gefischt und eingelegt

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Zwei Herren namens Müller und ein Boot: Hannes, der Koch, und Martin, der Fischer, bannen Fisch aus dem Weißensee ins Einmachglas. Über Seeforellenträume, saure Sticklan und schwimmende Nasenbären.

Text von Anna Burghardt · Fotos von Julia Stix

„Mit dem fahren wir“, sagt Martin Müller und zeigt mit ungerührter Miene auf ein halbverrottetes Boot mit abblätternder Farbe, das halbseitig gelähmt schief im Schilf liegt. So ungerührt ist Müllers Miene, dass man kurz überlegt, ob das wahr sein kann – was weiß man schon vom Fischen? Der Weißensee liegt jenseits jeder vernünftigen Erreichbarkeit, und eine ebensolche Jenseitigkeit traut man den Fischergedanken hier zu. Später wird sich herausstellen, dass nicht nur die zwei jungen A la Carte-Damen an Bord des richtigen Boots den Scherzen von Martin Müller ausgesetzt werden, sondern auch Hannes Müller, Koch und Abnehmer vom Fang des nicht verwandten Namenskollegen. Das richtige Boot ist nicht viel größer als das zu Verarschungszwecken herangezogene, aber deutlich vertrauenswürdiger. Hannes Müller will beim Wegfahren mit dem Ruder antauchen, erntet aber einen verbalen Platzverweis: „Du bist in der Küche zuständig, hier an Bord bin ich der Chef.“ Das kann ja heiter werden. Der Chef an Bord grinst. Wer glaubt, dass es in einer Sardinendose eng ist, möge sich einmal zu viert samt Kameratasche und großer Styropor-Kühlbox in ein kleines Boot schlichten. Erschwerend kommt hinzu, dass Hannes Müller, der Koch, so etwas wie zwei Meter misst und mit seinen Beinen auch irgendwo Tetris spielen muss. Im Laufe der Bootsfahrt wird er noch des öfteren bemerken, dass er das Boot größer in Erinnerung gehabt habe.

Es ist halb sechs in der Früh. Der Plan für heute: mit den beiden Müllers Fische aus dem Weißensee vom Wasser in Einmachgläser zu befördern. Denn damit beliefert das Duo ein paar Feinkosthändler. Massive, süß-sauer eingelegte Fischstücke, deren Gräten sich dank Essig aufgelöst haben. Luftige Räucherfischmousse, die unter anderem durch Zitronenöl, Kubebenpfeffer und Wermut ihre geschmackliche Duftigkeit erhält. Hannes Müllers Version von Matjes, die Ölforelle, ist noch Work in Progress. Dass die Fische für die Gläser freilich zumeist aus Martin Müllers Zucht kommen und nicht aus dem See, erfahren wir erst später, und wir können es angesichts der Qualität und der mit der Auslagerung in die Zuchtbecken verbundenen Schonung des Seefischbestands verschmerzen.

Das Boot fährt also mit vier ausgeklügelt geschlichteten Insassen nahe dem Nordufer Richtung Osten. Trotz Hochsommer ist es eiskalt. Martin Müller ist der Einzige, der auf dem Weißensee mit Benzinmotor fahren darf, abgesehen von den Passagierschiffen. Hannes Müller ordnet seine langen Beine immer wieder neu und deutet hie und da auf Wiesen am Ufer, nennt alte Flurnamen, die sich keiner merken kann, und erklärt, warum der Weißensee so heißt: nämlich wegen seines bei richtiger Sonneneinstrahlung fast karibisch weiß leuchtenden Rands – der Kalkstein ist schuld. „Die Haubentaucher fischen auch schon“, unterbricht ihn der Fischer und erzählt, dass er einmal einen Hirsch gesehen hat, der den See schwimmend überquert habe. „Irre schnell.“ Kurz taucht der Gedanke an ein gewisses halbverrottetes Boot und eine äußerst ungerührte Miene auf, und das Hirn stellt augenblicklich den schwimmenden Hirschen infrage. Aber was weiß man schon vom Weißensee. Wir erreichen das Ende des Netzes, das Martin Müller am Vortag senkrecht zwischen Bojen montiert hat. 350 Meter Länge, 46 Millimeter von Knoten zu Knoten, „ich dürfte auch mit 40 Millimeter fischen, aber die Renken wachsen bei uns so schnell, dass man sie sonst holt, bevor sie abgelaicht haben. Drei bis fünf Jahre alt sind die, die wir fangen.“ Länger als einen Tag bleiben die Netze nicht im See, „sonst werden die Fische darin dreckig. Wegen der Hydrogencarbonatgeschichte.“ Martin Müller, der studierte Fischbiologe, schaut mich prüfend an. Zuvor hat er, ohnehin schon nach dreimaligem Nachfragen, ob ich das wirklich wissen wolle, erklärt, warum sich der Kalk und wie sich das mit dem Kohlendioxid und weshalb dann die Algen und die Wärme und so. Jedenfalls werden irgendwann die Netze schmutzig, weshalb sie von den Reinanken, Karpfen, Barschen und Seeforellen gesehen werden, die vielleicht auch etwas anderes mit ihrem Leben vorhaben, als einem Scherzbold ins Netz zu gehen.

Reinanke um Reinanke – er sagt Renke – zieht Martin Müller nun aus etwa 13 Meter Tiefe nach oben, Luftblasen steigen währenddessen auf, man sieht die Fische im Wasser schon von weitem. Der Weißensee hat die größte Sichttiefe aller österreichischen Seen. Koch Müller nennt offizielle Zahlen, Fischer Müller sagt nur, geh bitte, und meint: viel mehr. Die Reinanken werden von Martin Müller mit geübtem Griff festgehalten und bekommen sofort eines mit einem Holzstöckchen übergezogen, dann sind sie hirntot. Manchmal ist es ein Barsch, der im Netz an die Luft gezogen wird, das erkennt man am Gurgeln. „Die Barsche können die Luft nicht ablassen.“ Wir lernen: Luftbläschen: Reinanken. Keine Luftblasen und dafür ersticktes Gegurgel an Land: Barsche. Oder, andere Eselsbrücke: Nasenbärvorbau ist gleich Reinanke. Seeforellen, auf die Hannes Müller spitzt, seit wir auf dem Boot sind, sind an diesem Tag keine dabei. „Ich bin immer ziemlich glücklich, wenn ich eine Seeforelle krieg, vom Geschmack her sind die echt ein Highlight.“ Weshalb der Koch von einer eigenen Seeforellenzucht träumt. 150 Kilo Fisch bestellt er bei Martin Müller pro Monat. Und er kann sich nicht immer aussuchen, was er bekommt. „Ich frag ihn immer, was er braucht, und er kriegt, was ich hab“, sagt der Fischer ungerührt. Karpfen etwa habe Hannes anfangs gar nicht wollen, jetzt nehme der Koch ihm die Bauchseite ab, „der Rest kommt ins Glas“.

Fisch um Fisch wird von Martin Müller aus dem See gezogen und in die mit Crushed Ice gefüllte Kiste geworfen, die sehr bald sehr voll ist. Der Fischer hat einen Auftrag für den Koch an Bord: „Hannes, rührst einmal um?“ Und Hannes Müller schaufelt mit den Händen das Crushed Ice vom Kistenboden auf die Fische. „Echt cool“, sagt der derart Eingeteilte, „wenn man dann die Hände ins Seewasser taucht, ist’s total warm.“

Martin Müller hat an diesem Tag mit zehn, zwölf Fischen gerechnet, der Fang wird sich am Ende auf über 30 Exemplare belaufen. „Gegen Neumond wird’s dann noch besser. Bei Vollmond hingegen fängt man nichts, weil die Fische das Netz sehen. Vor allem wegen dem Hydrogencarbonat“, grinst der Fischbiologe.

Fischer Müller hat es plötzlich sehr eilig, er braucht dringend einen Kaffee. „Wir sehen uns später.“ Später sind wir zunächst bei Hannes Müller in der Küche seines Hotels „Die Forelle“ in Techendorf, auf dessen Speisekarte viele Fische des Weißenseefischers aufgelistet sind. Hannes Müller gart Seesaibling in Schilfblättern, die er neben dem eigenen Badesteg pflückt, konfiert Seeforelle und serviert sie mit Linsen, Zitrone und Selchfond, kombiniert Seebarsch mit Gurke und Rahm und Bachsaibling mit pannonischem Safran und Petersilie. 86 Punkte gibt es für seine Küche im aktuellen Guide A la Carte.

Wir sehen ihm dabei zu, wie er die Ölforelle im Glas macht, „meine Version von Matjes“. Freilich mit Seeforellenfilet, das nicht vom Ausflug im Morgengrauen stammt – man kann nicht alles planen. An der Haltbarkeit der Ölforelle muss der Koch noch tüfteln, weshalb sie bisher keinen fixen Platz in Martin Müllers Verkaufsraum einen Ort weiter hat, anders als die schon erwähnte Räucherfischmousse.

Hannes Müller richtet Fenchelpollen her, Zucker, Fleur de Sel und Balsam-Birnen-Essig von Gölles, „der hat das richtige Verhältnis von Süße und Säure“. Mit einer großen Pinzette zieht er die Gräten aus dem Fischfleisch, die Haut wird weggeschnitten, das Filetmittelstück in fünf Millimeter dicke Scheiben geschnitten. Hannes Müller legt die Scheiben auf eine Platte, bestreut sie mit Fleur de Sel und Zucker, gießt Degusta-Olivenöl vom Gardasee und den Gölles-Essig darauf, streut Fenchelpollen von Hannes Pinterits darüber. Müllers behandschuhte Hände drücken die Marinade in den Fisch, dann schichten sie die Filetstreifen schneckenförmig hochkant in ein Glas.

Hundert Gramm Fisch pro Glas, mit der Marinade – Hannes Müller sagt Fond dazu – wird aufgefüllt. Am nächsten Tag ist klar, wie gut Work in Progress schmecken kann. Ebenfalls noch nicht für den Verkauf ausgetüftelt ist Hannes Müllers Version des Gabelbissens: ein Stück Fischfilet im Glas, mit gewürztem Öl aufgegossen, bei 50 Grad für 25 Minuten im Rohr gegart. „Zum Rauslöffeln.“

Nachdem Fischer Martin Müller genügend Zeit hatte, seinen Koffeinspiegel zu normalisieren, finden wir uns in seinem modernen hölzernen Verkaufs- und Produktionspavillon direkt am See in Neusach ein, wo seine jungen Gehilfen gerade den heutigen Fang filetieren, der Räucherofen draußen ist schon befüllt. Die Fischinnereien kommen wie immer in eine Biogasanlage, aus den Köpfen mancher Räucherfische werden die Backerln herausgetrennt. Die verkauft Martin Müller ebenfalls, in Öl eingelegt und in Gold aufgewogen. „Die sind eigentlich ein Abfallprodukt. Und eigentlich ein kompletter Schwachsinn. Ein einfacher kaltgeräucherter Fisch ist genauso gut, und bei dem stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis.“ Ob man schreiben dürfe, dass er sein eigenes Produkt kritisiert? „Ich bin ein schlechter Verkäufer“, sagt Martin Müller nachdenklich, senkt den Blick gen Boden und rückt heraus mit dem Unbehagen. „Geplant waren vier bis fünf Tonnen Lebendgewicht Fisch in der Verarbeitung, jetzt sind’s 14 bis 15 Tonnen. Ich tät’s ja reduzieren, das Fischverarbeiten, wenn ich könnte.“ Stattdessen würde er gern wieder ein bisschen mehr Wissenschaft betreiben, sich der Zucht von Besatzfischen für den See widmen, „daran hängt mein Herz“. Rund 4.000 Bügelgläser, große und kleine, verkauft Müller vom sauren Fisch pro Jahr, im eigenen Geschäft und bei einigen Feinkostpartnern. Für die heutige Einlegesession steht schon eine Batterie kleiner Gläser bereit. Zunächst werden die Karpfenseiten „so richtig schön versalzen“, genau genommen mit einer Salz-Zucker-Mischung eingerieben. Das Fischfleisch wird in Streifen geschnitten, die Streifen werden abermals zerteilt. „Aha, Quader“, sage ich und notiere brav, „aha, Sticklan“, verbessert der Kärntner Martin Müller ungerührt. Jedes Glas wird auf der Waage platziert, 125 Gramm Sticklan werden eingefüllt. Es folgen Zwiebelringe, Senfkörner und dreierlei Pfefferkörner, Wacholderbeeren und je ein Lorbeerblatt. Apfelessig Barrique von Mautner-Markhof wird mit Wasser 1:1 verdünnt und in die Gläser gefüllt. Später werden diese im Wasserbad, komplett bedeckt, gegart. „Der nächste Schritt ist dann der saure Fisch mit dem Besten vom Besten, mit Gewürzen von Ingo Holland und so. Das wär’ schon was.“ Ingo Holland, dem deutschen Gewürzhändler mit der gepfefferten Schnauze, würde zu einer solchen Weißenseekooperation wieder einer seiner Namens-Sickerwitze einfallen. Schließlich bevölkern jeden Winter jährlich Tausende Holländer den Weißensee. Die handgeschriebenen Schilder, die bei Martin Müller im Verkaufsraum hängen und unter anderem „Lags“, „Seforele“ und „Seipling“ anpreisen, sind aber nicht auf Holländisch verfasst. Sie stammen von der siebenjährigen Tochter des Weißenseefischers.

Fischereibetrieb Martin Müller
Neusach 106, 9762 Weißensee
www.weissenseefisch.at

Genießerhotel Die Forelle
Techendorf 80, 9762 Weißensee
www.forellemueller.at

Die Fischdelikatessen von Hannes Müller und Martin Müller bekommt man außerdem hier:

Herwig Ertl
Hauptplatz 19,
9640 Kötschach-Mauthen
www.kaeseschokolade.at

Gourmet Cornelius
Schulerstraße 21, 1010 Wien
www.gourmetcornelius.at

Schlemmerei
Bethlehemstraße 1 d, 4020 Linz
www.schlemmerei.at