Geheimtipps vom Jausenbrett

Manche Käse haben einfach keinen guten Ruf. Zu fad, zu kommerziell. Dennoch lohnt es sich, nach großen Qualitäten auch bei Gouda, Edamer und Tilsiter zu suchen.

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Text von Florian Holzer
Gouda in drei seiner Entwicklungsstadien: jung/fad, „jarig“/interessant und „oud“/grandios

Fragt man bei der legendären Käseabteilung des legendären Gourmet-Supermarkts in der Wiener Innenstadt nach gereiftem Tilsiter, erhält man eine Antwort, deren abfälliger Unterton kaum zu überhören ist: „So einen Käse führen wir nicht.“ Und Rohmilch-Edamer? „Nein, auch solche Käse führen wir hier nicht.“

Schade. Denn nur weil es Käsesorten gibt, die von der Molkereiindustrie in den vergangenen 50 Jahren als form-, farb- und geschmacklose quadratische Scheibchen in Millimeterstärke definiert wurden, die wir uns an Frühstücksbuffets maximal deshalb zuführen, um dem morgendlichen Ungeschmack im Mund eine feste Substanz entgegenzusetzen, heißt das ja nicht, dass es die ursprüng­lichen Käse nicht mehr gibt.

Beim Emmentaler gelang das Comeback ja zum Beispiel ganz gut. Ja, natürlich besteht auch der größte Teil des als „Emmentaler“ verkauften Käses aus hellgelben Scheiben, deren einziger ­Unterschied zu anderen vergleichbaren Molkereiprodukten die große Lochung ist. Das ist die Ware, die Bäckereiketten mit einem Salatblatt zwischen ihre Kornspitze legen und von der deshalb Aberhunderte Tonnen pro Jahr hergestellt werden. Dass dem einstmals als „König der Käse“ bezeichneten das widerfuhr, lag an der staatlich geregelten Marktordnung für Käse in der Schweiz des 20. Jahrhunderts in Kombination mit schlechtem Marketing, erinnert sich Herbert Schmid, Österreichs ­erster und zweifellos prominentester Käse-Sommelier, „weil Billig-Schienen ruinieren ein hochwertiges Produkt“.

Einerseits, andererseits habe jedes Produkt, das lange am Markt sei, ­irgendwann einmal sein merkantiles Ende erreicht und müsse neu erfunden werden, erklärt Schmid. Weshalb gereifte Emmentaler von marmornem Erscheinungsbild und unendlich komplexem nussig-milchigen Aroma aus Frankreich, der Schweiz und auch Österreich nicht nur leicht zu finden sind, sondern auch in den Käseschränken der Top-Gastronomie wieder ihren Platz haben. Quasi von der Jausenplatte zurück in den Käse-Olymp.

Die Unterschiede beim Gouda
Ein Weg, den der Gouda noch vor sich hat. Menschen, denen Käse am Herzen liegen, wissen natürlich, dass gereifte Rohmilch-Goudas mit „Fermier“-Qualität, also von kleinen Erzeugern mit eigener Milchwirtschaft stammend, nicht nur käsemäßig zum Besten gehören, sondern zum Besten, was es überhaupt gibt auf dieser Welt. Farbe und Konsistenz irgendwo zwischen Bienenwachs und Sandstein, Geschmack von Karamell, Milch, Tabak, Salz, am Gaumen sowohl schmelzend als auch kristallin, so wie wir das sonst eigentlich nur bei hochreifem Reggiano haben.

Menschen, die Gouda im Supermarkt kaufen, wissen das allerdings nicht. Denn denen wird unter der Bezeichnung Gouda eine Art Gummikäse verkauft, der außer leicht säuerlich nach gar nichts schmeckt. Und genau das ist sein Erfolgsmodell, denn: „Es darf nichts mehr einen Geschmack haben“, so Herbert Schmid, „­Produkte mit wenig Geschmack gewinnen im Supermarkt stark an Terrain.“ Und beim Gouda gibt es dann ja auch noch sehr erfolgreiche Produkte, die zumindest ein bisschen Geschmack vortäuschen, wie der in aller Welt gut verkaufte „Old Amsterdam“ von Westland Kaas beweist: Großproduktion seit 1985, gelbe Farbe, süßer Geschmack, körniger Biss, gewonnen.

Aus Rohmilch und nach alter Tradition gekäster „Boerenkaas“ (Bauernkäse) ist selbst in den Niederlanden nicht leicht zu finden, erfreut sich aber dort und bei Käse-Freaks auf der ganzen Welt zunehmender Beachtung. Qualitäten jenseits der Reifestufe „jarig“ (einjährig), also etwa „overjarig“, „extra overjarig“ oder „oud“ – das heißt: Reifezeit von bis zu vier Jahren –, aus 20-Kilo-Laiben geschnitten und noch dazu aus der Ursprungsregion dieses wahrscheinlich ältesten Käses (erste Erwähnung 1184) aus Stolwijk oder Haastrecht stammend, gelten als rar und sind entsprechend heiß begehrt.

Das Problem mit dem Edamer
Wirklich schwierig steht’s allerdings um einen weiteren Käse aus den Niederlanden, dem sein Erfolg in früherer Zeit ebenfalls zum Verhängnis wurde, der Edamer. Der in heißer Molke „versiegelte“, dann mit einer Wachsschicht überzogene und somit ex­trem gut haltbare Kugelkäse war ein Grundbestandteil des Proviants der holländischen Seemacht im 17. Jahrhundert und reiste daher um die ganze Welt.

In seiner Jugend schmeckt Edamer nach quasi nichts, ähnlich dem Emmentaler hat er mit seiner Kugelform und der Wachsschicht aber großen Wiedererkennungswert, und beides sind ja beste Voraussetzungen für den Markterfolg. Dazu kam, dass man es in den Niederlanden – ebenso wie beim Gouda – unterließ, die Bezeichnung irgendwie zu schützen, weshalb sich farb- und geschmacklose Käse aus der ganzen Welt nach der Stadt nördlich von Amsterdam nennen dürfen. Und nicht zuletzt ließ sich der Edamer aufgrund seines höheren Wassergehalts, seiner Elastizität und seines Formats gut veräußern, „den konntest du auch noch vor der Verbreitung von Aufschnittmaschinen leicht in die Semmel schneiden“, legt Herbert Schmid eines der Geheimnisse des Edamer-Erfolgs dar, „das war sein Niedergang“. Was folgte, war in den 60er-Jahren die Invasion der sogenannten „Butterkäse“, entweder Edamer genannt oder mit ­anderen Namen ausgestattet, wie zum Beispiel der französische „Bel“ oder der seit 1966 existierende „Geheimratskäse“ der Molkerei Schärdinger.

Wirklich guter, echter Edamer wird heute selbst in den Niederlanden kaum noch hergestellt, ein einziger Hersteller ist bekannt, Familie Koopmann in De Weere, deren in hauchdünnes gelbes Wachs getauchte 1,6-Kilo-Käsekugeln sind allerdings absolut dazu geeignet, den Ruf des Edamers – oder Edammers, wie er in den Niederlanden tatsächlich heißt – wiederherzustellen: zart säuerlich, nussig, mild und geschmeidig, etwas fester und würziger als ein Gouda gleichen Alters, großartig.

Die Irrwege des Tilsiters
Und schließlich der Kandidat mit der sowohl obskursten Geschichte als auch einer Chance, sich am heimischen Markt in guter Qualität wieder zu verbreiten: Der Tilsiter ist nach einer Stadt im ehemaligen Ostpreußen, heute Sowetsk in der russischen Enklave Kaliningrad, benannt. Nicht gerade die heiße Käseadresse, sollte man meinen, allerdings flohen dorthin im 18. Jahrhundert zahlreiche Menschen aus Holland, Salzburg und der Schweiz vor ­religiöser Verfolgung, brachten ihr Käse-Know-how in die lokale Milchverarbeitung ein, und das Ergebnis war ein wür­ziger, fein gelochter Schnittkäse mit Rotschmierrinde. Damit ist die Geschichte aber noch nicht fertig: 1893 brachten zwei Schweizer Käsemacher die Rezeptur nämlich von einer ­Exkursion nach Preußen ­zurück in die Schweiz, wo sie von nun an Tilsiter nach Schweizer Qualitätsstandards machten. Wir lernen: Es gibt Tilsiter und Schweizer Tilsiter, der Unterschied ist wichtig.

Ab den 60er-Jahren erfuhr auch dieser Käse das Schicksal der meisten anderen Schnittkäse: industrielle Herstellung in Blockform, pasteurisierte Milch, kurze ­Reife, vorgeschnitten verpackt. Unter den Scheibenkäsen war der Tilsiter immer der „wilde“, der „stinkerte“, im Vergleich zu Edamer, Gouda und Emmentaler: Ja.

Tatsächlich hätten viele Konsumenten Scheu vor dem Tilsiter, „weil er riecht“, erklärt Josef Höflmaier aus Lochen im Innviertel, Käsemacher in dritter Generation. Bei Großhandelsware werde sogar die dünne Rotschmierrinde abgewaschen. Beim Höflmaier-Tilsiter nicht, weshalb vor allem ältere Kunden attestieren würden, dass der „wie früher“ schmecke. Gekäst wird er in der kleinen Familienkäserei zwar auch in Kastenform, auch das Risiko mit Rohmilch gehe man nicht ein, wegen des ­höheren Feuchtigkeitsgehalts und der Bruchlochung bestünde sonst die Gefahr, „dass da was reinwächst“. Allerdings arbeiten die Höflmaiers schon seit fast 30 Jahren mit ­biologischer Heumilch aus unmittelbarer Umgebung, gönnen dem Käse acht Wochen Reife, und das kann dann schon was. Man würde sich durchaus wünschen, diesen Käse mit sechs oder acht Monaten Reifung zu bekommen, und auch wenn es Josef und seinen jüngeren Bruder Thomas durchaus reizen würde, aber die Lagerkapazitäten lassen es nicht zu.

Knappe Lagerkapazitäten hat man bei Plangger in Niederndorf bei Kufstein nicht, da sorgte Bio-Pionier Herbert Plangger wenige Jahre vor seinem Tod 2021 noch dafür – und ließ einen Felsenkeller mit vier verschiedenen Klimazonen in den Tiroler Fels sprengen. Weshalb Enkel Reinhard Brunner hier nun die Möglichkeit hat, gereiften Tilsiter herzustellen, „so wie der Schweizer“. Und zwar im Laib (Block-Tilsiter macht er auch, der ist aber jung) und mit etwa sechsmonatiger Reifedauer, denn die Rechnung ist ganz einfach, „je länger die Reifung, desto intensiver und würziger der Käse“. Auch der Plangger-Tilsiter wird aus thermisierter Heumilch gekäst, sowohl optisch als auch vom Mundgefühl erinnert er an jungen Bergkäse, süß und würzig, ein tolles Gerät.

Auf die Debatten, dass dieser Tilsiter aber gar nicht so aussehe und schmecke wie Til­siter sonst, müsse er sich nicht einlassen, sagt Reinhard Brunner, „der geht hauptsächlich an Spezialitätenläden, die nach gereiften Käsen suchen“. Hauptsächlich nach Berlin oder Hamburg oder an den niederösterreichischen Käsehändler und -macher Helwin Hinke, der den Plangger-Tilsiter „kellerfeucht“ auf den Bauernmärkten am Nasch- und Karmelitermarkt verkauft. Und zwar direkt neben den Bergkäsen, „weil dort gehört er mit seiner an Räßkäse erinnernden Art auch hin“. Nein, als Tilsiter könne er ihn nicht gut verkaufen, der Name sei schlecht besetzt, „das ist ein klassischer Verkostungskäse“. —

Josef und ­Thomas Höflmaier, die jungen Käsemacher aus ­Lochen am See in Oberösterreich. Ihr Tilsiter wird
aus Bio-Heumilch gekäst und zwei Monate gereift.
© Michael Reidinger
Plangger-Käsemeister Reinhard Brunner hat sowohl die Zeit als auch den Platz und schließlich auch die Kundschaft, um Tilsiter würdig reifen zu lassen. So wird er zum echten Käse.
© Stockfood
Dem Edamer wurde sein Erfolg zum Verhängnis: Gut haltbar, leicht wiederzuerkennen durch runde Form und Wachsschicht, wurde er zum harmlosen Massenkäse.
© Stockfood

Adressen

Edamer, Gouda und andere holländische Käse erhältlich über

De Kaaskamer
kaaskamer.nl

Käserei Höflmaier
Kerschham 8, 5221 Lochen am See, T 07747/52 21
hoeflmaier.at

Käserei Plangger
Sebi 26, 6342 Niederndorf bei Kufstein, T 05373/612 60
kaeserei.at